XVII
Der Wind rauschte unruhig durch die vielen Bäume, die den riesigen Platz umgaben, auf dem die vielen Kriegsvorbereitungen stattfanden. Jarus konnte nicht anders, als über diesen Anblick zu lächeln, während er auf seinem Hengst saß und über einige Dinge nachdachte.
Natürlich hatte er gezweifelt. Ja, er war sich tatsächlich für einen kurzen Moment nicht mehr sicher gewesen, dass ein Krieg gegen das Nachbarreich wirklich die richtige Entscheidung war. Doch dieser Anschein von Schwäche war schnell verflogen. Denn Jarus war sich sicher. Dieser Krieg war schon lange fällig gewesen.
Doch im Grunde kannte niemand außer ihm seine wahrhaftigen Beweggründe. Viele dachten es sei wegen Lysander, wegen seiner Verhaftung. Andere wiederum spekulierten über eine grausame Ader, die er anscheinend besitzen sollte.
Aber das stimmte nicht. Weder das mit Lysander, noch das mit der Grausamkeit. Die Inhaftierung einer seiner besten Männer hatte ihm nur die Augen geöffnet. Doch nur deswegen würde kein König mit gesundem Menschenverstand tausende Leben riskieren. Und Jarus war bestimmt kein schlechter Herrscher, im Gegenteil sein Volk mochte ihn. Verehrte ihn. Nie hatte es seinem Reich an etwas gemangelt. Doch ihm selbst - ihm hatte es schon mehrmals an etwas gemangelt. Und Schuld daran war Macan.
Es ist alles andere als einfach etwas zu verlieren, das dir die Welt bedeutet hatte. Doch Jarus kannte dieses Gefühl in- und auswendig. Er erinnerte sich an diesen einen Tag, der sein komplettes Leben auf den Kopf gestellt hatte, als wäre er gestern gewesen.
Sie sah immer noch aus, wie vor zwei Jahren. Ihre langen, blonden Haare. Die himmelblauen Augen. Nichts schien sich verändert zu haben. Doch ich wusste, dass es nicht so war. Denn der Ausdruck ihres Gesichts verriet mir, dass jeden Moment etwas passieren würde. Etwas, das alles zerstören würde.
,,Jarus. Ich habe lange nachgedacht'', fing sie an und sah auf den Boden. Das hieß sie war nervös. Was war nur los? Was wollte sie mir nur sagen?
,,Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst, Klea.'' Ihr Name ging mir leicht über die Lippen. Als wäre er für sie geschaffen.
,,Ich weiß, aber ich weiß auch, dass du mich hassen wirst, wenn du hörst, was ich zu sagen habe.'' Ihre Stimme schien zu zittern, so, als würde sie einen Strom von Tränen zurückhalten. Sofort zog sich mein Herz zusammen. Ich ertrug es kaum sie so zu sehen. Was könnte sie mir schon sagen, das mich sie hassen lassen würde? Gott, ich könnte diese Frau nie im Leben hassen.
,,Mach dir keine Sorgen, sag es mir ruhig. Ist etwas mit dem Kind?'', fragte ich und mein Blick schweifte auf die Hand, die sie auf ihrem Bauch platziert hatte.
,,Nein. Dem Kind geht es gut.''
,,Was ist es dann?''
,,Ich werde gehen.''
,,Was meinst du?''
,,Ich verlasse dich Jarus.'' Nach diesen Worten folgte eine lange, unangenehme Stille. Doch ich wusste nicht wirklich, was ich sagen sollte. Denn was meinte sie nur damit? Mich verlassen?
,,Wohin willst du gehen? Und wann möchtest du wieder kommen? Was ist mit dem Kind? Du brauchst doch -'', sie unterbrach mich.
,,Macan. Ich gehe zu Macan.''
,,Was möchtest du bei ihm?'' Ich verstand es einfach nicht. Ich war gutgläubig, besonders was Klea anging.
,,Ich liebe ihn.'' Eine erste Träne lief ihr über die Wange, bis sie an ihrem Kinn ankam und auf den Boden fiel. Wäre mein Herzschlag nicht so laut gewesen, hätte ich möglicherweise das Auftreffen hören können. Denn es war still. Totenstill.
,,Hat er dir das eingeredet? Du kennst ihn doch kaum! Was ist mit unserem Kind?!'' Ich konnte nicht anders, als meine Stimme lauter werden zu lassen. Denn je öfter sich ihre Worte in meinen Gedanken wiederholten, desto wütender wurde ich.
,,Er hat gar nichts! Gott, was soll ich tun, wenn ich Gefühle für diesen Mann habe?! Man kann sein Herz nun mal nicht zwingen!'' Sie meinte es ernst. Sie meinte es tatsächlich ernst. In diesem Moment gingen mir unheimlich viele Fragen durch den Kopf. Was sah sie in ihm, was sie in mir nicht sah? Wann hatte sie Gefühle für ihn entwickeln können? Etwa bei den regelmäßigen Treffen, die zwischen den beiden Reichen stattfanden? Liebte sie ihn wirklich mehr als mich?
So verdammt viele Fragen, doch eine einzige war wichtiger, als alle anderen.
,,Was ist mit meinem Kind?''
Jarus wurde aus seinen Gedanken gerissen, als plötzlich einer der Männer vom Platz auf ihn zu kam. Schon von weitem konnte er erkennen, dass es sich um Korion handelte.
