13. Kapitel
Harry:
Louis steigt in den großen Feuerwehrwagen. Ich stehe neben meinem Auto und sehe, wie er die Tür schließt. Dann seufze ich und setze mich zu Gemma in den Wagen. Sie trinkt selten so viel und auch nie, wenn sie nicht unter guten Freunden ist. Steph kennt sie schon recht lange und die beiden passen eigentlich gut aufeinander auf. Ich mustere sie. Sie schläft ruhig und ihr Kopf lehnt an der Scheibe. Sie ist sogar schon angeschnallt. „Gem?", frage ich sie und warte einen Moment. „Gemma", sage ich ihren Namen noch einmal. „Ja. Ich bin wach!", sagt sie sofort und setzt sich aufrecht hin. Sie blinzelt ein paar Mal. Ich habe das Licht im Wagen angemacht. Ihr Make-Up ist verwischt und sie sieht sehr müde aus. Kein Wunder, so heftig wie die beiden offenbar gefeiert haben.
Sie trinkt gerne Cocktails oder Wein, das ist nicht neu, aber normalerweise hält sie sich an die Regel, nicht alles durcheinander zu trinken. Ich habe es ihr geraten, als sie angefangen hat, feiern zu gehen. Natürlich hat sie mir als ihrem großen, blöden Bruder nicht geglaubt und hatte wenige Wochen später ihren ersten, ausgewachsenen Kater. Seitdem findet sie die Regel nicht mehr so dumm. Umso überraschter war ich, als mitten in der Nacht mein Handy geklingelt hat. Das ist ewig nicht passiert. Die Feuerwehrfrau hat ihr die noch halbvolle Wasserflasche mitgegeben, die zu ihren Füßen steht. Sie nimmt sie sich und trinkt erst einmal etwas. Noch bin ich nicht losgefahren, aber mitten in der Nacht werde ich jetzt wohl kaum ein Ticket bekommen, weil ich verbotener Weise am Straßenrand stehe und schaue, dass meine Schwester sich nicht in meinen Wagen übergibt.
„Trink etwas langsamer, okay?", bitte ich sie. Nicht, dass das ganze Wasser gleich wieder raus kommt. Sie nickt und schließt die Flasche. „Danke, dass du hier bist. Ich wollte nicht... Mum wäre ausgerastet", sagt sie und scheint inzwischen bei wieder mehr Verstand zu sein. Ganz nüchtern ist sie allerdings nicht und das wird wohl auch noch eine Weile dauern. „Stimmt. Sie mag es sowieso schon nicht, dass du ausgezogen bist", sage ich. Gemma nickt und sieht auf Ihr Handy. Es ist inzwischen fast halb fünf. Mein Wecker würde in einer Stunde klingeln, aber jetzt kann ich auch wachbleiben. Werde ich sowieso. „Fahren wir noch ins St. Thomas Krankenhaus oder willst du lieber erst einmal ins Bett und Steph morgen besuchen?", frage ich sie. Sie schüttelt den Kopf. „Wir fahren dahin. Ich rufe auf dem Weg ihre Mutter an." – „Alles klar", stimme ich zu und starte den Motor. Das St. Thomas ist nicht weit weg. Wir fahren nur zehn Minuten und finden schnell einen Parkplatz. Nachts in ein Krankenhaus zu gehen, gehört definitiv nicht auf die Liste mit Dingen, die ich mal machen wollte, aber ich weiß, dass Gemma keine ruhige Minute hätte, wenn wir direkt nach Hause fahren würden.
„Hallo. Stephanie Brook ist vorhin eingeliefert worden", sage ich freundlich am Empfang. „Sind Sie Ihre Angehörigen?", fragt die Dame. Gemma schüttelt den Kopf. „Nein, ich war bei Ihr als... also wir haben zu viel getrunken und ich wollte wissen, ob es ihr gut geht", erklärt sie ihr. „Tut mir leid, Patientendaten darf ich nur an Angehörige ausgeben", wird ihr geantwortet. Gemma seufzt. „Können Sie mir nicht wenigstens sagen, dass es ihr gut geht?", versucht sie es noch einmal. „Sie ist in guten Händen", weicht die Dame aus und ich lege Gemma eine Hand auf die Schulter. „Für Sie wird gesorgt."
Meine Schwester schüttelt den Kopf und sieht mich an. „Aber dann denkt sie, dass ich sie einfach allein gelassen habe! Ich hätte doch mitfahren sollen!" Ich lege ihr nun auch die andere Hand auf die Schulter. „Wir lange kennt ihr euch schon?" – „Sechs Jahre." – „Und was wäre, wenn es andersherum wäre? Und du würdest aufwachen und Steph wäre nicht da?" – „Dann wurde sie bestimmt nur nicht durchgelassen", antwortet Gemma sofort. „Siehst du? Und so wird sie auch denken. Steph weiß, dass du sie nicht einfach irgendwo allein lässt, schon gar nicht, wenn es ihr schlecht geht", antworte ich ihr. Gemma nickt zögerlich und sieht wieder auf das Handy ihrer Freundin.
„Ihre Mutter müsste gleich hier sein. Sie wohnen nicht weit weg." – „Möchtest du so lange noch warten?", frage ich sie. Gemma zögert. „Du musst doch morgen arbeiten", argumentiert sie. „Komm, wir setzen uns da vorne hin." Ihr Widerspruch bleibt aus. Sie lehnt sich an meine Schulter und starrt auf den tristen Boden vor unseren Füßen. „Ihr Ex hat sie verlassen. Dieses Arschloch, er war mir noch nie ganz geheuer." – „Ich dachte, sie sind glücklich zusammen?", frage ich verwundert. Sie zuckt mit den Schultern. „Männer sind blöd." – „Hey!" Sie schmunzelt. „Du bist mein Bruder. Das ist was anderes. Du bist nur ein Idiot." – „Und das ist ein Unterschied?", frage ich irritiert. Was soll an blöd und Idiot anders sein? „Nicht alle Männer sind blöd", sage ich dann. Es gibt allerdings zu viele Arschlöcher auf der Welt, damit hat Gemma definitiv recht.
