XXVII

Zuerst dachte ich, ich hätte mich verhört. Wirklich, ich war kurz davor ihn zu fragen, seine Worte zu wiederholen. Doch als ich hinter mich sah und die geschockten Gesichter aller anderen Anwesenden mich trafen, wusste ich, dass ich jede Silbe richtig verstanden hatte.

,,Hallo, Vater.'' Ich versuchte seinem Blick zu folgen, um zu erkennen, wen er ansah. Macan oder Jarus? Doch als ich merkte, dass seine Augen tatsächlich auf Jarus gerichtet waren, schien es langsam bei mir anzukommen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Und das nicht nur ein bisschen, sondern gewaltig.

,,Was zum Teufel ist hier los?'', entwich es mir mit angespannter Stimme. Ich war verwirrt, verwirrter, als ich es je in meinem Leben gewesen war.

,,Ich freue mich, dass ihr es ihr noch nicht gesagt habt. Ich bin gerade rechtzeitig gekommen für die große Show!'', entgegnete der Typ, der sich als mein Bruder bezeichnete. Sein Lächeln hat sein Gesicht nicht für eine Sekunde verlassen. Im Gegenteil, mit jedem verstreichenden Moment schien es breiter und breiter zu werden.

,,Was habt ihr mir nicht gesagt?'' Ich wusste eigentlich, was kommen würde. Ich wusste, welche Worte Jarus' oder Macans Mund verlassen würden. Und trotzdem wollte ich es mir nicht eingestehen. Es passte einfach nicht in das Bild, das ich von meinem Leben hatte.

,,Hör zu, Zarida. Egal, was du jetzt erfährst, es wird nichts ändern-''

,,Rede keinen Schwachsinn, Macan! Es ändert alles! Sieh es ein!'', unterbrach ihn der Unbekannte. Doch dieses Mal mit einem weitaus ernsterem Gesicht, als zuvor. Er schien nahezu genervt zu sein.

,,Na los, spuckt's endlich aus. Diese ganze 'Wir lieben dich trotzdem'- Rede braucht niemand hier'', drängte er erneut und richtete seinen Blick wieder auf Jarus.

,,Was tust du hier?'', kamen Jarus Worte hervor. Er ging nicht auf die Forderung des Unbekannten ein.

,,Ist das eine rhetorische Frage?''

Stille.

,,Ach, du meinst das ernst? Ehrlich gesagt, dachte ich, ein wenig mehr Freude würde dir ins Gesicht geschrieben stehen, wenn ich nach fast achtzehn Jahren vor dir auftauchen würde.'' Er lachte, doch ich hatte das Gefühl, dass dieses Lachen alles andere als von Herzen kam. Es hörte sich verbittert an. Frustriert.

,,Wo warst du all die Jahre, Sinan?'' Sinan. Das war wohl sein Name. Ich hätte fast gedacht er sei schön, doch kaum sah ich wieder in dieses kalte Gesicht, war ich mir nicht mehr so sicher, ob die Person, die diesen Namen trug, genau so schön und gut war.

Anstatt zu antworten fing er an einige Schritte auf mich zu zu machen, doch bevor er wirklich in meine Nähe kommen konnte, stand mit einem Mal Lysander vor mir.

,,Wag es nicht, sie anzurühren.'' Es war eine unmissverständliche Drohung. Ich legte eine Hand auf Lysanders Arm, um ihm klar zu machen, dass es ok war und ich keine Angst hatte. Doch auch nachdem er ein wenig auf die Seite getreten war, blieb sein Arm schützend vor mir.

,,Ach, schön auch deine Bekanntschaft zu machen. Tut mir übrigens echt ein bisschen leid für die Umstände, die ich dir gemacht habe. Aber es ist auch echt nicht meine Schuld, dass diese Idioten dachten, du wärst für die Mordfälle verantwortlich.'' Er sprach, als würde er eine nette Geschichte erzählen, doch der Inhalt dieser Geschichte ließ mich aufkeuchen.

,,Was?! Du warst das?! Warum hast du das getan?!'', keifte ich Sinan an. Als sein Blick wieder auf mich traf, verengten sich seine Augen leicht, bevor er antwortete.

,,Wie es aussieht, geht hier gar nichts voran ohne mich. Also Schwesterchen, hör genau zu.''

Er machte eine kurze Pause, blickte auf etwas hinter meinem Rücken- ich tippte stark auf Jarus und Macan- und fing schließlich an zu erzählen.

