Prolog
"In diesen letzen Minuten war es, als zöge Eichmann selbst das Fazit der langen Lektion in Sachen menschlicher Verruchtheit, der wir beigewohnt hatten - das Fazit von der furchtbaren »Banalität des Bösen«, vor der das Wort versagt und an der das Denken scheitert."
(Hannah Arendt - Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen)
Eden klappt das Buch zu. Sie hat es in einem leerstehenden Haus gefunden und es war ihr irgendwie passend vorgekommen. Mittlerweile ist das Buch nicht nur zu ihrer alltäglichen Lektüre, sondern auch zu ihrem Notizbuch geworden, in das sie mit einem liderlich angespitzten Bleistift kritzelt, während sie auf einem Ast sitzt und die Beine herunterbaumeln lässt.
Es ist so passend, weil das Böse direkt unter ihr steht. Es beherrscht diese Welt, das Leben und den Tod.
Und es ist bestimmt nicht banal.
Sie lässt sich von dem Ast fallen und packt das Böse an den schütteren Haaren. Dummerweise sitzt alles an ihm nicht mehr so fest, daher hält sie ein Büschel Haare samt einem Stück vertrockneter Kopfhaut in der Hand. Sie stöhnt entnervt auf, als der Beißer sich zu ihr umdreht, den Kopf schief legt und seine Arme nach ihr ausstreckt. Seine verbliebenen Zähne knallen gierig aufeinander. Die Augen sind gelblich-grau und trüb, die Haut ist modrig, verblichen, fleckig und spannt sich über die Knochen. Er riecht faulig. Es ist der Geruch, den verwesendes Fleisch ausströmt, süßlich und scharf zugleich.
Da ist nichts Menschliches mehr an ihm. Am Anfang hatte sie noch Skrupel, diese Kreaturen zu töten, aber seitdem sie realisiert hat, dass sie nur wandelnde menschliche Hüllen sind, ist auch diese verschwunden.
"Du siehst krank aus, mein Guter.", sagt Eden sarkastisch und dreht sich zur Seite weg, wodurch der Beißer ins Leere greift und nach vorne stolpert. Sie steht jetzt hinter ihm.
"Solltest vielleicht mal was gegen deinen Haarausfall machen...", fährt sie fort und weicht erneut aus, "Und ein wenig Make-up würde dir auch guttun."
Langsam verliert sie den Spaß an diesem Spiel. Sie zückt ihr Messer und packt den Beißer an der Schulter. Der Beißer stolpert nach vorne und ein seltsames, reißendes Geräusch ertönt. Fassungslos starrt Eden auf ihre Hand, in der sie einen großen Fetzen verwester Haut hält. Sie fühlt sich trocken und zugleich glitschig an. Da, wo dieser Hautfetzen vorher gewesen war, klafft jetzt ein offenes Loch, welches den Blick auf graues Fleisch, vergilbte Sehnen, Muskeln und Knochen freigibt. Der Beißer scheint sich nicht allzu sehr daran zu stören, dass ihm jetzt ein Stück Rücken fehlt, er kommt erneut auf sie zu.
Sie ist einen Moment so abgelenkt von diesem ekelhaften Anblick, dass sie gar nicht bemerkt, dass mittlerweile weitere Beißer auf sie zu getorkelt kommen. Erst als sie eine Hand an ihrem Arm spürt, erwacht sie aus ihrer Starre. Angewidert lässt Eden die Haut fallen, fährt herum und rammt dem Beißer, der sie packen wollte, das Messer ins Auge. Dann sind die anderen beiden, die sich von hinten genähert haben dran. Zum Schluss widmet sie sich ihrem gehäuteten Freund. Sie umgreift ihr Messer etwas fester und stößt es dem Beißer von oben in den Kopf. Das Krächzen, welches aus seiner Kehle dringt, erstirbt augenblicklich. Der Körper zuckt ein letztes Mal, dann klappt er zusammen. Eden zieht ihr Messer aus dem Kopf der Kreatur. Jetzt kann er endgültig verfaulen, denkt sie.
Sie schwingt sich wieder auf ihren Ast und schlägt das Buch auf.
Wütend kritzelt sie auf den unteren Rand einer Buchseite:
Liebes Tagebuch,
fick dich! Ich hab heute nen Beißer gepackt und hatte plötzlich die Hälfte seiner Haut in der Hand! Soll das etwa witzig sein?
Langsam beruhigt sich ihr Herzschlag wieder, ihre Atmung wird langsamer. Das hätte böse enden können. Es ist zwar gut gegangen, aber es hätte... Sie sollte das in Zukunft sein lassen. Sie sollte sich nur mit den Beißern anlegen, wenn sie keine Wahl hat, wenn sie muss. Aber verdammt, irgendwie macht es eben auch Spaß, diese sabbernden Matschbirnen zu killen. Es ist durchaus ein netter Zeitvertreib.
Das Ganze mag etwas makaber wirken. Aber man wird eben so, wenn man sich allein durch eine Welt schlägt, die von Untoten beherrscht wird. Das Einzige, was einen davor bewahrt, durchzudrehen, ist Ironie.
Edens Postapokalyptische Lyrik
Teil 327
Die Liebenden, sie sehen sich an
Es ist schon Morgenrot
"Geh nicht."
Fleht sie
"Da draußen ist der Tod."
Wär er geblieben
Gäb's Hoffnung, Liebe, Glück
Sein Kuss ließ' sie vergessen
Sein Lächeln sie erblühen
Doch er kam nie zurück.
Was bleibt
Sind die Schreie
Die Schatten, der Verlust
Wahnsinn, in den sie
Treibt.
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