XII


Mit großen Schritten lief Jarus über das Feld. Kam er an einem der Männer vorbei oder wurde von einem bemerkt, so wurde sich vor ihm verneigt. Nur kurz natürlich, denn sofort widmete man sich wieder der Übung. Viele Pferde standen verteilt auf dem Gras und warteten mit ruhigem Gemüt auf Befehle. Dem König gefiel, was er hier sah. Es hieß, dass sein Heer sich vorbereitete - so, wie er es gewollt hatte.

Er richtete seinen Blick nach vorne und entdeckte sogleich den Mann, den er hier gesucht hatte.

,,Korion, ich sehe, du machst deine Arbeit gut'', begrüßte er den stattlichen Befehlshaber seines Heers, als er bei ihm ankam. Ohne zu zögern, verbeugte sich der muskelbepackte Mann vor ihm.

,,Ich danke Ihnen mein König, ich gebe mein bestes.'' Eine lange Narbe zierte den freien Oberkörper Korions. Wohl ein Souvenir, welches er aus einem seiner zahlreichen Kämpfe mitbrachte. Er war nicht grundlos der Befehlshaber.

,,Wie lange wird es dauern, bis ich ein Heer voller Männer habe, die bereit sind in eine Schlacht zu ziehen und sie zu gewinnen?'', fragte Jarus und lächelte leicht bei seinen letzten Worten. Es gab vieles, was er sich wünschen könnte. Ruhe, Frieden, Liebe - doch zu dieser Zeit brannte nur ein einziger Wunsch in seinem Herzen: Macans Herrschaft zu stürzen.

,,Wir brauchen noch mindestens einen Mond, mein Herr. Es sind zwar alle bereit in diesen Kampf zu ziehen, Blut fließen zu lassen, nur das Gewinnen - das müssen wir uns noch erarbeiten.'' Jarus vertraute auf Korions geschultes Auge. Er wusste, dass sein Untergebener ihm die Wahrheit sagen würde und wenn sie einen Mond brauchten, dann würden sie diese Zeit auch bekommen. Lieber würde er Macan zu späterer Zeit vom Thron stürzen, als gar nicht.

,,Ich gebe euch zwei Monde. Und spätestens da, greifen wir an. Ich denke-'', weiter kam Kiros König nicht, denn urplötzlich wurde er unterbrochen.

,,Mein Herr, mein König!'', kam einer der Männer auf ihn zu. Hinter ihm wurde von zwei weiteren Wächtern ein dicklicher Mann mitgezogen. Völlig verschwitzt und mit dreckigem Gewand sah er nahezu lächerlich aus. Das Gesicht Jarus legte sich in tiefe Falten. Was hatte das nur zu bedeuten?

,,Ein Botschafter Macans'', erklärte der junge Mann, der vorne gelaufen war, kurzangebunden. Nach einem weiteren Blick erkannte Jarus ihn. Es war der Junge, der ihm den Bericht über Lysander gebracht hatte. Mit einem Ruck wurde der Botschafter auf die Knie gezwungen und fiel mit einem erschöpften Keuchen auf seine Hände.

,,Was wollte er?'', erkundigte sich der König mit zusammengekniffenen Augen und misstrauischem Unterton. Es gefiel ihm nicht, dass Macans Leute auf seinem Land herumliefen.

,,Das haben wir uns auch gefragt. Wir schließen auf Spionage, mein Herr.'' Ein Spion also. Jarus hätte sich denken können, dass Macan seine kleinen Vögelchen schicken würde.

,,Tötet ihn'', mehr sagte Jarus nicht, bevor er noch einen letzten Blick auf den zum Tode Verurteilten warf, sich umdrehte und in dem nahe gelegenen Zelt verschwand. Er hörte, dass ihm jemand folgte und konnte sich bereits denken, um wen es sich handelte.

,,Wie ist dein Name?'', fragte er den jungen Mann, als sie im Zelt ankamen und er sich auf einem der wenigen Holzstühle niederlassen konnte.

,,Ich heiße Flynn, König.''

,,Was möchtest du Flynn?'' Jarus konnte förmlich spüren, wie dem jungen Krieger etwas auf der Seele brannte.

,,Ich habe eine Frage.''

,,Scheue dich nicht, sie zu stellen. Durch Fragen und Antworten lernen wir schließlich dazu im Leben, nicht wahr?''

Flynn nickte und lehnte sich an einer der Holzsäulen, die das Zelt aufrecht hielten, an.

,,Glauben Sie an Götter?'' Mit einer solchen Frage hatte Jarus nicht gerechnet. Mehr hatte er auf eine Kriegsfrage hingedacht.

Er lachte leicht auf. ,,Um ehrlich zu sein, dachte ich du willst über den Krieg reden, Junge.''

,,Genau das tue ich. Glauben Sie an Götter?'' Jarus Mundwinkel sanken ein Stück nach unten, als er etwas genauer über die Frage nachdachte.

,,Ich weiß es nicht.'' Jarus antwortete ehrlich, es hatte keinen Sinn den Jungen anzulügen.

,,Würden Sie es wissen, wenn Sie wüssten, Sie könnten das nächste Jahr nicht mehr erleben?''

