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Ich streiche nervös über die Tischkante, als das entfernte Klingeln durch die Stille dringt. Mein Herzschlag beschleunigt sich leicht, während James aufsteht, um die Tür zu öffnen.

Xenia hatte uns vor fünfzehn Minuten angerufen. Sie meinte, sie hätte etwas über den Kristall herausgefunden, doch ihre Stimme klang… seltsam. Als würde sie uns keine guten Nachrichten überbringen.

Und genau davon könnten wir wirklich weniger gebrauchen.

Wenige Sekunden später betritt sie die Küche, dicht gefolgt von James. Ihre Haare sind vom Wind zerzaust, und ihr Gesichtsausdruck ist noch ernster als sonst. Ohne ein Wort zieht sie einen Stuhl zurück und lässt sich darauf sinken.

„Hier, trink erst mal.“ Ich schiebe ihr eine dampfende Tasse Tee hin. Sie nimmt sie dankend an, nippt kurz daran und stellt sie dann seufzend ab. Ihre Hände falten sich nervös ineinander.

James setzt sich neben mich und sieht Xenia aufmerksam an. „Was hast du herausgefunden?“ Seine Stimme ist ruhig, aber direkt.

Xenia nickt nur leicht, räuspert sich und beginnt dann zu sprechen.

„Der Blutkristall…“ Sie hält kurz inne, ihr Blick wandert zwischen James und mir hin und her. Dann atmet sie tief durch. „Er ist nicht einfach nur ein Artefakt, das mit Blut aktiviert wird. Seine Macht ist älter und gefährlicher, als wir dachten.“

Ein kalter Schauder läuft mir über den Rücken. Ich hatte gehofft, Xenia würde mit harmloseren Erkenntnissen kommen. Doch das hier… das klang nach allem, nur nicht nach etwas Harmlosen.

„Der Kristall kann mehr, als wir vermutet haben.“ Ihre Stimme ist leise, doch jedes Wort schneidet sich messerscharf in die Stille. „Er kann Dinge enthüllen, die verborgen bleiben sollten. Alte Geheimnisse. Vergessene Rituale. Die Vergangenheit selbst.“ Sie hält kurz inne, als zögere sie, das auszusprechen, was noch kommt.

James lehnt sich ein Stück vor. „Und was noch?“ Seine Stimme ist ruhig, doch ich spüre die Anspannung dahinter.

Xenia hebt langsam den Blick. „Er kann Blutschwüre binden.“ Sie macht eine Pause. „Und… er kann einen Liebeszauber wirken.“

Ein unangenehmes Ziehen macht sich in meiner Brust breit. Ich atme scharf ein. Ein Liebeszauber…?

Mein Kopf beginnt zu rasen. Nyssa. Sie hat sich plötzlich wieder in James' Leben gedrängt, als würde sie hierher gehören. Sie ist anders, verhält sich seltsam. Trotzdem glaubt James immer noch, dass sie nichts im Schilde führt.

Aber was, wenn sie genau deswegen hier ist?

Nein… Quatsch. Das ist absurd. Sie würde doch niemals so weit gehen… oder?

Plötzlich spüre ich eine warme Hand auf meiner Wange. Ich zucke leicht zusammen und blicke in James’ Gesicht. Seine karamellbraunen Augen mustern mich besorgt.

„Ist alles okay, Liebes?“

Soll ich es ihm sagen? Soll ich ihm meine Vermutung mitteilen?

Ich zwinge mich zu einem kleinen Lächeln. „Ja, alles okay. Ich musste das nur kurz verdauen… habe kurz nachgedacht.“ Meine Stimme klingt ruhig, aber innerlich bin ich mir nicht sicher, ob ich ihm die Wahrheit sagen sollte.

Vielleicht liege ich ja auch einfach falsch…

Ich lehne mich zurück und versuche, die drückende Spannung aus meinen Gedanken zu verbannen. Was, wenn wir uns einfach zu sehr in etwas hineinsteigern, das wir nicht wirklich verstehen?

„Aber da ist noch etwas“, sagt Xenia plötzlich. Ihre Stimme klingt zögerlich, als wäre sie sich nicht ganz sicher, ob sie uns das erzählen sollte.

Ich spüre, wie sich die Luft im Raum verdichtet. Meine Augen verengen sich, als sie langsam die Tasche öffnet und etwas herauszieht, ein altes in Leder gebundenes Buch, dessen Ecken abgenutzt und das Papier vergilbt ist. Es sieht aus, als könnte es jeden Moment zerfallen. Xenia legt es vorsichtig auf den Tisch.

„Ich habe dieses Buch gefunden“, sagt sie, und ich kann die Ernsthaftigkeit in ihrer Stimme hören. „Es war schwer, überhaupt daran zu kommen. Das Wissen darin ist nicht leicht zugänglich, und es gibt nicht viele, die es überhaupt noch kennen.“ Sie fährt fort: „Aber es beschreibt den Blutkristall auf eine Weise, wie ich es nirgendwo sonst finden konnte.“

Sie blättert langsam durch die Seiten, während ihre Augen die alten Zeilen absuchen, als könnte sie eines der dunklen Geheimnisse erkennen, die in den Texten verborgen sind. Als sie endlich eine Passage findet, hält sie an und zeigt uns die Seite. Der Text ist schwer zu lesen, aber die Worte stechen hervor, die sie laut vorliest:

„Der Blutkristall kann nicht nur Blutschwüre binden, sondern auch einen Liebeszauber wirken. Doch der Preis, den der Kristall fordert, ist hoch. Viele spekulieren, dass für einen solchen Zauber ein großes Opfer erforderlich ist. Eine Leiche oder die Seele desjenigen, der den Zauber durchführen möchte. In alten Texten wird auch von einem ritualisierten Tod gesprochen, bei dem das Opfer einem dunklen Schwur unterliegt.“

Ich höre, wie mein Atem sich beschleunigt. Eine Leiche? Die Seele einer Person? Was bedeutet das für uns?

Xenia schließt das Buch und legt es nachdenklich auf den Tisch. Ihre Augen sind auf James gerichtet, der ihre Blicke mit ernster Miene erwidert.

„Ich weiß, dass das schwer zu fassen ist“, sagt sie leise. „Aber dieser Kristall scheint dunkle Magie zu bergen, die uns alle gefährden könnte, wenn wir nicht vorsichtig sind. Niemand weiß genau, wie er funktioniert oder welche Opfer er verlangt, aber ich kann nicht riskieren, dass wir uns ihm zu sehr nähern, ohne zu wissen, was er von uns fordern könnte.“

„Die Seele eines Menschen...“, murmelt James, seine Stimme ist düster. „Das klingt nach einer Macht, die wir nicht kontrollieren können.“

„Ich bin dafür, dass wir den Kristall zerstören“, murmele ich, worauf mich jeder anblickt.

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