V
,,Noch ein Schritt und es wird dein letzter.''
Ich fühlte mich, als würde alles, jede Zelle in mir zu Eis gefrieren. Wie hatte ich es bloß nicht bemerken können? Wie hatte ich es nicht hören können? Ich war mir so sicher alleine gewesen zu sein. Aber anscheinend nicht alleine genug.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Ob ich etwas sagen oder ob ich schreien sollte. Aber das Messer, welches ich an meiner Kehle deutlich spüren konnte, war Argument genug, die Klappe zu halten.
Gerade, als ich schon dachte, wir würden ein weiteres Jahrhundert in dieser Pose und in tiefes Schweigen gehüllt, verbringen, konnte ich aus dem Augenwinkel beobachten, wie der Unbekannte das Messer wegsteckte und mich stattdessen an meinen Oberarmen packte und zum nächstgelegenen Baum schleppte. Dort angekommen, wurde ich ohne mein Zutun umgedreht und mit einem kräftigen Griff gegen die Rinde gedrückt.
Schwarze Augen.
,,Was denkst du, was du hier tust?!'', durchbrach seine tiefe, kratzige Stimme die Stille zwischen uns und ließ mich schlucken. ,,Mein Messer hätte schon lange in deinem Rücken stecken können - glaub mir, ist nicht angenehm.''
Das ist er. Ich hatte das Gefühl nicht atmen zu können.
,,Ich-'' Meine Augen waren geweitet und meine Hände zitterten. Dass sein Blick meinen nicht für eine Sekunde losließ, machte meine Situation nicht gerade besser.
,,Was hast du hier zu suchen?!'', fragte er erneut und spannte seinen Kiefer deutlich an. Es schien ihm zu missfallen mich zu sehen. Und ich konnte nicht einschätzen, ob ich das Gleiche oder das komplette Gegenteil empfand. Etwas, was ich aber dennoch wusste, war, dass ich versuchen musste keine Schwäche zu zeigen. Also zwang ich meinen Körper dazu sich zusammenzureißen, schloss meine Hände in Fäuste, hob mein Kinn leicht an und sprach mit ruhiger Stimme, die ich mir nie im Leben zugetraut hätte:
,,Das ist nicht deine Sache.''
Er biss die Zähne fest zusammen und verengte seine dunklen Augen, die, wie bereits letztes Mal, eine viel zu große Wirkung auf mich zu haben schienen.
,,Wenn du die Grenze überquerst und kein Bürger Kiros bist, dann ist es meine Sache.'' Auch er hob seine Stimme nicht für einen Moment an, sondern schien nahezu zu flüstern.
,,Genau so, wie es meine Sache ist, wenn du einen zweifachen Mord in meinem Reich begehst?'' Ich wusste, dass es nicht gerecht war dieses Thema gegen ihn zu verwenden und aus irgendeinem Grund fühlte ich mich schlecht dabei. Erklären konnte ich mir meinen Gefühlszustand jedoch nicht - warum fühlte ich mich schlecht, wenn er es doch war, der zwei Männern das Leben genommen hatte?
Mit einem Mal ließ er mich los und entfernte sich einen Schritt von mir. Und auch wenn jetzt mehr Platz zwischen uns war - seine Augen verließen meine nicht.
,,Dann ist es ja unheimlich intelligent von dir die Grenze zu einem Reich zu überqueren, in dem ein Mörder lebt'', stellte er mit sarkastischem Unterton fest.
,,Lieber bin ich dumm und naiv, als respektlos und grausam.''
,,Grausam...'', hörte ich ihn vor sich hin flüstern, während er sich auf das weiche Gras setzte und seine Ellbogen auf seinen Knien abstützte, so, als würde er sich für ein langes Gespräch vorbereiten.
Als auch ich mich an dem Baum in meinem Rücken hinuntergleiten ließ, wusste ich nicht, was in mich gefahren war. Anstatt so schnell wie möglich zu verschwinden, setzte ich mich hin. Gegenüber eines Verurteilten. Eines Verbannten. Eines Mörders.
