I


Schon als ich ihn das aller erste Mal gesehen hatte, wusste ich, dass er mein Ende sein würde. Meine Brust hatte sich schmerzhaft zusammengezogen, mein Atem hatte gestockt. Ich spürte, wie alles in mir versuchte von ihm weg zu kommen. Es gab nur ein einziges Problem: Ich wusste nicht warum. Seine nachtschwarzen Augen hafteten an meinen und wagten es nicht für einen Moment sich abzuwenden. Alles um mich herum schien still geworden zu sein. Alles schien mir diesen Augenblick zu schenken. Den Augenblick vom Anfang des Endes.

Erst als ihm das Schwert an die Kehle gehalten wurde, schaffte ich es meinen Blick zu senken. Er war ein Verurteilter und aus irgendeinem, mir unbekannten Grund fühlte ich mich, als würde ich mit ihm zusammen verurteilt werden.

,,Dein Urteil wurde gefällt'', ertönte die authoritäre Stimme des Königs, meines Vaters, und ließ mich wieder meinen Kopf heben. Der Mann, welcher mich - da war ich mir sicher - von nun an jeden Tag in meinen Gedanken aufsuchen würde, wandte sich ihm zu. Ohne ein einziges Wort der Verteidigung, der Reue, des Schames blickte er den Worten entgegen, die sein Schicksal besiegeln würden.

,,Verbannung.'' Eine nervenzerreißende Stille erfüllte den großen Saal, obwohl hunderte Menschen anwesend waren. Ich war überrascht, mit einem solchen Ausgang hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte eine Todesstrafe erwartet, so, wie es eigentlich üblich war.

,,Ein Schritt in mein Reich und dein Kopf endet in einem kleinen Sack auf dem Weg zu Jarus'', warnte ihn mein Vater mit drohendem Unterton. Ich fragte mich, ob er wohl eine Antwort erwartete. Ob er Unterwürfigkeit erwartete. Aber davon würde er nichts erhalten, denn immer noch hatte der Verurteilte ein absolut emotionsloses Gesicht. Einen Ausdruck aus dem man niemals schlau hätte werden können. Und so wurde ich es auch nicht.

Das einzige, was mir Sorgen bereitete, war das Gefühl, welches sich in meinem Inneren Platz gemacht, sich ausgebreitet und jeden Winkel meiner Seele eingenommen hatte. Ich konnte es nicht wirklich zuordnen, war mir nicht sicher, ob es Erleichterung oder Angst war. Und doch hätte jedes dieser Gefühle nicht den geringsten Sinn ergeben.

,,Bringt ihn an die Grenze.'' Das waren die letzten Worte, die an ihn gerichtet wurden. Und es waren die letzten Sekunden, bis er aus der Tür schritt mit zwei Männern an jeder Seite. Bevor er dies jedoch tun konnte, stoppte er noch für einen kurzen Moment an der Türschwelle und drehte sich ziehend langsam um, nur um mir einen letzten, stechenden Blick zu zu werfen. Als sich die Doppeltür mit einem abschließenden, tiefen Knall schloss, atmete ich all die Luft aus, die ich wohl die ganze Zeit in mir gehalten haben musste.

,,Wieso lassen Sie ihn leben, König?!'', hörte ich jemanden aus der Menge rufen. Mein Vater erhob sich aus seinem Thron und sprach mit lauter Stimme, sodass ihn alle hören konnten:

,,Bedauerlicherweise hatten wir keine Beweise, dass er der Mörder meiner beiden Männer war. Und ohne Beweise werde ich niemanden zu Tode verurteilen.'' Mörder. Das Wort hallte noch einige Zeit später immer noch in meinem Kopf wider. Mörder. War dieser Mann wirklich ein herzloser Mörder? Jemand, der anderen das Leben nehmen konnte? Vielleicht war er das. Vielleicht war das der Grund, für dieses komische Gefühl, das mich beschlichen hatte. Aber andererseits hatte ich bereits bewiesenen Mördern in die Augen gesehen und nichts gefühlt, das auch nur annähernd an dieses Empfinden heranreichen würde.

,,Zarida, mein Kind, ist alles ok? Du scheinst etwas blass geworden zu sein'', hörte ich nun die viel sanftere Stimme meines Vaters an mich gerichtet. Es war nichts ok, es war nichts in Ordnung. Ich fühlte mich, als hätte vor einigen Sekunden eine Schlacht in mir begonnen. Eine Schlacht, die ich niemals gewinnen würde.

,,Natürlich, Vater. Nur ein weiterer Verurteilter, der das Leben anderer nicht zu respektieren weiß'', antwortete ich, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken. Ich wusste, was man von mir erwartete. Ich wusste, was man hören wollte. Nur über meine Leiche würde ich meine wahren Gedanken gegenüber meines Vaters äußern.