,,Das kann sein. Die Angst vor dem Tod lässt uns an viele Dinge glauben.''

Flynn stieß sich leichtfertig ab und stand nun aufrecht auf beiden Beinen.

,,Wahrscheinlich haben Sie Recht.'' Er wollte bereits auf dem Absatz kehrt machen und das Zelt verlassen, als Jarus ihn noch einmal aufhielt.

,,Was ist mir dir? Glaubst du denn an Götter?'' Flynn blickte Jarus unnachgiebig in die Augen und schien über seine folgenden Worte zu grübeln.

,,Ich glaube an Gerechtigkeit.''

***

Es war die richtige Entscheidung gewesen, die Grenzwache für einige Zeit zu übernehmen. Er brauchte Abstand. Abstand vom König und vor allem von Zarida. Sie hatte jeden Winkel seines Lebens, jeden einzelnen Aspekt, jeden einzelnen Gedanken ergriffen und befallen. Wie ein Parasit. Johnathan hatte versucht an all die negativen Dinge zu denken, die ihm jemals an Zarida aufgefallen waren. Doch das scheiterte kläglich, denn das einzige, was ihm einfiel, war die Tatsache, wie sie den Verbannten ansah. Als sei er ein Prinz mit goldenem Umhang. Aber das war er verdammt nochmal nicht. Er war ein Abtrünniger. Ein Mörder!

Zarida hatte damals doch wirklich Boris unter Drogen gesetzt und das nur um nach Kiros zu gelangen, zu Lysander. Unter anderen Umständen würde Johnathan wahrscheinlich darüber lachen, aber als er an diesem Tag in die kleine Hütte eintrat und den schlafenden Begleiter Zaridas vorfand, fand er es alles andere als amüsant. Er hatte sich auf einen netten Tag gefreut, hatte extra herausgefunden, wo die beiden sich aufhielten. Und was kam dabei heraus? Eine kleine Katastrophe. Als er verstand, dass Zarida sie ausgetrickst hatte, brauchte es keine große Fantasie mehr, um zu wissen, wo sie war.

Mit Schwung kickte John einen ihm in den Weg gekommenen Stein einige Meter nach vorn. Hier war er allein, an der Grenze. Hier konnte er seinem Zorn endlich Platz machen. Doch kein Ton kam über seine Lippen. Nichts. Er konnte einfach nicht. Er wusste, dass sein momentaner Zustand erbärmlich war und das gefiel ihm nicht. Er wollte nicht so sein, aber es ändern? Nein, das konnte er auch nicht.

Gerade als er wieder umdrehen und eine erneute Runde drehen wollte, blieb er stehen. Er hatte es klar und deutlich gehört. Das konnte er sich nicht im Leben eingebildet haben. Außer er wurde schließlich und endlich doch noch verrückt, aber - ...Da war es. Das leise Keuchen. Es war leise, kaum hörbar, aber dennoch so intensiv, als würde jemand Höllenschmerzen erleiden.

Ein letztes Mal lauschte Johnathan und machte so die ungefähre Richtung aus. Mit schnellen Schritten, fast rennend, bewegte er sich durch die Bäume und kam an seinem Ziel früher an, als befürchtet.

,,Was ist passiert?!'', fragte er erschüttert und fiel auf seine Knie, bevor er den blutüberströmten Kopf des Mannes anhob. Er kannte ihn - einer der Grenzwächter. Er hatte Familie. Seine Frau arbeitete in einer der Schänken in der Innenstadt. Gott, dieser Mann hatte drei Kinder.

,,Wer hat dir das angetan?'', er konnte seine Fragen einfach nicht zurückhalten und dennoch wusste er, dass er geduldig sein musste. Er konnte sich vorstellen, dass es alles andere als einfach war in einem solchen Zustand Worte zu bilden.

,,Sch-Schwarzes Haar...'', brachte der Verletzte hervor, bevor sich ein erneuter Schwall Blut aus seinem Mund einen Weg nach draußen bahnte.

,,Was hast du noch gesehen? An was erinnerst du dich?'' Johnathan wusste, dass der Mann sterben würde, alle Hilfe kam zu spät. Es waren seine letzten Sekunden. Deswegen musste er jede Information bekommen, die er noch bekommen konnte.

,,Dunkler Umhang...Messer.'' John konnte sich bereits denken, dass es derjenige war, der auch für die letzten Leichen verantwortlich gewesen war.

,,Meine Frau...Kinder. Sag ihnen, dass-'', er machte eine kurze Pause. ,,Ich liebe sie.'' Johnathan nickte und versuchte zu lächeln. Immerhin würde er das letzte sein, was dieser Mann sah.

Kurze Zeit später erschlaffte der warme Körper in Johnathans Armen.

Und der einzige Gedanke - so selbstsüchtig das auch klingen mochte - der Johnathan durch den Kopf ging, war, dass der Verbannte nicht der Mörder war. Der Abtrünnige war unschuldig. Jedenfalls was die Morde anging, aber sich der Prinzessin nach einer Verbannung zu nähern, war mindestens genauso schlimm.

Das versuchte Johnathan sich jedenfalls einzureden. 

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