Lange Zeit sagte keiner von uns etwas und überraschenderweise empfand ich es nicht als unangenehm. Im Gegenteil, es fühlte sich friedlich an.
,,Die Thronfolgerin schleicht sich ins Nachbarreich. Als ich dich das letzte Mal gesehen hatte, kamst du mir nicht vor, wie jemand, der gegen Vorschriften verstößt.''
,,Als ich dich das letzte Mal gesehen hatte, kamst du mir nicht vor, wie jemand, der die Thronfolgerin verschonen würde. Warum?'' Diese Frage hatte ich mir vom ersten Moment an gestellt. Was hatte ihn dazu bewegt das Messer wegzustecken?
,,Also habe ich recht. Es ist dir nicht gestattet Kiros zu betreten.'' Meine Augen fingen an sich leicht zu weiten und ich konnte es nicht verhindern, dass sich leichte Falten auf meiner Stirn bildeten. Dieser Mann wusste, was er tat. Er wusste, was er sagen musste. Und diese Tatsache sollte mich vorsichtiger werden lassen.
,,Verrätst du mir, was du hier zu suchen hattest, Prinzesschen?'', sagte er auf meinen Stand anspielend, mittlerweile bei weitem ruhiger, als am Anfang. Er hob fragend eine Augenbraue und schaute mich mit einem fast schon interessierten Ausdruck an.
,,Vielleicht'', antwortete ich und blickte herausfordernd zurück. Ich würde ihm keine Antwort geben, wenn er meinen Fragen auswich.
Er lehnte sich zurück und stützte sich hinten mit seinen Händen ab. In diesem Moment kam er mir nicht vor, wie ein Mörder. Oder jemand, der einem anderen auch nur den geringsten Schaden antun könnte. Er kam mir vor, wie jemand, der zu wenig in den Himmel sah. Zu wenig den Vögeln zuhörte. Zu wenig lächelte.
,,Jeder hat seine Prinzipien. Und wenn meine besagen, dass ich die Thronfolgerin nicht ersteche, dann tue ich es nicht.'' Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen.
Er weicht immer noch aus.
,,Du bist nicht der Typ, der seine Gedanken gerne freigibt, nicht wahr?''
,,Nein. Aber ich bin der Typ, der seine Gegenleistungen einfordert.''
Ich seufzte auf. ,,Ich wollte Kiros sehen. Ein Mal.''
Als er nicht auf meine Antwort einging, nahm ich das als Aufforderung weiter zu sprechen. Und obwohl es mir nicht passte, dass ich mehr von mir freigab, als er von sich, konnte ich den Drang ihm mehr zu erzählen einfach nicht unterdrücken.
,,Das Gras hier ist grüner. Hört sich vielleicht blöd an, aber es ist wirklich so. Man kann es mit dem bloßen Auge erkennen. Die Erde ist feuchter. Der Himmel scheint klarer. Gegen all das hier, kommt mir Rukalis finster vor. Düster irgendwie.'' Ich wusste nicht, ob es falsch war, schlecht von meinem Reich mit einem Verbannten zu sprechen. Aber es fühlte sich nicht falsch an. All das hier fühlte sich nicht falsch an.
,,Für jemanden, der der Vermutung ich sei ein Mörder so viel Glauben schenkt, scheinst du ziemlich entspannt in meiner Nähe zu sein'', stellte er mit ernster Miene fest und brachte mich dazu meine Augenbrauen zusammen zu ziehen. Bevor ich dem Sinn seiner Aussage jedoch mehr Beachtung schenken konnte, wurde mein Gedankengang durch einen Schrei unterbrochen.
,,Zarida!'' Ich sprang auf bei dem Klang der Stimme und drehte mich in die Richtung ihres Ursprungs. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie auch der Verbannte sich langsam, keiner Gefahr bewusst, aufrichtete.
Währenddessen stoppte das Pferd mit seinem Reiter auf dem Rücken direkt vor uns.
,,Was hast du dir nur dabei gedacht hier her zu kommen?! Alleine?!'', keifte Johnathan mich an. Ich hatte ihn noch nie so sauer erlebt. Er schien wirklich außer sich zu sein.
