IX

Egal was ich tat, ob ich schlief, ob ich aß oder ob ich träumte. Dieser Name verließ meine Gedanken nicht für einen Moment.

Lysander.

Wer hätte denken können, dass ein einfacher Name mir solche Kopfschmerzen bereiten würde. Und dennoch war jeder Buchstabe dieses Wortes meine Kopfschmerzen wert. Denn kaum erreichte mich die Erinnerung der Bewegung seines Mundes, als er mir verraten hatte, wie er hieß, konnte ich es nicht verhindern, dass sich ein Lächeln auf meinen Lippen bildete.

Ich kannte diesen Mann kaum, ich wusste so gut wie nichts über ihn. Außer seinem Namen. Und das reichte mir. Es reichte, um ein Gefühl in meinem Inneren auszulösen, welches ich nicht mit den mir zur Verfügung stehenden Worten beschreiben könnte. Es gab einen Teil in mir, der versuchte mit aller Kraft gegen diese Empfindung anzukämpfen und ich war mir nicht sicher, ob ich ihn dabei unterstützen wollte oder nicht. Aber etwas, bei dem ich mir mehr als nur sicher war, war die Tatsache, dass es mir nicht gefiel, Lysander in dieser Zelle zu wissen. Zu wissen, dass man ihn foltern würde, um Antworten zu erhalten.

Da mir bei dem Gedanken ihn vor Schmerz schreien zu sehen, unwohl wurde, schwang ich die Beine über die Kante meines großen Bettes und stand auf, um mich abzulenken. Ich entschied mich zu meinem Vater zu gehen, der bereits vor zwei Tagen - so lange war es bereits her, dass ich Lysander das letzte Mal gesehen hatte - ein Gespräch unter vier Augen angekündigt hatte. Er hatte Wind von der ganzen Sache bekommen, er wusste, dass ich Lysander im Kerker aufgesucht hatte, er wusste, dass ich in Kiros gewesen war. Denn nachdem mich die anderen zwei Diener, die zusammen mit Johnathan aufgetaucht waren, gesehen hatten, konnte selbst John mich nicht mehr decken. Und da es nichts brachte sich unnötig lange vor der Konfrontation zu drücken, wollte ich es einfach so schnell wie möglich hinter mich bringen.

Während ich durch die langen Gänge zum Thronsaal schritt, welcher tagsüber ständig von meinem Vater besetzt war, um zu jeder Zeit erreichbar zu sein, dachte ich über eine mögliche Rechtfertigung nach. Was sollte ich ihm nur sagen? Sollte ich mich entschuldigen? Sollte ich wirklich für etwas Reue zeigen, das mein Herz leuchten und meine Seele atmen ließ? Ich wusste nicht, was das richtige war, aber leugnen, dass ich den Verbannten nicht fürchtete, würde ich mit Sicherheit nicht.

Als ich die große Doppeltür öffnete und mit erhobenem Kopf den Saal betrat, traf mein Blick binnen Sekunden auf den meines Vaters.

,,Zarida'', sagte er mit einer Stimme, die mir einen kalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Er hörte sich alles andere, als glücklich an. Im Gegenteil, ich bekam langsam das Gefühl, dass es eine schlechte Idee gewesen war herzukommen.

,,Vater'', entgegnete ich und versuchte eine Stimmlage beizubehalten, die ihm verdeutlichen sollte, dass ich nur gute Absichten hatte und auf gar keinen Fall einen Streit beginnen wollte.

Ich trat vor die Treppen, die zum Thron führten und verschränkte meine Hände ineinander. Es fühlte sich nicht gut an in einer solchen Situation zu sein.

,,Seit wann sagst du mir nicht mehr die Wahrheit? Ich dachte wir wären ehrlich zu einander.'' Ich konnte sehen, dass er versuchte einen neutralen Gesichtsausdruck beizubehalten, aber die leichten Falten, die sich auf seiner Stirn bildeten, sprachen für sich.

,,Aber nicht der Fakt, dass du mich, deinen eigenen Vater, dein Fleisch und Blut, belogen hast, mir Lügen mitten ins Gesicht erzähltest - nicht das ist es, was mich am meisten in Rage bringt. Es ist deine Naivität. Was hast du dir nur dabei gedacht, dich in solche Gefahr zu bringen? Zu einem Kriminellen zu reiten? Ihn danach auch noch in seiner Zelle aufzusuchen? Was ist nur in dich gefahren?!'' Er schrie nicht. Es war nur sein Ton, der mich meinen Blick senken ließ.

,,Was lässt dich so sicher sein, dass er ein Krimineller ist, Vater?'', sagte ich mit weitaus leiserer Stimme als zuvor. Ich wollte ihn nicht noch mehr verärgern, als dass er es auch so schon war. Es missfiel mir, dass das Verhältnis zwischen uns aufgrund der bisherigen Ereignisse leiden würde, hatte ich doch immer eine sehr gute Beziehung zu meinem Vater gehabt.

,,Was lässt dich so sicher sein, dass er kein Krimineller ist?'', stellte er eine Gegenfrage und brachte mich dazu meine Stirn zu runzeln.

,,Ich bin mir nicht sicher.'' Jetzt hob ich meinen Kopf wieder an und verengte meine Augen leicht. ,,Nein, sicher bin ich mir nicht. Aber Vater - ich stehe vor dir. Lebend.''

Daraufhin verstummte der König und spannte sichtlich seinen Kiefer an. Ich wusste, dass ich ins Schwarze getroffen hatte. Es machte keinen Sinn. Jemand, der anscheinend mehrere Personen, die in keinster Weise Bezug zu einander hatten, umgebracht haben soll, bekommt die Chance die Thronfolgerin zu töten und viel mehr Schaden anzurichten - und tut es nicht. Selbst für meinen Vater sollte das ein Grund sein zu zweifeln.

