Kapitel 33

Als ich am nächsten Tag in der Aula eintraf, herrschte bereits reger Betrieb. Robin erwartete mich mit einem vorwurfsvollen Blick.

„Als ich sagte, dass ich dich in der siebten Stunde erwarte, bin ich davon ausgegangen, dass es klar ist, dass ich damit meine, dass du etwas früher kommen sollst, um mir dabei zu helfen, hier alles aufzubauen."

Ich spürte, dass mir das Blut ins Gesicht schoss, und ich starrte auf meine Schuhspitzen. „Sorry", murmelte ich.

„Schon okay", sie deutete mit einer ausladenden Geste auf eine Art Stand, den sie vorhin aufgebaut haben musste. „Du kannst dich da schon mal hinsetzen, ich würde die Aktion dann gleich eröffnen."

Sie bewegte den Arm ein Stück und zeigte nun auf eine hellgraue Papp-Urne, die vor dem Tisch stand. „Dort kommen die Zettel mit den Nominierungen rein. Wir werten sie dann in der achten Stunde gemeinsam aus."

„Ich hab' da eigentlich Sport ...", stammelte ich, doch sie zuckte nur mit den Schultern. „Kannst du entschuldigen lassen, geht als schulische Aktivität durch und wird damit nicht als Fehlstunde gewertet."

Jetzt wo ich wusste, dass ich hiermit Sport schwänzen konnte, gefiel mir die ganze Sache mit dem Komitee auf einmal doch ziemlich gut.

Robin schien kurz zu überlegen und sah dabei aus, als würde sie eine Art Checkliste in ihrem Kopf abarbeiten. Vermutlich tat sie auch genau das.

„Ich glaube, das müsste alles gewesen sein. Die Formulare liegen schon auf dem Tisch bereit. Links die für zwei Königinnen, rechts die für zwei Könige und in der Mitte die für einen König und eine Königin. Steht aber auch extra nochmal drauf."

Ich sah sie verwirrt an. „Zwei Königinnen?"

Sie verdrehte die Augen. „Ja, Vera, zwei Königinnen. Wir leben im dritten Jahrzehnt des einundzwanzigsten Jahrhunderts. Princess Charming sollte hier niemanden mehr überraschen."

„Ja, klar, sorry", sagte ich schnell. „Ich dachte irgendwie nur, das Königspaar wird eh dieses eine beliebte Mädchen aus meiner Stufe, Melissa, und Erik, so ein Typ, auf den sie steht."

Robin seufzte. „Die Chancen dafür stehen leider auch ziemlich gut. Ich meine, ich bin eine Klasse über dir und selbst ich kenne Melissa Lord."

Das überraschte mich kurz, doch sie zuckte nur mit den Schultern, schob mich zu dem Tisch und verschwand dann hinter der Bühne. Ihre schwarzen Sneakers quietschten auf dem Parkett.

Ungefähr nullkommafünf Sekunden später tauchte sie wieder auf, mit einem Mikrofon in der Hand.

„Liebe Mitschülerinnen und Mitschüler, der Stand für die Nominierungen öffnet in genau zehn Sekunden!", rief sie laut und fing an, einen Countdown runterzuzählen, während dabei schwungvoll in die Hände zu klatschen.
Und alle Schüler in der Aula machten mit.
Robins Ausstrahlung musste wirklich umwerfend sein, dass sie es sogar schaffte, eine Gruppe von unmotivierten Teenagern dazu zu bewegen, von zehn runterzuzählen.

Als sie bei Null angekommen war, stürmte ein Haufen Oberstufenschülern auf mich zu. Ich versuchte, so gut wie möglich die Formulare auszuteilen, doch die meisten bedienten sich sowieso selbst.

Ich hörte drei Schülerinnen darüber diskutieren, ob Erik oder ein Typ aus der Zwölften namens Josua Klein schärfer war. Das schien für sie nämlich ausschlaggebend dafür, wen von beiden sie nominieren wollten. Ich verdrehte die Augen.

Eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf meldete sich zu Wort und fragte, ob wohl jemand Minou nur aus dem Grund wählen würde, weil er Mitleid mit ihr hat, weil sie von ihrer Projektpartnerin angeblich angebaggert worden sein sollte.

Ich verscheuchte den Gedanken so schnell wie möglich. Ich steigerte mich da viel zu sehr rein, vermutlich hatte Minou das Gerücht sowieso früh genug gestoppt.

Den Rest der Mittagspause verbrachte ich damit, vergeblich zu versuchen, irgendwie Ordnung in das Chaos zu bringen.