„Und zwar? Bisher hatten Steph und ich nur Pech." – „Was ist mit Niall? Der ist nicht blöd." – „Aber ich gehe doch nicht mit Niall aus!", widerspricht sie mir sofort und schüttelt den Kopf. „Nein, dann würde ich ihm auch die Freundschaft kündigen, wenn er sich an dich ranmacht." – „Igitt, Niall ist wie... ein Cousin, quasi." Ich fange an zu lachen. „Was? Wie ein Cousin?" Sie zuckt mit einer Schulter. „Ich sehe ihn nicht so oft wie dich, aber ich kenne ihn schon seit meiner Kindheit, naja, seitdem ihr euch halt kennt. Für mich war er immer dein bester Freund und gehört auch irgendwie zu Familie... wie ein Cousin halt." Ah ja, wenn das in ihren betrunkenen Hirn Sinn ergibt, von mir aus.
„Stephs Ex hat gesagt, er macht mit ihr Schluss, weil er sich ausprobieren will", erzählt sie und ihr Ton verrät deutlich, was sie von ihm hält. „Sexuell, meine ich. Er will mehr Sex, meinte er. Es ist nicht so, als hätten die beiden nie Sex gehabt, aber ihm war es offenbar zu wenig. Er würde am liebsten jeden Tag vögeln, als würde eine Beziehung nur daraus bestehen, das ist so dumm!", regt sie sich auf und interessiert sich dabei herzlich wenig dafür, dass uns inzwischen einige Leute zuhören, die auch hier im Wartebereich sitzen. „Und weißt du, was der Arsch dann meinte? Am Telefon?!", fragt sie mich. „Du wirst es mir bestimmt gleich sagen", antworte ich, wobei ich nicht sicher bin, ob sie diese Antwort überhaupt mitbekommt.
„Er meinte, dass er sie nicht dauerhaft betrügen will und eine offene Beziehung will sie ja nicht. Als wäre das Ihre Schuld! Und dauerhaft betrügen? Steph hat nachgefragt, ich stand daneben und dann hat er gesagt, dass er es verstanden hat, dass er mehr Sex will und mehr ausprobieren will, weil er es schon hat! Er hatte betrunken Sex mit einer anderen! Dieses Arschloch hat sie betrogen und so getan, als wäre es ihre Schuld, weil Sie es ihm nicht oft genug besorgen würde!" Fuck, wenn das je irgendjemand mit Gemma machen sollte, vergesse ich mich. Gemma schnaubt. „Gut nur, dass Steph sowieso schon seit einer Weile an der Beziehung gezweifelt und sich von ihm distanziert hat. Sie will ihn nie wieder sehen." – „Verständlich", nicke ich. Sie lehnt sich zurück. „Ich habe vorhin seine Nummer aus ihrem Handy gelöscht, deswegen habe ich es."
Einen Moment schweigt sie. „Ich hatte wirklich Angst um sie, als sie einfach umgefallen ist. Wir haben uns nur auf die Bank gesetzt, um durchzuatmen und dann klappt, sie plötzlich zur Seite weg." Ihr treten Tränen in die Augen und ich ziehe sie zu mir. „Es ist alles gut, Gem. Ihr geht es gut. Louis hat euch gefunden." Kann man jemandem so verdammt dankbar sein, den man nicht leiden kann? Offenbar schon. Es ist ein seltsames Gefühl, ziemlich gegensätzlich. Es passt nicht zusammen. Wollte ich ihm noch einmal begegnen? Definitiv nicht. Bin ich froh, dass es doch so war? Irgendwie schon. Wobei es mich nicht gestört hätte, wenn seine Kollegen ihn Gemma und Steph geholfen hätten und er einfach im Wagen geblieben wäre. Aber woher soll er wissen, dass Gemma meine Schwester ist? Er ist ein Arsch, aber er war zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.
„Gemma? Was ist mit Steph?" Stephs Mutter kommt in das Krankenhaus gelaufen. Gemma steht sofort auf und wischt sich über die Wangen. „Wir fahren feiern und wir haben zu viel getrunken", fasst sie zusammen. „Es tut mir leid, wirklich. Wir haben es übertrieben und sind dann aus dem Club eine Weile gelaufen und haben geredet. Wir haben uns hingesetzt und plötzlich ist sie zur Seite weggeklappt und... ihr ging es nicht gut und sie wurde hergebracht. Mehr weiß ich nicht, weil wir nicht gewandt sind."
Stephs Mutter nickt und zieht sie in eine Umarmung. „Danke, dass du auf sie aufgepasst hast." – „Würde Sie bei mir auch machen", antwortet Gemma ihr und sie gehen zum Empfangstresen. Gemma sieht zu mir. Ich sitze immer noch an der Seite. „Komm her", sagt sie tonlos. Ich erhebe mich und erst da entdeckt Stephs Mutter mich. Wir kennen uns vom Sehen, haben aber sonst nie etwas miteinander zu tun gehabt. „Harry, richtig?" Ich nicke. „Ich bin mit Gemma hinterher gefahren. Wir wollten hier warten, bis Sie ankommen."
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Merke: Nicht gemischt trinken, wenn man trinkt. Und immer mit Leuten unterwegs sein, auf die man sich verlassen kann.
Love, L
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