𝗪𝗜𝗣𝗘 𝗢𝗨𝗧

„IDIOT." ICH HOB EINE AUGENBRAUE und musterte ihn herausfordernd. Die Mundwinkel des blonden Surfers schnellten in die Höhe. Ich konnte ein leises Kichern hinter mir vernehmen. Es war Kiara. Sie nippte an ihrem Bier und beobachtete uns.

„Kein Grund beleidigend zu werden.", erwiderte er und hob seine Hände. Ich verzog mein Gesicht, legte meinen Kopf schief.

„Aber jetzt mal ehrlich, Kleine. Was willst du hier?", fragte er. Einzelne Wassertropfen liefen seine muskulöse Brust hinab. Ich rollte mit den Augen.

„Ich weiß nicht, ob es dir entgangen ist, aber ich habe ein Surfboard, Maybank." Ich verschränkte meine Arme. Einige Sekunden später ruhten seine blauen Iriden auf meinem Surfboard. Es lag neben Kiara im Sand, wartete darauf, die Wellen zu reiten. JJ's Miene verfinsterte sich.

„Das hier ist unser Strand!", platzte es aus ihm heraus. Er klang wie ein kleiner Junge, der seine Sandburg um jeden Preis verteidigen wollte. Ich lachte leise auf und drehte mich um meine Achse.

„Ich sehe hier kein Schild.", entgegnete ich schnippisch. „Siehst du eins, Ki?" Die schwarzhaarige Schönheit schüttelte den Kopf. Mein Blick wanderte zurück zu JJ.

Wenn es dir nichts ausmacht, werde ich jetzt surfen gehen."
Sein Gehabe ging mir gehörig auf den Senkel. Er erinnerte mich an Nathaniel und den Mist, den er mir täglich predigte.

„Wie hast du ihn überhaupt gefunden? Müssen reiche Mädchen wie du nicht irgendwie... Ballettunterricht nehmen und Französischnachhilfe geben?" JJ trat näher. Seine Augen wanderten über meinen Körper, scannten ihn förmlich. Sie verharrten an meinem Bikinioberteil.

Empört wich ich zurück.

„Es war John B! Und wenn du mir noch einmal in den Ausschnitt schaust, mache ich Vegemite aus dir!"

„Ist das auch so'n Ding für das ich zu amerikanisch bin? Ihr Aussies seid wirklich abgedreht." Er hob seine Hände, deutete mit den Zeigefingern an seinen Kopf und rollte die Augen nach innen. Ich schnaufte und richtete meine Oberteil.

„Ach, und jemandem auf die Brüste starren ist nicht abgedreht, was?", fragte ich, hob meine Augenbrauen und setzte das abgedreht in imaginäre Anführungsstriche. Der Blonde lachte, legte seinen Kopf schief.

Am liebsten hätte ich ihm die Nose meines Surfbretts in sein arrogantes Gesicht gehauen.

„Ich habe mich nur gefragt, wo du Fendi her hast... aber dann ist mir eingefallen, dass du alles in den Arsch geschoben bekommst. Ist der Fummel von Rafe?" Belustigt verzog er sein Gesicht und schnalzte mit der Zunge. Überrumpelt drehte ich mich zu Kiara, die JJ mit ihren Blicken zu erdolchen drohte. Für ein paar Sekunden war es still. John B und Pope waren immer noch im Wasser, schienen die Situation aus sicherer Entfernung zu beobachten.

Schließlich riss mich das laute Gekreische einer Möwe aus meinen Gedanken. Mein Blick wanderte zurück zum blonden Obermacker. Er schien auf eine Reaktion meinerseits zu warten.

Doch die würde er nie bekommen.

Du bist ein Arschloch, JJ Maybank."

Und mit diesen Worten nahm ich mein Surfboard, drängte mich an
ihm vorbei und lief geradewegs in Richtung Wasser. Kiara klatschte leise.