Als endlich auch der letzte Schüler nominiert hatte, wen er wollte, und die Aula verlassen war, gesellte sich Robin wieder zu mir. Ich fragte mich kurz, wo sie wohl die ganze Zeit gesteckt hatte, aber vermutlich hatte sie irgendwelchen Schülern oder Lehrern die Hand geschüttelt und sich vorgestellt oder sie hatte den Präsidenten der Vereinigten Staaten getroffen oder so.

„Hey, das lief doch echt gut", begrüßte sie mich. Und ich nickte mit einem halbherzigen Lächeln. Sie war nicht von irgendwelchen Oberstufenschülern überfallen worden.

Robin griff nach der Urne und kippte ihren Inhalt vor uns aus.

„Ich hatte ja kurzzeitig befürchtet, wir hätten nicht genug Formulare, aber unsere Mitschüler scheinen mehr Kreativität zu besitzen, als ich ihnen zugetraut hätte", sie deutete auf einen Wahlzettel, auf dem jemand das Königin durchgestrichen und stattdessen König hingeschrieben hatte.

Wieder nickte ich.

„Und? Hast du jemanden nominiert?", fragte sie mich und ich schüttelte den Kopf. Ich hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, Isa und Simon zu nominieren oder ihn und Lina, einfach, weil sie meine besten Freunde waren, aber mir war klar, dass beide Paare wohl sowieso nicht auf genug Stimmen gekommen wären.

„Hast du denn jemanden nominiert?", stellte ich ihr die Frage zurück, doch auch sie schüttelte mit dem Kopf. „Ehrlich gesagt ist mir ziemlich egal, wer gewählt wird. Für mich zählt nur, dass überhaupt irgendwer gewählt wird und der Ball ein voller Erfolg wird."

Ich legte die Stirn in Falten. „Warum hängst du dich da eigentlich so sehr rein?"

„Weil", antwortete sie, „das erstens super auf meiner Unibewerbung aussieht und zweitens wir mit dem Erlös vom Verkauf der Karten, der, nachdem man die ganzen Kosten für Essen und so abgezogen hat, noch übrig bleibt, an das örtliche Tierheim geht, bei dem ich – selbstverständlich – ehrenamtlich aushelfe."

Das Mädchen war eindeutig ein Gewinnertyp. Bewundernswert, aber irgendwie gruselig.

Wir fingen an, die Stimmzettel auszuwerten und Robin fing in einer Art Plauderton ein neues Gespräch an. „Weißt du, vorhin wegen der Wahlzettel habe ich mich ja schon ein bisschen gewundert, denn ich habe mich gestern noch ein bisschen über dich umgehört und - "

Beinahe hätte ich mich verschluckt. „Du hast was gemacht?", unterbrach ich sie empört.

„Oh keine Panik, ich erkundige mich über jeden, der dem Komitee beitritt", sagte sie, als würde es das Ganze irgendwie besser machen. „Jedenfalls hat Lotta Edelbauer behauptet, du wärst neulich von Melissa Lords bester Freundin gekorbt worden. Stimmt das?"

Ich starrte sie erschrocken an. Ich hatte mich wohl zu früh gefreut - Minou schien das Gerücht doch nicht mehr aufgehalten zu haben.

„Ehm, nein, das stimmt definitiv nicht", sagte ich tonlos. Das war zwar irgendwie gelogen, schließlich hatte sie mich ja schon gekorbt, aber das ging Robin nun wirklich nichts an.

„Hm", machte Robin und legte den Stimmzettel, den sie gerade in der Hand hielt, auf einen kleinen Stapel mit anderen Nominierungen für das selbe Paar. „Dann stehst du also nicht auf Mädchen?"

Ich zuckte mit den Schultern. Sollte ich es ihr sagen? Eigentlich spricht nichts dagegen, entschied ich.

„Doch irgendwie schon", gab ich zu. „Aber halt nicht auf Melissas beste Freundin." Große Lüge. SEHR große Lüge.

„Soso, gut zu wissen", Robin grinste, auch wenn ich nicht wirklich verstand, wieso.

Dann griff sie nach einem der Stapel und klopfte ihn gerade.

„Bist du fertig?", erkundigte sie sich und ich bejahte. „Perfekt, dann würde ich vorschlagen, wir tauschen einmal, um sicherzugehen, dass wir uns auch nicht verzählt haben und dann können wir auch schon das Ergebnis verkünden, denke ich."

Als ob sie jemals denken würde. Robin dachte nicht. Robin wusste.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top