Kapitel 11
Müde blätterte Adrian gerade durch einige Dokumente und sah für einen Moment durch das kleine Flugzeugfenster hinaus auf das Wolkenmeer, welches unter ihnen hinweg zog. Das laute Rattern der Turbinen im Hintergrund ließen sich trotz der Kopfhörer nicht vollständig verdrängen. Dabei hatte er gehofft, dass die Musik ihn vielleicht zum Schlafen bringen würde.
Vorsichtig rieb er sich die Augen, denn das gleißende Sonnenlicht, welches den Innenraum des Flugzeuges erhellte, brannte in seinen Augen.
Schon wieder war er auf Reisen gewesen. Durch halb Europa und nun durch die Vereinigten Staaten. Gerade war er auf den Rückflug nach New York und alles, was er gerade wollte, war schlafen. Viel zu wenig Schlaf hatte er durch den Jetlag bekommen und mittlerweile sah man ihm das auch an. Tiefe Augenringe waren zu erkennen, die er meistens durch eine Sonnenbrille versteckte.
Einige Wochen waren bereits vergangen, seit er Audrey das letzte Mal gesehen und auch gehört hatte. Anfangs hatte er gedacht, sie hatte den Wink nicht verstanden, dass er sie nicht mehr als Kundin haben wollte. Doch erstaunlicherweise hatte sie sich nicht mehr gemeldet.
Das ließ seine Sehnsucht jedoch nicht weniger werden, wie er erhofft hatte. Im Gegenteil. Oft hatte er nachts wachgelegen und sich so sehr gewünscht, die zierliche Frau in seinen Armen halten zu dürfen. Und doch war es etwas, was er nicht zulassen wollte. Er bekam sie einfach nicht aus seinen Gedanken, dabei hatte er sich extra viel Arbeit aufgeladen, um sie zu vergessen. Doch die Jacke, die er ihr in China um die Schultern gelegt hatte, roch so verführerisch nach ihr. Die hatte er nicht mehr waschen lassen, um ein Andenken von ihr zu haben. Dabei war das dumm von ihm. Er sollte die Jacke waschen, damit alle Erinnerungen an sie ausgelöscht wurden. Wären dabei nicht diese nervenden, immer wiederkehrenden Träume über sie und den Kaiser.
Von hier oben betrachtet wirkten die weißen Wolken unter ihm wie ein einladendes, weiches Bett. Eines, das er gerne mit ihr teilen würde. Warum nur konnte er sie nicht einfach vergessen? Verdammt, er hatte sich geschworen, sein Herz niemals an jemanden zu verlieren. Und trotzdem war es geschehen.
Gerade eben fragte die Stewardess, ob er etwas zu trinken wollte. Selbst ihre Stimme waren trotz der Kopfhörer für ihn hörbar. So laut mochte er Musik niemals. Der Geschäftsmann steckte seine Dokumente in die Aktentasche und nahm diese zwischen seine Beine.
"Einen Kaffee und Orangensaft, bitte", erwiderte Adrian gedankenverloren. Kurz darauf hielt er beide Getränke in der Hand.
Ein Schluck des heißen Gebräus machten ihn ein bisschen munterer. Seine blauen Augen schweiften wieder über die weißen Wolken und er fragte sich, wie es Audrey wohl ging. Ob sie ihn vermisste oder nicht? Dass er es tat, war nicht zu leugnen.
Immer wieder nahm er abwechselnd Schlucke von dem kalten und heißen Getränk, bis sie leer waren. Erst dann schloss er für eine Weile die Augen und hoffte, sich nun endlich ein Stück weit erholen zu können.
Doch daraus sollte nichts werden. Das Flugzeug begann plötzlich seltsam zu wackeln, was nicht am Wetter liegen konnte. Waren sie in ein Luftloch gefallen?
Adrian sah sich um und die Gäste des Flugzeugs schienen ähnlich ahnungslos zu sein, wie er. Noch herrschte keine Panik, da wahrscheinlich jeder glaubte, dass es bald vorbei war. Doch das war es nicht. Stattdessen fielen plötzlich die Schutzmasken von oben herab und die Leute begannen zu schreien.
Panik breitete sich in der Maschine aus. Doch helfen würde es nichts. Geschickt legte er sich die Schutzmaske an und half dann dem Mann neben sich. Dieser war völlig erstarrt und bleich geworden. So etwas konnte passieren. Das hieß nicht, dass etwas Schlimmes kam.
Als er allerdings aus dem Fenster sah, wurde ihm mulmig. Die Sonne über den Wolken hatten sie hinter sich gelassen. Graue Wolken umgaben sie nun und er spürte, dass das Flugzeug nach unten ging. Was war nur los?
Angst breitete sich in ihm aus, als sie die Wolken hinter sich ließen und er sah, wie der Boden immer schneller auf sie zukam. Die weiten Wiesen und Felder über Texas, die so unendlich schienen, wurden größer, je mehr sie sanken. Es war zu spät. Der Maschine zu entkommen, war unmöglich. Dass die Menschen in Panik waren, konnte er verstehen.
