XVI
John fuhr sich erschöpft durch sein blondes Haar. Er konnte sich noch nicht einmal daran erinnern, wann er das letzte mal in den Spiegel geschaut und auf sein Aussehen geachtet hatte. An solch simple Dinge, solch unbedeutende Dinge, dachte er gar nicht mehr. Auch wusste er nicht, wann das letzte Mal gewesen war, dass er sich gut gefühlt hatte, mit Glück erfüllt. Ausgelassen.
Seufzend erhob er sich von seinem Bett, in dem er in letzter Zeit unheimlich viel Zeit verbrachte. Doch nicht mit genüsslichen Dingen, die einem jeden Mann viel Freude bereiten würden - nein. Er lag einfach nur dran und starrte auf die weiße Decke über sich. Und immer wieder erinnerte dieser Anblick ihn an sein erbärmliches Leben. Denn dieses war zu einer einfältigen, blanken und farblosen Zelle geworden. Bei diesem Gedanken musste Johnathan humorlos auflachen. Wahrscheinlich war selbst die Zelle dieses Bastards eindrucksvoller.
Gerade als er an die Klinke seiner Tür fassen und letztere öffnen wollte, ertönten laute Schritte außerhalb, bevor jemand energisch klopfte.
,,Es ist ein Notfall!'', ertönte von draußen. Sofort riss Johnathan die Türe auf.
,,Was ist passiert?'', fragte er und zog seine Augenbrauen leicht zusammen.
,,Er ist weg.''
Johnathan schien wie festgewurzelt. Denn auch wenn der Mann vor ihm nicht wusste, was das bedeutete, wusste es John sehr wohl. Er musste nicht nachfragen, um zu verstehen um wen es ging. Nein. Er musste auch nicht nachfragen, um zu wissen, dass auch Zarida nicht mehr in ihrem Zimmer war. Aber wie sagte man so schön? Die Hoffnung stirbt bekanntlich zu letzt.
,,Wo ist die Prinzessin?'' Die Wache öffnete den Mund um etwas zu erwidern, doch schloss ihn wieder.
,,Wir-...wir...''
,,Wo, verdammt nochmal, ist Zarida?!'', schrie Johnathan ihn erneut an. Er spürte, wie die Wut in ihm hochbrodelte, wie der Zorn jede Zelle seines Körpers Stück für Stück einnahm.
Als er keine Antwort erhielt, stieß er den klein geratenen Mann vor sich zur Seite und stürmte zu Zaridas Gemächern.
Gott, bitte lass sie es nicht getan haben. Bitte.
Mit einem Schwung öffnete er die große Tür zu ihrem Schlafzimmer, doch wie befürchtet, war es leer. Das Bett war unberührt. Das hieß, es war noch nicht lange her, dass sie gegangen war.
,,Wir haben zwei Personen im Wald verschwinden sehen, doch einholen konnten wir sie nicht. Sie mussten ein Pferd gehabt haben, vielleicht sogar zwei'', hörte Johnathan hinter sich wieder den Mann, der ihm den Bericht überbrachte.
,,Habt ihr Männer losgeschickt, um nach ihnen zu suchen? Euch ist doch wohl klar, wer das war'', Johns Stimme war standhaft und fest. Doch der Gedanke, dass die Frau, die er liebte alleine mit einem Gefangenen abgehauen war, schien sein Inneres zu zerstören. Immer und immer mehr, je länger er darüber nachdachte.
,,Natürlich. Nur...ich weiß nicht, ob wir sie finden werden.'' Ruckartig drehte sich Johnathan zu dem Mann hinter ihm.
,,Ich rate es euch. Und zwar stark.'' Ohne noch etwas zu erwidern, nickte die Wache, machte auf dem Absatz kehrt und verließ das Zimmer, sodass nur noch John übrig blieb.
Mit schwerem Atem blickte er aus dem großen Fenster in die Dunkelheit der Nacht hinaus. Irgendwo dort war sie. Mit ihm. Alleine. Gott, wieso er? Wieso nicht irgendein anderer? Wieso dieser verdammte Bastard?
Was sollte er nur tun? Wie konnte er sie wiederfinden? So unheimlich viele Fragen durchstreiften Johns Kopf in diesen Sekunden. Seufzend wollte er bereits das Zimmer verlassen, denn was brachte es schon dort rumzustehen und aus dem Fenster zu starren? Ändern würde er dadurch sowieso nichts. Doch gerade als er sich umdrehte und zum gehen ansetzen wollte, ergriff etwas in seinem Augenwinkel seine volle Aufmerksamkeit.
Bevor er nach dem Blatt Papier griff, vergingen einige Minuten, in denen er nicht anders konnte, als einfach nur auf den Tisch zu schauen, auf den Stift und auf den zurückgeschobenen Stuhl. Schließlich streckte er ziehend langsam seinen Arm aus und ergriff mit einem leichten Zittern den offensichtlichen Brief.