Der Sand verbrannte meine Fußsohlen, der Wind warf meine Haare durcheinander. Es war mir egal, was JJ, die Pogues oder alle anderen sagten. Ich wollte surfen, verdammt. Ich wollte in Frieden surfen.

Traurigerweise währte mein Frieden nicht lang.

„Du hast wohl keine Ahnung, wie es ist zu verlieren, Kook", ertönte JJ's Stimme. Ich fuhr herum und meine Haare landeten in meinem Gesicht. Für einen kurzen Moment schwieg ich, starrte ihn an. Mein Atem wurde unregelmäßig, meine Unterlippe zitterte.

Und schließlich schluckte ich den Kloß in meinen Hals herunter.

Mein Herz verkrampfte sich als ich zu dem Armband an meinem rechten Handgelenk sah. Mom. Es hatte ihr gehört. Es war das Einzige, was mir geblieben war.

Im nächsten Moment drehte ich mich um, lief ins Wasser und verschwand in den Wellen. Das Letzte, was ich hörte, war ein wütendes Schnauben.

Anschließend war ich völlig schwerelos.

Ich trieb durch das kühle, klare Nass und tauchte durch eine kleine Welle. Mein Kopf durchschlug das Wasser, spürte den Druck. Ich tauchte auf und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Meine Lungen schrien nach Luft - und die bekamen sie.

Kraftvoll sog ich die salzige Meeresluft ein und sah mich um. Die gleißende Sonne blendete mich und ließ das Wasser wie Alufolie schimmern. Plötzlich war ich froh, dass ich eine halbe Tonne Sonnenmilch aufgetragen hatte.

Als ich mich umdrehte - ich konnte kaum noch stehen - sah ich John B und Pope. Ersterer saß auf seinem Board, hielt sich die Hand ans Gesicht und suchte die Wasseroberfläche ab. Schließlich verharrten seine Augen bei mir, musterten mich eindringlich. Ich wusste, dass er mich ansah. Er war knapp zehn Meter von mir entfernt. Ein paar Meter weiter surfte Pope. Er machte einige Turns.

Ein Blick zum Strand verriet mir, dass Kiara zum Minivan gelaufen war. Instinktiv suchte ich nach JJ's Surfboard, suchte im Sand. Es war verschwunden. Genauso wie er. Ich wandte mich um und sah auf's offene Meer.

Einige Möwen flogen über mir, kreischten und hielten nach Fischen Ausschau. In der Ferne sah ich einige Wellen auf mich zukommen.

Ich ignorierte das mulmige Gefühl in meiner Magengegend, stemmte mich auf mein Bord und begann zu paddeln. Meine gebräunten Arme glitten durch das klare Wasser, durchschnitten es wie Butter. Ich ignorierte die Pogues und konzentrierte mich auf die Wellen. Die raue Laminierung meines Surfbretts schmiegte sich an meine Haut.

Ich entschied mich für einen Angle-Take-Off und paddelte schräg in die Wellen. Meine Arme umklammerten die Seiten des Bretts, während ich eine ungefähr 1,50 Meter hohe Welle anvisierte.

Wieder ertönte das laute Kreischen der Möwen. Dieses Mal klang es beinahe unheilvoll, als würden sie eine Katastrophe ankündigen.

Plötzlich tauchte ein anderer Surfer schräg neben mir auf, fuhr in meine Schneise und nahm mir die Vorfahrt. Ein schriller Schrei entwich meiner Kehle, als die Person in die Welle raste.

Die Finnen seines Surfboards kamen mir gefährlich nah. Mir blieb keine Zeit nachzudenken. Ich umklammerte mein Brett und warf mich nach rechts in die Welle.

Einige Sekunden später verlor ich die Orientierung.

Ich klammerte mich an mein Brett und hielt die Luft an. Die Massen an Wasser, die über mich hineinbrachen, ließen mich panisch zur Oberfläche schwimmen. Mit all meiner Kraft durchdrang ich das Wasser, riss meine Augen auf, strich meine Haare beseite und schnappte nach Luft.