Ein leichtes Lächeln erschien auf seinem Gesicht, während er mich mit warmen Augen betrachtete. Ich wollte ihn nicht anlügen. Er war ein guter Vater, er bemühte sich, nie hatte es mir an irgendetwas gemangelt. Aber in diesem Fall wollte ich es für mich behalten. Dieses kleine Geheimnis. Ein Geheimnis zwischen der Tochter des Königs und des Verbannten.

,,Du wirst eine gute Herrscherin sein. Du wirst mich nicht enttäuschen.'' Aus irgendeinem Grund versetzte mir sein letzter Satz einen Stich. Auf gar keinen Fall wollte ich ihn enttäuschen. Es wäre das letzte, was ich mir wünschen würde und dennoch beschlich mich das unwohle Gefühl, dass sich seine Worte nicht bewahrheiten würden.

,,Da kann ich Ihnen nur zustimmen, mein König.'' Ich drehte mich zum Ursprung der amüsierten Stimme und musste mich zurückhalten, um nicht die Augen zu verdrehen, als ich den hochgewachsenen, blonden Mann sah, welcher mittlerweile vor mir und meinem Vater stand und mich mit einem Schmunzeln beobachtete.

,,Ah, Johnathan, ich hatte bereits Ausschau nach dir gehalten'', begrüßte ihn mein Vater, ebenfalls mit einem ehrlichen Lächeln. Ich wusste, dass er ihn mochte. Er war charmant, lief mir hinterher, benahm sich wie der Vorzeige-Schwiegersohn und konnte schleimen, wie kein anderer.

Ich konnte es mir einfach nicht nehmen, seine himmelblauen mit den nachtschwarzen Augen zu vergleichen, die sich in meine Erinnerung gebrannt hatten und wahrscheinlich - so vermutete ich - auch nie wieder verschwinden würden. Im Grunde war Johnathan das komplette Gegenteil zu dem Mann, welcher nun nie wieder in meine Nähe kommen durfte. Seine blonden Haare standen im Kontrast zu den dunklen. Seine eher schlanke Figur war nicht zu Vergleichen mit den Muskeln, die jede Körperstelle des Verbannten zierten. Und auch das nahezu makellose Gesicht Johnathans war nichts gegen die Narben, die man deutlich erkennen konnte, welche aber so unheimlich passend schienen, dass die Schönheit des unbewiesenen Mörders nur noch mehr hervortrat.

,,Bei allem Respekt, mein Herr, aber eigentlich wollte ich zu Ihrer Tochter.'' Er wusste genau, was er tun und sagen musste, um die Gunst meines Vaters zu erhalten. Und mir einen Haufen Aufmerksamkeit zu schenken, war definitiv eine gute Taktik. Eine Taktik, die mich unfassbar nervte.

,,Bedaure, Johnathan. Ich wollte gerade auf mein Zimmer gehen'', versuchte ich ihn loszuwerden, aber wie es aussah, hatte er nicht vor sich heute abwimmeln zu lassen:

,,Dann hoffe ich, dass du mir die Ehre zuteil werden lässt, dich bis dorthin zu begleiten.'' Es gehörte sich nicht soetwas auszuschlagen und vor allem in Anwesenheit meines Vaters wollte ich nicht unhöflich erscheinen, also nickte ich nur kurzangebunden und stand auf, um mich auf den Weg zu machen. Aus dem Augenwinkel konnte ich noch sehen, wie Johnathan sich leicht nach vorne beugte, um sich von seinem König zu verabschieden und keine zwei Sekunden später war er auch schon an meiner Seite.

,,Wann gibst du es endlich auf, John?'', fragte ich nun, was ich vor meinem Vater nicht fragen konnte.

,,Wo denkst du hin, meine Liebe? Was wäre ich für ein Narr, wenn ich aufgeben würde?''

,,Du wärst kein Narr. Du wärst jemand, der seine Chancen realistisch einschätzen würde.'' Er lachte kurz auf und schüttelte leicht den Kopf.

,,Vielleicht solltest du einfach endlich einsehen, dass ich die beste Wahl bin.'' Jetzt war ich es, die fast anfangen musste zu lachen. Dieser Mann war viel zu selbstsicher.

,,Sind wir doch einfach ehrlich, Johnathan. Alles, was du wirklich willst, ist der Thron, den du durch mich erhalten würdest.'' Mittlerweile waren wir bereits in dem langen Gang angekommen, der für meinen Geschmack viel zu stark ausgeschmückt war und an dessen Ende sich mein Zimmer befinden würde.

,,Ich kann nicht bestreiten, dass der Gedanke daran, der zukünftige König zu sein mich reizt, aber auch die Vorstellung eine Frau wie dich an meiner Seite zu haben, finde ich alles andere als abstoßend.''

,,Du stellst dir die falschen Fragen'', entgegnete ich trocken und blieb noch kurz stehen, während sich meine Hand bereits auf die goldene Klinke gelegt hatte. ,,Die Frage ist nämlich nicht, ob du es abstoßend findest, sondern ob ich es abstoßend finde.'' Mit diesen letzten Worten öffnete ich die große Tür und ließ Johnathan alleine zurück.

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