,,Mein König. Wir sind bald bereit, um endlich in den Krieg zu ziehen.''
,,Das ist gut. Hauptsache niemand von euch schnappt sich Macan. Das werde ich tun.''
,,Natürlich, mein Herr.''
Jarus nickte noch ein letztes Mal, bevor er die Zügel fest in die Hände nahm und davon ritt. Er ritt weg vor dem Feld, vor Korion und vor seiner Vergangenheit.
***
Ich weiß nicht, wie lange wir schon unterwegs waren, aber es mussten schon einige Stunden gewesen sein, denn langsam aber doch ging die Sonne auf.
,,Bist du müde?'', hörte ich Lysander fragen, um den ich immer noch meine Arme geschlungen hatte. Anfangs war es mir höchst unangenehm gewesen, doch mittlerweile fühlte es sich mehr als nur vertraut an.
,,Nein'', antwortete ich. Und es war auch nur zum Teil gelogen. Denn natürlich machte sich die Müdigkeit nach einer schlaflosen Nacht immer mehr breit, doch wirklich schlafen würde ich sowieso nicht können. All die Gedanken, die in meinem Kopf umherschwirrten, würden mich nicht für eine Sekunde ins Land der Träume abschweifen lassen. ,,Soll ich mich vielleicht nach vorne setzen? Dann kannst du dich ein wenig ausruhen...'', schlug ich kleinlaut vor.
,,Der Prinzessin die Zügel überlassen? Ich weiß nicht, ob das so eine gute Idee ist...'', entgegnete er und obwohl ich sein Gesicht nicht sehen konnte, wusste ich, dass er eines seiner seltenen Schmunzeln auf den Lippen trug.
,,Was soll das heißen? Vertraust du mir etwa nicht?''
Als keine Antwort kam, konnte ich nicht anders, als ihm einen Schlag auf seine rechte Schulter zu geben.
,,Was war das denn?'', lachte er vor sich hin.
,,Die Rache für dein fehlendes Vertrauen!''
Plötzlich hielt er das Pferd an und stieg ab, sodass ich alleine oben blieb.
,,Na los, rutsch schon nach vorne.''
,,Ach, auf einmal...'', murmelte ich mit hochgezogener Augenbraue, bevor ich mich weiter nach vorne setzte, sodass er gleich danach hinter mir aufsteigen konnte. Anders als bei mir, schlang er seine Arme sofort um meinen Oberkörper, der im Gegensatz zu den großen Muskeln so winzig zu sein schien.
,,Prinzessin?'', hauchte er mir in mein Ohr, während sein warmer Atem auf meiner Haut auftraf und mir eine Gänsehaut über den Rücken laufen ließ.
,,Ja?'', flüsterte ich zurück, obwohl weit und breit keine einzige Menschenseele war.
,,Wir stehen immer noch auf dem selben Fleck...'' Sofort schoss mir die Röte ins Gesicht und ohne noch weiter zu zögern, trieb ich das Pferd an.
Nach einiger Zeit der Stille, entschied ich mich diese zu durchbrechen.
,,Wo sind wir?''
,,Schon lange in Kiros.''
,,Wir brauchen einen Platz, an dem wir uns einige Zeit aufhalten können. Das Pferd braucht dringend eine Pause'', stellte ich fest und fing an Ausschau zu halten.
,,In etwa zwanzig Metern gibt es eine Höhle und gleich daneben einen kleinen Fluss'', erklärte Lysander und tatsächlich: Keine Minute später konnte man bereits das Rauschen des Flusses hören. Unfassbar, dass er sich so gut auskannte. Sofort fragte ich mich, ob er sich wohl überall in Kiros so auskannte oder es sich nur auf die riesige Waldfläche bezog.
Ich entschied mich abzusteigen und zu Fuß weiter zu laufen, doch gerade als ich diesen Plan umsetzen wollte, fielen mir die großen Arme auf, die mich sowas von davon abhielten.
,,Ähm...ich glaube wir sollten absteigen...'', sagte ich und konnte die Unsicherheit in meiner Stimme kaum verbergen.
,,Worauf wartest du dann?''
,,Na...deine...Arme...''
Er lachte. Und er lachte nicht einfach so. Nein, er lachte mich aus.
,,Du bist süß, wenn du nervös wirst.'' Diese Worte brachten meinen Mund zum aufklappen. Nervös? Süß?!
,,Pha, als ob ich nervös bin. Wieso denn auch? Es gibt nicht den geringsten Grund nervös zu sein. Und süß bin ich auch nicht. Meine Güte, wer ist denn schon süß? Wie kommst du nur auf sowas? Ich glaub's nicht-'', mein Redefluss während des Abstiegs wurde gestoppt, als ich unten ankam und nach oben in sein grinsendes Gesicht guckte.
Gott. Ich war nervös. Und dieser verdammte Strom an Worten, der gerade meinen Mund verlassen hatte, hatte Lysander nur noch mehr in seiner Annahme bestätigt.
,,Wehe du sagst jetzt etwas. Und jetzt komm, sonst stirbt das arme Pferd noch unter dir'', sagte ich, drehte mich um, versuchte mein schlagendes Herz zu beruhigen und steuerte die Höhle an, die bereits hinter den Bäumen zu sehen war.
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