Wenn er konnte, würde er die Zeit jetzt um einige Monate zurückdrehen. Um den Fehler, den er gemacht hatte, nicht wieder zu begehen. Audrey zurückzuweisen und sie aus seinem Leben zu verbannen war wohl der größte davon gewesen.
"Es tut mir leid, Audrey." Das waren Adrians letzte Worte, bevor die Maschine auf dem Boden aufschlug und in Millionen Einzelteile zerrissen wurde.
Ein ohrenbetäubender Knall war zu hören, der die Tiere auf den umliegenden Felder aufschreckte. Flammen züngelten aus den Trümmern der Maschine empor und verschluckten alles, was sich in ihrer Nähe befand.
Stille kehrte ein, die nur von dem Geräusch des Feuers durchbrochen wurde.
Dann ein Klackern und Scheppern, bevor ein Metallteil des Flugzeuges zur Seite kippte und den Blick auf eine junge Frau freigab, die völlig nackt war und verbrannte Stellen aufwies.
Diese hustete und sah sich panisch um. Es war so schnell gegangen, dass sie nicht mehr die Möglichkeit gehabt hatte, aus dem Raum für die Koffer zu Adrian zu gelangen.
Panik machte sich in ihr breit, als sie die Trümmer und vor allem die Leichen sah.
Sie stolperte, weil ihre Beine noch zu sehr verletzt waren, dass diese sie nicht richtig trugen. "Adrian", krächzte sie leise, doch auch ihre Stimmbänder waren noch verletzt und regenerierten sich gerade erst.
Dennoch stolperte sie über die Trümmerteile, durch das Feuer hindurch und über Leichen hinweg, bis sie den Mann fand, den sie so sehr liebte.
Er lag halb unter einem Flugzeugteil begraben und ihm fehlte ein Arm. Es war unschwer zu erkennen, dass er nicht mehr lebte, denn sein Körper war komplett verbrannt und es fehlte scheinbar nicht nur der Arm.
Audrey unterdrückte die Tränen. Sie hatte nur ein kleines Zeitfenster, in der sie das regeln konnte. Bevor sie ihm jedoch den Kuss der Unsterblichkeit verlieh, machte sie sich auf die Suche nach seinen Gliedmaßen und hoffte, dass sie ihn wieder zusammensetzen konnte. Dabei spürte sie die goldene Flüssigkeit in ihrem Mund, die man auch als Speise der Götter bezeichnete.
Mühsam brachte sie seinen Arm zurück und schaffte es durch magische Heilung, ihn wieder an seinen Körper zu bekommen. Dann zog sie das Frackteil von ihm und vergewisserte sich, dass alles dran war.
Langsam beugte sie sich zu dem Toten hinab und legte ihre Lippen auf seine, um sie mit der Zunge zu öffnen und die goldene Flüssigkeit in ihn zu leiten.
Sie spürte, dass sie seinen Körper erreichte und Wirkung tat. Doch es würde noch dauern, bis die Ergebnisse sichtbar wurden und er wieder der Alte war. Nur hoffte sie, dass es nicht zu lange dauern würde.
Alles andere um sie herum interessierte sie nicht. Dass keiner der Menschen überlebt hatte, war unwichtig für sie. Nur Adrian war der Einzige, um den sie sich kümmerte.
Der leblose Körper gab keine Anzeichen darauf, dass irgendetwas geschah. Doch das würde Zeit brauchen. Das wusste Audrey zu gut.
Dadurch, dass das Flugzeug mitten im Nirgendwo abgestürzt war, dauerte es sehr lange, bis die ersten Sirenen der Feuerwehr zu hören waren. So gut wie nichts war mehr übriggeblieben. Die Flammen hatten alles verschlungen, was sich ihnen in den Weg gestellt hatten. Auch die umliegenden Felder waren in Brand, da der Wind ungünstig war und die Funken immer wieder vor sich hertrugen.
Audrey überlegte, ob sie ihre Leute anrufen sollte, um Adrians Leiche abzuholen, doch leider war es mitten am Tag und die Feuerwehr der Menschen waren bereits zu nah.
Sie konnte also nur warten und darauf achten, wo man Adrian hinbrachte. Irgendwie musste es ihr gelingen, ihn dann aufzusuchen, wenn es so weit war. Wahrscheinlich würde er Panik bekommen und gar nicht wissen, was geschehen war.
Lange dauerte es, bis das Feuer gelöscht war und die Feuerwehrleute die Leichen bergen konnten. Diese wurden in einen Leichenwagen gebracht, zumindest die, welche noch alle Gliedmaßen besaßen. Bei den anderen würde es wohl lange dauern, bis sie identifiziert waren.
Sie würden alle in die nächstgelegene Stadt gebracht und dort in das Leichenschauhaus gebracht werden, damit sie untersucht werden konnten. Die Trauer der Menschen, die geholfen hatten, den Brand zu löschen, war sehr groß.
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