IV


Johnathan konnte nicht anders, als über dieses Mädchen zu schmunzeln. Sie war anders, als jede, die er kannte. Kein einziges Mal hatte sie Interesse gegenüber ihm gezeigt und sie schien nicht zu merken, wie sehr ihn diese Tatsache anstachelte. Denn je mehr sie versuchte sich von ihm zu entfernen, desto mehr versuchte er ihr nahe zu sein.

Er hob den Kopf etwas an und sah, dass er das Königshaus bereits erreicht hatte. Seine Gedanken an sie mussten ihn so sehr abgelenkt haben, dass er noch nicht einmal gemerkt hatte, wie schnell die Zeit vergangen war. Auch wenn er wusste, dass er sich nun auf andere Dinge konzentrieren und dem König von seinem Ausflug berichten musste, konnte er die leichte Sorge, die er empfand nicht ablegen. Was hatte Zarida nur vorgehabt? Das Pferd an ihrer Seite trug auch nicht gerade zu seiner Beruhigung bei. Denn die Präsenz dessen versicherte ihm, dass sie weiter weg wollte, als sie wahrscheinlich sollte. Aber wenn er sich nicht auf die Abmachung zwischen ihnen eingelassen hätte, wäre er, was die Beziehung zu ihr angeht, keinen Schritt weiter gekommen und das war das letzte, was er wollte.

Johnathan wurde die große Doppeltür langsam geöffnet und ein Diener Macans verneigte sich leicht zur Begrüßung. Alle hier wussten, wer der blonde Mann war, verbrachte er doch unheimlich viel Zeit an diesem Ort. Als er die breite Treppe nach oben schritt, konnte Johnathan seinen Blick nicht von dem großen Gemälde abwenden, das sich direkt vor seinem Gesicht erstreckte, als er oben ankam. Fast könnte man denken, es sei Zarida. Aber alle wussten, dass sie ihrer Mutter nur zum verwechseln ähnlich sah. Die goldblonden, leichten Locken, die wohlgeformten Lippen und die mandelförmigen, himmelblauen Augen.

Wie ein Engel, dachte Johnathan.

Ein Seufzen entglitt ihm, als er merkte, wie die Tochter des Königs ihn einfach nicht losließ. Er würde es nie zugeben, aber eine unheimliche Frustration hatte sich in seinem Inneren gebildet, denn egal was er tat, er schien einfach nicht an sie ran zu kommen. Vor ungefähr einem Mond, als er sie zu ihrem Zimmer begleitet hatte, wurde ihm klar, dass sie ein völlig falsches Bild von ihm besaß. Sie dachte, er sei nur hinter dem Thron her, wollte nur den Rum, das Reich, die Macht. Aber was sie sich wohl nie vorstellen können würde, war, dass er auf all das verzichten würde, könnte er nur sie an seiner Seite haben. Oft schon hatte er mit dem Gedanken gespielt ihr seine Gefühle offen auf den Tisch zu legen, seine wahren Absichten zu offenbaren. Aber nach diesem aufschlussreichen Gespräch nach der Verbannung dieses respektlosen Mörders hatte er verstanden, dass es absolut nichts bringen würde. Aus einem ganz einfachen und trivialen Grund: Sie würde ihm nicht glauben. Sie würde nur denken, dass er eine weitere Taktik ausprobierte. Nur leider war es keine Taktik, sondern die pure Wahrheit.

,,König Macan'', begrüßte er Zaridas Vater, als er den großen Saal betrat und sah, wie Rukalis Herrscher aufrecht in seinem Thron saß und auf ihn herab guckte.

,,Johnathan, du bist früher zurück als erwartet'', stellte der schon etwas ältere Mann mit leichtem Stirnrunzeln fest. Er hatte recht. Auch Johnathan selbst hatte nicht mit einer so schnellen Rückkehr gerechnet.

,,Das stimmt, es...naja, gab Komplikationen.'' Er wusste nicht genau, wie er anfangen sollte. Die ganze Situation schien ernster zu sein, als er gedacht hatte. Viel ernster.

,,Erzähl mir davon.''

Johnathan seufzte leise auf.

,,Es wurde eine weitere Leiche gefunden...an der Grenze zu Kiros.''

Das Gesicht des Königs zeigte nicht die geringste Emotion und doch konnte Johnathan erkennen, wie sich der Mann sichtlich anspannte. Diese Nachricht würde zunächst unter ihnen bleiben, vielleicht würde Macan seine wichtigsten Männer einweihen. Denn drei Tote innerhalb von zwei Monden war nichts, was sich Rukalis leisten konnte.

,,Was vermutest du?'', fragte Zaridas Vater und sah Johnathan unnachgiebig in die Augen.

,,Ich weiß es nicht. Vielleicht war es der Verbannte.''

,,Das kann nicht sein, ich habe Wachen an den Grenzen.''

,,Das stimmt, mein König. Beachten Sie bitte, dass die Wachen jedoch nicht unmittelbar an der Grenze platziert sind, sondern weiter im Inneren des Reiches. Der Mord hätte also absolut unbeobachtet geschehen können. Außerdem muss man immer damit rechnen, dass es nicht unmöglich ist an Wachen vorbei zu kommen'', erklärte Johnathan mit ernster und standhafter Stimme.

,,Ich verstehe. Was lässt dich davon ausgehen, dass es der Verbannte war?''

,,Ich gehe nicht davon aus. Dies war nur eine reine Vermutung, immerhin hätte er bereits ein Motiv - wäre ja nicht sein erster Mord. Ich gehe nur davon aus, dass es jemand aus Kiros war.''

