XVIII

Die Sonne schien nicht. So, als würde selbst das Wetter wissen, dass etwas passiert war, das wahrscheinlich nicht hätte passieren sollen. Ich seufzte bei diesem Gedanken, während ich mich auf den Weg zurück zur Höhle machte. Als ich aufgewacht war, hatte ich mich dazu entschieden mich am nahe liegenden Fluss kurz frisch zu machen. Lysander hatte noch tief und fest geschlafen. Als ich ihn angesehen hatte, so friedlich, wie er da lag, wusste ich, dass ich es nicht bereute. Ich bereute es nicht, alles hinter mir gelassen zu haben. Immerhin hatte ich alles aufgegeben. Meinen Vater, John, mein Reich und meine Stellung als Thronfolgerin. Und dennoch war es das Richtige gewesen. Wie ich bereits in meinem Brief an meinen Vater erwähnt hatte: Ich würde es jedes Mal wieder tun. Sofort fragte ich mich, ob er ihn wohl bereits gefunden hatte. Es waren viele Stunden vergangen, sie mussten bereits überall nach mir gesucht haben. Mein Zimmer mit eingeschlossen. Wenn nicht Macan ihn gefunden hat, dann wird es ihm irgendjemand gebracht haben.

Gott, was gingen ihm nur für Gedanken durch den Kopf, als er ihn gelesen hat? Hasste er mich nun? Oder war er einfach nur enttäuscht und konnte nicht glauben, dass ich es tatsächlich getan hatte? Früher hätte ich gedacht, dass er mich bestimmt verstehen würde. Egal, was ich tun würde. Doch jetzt sah die Welt, die ich kannte, ganz anders aus. Jetzt hatte ich nur noch ein konkretes Ziel vor Augen: Lysander vor dem Tod bewahren. Und was danach kam, wusste ich nicht so recht. Ehrlich gesagt wollte ich noch nicht einmal daran denken.

Mit nachdenklichem Gesicht schlenderte ich vor mich hin, während mein Blick auf den Boden vor mir gerichtet war. Meine Schuhe hatte ich schon bevor ich schlafen gegangen war, ausgezogen, sodass ich nun das weiche, mit Tau bedeckte Gras unter meinen Zehen spüren konnte. Es war erfrischend. Es war neu. Selbst so etwas simples hatte ich früher nie getan. Und in diesem Moment konnte ich nicht verstehen wieso. Denn es war wundervoll, es zauberte ein Lächeln auf mein Gesicht.

Ich hob den Kopf an, nur um zu sehen, dass ich die Höhle fast erreicht hatte. Gleich würde ich Lysander wecken, denn langsam müssten wir uns überlegen, wo wir Nahrung herbekommen wollten. Denn verhungern war keine Option nach all dem, was wir durchgemacht hatten. Ich hatte nicht unser Leben riskiert, nur um jetzt an einem solch sinnlosen Tod zu sterben.

Gerade wollte ich schon anfangen nach ihm zu rufen, als ich urplötzlich davon abgehalten wurde. Ich hatte nichts gehört, nichts gesehen. Doch als die Hand sich mit einem festen Griff von hinten um meinen Mund legte, wusste ich, dass ich unaufmerksam gewesen war. Zu sehr in Gedanken versunken.

Ich versuchte mit aller Kraft mich zu wehren, trat gegen den Körper in meinem Rücken. Doch dieser rührte sich keinen Zentimeter.

Lysander. Ich musste ihn irgendwie wecken. Nur er konnte mich retten. Doch schreien konnte ich nicht und die winselnden Geräusche die ich erzeugte, zeigten nicht die geringste Wirkung.

Wer zum Teufel war das nur? Hatten sie uns gefunden? Hatten sie Lysander vielleicht bereits...nein. Diesen Gedanken wollte ich nicht zu Ende denken. Doch die Panik, die ungeheuerliche Höhen in meinem Inneren erreichte, schob all die schrecklichen Gedanken immer wieder in den Vordergrund.

Erst als ich mitgezogen wurde - es musste ein Mann sein, der Kraft nach zu urteilen - erwachte ich aus meinem kurzen Schockzustand und versuchte zu erkennen, wer hinter mir war. Doch so sehr ich meinen Kopf auch drehen wollte, ich schaffte es nicht. Er war zu stark.

Einige Meter später, stoppte er schließlich. Was hatte er vor?

Doch als plötzlich die Hand um meinen Mund verschwand, sah ich meine Chance. Ich wusste nicht, wieso er mir diese Möglichkeit bot, nachdem er sich doch so bemüht hatte mich still zu bekommen. Aber es war mir in diesem Moment absolut egal. Sofort verließ ein ohrenbetäubender Schrei meine Kehle, bevor ich ruckartig umgedreht und mit dem Rücken gegen einen der Bäume gedrückt wurde.

Und da sah ich ihn.

,,Bist du von allen guten Geistern verlassen?!'', schrie ich.

,,Du bist verdammt unvorsichtig, weißt du das?'', entgegnete er nur und obwohl er es zurückhalten wollte, konnte ich das leichte Schmunzeln auf seinen Lippen erkennen. Er amüsierte sich köstlich.

,,Das ist doch nicht dein ernst?! Weißt du eigentlich, was mir gerade alles durch den Kopf ging?! Ich dachte sie hätten uns gefunden! Ich dachte, sie hätten dir sonst was angetan!''