,,John, beruhige dich. Mir geht es gut. Was tust du hier überhaupt?'', fragte ich und versuchte ihn zu besänftigen.
,,Was ich hier tue? Die Frage ist wohl eher, was du hier mit diesem Mörder tust?! Hat er dir etwas angetan? Hat er dich gezwungen mit ihm zu kommen?!'' Jetzt richtete er seinen Blick auf den Verbannten.
,,Er hat gar nichts! Ich bin hier, weil ich hierher gekommen bin. Und jetzt sag mir endlich, was du hier zu suchen hast.''
,,Dir deinen Hintern retten. Dein Vater verlangt nach dir.'' Sofort wurde mir meine Lage bewusst. Wenn mein Vater von meinem Ausflug Wind bekommen würde, wäre das mein Ende. Das Ende meiner Freiheit. Das Ende seines Vertrauens zu mir.
,,Verdammt...'', zischte ich und lief zu meinem Pferd. Als ich dabei am Verbannten vorbeikam, wurde ich an meinem Handgelenk zurückgehalten. Er sah mir tief in die Augen und schien etwas sagen zu wollen, aber kein Ton kam über seine Lippen. Dennoch nickte ich leicht zum Abschied, bevor er mich losließ und ich mich keine fünf Sekunden später bereits auf dem Rücken meines Hengstes befand.
,,Ein Schritt in die Nähe der Prinzessin und du riskierst eine Exekution'', hörte ich Johnathan bedrohlich sagen und wollte gerade etwas einwenden, als er sein Pferd auch schon wendete und los ritt. Keine Wahl habend folgte ich ihm und konnte es mir dennoch nicht nehmen, einen letzten Blick nach hinten zu werfen.
,,Zarida!'', rief Johnathan erneut meinen Namen und brachte mich dazu meine Aufmerksamkeit ihm zu widmen. ,,Weißt du eigentlich, wie verdammt gefährlich das war? Dieser Kerl hätte sonst was tun können!''
,,Aber er hat es nicht!'' Irgendwie hatte ich das Gefühl den Verbannten verteidigen zu müssen.
,,Er ist ein Mörder, Zarida! Heute wurde erneut eine Leiche an der Grenze zu Kiros gefunden.'', erzählte er mit einer Seriosität in der Stimme, die ich jemandem wie ihm nie zugetraut hätte.
,,Und ich vermute, dass-''
,,Natürlich. Du vermutest, dass er dafür verantwortlich ist'', vollendete ich seinen Satz und konnte die leichte Abneigung in meiner Stimme nicht verbergen. Johnathan richtete seinen Blick auf mich und runzelte die Stirn.
,,Was ist da zwischen euch vorgefallen?''
,,Nichts. Rein gar nichts.''
Ich wusste, dass er sich mit dieser Antwort nicht zufrieden geben würde, aber für den Moment ließ er das Thema bleiben.
,,Was hast du meinem Vater erzählt?'', fragte ich stattdessen und hoffte, dass ich wenigstens ein Mal auf Johnathan zählen konnte.
,,Dass ich gesehen habe, wie du einen Spaziergang machen wolltest und ich dich suchen gehe. Mehr nicht.'' Als er dies sagte, kam es mir vor, als schwänge eine gewisse Enttäuschung in seinen Worten mit.
,,Danke. Ich weiß das zu schätzen.''
Den Rest des Weges verblieben wir beide still. Mein Gedankenleben dagegen war alles andere als leise. Während ich einerseits hoffte, dass sich mein Vater mit dem erfundenen Spaziergang zufrieden geben würde, konnte ich es einfach nicht lassen an den Verbannten zu denken, dessen Namen ich noch nicht einmal kannte.
Und als einige Zeit später das Königshaus, mein Zuhause, in Sicht kam und meine Konzentration drohte auf andere Dinge zu fallen, durchkreuzte noch ein letzter Gedanke meinen Kopf.
Wir werden uns wiedersehen.
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