8

Dieses Mal passiert wieder alles exakt so, wie die letzten Wochen zuvor. Zuerst tauchen die Plakate auf, bis einen Tag später das Zirkuszelt wie aus dem Nichts auftaucht. Alana hat immer noch nicht herausgefunden, wie die Artisten dies machen. Es scheint immer noch unmöglich zu sein. Aber wenn diese Menschen wirklich tot sind, ist dann überhaupt noch etwas unmöglich? Es hat wieder genau zehn Tage gedauert, bis der Zirkus aufgetaucht ist.Alana stellt die Vermutung auf, dass die zehn in diesem Zirkus eine heilige Zahl zu sein scheint. Wahrscheinlich würde der Zirkus alle zehn Tage auftauchen. Letztes Mal sind sie auch zehn Tage geblieben. Es ist, als wären die Menschen in einer Zeitschleife gefangen. Zumindest alle, bis auf Alana, denn alle sprechen wieder so über den Zirkus, wie die letzten Male. Die ganze Stadt ist in Aufregung und tuschelt, wie die letzten beiden Male.

Sie muss sich ein Grinsen verkneifen. Es ist doch absurd. Inzwischen hat sie eine ganze Reihe an Zeichnungen zu dem Zirkus, die sie allesamt in dem Schreibtischfach versteckt hat. Dieses Mal zieht Alana nicht das schicke, rote Kleid an, sondern lässt ihre ganz normale Alltagskleidung an und geht so zum Zirkus. Sie fällt damit etwas aus dem Rahmen und die Bewohner aus Rumor schauen sie alle entgeistert an, denn sie sind nach wie vor rausgeputzt. Sie erkennt einige der Gesichter wieder. Sie haben genau das gleiche an, wie die letzten Male und sie muss sich das Grinsen verkneifen. Es ist wirklich, wie in einer Zeitschleife. Zum Glück kostet der Eintritt kein Geld, sonst würden sie sich schon bald fragen, wo es geblieben ist. Als sie am Ticketstand ist, verkauft Mandrik wieder die Tickets und ihr Herz schwebt einen Moment in ihrer Brust.

"Hey" , flüstert sie.

"Hey" , flüstert er zurück. Er drückt ihr das Ticket in die Hand, doch auch dieses Mal berühren sich ihre Finger dabei nicht.

"Warum kommst du nicht einfach erst nach der Vorstellung?" , flüstert er. "Es ist doch jedes Mal das gleiche. Das kennst du doch alles schon"

"Ich mag es einfach, euch zuzusehen" , flüstert sie lächelnd zurück und versucht einen Versuch mit ihm zu Flirten. Darin war sie leider noch nie gut. Emma hat dies immer viel besser hinbekommen. Sie geht durch den Eingang ins Zirkuszelt und wünscht sich das Gefühl jeden Tag. Wenn sie dieses Gefühl jeden Tag haben könnte, würde sie es nehmen. Sie träumt sich in eine andere Welt, in der sie in einem Zirkus arbeitet und es tatsächlich jeden Tag bekommt. Nach der Vorstellung treffen die beiden sich wieder vor dem Zelt.

"Dürfen die anderen nicht wissen, dass wir uns treffen?", fragt Alana nach einer Weile, die die beiden schweigend nebeneinander gesessen haben. Es ist keine unangenehme Stille, wie mit anderen Menschen. Die beiden sind einfach beieinander. Man hört die Grillen im Gras zirpen und sie lauschen dem Rauschen der Nacht.

"Sie haben ehrlich gesagt immer noch Angst vor dir. So jemand wie du ist uns noch nie begegnet und sie wissen nicht, was es zu bedeuten hat"

"Ich bin nicht gefährlich. Ich verspreche es" , erklärt sie.

"Das glaube ich dir auch" , erwidert Mandrik. "Aber wir können dich trotzdem nicht einschätzen. Wir kennen dich nicht- Euch nicht"

"Euch?", fragt sie.

"Euch Menschen"

"Und was seit ihr dann?"