Die Welle war gebrochen.

Ohne mich.

Mein Herz schlug wie wild, hämmerte gegen meinen Brustkorb. Jeder Surfer wusste, dass man die Vorfahrtsregeln zu beachten hatte. Nicht nur, weil es höflich war - es ging um die Sicherheit. Wenn ein anderer Surfer bereits in der Welle vor einem war, galt Nicht in die gleiche Welle hineinfahren.

Schließlich riss mich eine laute Stimme aus meinen Gedanken.

Mein Kopf schnellte nach links.

Und als ich sah, wer vor mir im Wasser paddelte, wurde mir schlecht vor Wut.

Es war niemand geringeres als JJ Maybank. Ein freches Lächeln zierte seine Lippen und in diesem Moment hätte ich ihm am liebsten die Augen ausgekratzt. Schließlich hielt er seine Hand in die Höhe und zeigte Hang-Loose. Ich sah Rot.

Wütend paddelte ich in seine Richtung, ignorierte die Wellen, die mich ins Wanken brachten.

„Du bist bescheuert! Du kannst mir doch nicht einfach die Vorfahrt nehmen! Es hätte sonst was passieren können!", schrie ich und kam ungefähr drei Meter vor ihm zum Stehen. Belustigt zuckte er mit den Achseln.

„Ohhh hat die kleine Kook etwa Angst vor einem harmlosen Drop-In?", fragte der Blonde. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie John B in unsere Richtung gepaddelt kam. Ich schnaubte wütend und strich mir eine blonde Strähne hinter mein Ohr.

„Deine Drecks-Finne hätte mir beinahe den Knöchel aufgeschlitzt, du Idiot! Was sollte das?", fragte ich und musterte ihn wütend. Seine Mundwinkel zuckten.

„Ich wollte dir zeigen, dass ihr Kooks nichts drauf habt. Du hättest sehen müssen wie du in die Wellen gefallen bist. Sah aus wie ein nasser Sack Kartoffeln.", feixte er und drehte sich um. JB saß auf einem Board hinter ihm und hob eine Augenbraue. Seine karamelbraunen Augen fanden meine. Schließlich sah er zu JJ.

„Bro, was tust du?", fragte er verwirrt. Ich setzte mich auf mein Board und verschränkte die Arme. Die Strömung trieb uns in Richtung Strand. Die Wellen wurden schwächer.

„Ihr's zeigen.", entgegnete JJ trocken und musterte mich abschätzig. Ich verengte meine Augen zu Schlitzen.

„Ich surfe seitdem ich denken kann, du Grommet! Wenigstens kenne ich mich mit den Regeln aus... Dein toller Freund hat mir die Vorfahrt genommen.", erklärte ich, gestikulierte wie wild. JJ lachte und ich ließ meine Hände neben meine Hüfte fallen. Routledge nickte verständnisvoll. Er schoss metaphorische Pfeile in JJ's Richtung.

„Hast du mich gerade Grommet genannt, Kook?", fragte der blonde Surfer und hob eine Augenbraue.

Ich seufzte laut und paddelte zurück aufs offene Wasser. Genervt kraulte ich in die entgegengesetzte Richtung, trieb auf die andere steinige Seite des Strandes. Einige Felsen ragten aus dem Wasser. Die kleinen Tropfen zerschellten wie heißes Öl.

„Wo willst du hin!?", ertönte es und ich wusste, dass ich gemeint war. Es war John B. Uns trennten zwanzig Meter, vielleicht mehr.
Ich trieb immer weiter hinaus.

Die Wellen wurden größer, gewaltiger und gefährlicher.

Mittlerweile konnte ich den Boden nicht mehr sehen. Ich konnte nicht mehr stehen. Angst hatte ich nicht. Ich kannte solche Situationen, hatte schon oft in meterhohen Wellen gesteckt. Zumindest in Bondi, in Australien, Zuhause.