,,Wäre es anders, würde er nicht in dieser Zelle sitzen, sondern unter der Erde liegen.''

Ich lachte kurz auf. ,,Ach, so ist das also. Du steckst jemanden in diese Hölle, der absolut nichts getan hat. Er hat gegen nichts verstoßen. Er hat weder einen Schritt in dein Reich gesetzt, noch mir auch nur den geringsten Schaden zugefügt. Mit was also begründest du seine Verhaftung?''

,,Zweifelst du meine Entscheidungen an, Zarida? Ist es das?''

Ich schüttelte frustriert den Kopf und fuhr mir mit einer Hand durch meine wilden, blonden Haare.

,,Wisst ihr, was euer Problem ist? Deines, Johnathans, von jedem von euch? Ihr seid so beschränkt auf eure eigene kleine, mickrige, im Grunde völlig unbedeutende Gedankenwelt! Ihr seht nur das, was ihr auch sehen wollt. Wo ist nur der König hin, zu dem ich als Kind aufgesehen habe? Der mir ein Vorbild war in allen möglichen Aspekten? Jetzt sehe ich nur noch einen Mann vor mir, der verzweifelt versucht das Richtige zu tun und dabei das absolut Falsche tut.''

Ich drehte mich nicht nach hinten, als ich hörte, wie jemand den Raum betrat und sich mit langsamen Schritten näherte. Nur einer würde ohne Ankündigung und ohne zu fragen diesen Saal betreten und ein solches Gespräch unterbrechen.

,,In einem Mond, mein König.'' Mehr sagte er nicht, keine Begrüßung, keine Entschuldigung, nichts. Nur das.

,,Gut'', war die kurz angebundene Antwort meines Vaters.

,,Was ist in einem Mond?'', fragte ich vorsichtig nach und hatte bereits das Gefühl, dass mir die Antwort nicht gefallen würde.

,,Die Exekution deines kleinen Freundes'', antwortete Johnathan mit einer Kälte, die ich nie im Leben erwartet hätte.

Exekution.

Eine Exekution.

Sie wollten ihn töten. Ihn umbringen.

,,Was zum Teufel soll das?! Ich dachte noch schlimmer kann es nicht mehr werden, aber jetzt fängst du an Unschuldige auch noch umzubringen?! Ihr fragt, was in mich gefahren ist? Ich frage mich, was in euch gefahren ist! So etwas hättest du früher nie getan, Vater! Wer hat dir diesen Schwachsinn eingeredet?!''

Nach meinem kleinen Ausbruch bildete sich eine Stille, in der nur mein schneller Atem zu hören war. Ich spürte, wie alles in mir danach schrie, in diesen verfluchten Kerker zu rennen und Lysander rauszuholen. Aber ich konnte nicht. Ich wollte, aber ich konnte nicht.

,,Es gibt nur ein kleines Problem, mein Herr'', fuhr Johnathan unbeeindruckt fort und dachte noch nicht einmal daran auf mich einzugehen oder mich zu beachten. ,,Jarus weiß es.''

Jarus wusste von der Exekution? Ohne mein Zutun bildete sich eine unerklärliche Hoffnung in meinem Inneren. Eine Hoffnung, die ich als Thronfolgerin Rukalis nicht empfinden durfte und es dennoch tat. Denn vielleicht würde der König von Kiros ja etwas unternehmen. Vielleicht.

,,Das war zu erwarten gewesen. Bei der kleinsten Bewegung in Kiros - du weißt, wo du mich findest, Johnathan. Danke.'' Damit verneigte sich John kurz, drehte sich ohne ein weiteres Wort um und verließ den Raum. Aber ich hatte nicht vor ihn einfach so gehen zu lassen, denn es gab noch so viele Dinge, die ich ihm sagen wollte. So viele Dinge, die ich ihm vorwerfen, die ich an ihm auslassen wollte.

Also rannte ich ihm hinterher ohne auf meinen Vater zu achten, der meinen Namen rief und wollte, dass ich da blieb. Aber in diesem Moment war er der Letzte, dessen Befehle ich befolgen wollte.

,,Warte gefälligst!'', schrie ich und packte Johnathan an seinem Oberarm, um ihn zum stehen zu bringen. Er stoppte und drehte sich langsam zu mir um. Mit emotionslosem Gesicht sah er mir in die Augen und schien darauf zu warten, dass ich etwas sagte.

,,Du...ich hasse dich'', brachte ich gerade noch heraus, bevor ich spürte, wie die erste Träne über meine Wange lief. ,,Ich hasse dich. Gott, wie kannst du das nur tun? Wie kannst du das nur unterstützen?''

,,Da gibt es kein 'wie', Zarida. Ich tue es einfach, weil es das Richtige ist.'' Ich erkannte ihn einfach nicht wieder. Diese harte Maske, die er trug, als würde er versuchen, sich von allem abzuschirmen. Was war nur passiert mit ihm? Wo war der Johnathan, der mich unter tausenden erkennen würde? Dem ich noch etwas schuldete? Der so penetrant und anhänglich war, dass es mich unheimlich nervte?

,,Ich hasse dich.'' Das waren die einzigen Worte, die ich noch im Stande war auszusprechen. Vielleicht entsprachen sie nicht der Wahrheit, aber sie spiegelten mein Inneres wider. Denn dieses war voller Hass.

,,Und ich liebe dich. Wie es aussieht haben wir uns beide nichts neues zu erzählen.'' Und damit machte er auf dem Absatz kehrt und ließ mich tränenüberströmt stehen.

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