"Das kann ich dir nicht sagen. Ich kann dir nicht vertrauen. Nicht, wenn ich die anderen dadurch in Gefahr bringe. Wenn ich nur mich in Gefahr bringen würde, wäre das etwas anderes"

"Und was, wenn ich längst weiß, was ihr seit?" , fragt sie.

"Was?", fragt er nun wieder voller Angst in den Augen.

"Ich tue euch nichts. Ich werde mein ganzes Wissen für mich behalten. Ich werde niemanden etwas verraten. Nicht von euch und nicht von diesem Zirkus. Zumal sowieso alle immer vergessen, dass er existiert, sobald sich hier etwas verändert" , sagt sie und zeigt auf das etwas entfernt stehende Zelt.

"Okay, also wir sind..-" , sagt er.

"Du kannst mich nicht schlagen" , erklärt Mandrik dem Nichts.

"Okay, tut mir Leid. Aber sie weiß es sowieso schon"

"Sie hat es mir gesagt" , sagt Mandrik.

"Ja, ich vertraue ihr" , erklärt Mandrik.

"Mandrik?", fragt Alana nach einer Weile unsicher. Mandrik redet mit der Luft.

"Siehst du sie nicht?" , fragt er nun erstaunt.

"Wen?", fragt sie.

"Du siehst sie nicht"

"Hier ist niemand" , beteuert Alana.

"Das ist äußerst seltsam" , betont er.

"Mich siehst du, oder?", fragt er.

"Natürlich sehe ich dich. Wir reden doch miteinander und ich schaue dich dabei an. Wieso sollte ich dich nicht sehen?", fragt sie.

"Weil ich-"

"Was?", fragt sie.

"Ich kann es dir nicht sagen"

"Weil du tot bist" , ergänzt Alana seinen Satz.

"Woher weißt du das?", fragt Mandrik nun.

"Ich habe recherchiert und habe eins und eins zusammen gezählt"

"Du hast etwas über mich herausgefunden?" , fragt er mit großen Augen.

"Nein, über dich nicht. Aber über drei deiner Artisten"

"Nur über drei?", fragt er.

"Ja"

"Okay, lass uns ins Zelt gehen. Vielleicht sollten die anderen es hören und du solltest sie sehen können. Das ist sonst unfair"

"Ist hier noch jemand?", fragt sie.

"Ja, da" , sagt er und zeigt vor sich. Dort ist niemand. Zumindest aus Alanas Blickwinkel. Mandrik sieht Cato, die ihn immer noch ernst ansieht, als wenn er etwas verbotenes getan hat und sie seine Mutter ist. Die drei gehen gemeinsam auf das Zelt zu.

"Meinst du nicht, ich mache ihnen noch mehr Angst, wenn ich ihnen sage, dass ich ihr Geheimnis kenne?" , fragt Alana unsicher auf dem Weg und verlangsamt ihre Schritte. Wer weiß, was sie Geister tun würden, wenn man die verärgert.

"Ich regel das" , erklärt Mandrik. Die beiden gehen nebeneinander, bis sie am Zelt angekommen ist. Das Zelt öffnet sich von alleine und sobald Alana den Eingang betritt, sieht sie Cato vor sich aus dem Nichts auftauchen.

"Okay, das war cool" , stellt Alana fest.

"Okay, Leute. Ja, ich habe Alana wieder mitgebracht und ich weiß, dass ihr Angst vor ihr habt, weil sie mich sehen kann und wir miteinander reden können" , erklärt er. "Aber sie ist nicht gefährlich"

"Ich bin nicht gefährlich. Ich bin nicht böse" , beteuert sie.

"Alana, überlass das reden mir"

"Entschuldigung"

"Sie hat herausgefunden, was wir sind"

Es ist, als wenn ein stilles raunen durch die Menge geht, welches Alana nicht hören kann.

"Sie hat ein paar Artikel mitgebracht. Sie hat etwas über uns herausgefunden? Wolltet ihr nicht auch schon immer wissen, wie ihr gestorben seit und wie euer Leben vorher war?", fragt er in die Runde. Stille.

"Ich weiß, aber-" , sagt er, wird aber scheinbar unterbrochen.