Und da lag das Problem.

Ich kannte das Wasser nicht. Ich wusste nichts über die Strömungen im Cut.

Als ich zum Strand sah, konnte ich Kiara erkennen. Wie eine Verrückte sprintete sie durch den Sand und hielt ihre Hände in die Höhe.

Ich glaubte, sie schreien zu hören. Es klang stark nach Pass auf, die Felsen! Einige Sekunden später tauchte Pope neben ihr auf. In Badeshorts kam er neben ihr zum Stehen und begann ebenfalls mit den Armen zu fuchteln. Ich kniff meine Augen zusammen, versuchte, sein Geschrei zu verstehen. Ich drehte mich um und sah, dass John B immer näher kam. Auch er machte Handbewegungen. Hinter ihm paddelte JJ.

Schließlich sah ich nach rechts. Die Felsen kamen immer näher. In diesem Moment realisierte ich den Ernst der Lage. Mein Herzschlag beschleunigte sich und mein Atem wurde unregelmäßig.

Mit all meiner Kraft begann ich, gegen die Strömung anzukämpfen. Ich realisierte, dass ich keine Chance hatte. Ich war in der Rip gefangen - einer verdammt starken und gefährlichen Strömung. Neben mir begannen sich hohe Wellen aufzutürmen. Mittlerweile fühlte es sich so an, als würde ich mit einer Nussschale surfen.

Und in diesem Moment entschied ich mich für das Unmögliche.

Ich paddelte schräg in eine Welle, die doppelt so groß wie ich war. Dieses Mal würde mich keiner schneiden. So kam es, dass ich mich nach einigen Sekunden vom Brett abstützte und in den Open-Stance ging. Ich erhob mich, fuhr die Welle schräg hinab und ging in den Cut-Back.

Rechts von mir ragten die schwarzen Felsen bedrohlich aus dem Wasser, jagten mir eine Gänsehaut ein. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Pope und Kiara bis zu den Knien im Wasser standen. Wie wild wedelten sie mit ihren Armen und deuteten auf eine Stelle im Wasser.

Das Letzte, was ich hörte, war John B's lautes Sandbank!

Das Wasser wurde flach und die Welle brach.

Im nächsten Moment stürzte ich in die Tiefe. Ein stechender Schmerz an meinem Fuß signalisierte mir, dass ich meine Leash verloren hatte. Die Wellen und die Strömung rissen mich hin und her. Und schließlich ließ ich von meinem Surfbrett ab und es flog geradewegs in Richtung der Felsen. Ich glaubte, ein markerschütterndes Krachen zu hören.

Ab jetzt war ich völlig auf mich allein gestellt.

Für einen kurzen Moment tauchte ich auf und schnappte nach Luft. Ich hatte meine Orientierung verloren. Das Einzige, was ich sah, war eine Gestalt im Wasser, die in meine Richtung paddelte.

„Was ein dramatischer Abgang!"

„Hör auf, Alter! Sie kommt nicht mehr hoch!"

„Die verarscht uns bestimmt."

„Nein... JJ, da!"

Keine drei Sekunden später zog es mich wieder unter die Wasseroberfläche. Ich rang vergebens nach Luft, fuchtelte mit meinen Armen herum. Doch es nützte nichts.

Auf einmal traf mein Kopf auf den harten Meeresboden. Ein Stechen durchzuckte meine Stirn. Reflexartig biss ich mir auf die Unterlippe. Der Geschmack von Blut verteilte sich in meinem Mund.

Mein letzter Gedanke galt meiner Mom.

Und alles wurde schwarz.

-
Hey, ihr Lieben!
Ich hoffe, es hat euch gefallen. Was denkt ihr, ist mit Jemma passiert? Falls ihr Fragen zu Surfbegriffen haben solltet, fragt mich ruhig! (:

Hang-Loose oder auch Shaka, ihr Lieben! 🤙🏻

- eure Michi ❤️

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