,,Hast du dir Sorgen gemacht?'', fragte er, vollkommen den Sinn meiner Worte ignorierend.

,,Oh mein Gott, du bist einfach...du Mistkerl!''

Lysander trat einen Schritt zurück, bevor er nach etwas in seinem Hosenbund griff und schließlich ein Messer hervorholte.

,,Du hast noch etwas gut bei mir, weißt du noch?'' Er schmiss mir das Messer zu, welches ich im letzten Moment fing.

,,Du hast jetzt vor mir beizubringen, wie ich mich verteidigen kann?'', fragte ich ungläubig, immer noch unter den Eindrücken der letzten Minuten.

,,Ja. Oder willst du, dass der kleine Streich, den ich dir gespielt habe, Wirklichkeit wird?''

Ich wusste nicht wieso, doch dieser Satz brachte etwas in mir zum brodeln. Er machte mich wütend. Wie konnte er mir so etwas nur antun? Kleiner Streich?!

Er wollte kämpfen? Er wollte trainieren? Bitteschön, das konnte er gerne haben.

Mit erhobenem Haupt und gestrafften Schultern ging ich etwas auf Abstand, sodass ich direkt gegenüber von ihm stand.

,,Ich bin bereit.''

,,Willst du nicht die geringste Anweisung haben? Nicht den kleinsten Tipp?'', fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen, doch ich schüttelte nur entschlossen den Kopf.

,,Du bist wütend'', stellte er daraufhin erheitert fest.

,,Nein. Nur sehr stark darauf fokussiert, dir eine Abreibung zu verpassen.''

,,Na dann mal los, Kleines.''

Das ließ ich mir nicht zwei Mal sagen. Ich rannte los und ließ währenddessen absichtlich das Messer fallen. Denn obwohl ich sauer war, wollte ich ihn natürlich nicht ernsthaft verletzen. Bei ihm angekommen, holte ich aus und wollte meine Faust in seinem Gesicht landen lassen, doch daraus wurde nichts, als diese in seiner Hand landete.

,,Wieso hast du das Messer fallen lassen?'', fragte er ernst und zog die Augenbrauen etwas zusammen.

,,Ich...will dich nicht verletzen.''

,,Du kannst mich nicht verletzen'', antwortete er. ,,Jedenfalls nicht auf diese Art und Weise.'' Die letzten Worte hatte er nur flüsternd hinzugefügt, doch bevor ich über ihren tieferen Sinn nachdenken konnte, ließ er von meiner Faust ab, ging an mir vorbei und brachte mir das Messer.

,,Hier'', drückte er es mir erneut in die Hand. ,,Und dieses Mal würde ich dir raten es nicht fallen zu lassen. Denn jetzt mache ich Ernst.''

Ohne auf eine Antwort von mir zu warten, stellte er sich wieder etwas weiter von mir weg.

Es gab einen Teil in mir, der mir verbieten wollte, das zu tun. Was, wenn ich ihn doch traf? Und er verblutete? Ich hatte keine Ahnung von sowas, ich war kein Arzt. Er würde einfach sterben...

,,Jetzt leg deine Hemmungen endlich ab, Zarida. Eine Thronfolgerin sollte keine Hemmungen haben. Besonders nicht, wenn es darum geht, Gerechtigkeit zu bekommen. Und du willst doch Gerechtigkeit für meinen kleinen Streich vorhin, habe ich Recht?''

Und wie Recht er hatte.

,,Oder kneift das Prinzesschen jetzt tatsächlich?'' 

Kneifen? Das kam noch nicht einmal in meinem Vokabular vor. Also versuchte ich es erneut. Dieses Mal aber mit dem Messer in meiner Hand.

Ich holte aus, versuchte ihn zu treffen, doch egal, wie sehr ich mich bemühte, er schaffte es jedes Mal aufzuweichen. Seine Bewegungen waren unheimlich flüssig, so, als hätte er sein Leben lang nie etwas anderes getan. Vielleicht hatte er das auch nicht? 

Als ich erneut ausholen wollte, wurde mein Arm von hinten gepackt, bevor ich an seinen harten Oberkörper gezogen wurde und von seinem starken Griff um meinen Bauch von jeglichen weiteren Bewegungen abgehalten wurde.

,,Ich glaube, das nennt man...'verloren', Prinzessin'', flüsterte er mir zu.

,,Ach...echt?'', flüsterte ich zurück, während ich meinen Kopf leicht zur Seite drehte, sodass ich seinen warmen Atem deutlich an meiner Wange spüren konnte. ,,Ich glaube, das nennt man...'Rache', Mistkerl.''

Mit aller Krafte zog ich mein Bein nach oben, sodass ich ihn mit meiner Ferse dort traf, wo ein Mann unter keinen Umständen getroffen werden will.

,,Ah...'', sofort ließ er mich los und krümmte sich etwas nach vorne. ,,Du...'', versucht er etwas hervorzubringen, doch anscheinend war der Schmerz doch größer, als erwartet.

Mit triumphierendem Gesicht ging ich langsamen Schrittes an ihm vorbei.

,,Ich gehe dann mal meine siegreichen Hände am Fluss waschen. Der Verlierer sollte sich solange überlegen, wo er Nahrung auftreiben will.'' Ein Lächeln huschte über mein Gesicht.

,,Bis dann'', winkte ich ihm zu, drehte mich um und ließ das Gefühl des Erfolgs sich in jedem Winkel meines Körpers ausbreiten. 

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