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,,Wo ist er?'', ertönte die autoritäre Stimme des Herrschers von Kiros über den Raum und verursachte eine Gänsehaut bei allen Anwesenden. Es war ein schlechtes Zeichen, wenn der König verärgert war, denn aus Ärger folgten bekanntlich unschöne Taten.

,,In Rukalis. Einer unserer Grenzwächter hat es ausfindig gemacht'', erklärte einer der Männer mit gesenkter Stimme, um Jarus nicht noch mehr in Rage zu bringen. Kiros König hatte bereits das Schlimmste geahnt, war Lysander doch die letzten Tage nicht bei ihm erschienen, um Berichte abzugeben. Anfangs hatte er befürchtet, dass der Krieger sich einfach benahm, wie er es sonst tat - seiner Laune entsprechend.

,,Und was gibt Macan das Recht meinen Krieger gefangen zu nehmen?'' Jarus versuchte seine Tonlage unter Kontrolle zu halten, aber es schien ihm nicht so recht zu gelingen, denn die Wut, die sein Inneres erfüllte, war deutlich herauszuhören. Es passte ihm nicht. Es passte ihm ganz und gar nicht, dass Rukalis Herrscher immer wieder der Meinung war Jarus etwas nehmen zu müssen, was ihm gehörte. Mit Lysander wären es nämlich mittlerweile schon drei Dinge.

,,Das wissen wir nicht so recht. Einer der Wachen soll überhört haben, dass es etwas mit der Prinzessin auf sich haben soll.'' Jarus umschloss mit festem Griff die Armlehne seines Throns und spannte sichtlich seinen Kiefer an. Zarida. Also hatte Lysander doch Kontakt zu ihr gehabt.

,,Ich brauche Informationen'', stellte Jarus klar und seine Aussage schloss jegliche Widerrede aus. Die Wachen nickten und verneigten sich, bereit ihrem Herrscher jeden Wunsch zu erfüllen. Etwas anderes würde auch niemand in diesem Raum wagen.

Bevor jedoch alle Diener Jarus alleine lassen konnten, drehte sich der Mann, der den Bericht erstattet hatte, noch ein Mal um. ,,Mein König - ich weiß, es steht mir eigentlich nicht zu Sie das zu fragen, aber: Was haben Sie vor?'' Jarus Blick lag auf dem jungen, blonden Wächter, der wohl noch in seiner Ausbildung zum Krieger sein musste. Er wollte versuchen seine Worte weise zu wählen, so, dass sie den jungen Mann nicht abschrecken würden. Denn verängstigte Wächter und Wachen waren das Letzte, was Jarus in diesem Moment brauchte.

Bevor er antwortete, stand er auf und trat einige Schritte nach vorn. ,,Es gibt Taten, die kann ein König nicht durchgehen lassen. Und eine Gefangennahme einer meiner besten Männer ist eine dieser Taten.'' Das war alles, was er sagte und sein Blick verriet, dass es vorerst auch alles bleiben würde. Ohne weiter nachzufragen drehte sich der junge Wächter um und verließ den Raum.

***

,,Verdammt, verdammt, verdammt!'', schrie er und schmiss die Vase mit einer flinken, unvorsichtigen Handbewegung vom Tisch. Sie hatte ihn sowieso schon immer gestört. Gestört, wie dieser verfluchte Kerl, der nun hoffentlich sein Ende im Kerker finden würde. Und wenn nicht dort, dann eben bei seiner Exekution. Alles hatte er ihm kaputt gemacht, all seine Bemühungen um Zarida waren für nichts gewesen. Für nichts. All diese Jahre, schon seit seiner Kindheit, hatte er sein Herz an Zarida verschenkt. Und jetzt stellte sich heraus, dass sie sein Geschenk ablehnte. Kaum tauchte wieder ihr Gesichtsausdruck in seinen Gedanken auf, begann die Wut in ihm zu brodeln. Er gestand ihr seine Liebe und sie stand vor ihm und starrte ihn an, als wäre er ihr Todfeind. Herrgott, womit hatte er das nur verdient? Er konnte es sich einfach nicht erklären. Natürlich musste er zugeben, dass er sich einen reichlich ungünstigen Moment ausgesucht hatte, um eine Liebeserklärung abzulegen, aber er hatte es einfach nicht ausgehalten. Er hatte es nicht ausgehalten, ihr zuzuhören, wie sie ihm immer wieder klar machte, wie sehr sie ihn doch hasste. Mittlerweile hatte er das Gefühl, dass er es schon immer gewusst hatte. Dass sie ihn hasste. Aber es dann doch noch aus ihrem Mund zu hören, war eine ganz andere Sache. Denn es war eine Bestätigung, eine Bestätigung, die er nie im Leben erhalten wollte. Er verspürte eine Verzweiflung, mit der er einfach nichts anzufangen wusste. Er wusste nicht, was er nun tun sollte. Sollte er sie wirklich ein für alle mal in Ruhe lassen? Sollte er es aufgeben? Ein Narr sein?