Sofort sah er, dass er nicht an ihn, sondern an Macan gerichtet war. Doch Johnathan konnte es sich nicht nehmen auch alle weiteren Zeilen, die mit Zaridas wunderschöner Handschrift gefüllt waren, zu lesen.
Am Ende angekommen, ging ihm nur ein einziger Satz durch den Kopf.
Ich würde es jedes Mal wieder tun.
Immer wieder wiederholten sich diese Worte in seinen Gedanken. Immer und immer und immer wieder.
Erst als eine Träne Johns Augen entwischte und sich ihre Bahn über seine Wange suchte, schaffte er es nicht mehr sich zusammen zu reißen.
,,Verfluchte Scheiße!'' Mit all seiner Kraft trat er gegen den Stuhl vor sich, zerknüllte das Papier und warf es gegen die Wand. ,,So ein verdammter Mist!''
Die Nässe, die sein Gesicht erfüllte, trieb ihn nur noch mehr in den Wahnsinn. Er war niemand der weinte, wie ein kleines Kind. Er fühlte sich wie ein Narr, der es nicht ertrug die Liebe seines Lebens zu verlieren. Der es nicht ertrug der Realität in die Augen zu sehen. Und obwohl er es mit aller Kraft wollte, verhindern konnte er den Strom an Tränen, der über sein Gesicht floss nicht.
***
Es war schon dunkel, doch Macan saß immer noch im Thronsaal. Und zur Abwechslung tat er wirklich nichts anderes, als einfach nur zu sitzen und nachzudenken. Die Pflichten eines Königs waren vielfältig und manchmal einfach nur nervenaufreibend. Also saß er. Einfach nur so.
Dabei konnte er jedoch nicht verhindern, dass seine Gedanken in diesem entspannten Zustand dennoch zu beschwerlichen Dingen abschweiften. Bald würde die Exekution stattfinden. Und Rukalis' Herrscher wusste einfach nicht, wie er darüber denken sollte. War es wirklich das richtige? Immerhin wussten sie, dass der Verbannte nicht verantwortlich war für all die Morde. Na ja, jedenfalls ließ vieles darauf schließen. Und doch hatte Macan angeordnet ihn zu töten. Er fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken einen Menschen hinzurichten, bei dem er wusste, dass er vielleicht vollkommen unschuldig war. Er fühlte sich nicht gerecht. Doch es gab eine Sache in seinem Leben, die ihm noch wichtiger war, als Gerechtigkeit. Und das war Zarida. Er kannte seine Tochter und er sah, wie sich das Mädchen zu diesem Verbannten verhielt, wie sie von ihm sprach und wie sie sich für ihn einsetzte. Und das war ein Problem. Johnathan war der gleichen Meinung, das hatte er Macan klar und deutlich gesagt.
Schon vor langer Zeit hatte sich der König ausgemalt, wie er seine Tochter eines Tages mit einem seiner besten Männer vermählen würde. Mit John. Doch nie hatte die Prinzessin deutliches Interesse gegenüber ihm gezeigt. Und auf gar keinen Fall ein solch starkes Interesse, wie zu einem ganz bestimmten Gefangenen. Der auch noch aus Kiros kam. Einem Reich, dem er nicht mal annähernd über den Weg traute.
Macan seufzte und stützte seinen Kopf mit seiner Hand. Es musste sein. Dieser Mann musste verschwinden, aus der Welt geschafft werden, denn sonst würden mehr Probleme auftauchen, als Macan und sein Reich auch so schon hatten. Und wer wusste es schon? Vielleicht hatte er ja doch etwas mit den aller ersten Morden zu tun?
Es ist das Richtige, redete er sich ein. Es ist nur zu ihrem Besten.
Den kleinen Teil in sich, der ihm sturköpfig zu sagen versuchte, dass er seinen Befehl zurück nehmen sollte, versuchte er beiseite zu schieben und so gut es ging zu ignorieren. Er war der König. Er wusste, was er tat. Und er wusste, was das Beste für das Reich und vor allem sein eigen Fleisch und Blut war.
Er entschied sich keine Gedanken mehr daran zu verschwenden. Es war schon lange beschlossen und so würde es auch bleiben.
Mehr oder weniger zufrieden mit seinem Beschluss erhob er sich aus seinem Thron und wollte gerade den ersten Schritt setzen, um die Treppen nach unten zu steigen und schließlich den Thronsaal zu verlassen, als sich plötzlich die große Doppeltür öffnete. Ohne Ankündigung, ohne ein Klopfen. Und da nur einer es wagte so hinein zu platzen, wusste Macan auch ohne aufzusehen, dass es sich um Johnathan handelte.
,,König.''
,,Johnathan, wie kann ich dir zu dieser späten Stunde noch helfen?'', fragte Macan mit freundlichem Ton und setzte ein leichtes Lächeln auf.
,,Zu meinem Bedauern können Sie mir nicht helfen.''
,,Was ist es dann?''
Ein kurzer Moment der Stille folgte, bevor John schließlich antwortete.
,,Zarida. Sie ist weg. Mit dem Verbannten.''
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top