,,Es ist viele Jahre her und trotzdem kommt es mir vor, als wäre es erst gestern gewesen. Ich war gerade auf dem Weg zu meinem Vater, als ich laute Stimmen aus dem Thronsaal vernahm. Ich war ein misstrauischer Junge, war neugierig. Also blieb ich stehen und lauschte. Im Nachhinein bin ich froh es getan zu haben, denn so wusste ich mehr, als jeder andere. Klea und mein Vater stritten. Ja, richtig, deine Mutter, Zarida. Für einige Jahre war sie meine Stiefmutter gewesen, bis sie schließlich Jarus für Macan verließ. Das Problem an der ganzen Sache warst du. Denn du warst Jarus' Kind, doch niemand sollte davon erfahren. Selbst Macan wusste nichts davon. Die einzigen, die wirklich eine Ahnung hatten, waren ich und mein Vater. Und er wusste noch nicht einmal, dass es außer ihm noch jemanden gab, der dieses Wissen mit ihm teilte. Als sie weg war, spielte ich den ahnungslosen, doch es wurde mit jedem Tag schlimmer. Jarus war schlecht gelaunt, flippte aus wegen den größten Kleinigkeiten. Um genau zu sein, hatte ich das Gefühl er hätte vergessen, dass er noch einen Sohn hatte. Ich fragte mich, ob es daran lag, dass er meine Mutter nie so sehr geliebt hat, wie er Klea liebte. Vielleicht aber verabscheute er mich auch, weil meine Mutter bei der Geburt starb und ich somit mitverantwortlich für ihren Tod bin. Ich konnte es mir einfach nicht erklären. Doch ich wusste auch, dass ich es verdammt nochmal nicht verdiente so behandelt zu werden. Also verschwand ich ein paar Jahre später. Zunächst gab es im Königshaus viel Trubel darum, doch schließlich sprach niemand mehr davon. Ich habe viele, sehr viele Jahre auf diesen Moment hier hingearbeitet, Zarida. Denn jetzt kann ich mich für alles rächen, was mir angetan wurde. Für meine zerstörte Familie, für all die Male, die ich sinnlos in meinem Zimmer eingesperrt, angeschrien, bestraft worden bin. Denkst du jeder hatte eine solch tolle Kindheit wie du? Jeder hat sich nur für dich interessiert. Selbst der König des Nachbarreichs. Du, die tolle, schöne, intelligente Prinzessin. Doch ich gebe dir nicht die Schuld. Du kannst immerhin nichts dafür. Aber ich gebe Macan die Schuld. Ohne ihn hätte Klea meinen Vater nie verlassen. Ohne ihn wären wir vielleicht eine glückliche Familie geworden. Doch nein, so war es nicht. Es ist nie so, wie man es gerne hätte. Und genau deswegen habe ich angefangen die Aufmerksamkeit des Reiches auf mich zu ziehen. All die Morde dienten nur dazu, um ein wenig Angst zu verbreiten, um euch vielleicht sogar ein bisschen vorzubereiten. Doch als der Krieg anfing, musste ich meinen Plan ändern. Und nun bin ich hier. Um das zu vollenden, worauf ich seit dem Tag an der Tür des Thronsaals warte.''

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Denn alles war er erzählte, schien Sinn zu machen. Es hörte sich wirklich logisch an. Doch ich fasste es einfach nicht, dass alles, was ich bisher für wahr gehalten hatte, jetzt eine riesige Lüge sein sollte. Das konnte doch nicht wirklich wahr sein?!

,,Ich glaube dir nicht!'', schrie ich.

,,Er sagt die Wahrheit'', entgegneten Macan und Jarus gleichzeitig. Ruckartig drehte ich mich zu ihnen um und wusste noch nicht einmal, wer von den beiden, denn jetzt nun mein Vater war. Der eine schien die Ursache zu sein, dass ich überhaupt geboren wurde, der andere jedoch hatte mich großgezogen. Bevor ich jedoch irgendetwas sagen konnte, sprach Jarus wieder.

,,Ich hatte nicht realisiert, dass du so gelitten hast.'' Seine Worte richteten sich an Sinan. Der dem Anschein nach tatsächlich mein Bruder war. Gott, ich hatte einen Bruder.

,,Das ist mir klar. Und glaub ja nicht, dass ich es dir jemals verzeihen werde.'' Man hörte, dass er alles, was er sagte, absolut ernst meinte. Er war fest entschlossen. 

,,Ich fasse es nicht. Du wusstest es wirklich nicht?!'', richtete ich mich an Macan, doch dieser schüttelte nur den Kopf. Ich konnte sehen, dass er die Wahrheit sagte.

,,So, kommen wir jetzt bitte endlich zu dem Teil, wegen dem ich hier bin?'', unterbrach Sinan meinen Gedankengang. ,,Macan. Wenn es deine letzten Worte in diesem Leben wären, was würdest du sagen?''

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