Der König runzelte die Stirn und strich sich nachdenklich über sein markantes Kinn. Irgendetwas stimmte nicht und es war nicht gerade vorteilhaft nicht zu wissen, was es war.

,,Ich hoffe nur meine Botschafter kommen unversehrt zurück. Weitere solche Fälle müssen mit allen Mitteln vermieden werden'', man hörte, dass Macan versuchte ruhig zu bleiben und nichts unüberlegtes zu tun. Im Moment musste Rukalis jeden seiner Schritte gut durchdenken und nicht überstürzt handeln. Denn überstürztes Handeln verlangte oftmals viele Menschenleben.

Eine tiefgehende Stille legte sich über die beiden Männer, die in ihren Gedanken versunken zu sein schienen. Beide versuchten eine Lösung, einen Weg aus dieser Misere zu finden.

Mit einem Mal zogen sich die Augenbrauen des Königs stark zusammen und er hob den Kopf, um sich wieder an Johnathan zu wenden.

,,Wo ist meine Tochter?''

***

Die Thronfolgerin zu sein, hatte definitiv seine Vorteile. Da ich bei allen Besprechungen dabei sein durfte und jede Änderung im Reich mitbekam, wusste ich auch, wo und wie ich an den Wachen vorbeikommen würde. Man musste nur wissen, welches kleine, völlig unbedeutende Schlupfloch man benutzen musste. Und dieses Wissen hatte ich.

Das Problem war nur nach dem Passieren der Wachen, wieder an die Botschafter anzuknüpfen. Langsam trabte ich auf meinem Pferd durch die vielen Bäume und versuchte auf alle Hindernisse zu achten - nicht auszudenken, was ich tun müsste, sollte sich mein Pferd verletzen. Mit einer Hand, die ich vor meinem Kopf angehoben hatte, schob ich in den Weg kommende Äste zur Seite, um mir meine Sicht frei zu machen.

,,So, mein Großer, wir müssen wieder zurück zum Pfad...'', flüsterte ich leise und versuchte mir einen kleinen Überblick zu verschaffen, welche Richtung ich einschlagen musste.

Als ich schon dachte, ich hätte mich verlaufen und die Panik langsam anfing in meinem Inneren zu wachsen, hörte ich lautes Gelächter aus dem Westen. Sofort schlich sich ein leichtes Lächeln auf meine Lippen. Gut, dass die Männer kein großes Geheimniss aus ihrem Ritt nach Kiros zu machen schienen.

Ich folgte den Stimmen, bis ich tatsächlich einige Minuten später einen perfekten Blick auf die Rücken der drei Männer hatte. Ohne Bedenken ritten sie vor sich hin, sich nicht bewusst, dass die Tochter des Königs direkt hinter ihnen war. Ich musste mich zurückhalten, um nicht aufzulachen - irgendwie verspürte ich sogar einen gewissen Stolz, dass ich es soweit geschafft hatte.

Jetzt war der Moment gekommen, in dem ich entscheiden musste, wie lange ich ihnen noch hinterher traben würde. Denn sobald die Grenze überschritten war, würden sie sich auf den Weg zu Kiros König machen. Was die Grenze anging, hatte ich mich als Kind immer gefragt, woran man denn erkannte, dass man diese überschritten hatte. Woran sah man, ob man noch in Rukalis oder schon in Kiros war? Als ich einst vor einigen Jahren mit meinem Vater ausgeritten war und wir an der Grenze vorbeikamen, fiel mir etwas entscheidendes auf - etwas, woran ich Kiros und Rukalis trennen konnte. Denn dort, wo das Gras grüner, die Erde feuchter und die Bäume höher wurden - das war Kiros.

Ich war mir sicher, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis das Nachbarreich erreicht war, also fing ich an langsamer zu werden, um immer mehr Abstand zwischen mich und die Botschafter zu bringen.

Mit der Zeit waren sie schon gar nicht mehr zu sehen - von nun war ich also auf mich alleine gestellt. Der Gedanke daran, den Weg zurück nicht mehr zu finden, machte mir ehrlich gesagt Angst, aber ich versuchte zuversichtlich zu sein. Immerhin musste ich nur dem Reisepfad folgen, dachte ich und schob meine Sorgen damit beiseite.

Meinen Blick hielt ich von nun an auf den Boden gerichtet - auf das Gras. Und tatsächlich, mit der Zeit konnte man die feinen Tröpfchen erkennen, die sich auf den einzelnen Halmen einen Weg zur Erde suchten. Die Farbe schien viel saftiger. Und als ich tief einatmete, bildete ich mir nahezu ein die Luft sei frischer, als in Rukalis.

Nach einiger Zeit zog ich leicht an den Zügeln und brachte das Pferd damit zum stehen, bevor ich mich in alle Seiten umsah, um mich zu versichern, dass ich wirklich alleine war. Dann schwang ich ein Bein auf die andere Seite und stieg ab.

Jetzt, da ich absolut ungestört war und mich niemand einschränken konnte in meinen Taten, ließ ich meinen Blick vollends über meine Umgebung gleiten.

Das Pferd hinter mir her ziehend fing ich an mit kleinen Schritten vorwärts zu laufen. Nirgends in Rukalis sah es auch nur annähernd aus, wie hier. Nirgends schien die Natur präsenter zu sein.

,,Wunderschön...'', sagte ich schon nahezu lautlos vor mich hin, bevor ich erneut einen Schritt nach vorne setzen wollte. Doch dies schaffte ich nicht, denn mit einem Mal spürte ich etwas kaltes an meinem Hals und etwas starkes um meinen Körper. Mein Atem stockte und ich wagte es nicht mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen.

,,Noch ein Schritt und es wird dein letzter.'' 

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