"Okay, setzt euch in den Kreis"

Die ganzen Gestalten setzten sich in die Manege in einen Sitzkreis und schauen Alana mit großen Augen an. Sie setzt sich ebenfalls hin. Vielleicht würde sie dann nicht mehr so beängstigend wirken.

"Über wen hast du etwas herausgefunden?", fragt Mandrik sie. Sie holt die Zeitungsartikel aus ihrer Tasche und reicht sie ihm, doch sie fallen durch eine Hände hindurch. Sie schaut, wie sie durch seine Hände hindurch rutschen und auf den Boden fallen. Hätte sie sich auch denken können, wenn er ein Geist ist.

"Entschuldigung" , sagt sie noch einmal.

"Schon okay"

"Warum kannst du das Ticket festhalten?" , fragt sie.

"Das ist die Magie der Vorstellung" , erklärt er.

"Ich habe hier ein paar ausgedruckte Sachen. Ich habe etwas über Vick, Syklar und Gree herausgefunden. Soll ich mit irgendjemandem von euch anfangen?" , fragt sie und fühlt sich bescheuert, als keine Antwort kommt. Sie kann sie nicht verstehen, wie sollen sie da jemals ein Gespräch aufbauen.

"Gree möchte als erstes etwas wissen"

"Sicher?" , fragt sie.

"Ja" , sagt Mandrik und nickt ihr ermutigend zu.

"Vielleicht sollte Zazie rausgehen" , sagt Alana. "Das ist ganz schön heftig"

"Der Tod ist heftig. Und wir sind alle tot. Wir können das alle ab, was du uns zu sagen hast"

"Okay. Also..ähm"

"Gree" , sagt sie und schaut Gree ins Gesicht, während sie ihren Satz vollendet. "Du bist tot, weil du dir das Leben genommen hast"

Grees trauriges Gesicht schaut sie an. "Es tut mir leid"

Gree steht auf uns geht nach draußen. "Ist alles okay mit ihr?" , fragt sie Mandrik. Von wegen sie könnten alles hören, was Alana zu sagen hat.

"Ich schaue nach ihr" , sagt er und ist schon verschwunden, bevor sie noch etwas sagen kann. Nun sitzt sie in einem Raum voller Geister, ganz alleine und kann alle sehen und doch niemanden verstehen. Ihr Leben ist doch ein schlechter Scherz. Sie fragt sich, ob sie die anderen Todesursachen auch noch ansprechen soll oder ob es doch etwas zu viel ist. Sie will gerade aufstehen und gehen, als Skylar ihr zunickt.

"Willst du deine Todesursache wissen?", fragt Alana. Skylar nickt.

"Du bist bei einem Brand ums Leben gekommen" , sagt sie. Skylars Gesicht bricht in diesem Moment, als Alana es ausspricht. Ihr Gesicht zerfällt quasi völlig. "Es tut mir Leid, seit ihr sicher, dass ihr das weiterhin hören wollt?" , fragt sie. Alle nicken. Es muss komisch sein, zu wissen, dass man tot ist, aber nicht zu wissen, wie man gestorben ist. Aber es muss noch seltsamer sein, von jemand völlig Fremden mitgeteilt zu bekommen, wie du gestorben bist. Skylar ist im Gegensatz zu Gree sitzen geblieben, starrt aber unentwegt in die Ferne.

"Vick, bist du dir sicher, dass du es auch wissen willst?", fragt sie ihn. Auch er nickt.

"Okay" , sagt sie und atmet einmal durch, bevor sie ihren Satz weiterspricht. "Du warst einer der bekanntesten Magier auf der ganzen weiten Welt. Bis du einen Trick zu weit getrieben hast und dabei gestorben bist" , erklärt sie dem Mann, der ihr Vater sein könnte. In diesem Moment kommt Mandrik wieder.

"Ist alles okay mit Gree?" , fragt sie ihn.

"Vick will wissen, bei welchem Trick" , erklärt Mandrik ihr.

"Bist du dir sicher, dass du das wissen willst?", fragt Alana unsicher. Sie glaubt, dass sie es schon viel zu weit getrieben hat. Sie weiß nicht, weshalb sie heute Abend hergekommen ist und ihnen gesagt hat, wie sie gestorben sind. Das ist doch viel zu viel.