Erschöpft ließ er sich auf einen der Stühle in seinem Zimmer fallen und legte seinen Kopf in seine Hände. Durch seine Haare raufend, versuchte er sich zusammenzureißen, aber es schien ihm nicht mal ansatzweise zu gelingen. Denn alles schien den Bach runter zu gehen. Seine Beziehung zu Zarida, seine Gefühlswelt, Rukalis, das Verhältnis zu Kiros. Alles, was ihm je auch nur stückweise etwas bedeutet hatte, schien ihm in diesem Moment aus den Händen zu gleiten, wenn es nicht schon lange abhanden gekommen war.

Als ein Klopfen an seiner Tür ertönte und einer von Macans Diener um Eintritt bat, schloss Johnathan für einen kurzen Moment die Augen und sammelte sich ein wenig, um nicht auszusehen, als hätte er gerade erfahren, dass die Welt unterging. Wobei diese Vermutung gar nicht einmal so weit von der Wahrheit entfernt wäre. Denn für John war eine Welt untergegangen.

Mit einer ruckartigen Bewegung öffnete er die Tür und sah den Wächter mit starrem Blick an.

,,Was ist?'', fragte er und dachte noch nicht einmal daran auf seine Tonlage zu achten oder sich an jegliche Höflichkeitsvorschriften zu halten.

,,Es gab einen Vorfall'', antwortete der Mann und brachte Johnathan dazu genervt aufzustöhnen. Er war nicht in der Stimmung zehn Fragen zu stellen, warum also rückte der Kerl nicht einfach mit der Sprache raus?

,,Was ist passiert?''

,,Eine weitere Leiche.''

***

Ich starrte mit emotionslosem Gesicht auf die weiße Decke in meinem Zimmer, während die Tränen, die unaufhaltsam flossen, einen nassen Weg auf meinen Wangen zurücklegten. Ich konnte einfach nicht aufhören an Johnathans Worte zu denken.

Und ich liebe dich.

Wenn ich ehrlich sein sollte, trugen diese Worte nur dazu bei mir ein schlechtes Gewissen zu machen. Denn ich wollte nicht, dass er mich liebte. Immerhin empfand ich nicht einmal annähernd das gleiche. Im Gegenteil, momentan dominierte das Gefühl von Hass mein Inneres. Ob dieser nun gegen Johnathan gerichtet war oder nicht, konnte ich nicht so recht sagen.

Vielleicht war er auch gegen meinen Vater und seine Entscheidungen gerichtet. Kaum kam mir wieder die Exekution, die schon so bald stattfinden sollte in den Sinn, konnte ich ein Schluchzen nicht zurückhalten. Gott, ich wollte nicht, dass er starb. Vor allem nicht durch das Wort meines Vaters. Denn ich war seine Tochter und somit musste ich hinter ihm stehen. Hinter seinen Befehlen und hinter seinen Entscheidungen. Also auch hinter der Exekution Lysanders. Aber das würde ich niemals können. Niemals könnte ich tatenlos herumstehen und zu sehen, wie sie ihm den letzten Atemzug nahmen.

Dieser Mann hatte sich auf eine ganz bestimmte Art und Weise in mein Leben geschlichen. Nicht durch Worte, nicht durch Taten. Durch einen einzigen Blick. Und dieser eine Blick hatte gereicht, dass ich mir nun den Kopf zerbrach, wie ich das Ereignis in einem Mond verhindern könnte. Bei dem Gedanken daran, dass ich es vielleicht nicht schaffen würde, wurde mir heiß und kalt zugleich. Denn ich wollte diesen Mann noch kennen lernen, ich wollte wissen, wieso er so war, wie er war. Wieso er sich nie rechtfertigte, nie verteidigte. Ich verstand diesen Mann nicht. Und, oh Gott, ich wollte ihn verstehen. Und wie ich es wollte.

Aber dafür benötigte ich Zeit. Viel mehr Zeit. Und diese hatte ich nicht. Und wenn ich sie noch haben wollte, musste ich handeln.

Und wenn ich es mir recht überlegte, dann erschien mir die heutige Nacht ein verdammt guter Zeitpunkt zu sein, meine Handlungen zu beginnen. 

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