"Er will es wirklich wissen. Er findet es unfair, dass die beiden genau wissen, wie sie gestorben sind"

"Nein, ich habe nicht erzählt, dass Gree sich erhängt hat und auch nicht, dass-" , hält sie gerade noch rechtzeitig inne, bevor sie ausplaudert, in was für einem Brand Sky umgekommen ist. In diesem Moment sieht sie Gree am Eingang des Zeltes stehen, mit völlig starrem Blick. Sie wollte wiederkommen, doch in diesem Moment läuft sie wieder weg.

"Scheiße" , flucht Alana.

"Kann ich sie dort sehen?" , fragt Alana an Mandrik gerichtet. Er schüttelt den Kopf.

"Ich glaube, sie muss jetzt erstmal alleine sein" , antwortet er.

"Hast du nichts über uns andere herausgefunden?" , fragt Mandrik sie nach einer Weile.

"Nein, im Internet zumindest nicht. Aber ich kann noch im Archiv der Stadt schauen, alte Zeitungen zusammen suchen und noch gründlicher recherchieren, wenn ihr das wollt" , sagt sie.

"Ich glaube aber, für heute ist das Drama aber erst einmal genug. Ich werde alles dafür tun, dass ihr alle wisst, wie ihr gestorben seit und vielleicht finden wir auch heraus, was es mit dem Zirkus auf sich hat. Was genau wisst ihr denn überhaupt über euch?" , fragt sie. Mandrik antwortet für alle, während sie einzelne Informationen in die Runden werfen, welche Alana nicht hören kann.

"Wir wissen unsere Namen. Es scheinen die gleichen zu sein, wie die, als wir noch lebten" , erklärt Mandrik ihr schulterzuckend.

"Wir wissen, dass uns außerhalb der Vorstellung und außerhalb des Zeltes niemand sehen kann"

"Habt ihr so die Plakate aufgehängt?" , fragt sie.

Zazie nickt grinsend. "Das war total cool." , bewundert Alana die Artisten. Jetzt hat sie das Rätsel gelöst und es ist irgendwie cooler als gedacht, dass sie quasi unsichtbar sind und man die Plakate deshalb schweben sieht. Man hätte also auch die Schrift auf einmal auftauchen sehen, weil die anderen Menschen Mandrik auch nicht sehen können.

"Echt ein super Effekt und es funktioniert jedes Mal" , sagt Zazie.

"Was wisst ihr noch?" , fragt Alana.

"Dass die Magie der Vorstellung einiges anders macht. Zum Beispiel, dass ich mit jedem Menschen reden kann. ", erklärt Mandrik. "Bisher dachte ich zumindest, dass es nur in der Vorstellung geht. Aber dann bist du aufgetaucht"

"Können die anderen mit niemandem reden?" , fragt Alana.

Er schüttelt traurig den Kopf.

"Seit ihr nicht einsam?" , fragt sie.

"Wir haben doch uns. Und manchmal spuken wir herum. Das ist ein Spaß" , sagt Mandrik grinsend.

"Und, kannst du auch mit anderen Menschen reden?" , fragt sie.

"Bisher hat mich noch nie jemand außerhalb der Vorstellung gesehen oder mit mir geredet. Ich glaube also nicht. Du scheinst die einzige zu sein"

"Was wisst ihr noch?" , fragt sie neugierig weiter. Sie will diese neue Welt entdecken und alles darüber wissen. Es scheint das Leben nach dem Tod zu sein, oder zumindest ein Teil davon. Immerhin sind das nicht alle Toten auf der Welt.

"Und wir wissen, dass wir tot sind. Also Geister. Aber das ist auch schon alles" , fügt er noch hinzu.

"Ihr wisst also alle nicht, wie ihr gestorben seit?" , fragt sie in die Runde. Alle schütteln den Kopf.

"Ihr wollt aber wissen, auch wenn es noch so schrecklich ist, wie ihr gestorben seid?" , fragt sie. Dieses Mal nicken sie alle.

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