16 ♪ All this time
But I see your true colors
Shining through
I see your true colors
And that's why I love you
So, don't be afraid to let them show
Just show your true colors
True colors
Ooh, are beautiful like a rainbow
[ Phil Collins ]
NIALL ║ Regelmäßig davon zu träumen, man würde ertrinken, zerrte lange an meinen Nerven. Doch dann bekam ich es irgendwie in den Griff.
Raymond riet mir in einer Sitzung, dass ich gezielt nach einem Anker suchen musste und mich nicht in Panik verfallen lassen durfte. Sich in einem Alptraum daran zu erinnern war, als würde man während eines Konzerts versuchen zu singen, ein Rad zu schlagen und gleichzeitig noch mit den Fingern zum Takt schnippen.
Doch die Wahrheit war, es funktionierte.
Ich begann die Kontrolle über meinen Traum zu bekommen und statt zu ertrinken, ließ ich mich treiben. Mit klopfenden Herzen sah ich zur Wasseroberfläche, betrachtete das Spiel der Reflexionen und spürte eine Regung neben mir.
Mittlerweile hatte ich den Traum so oft, dass ich sofort wusste, wer es war. Ich drehte gar nicht erst den Kopf, sondern ließ meine Finger über die fremde Hand streifen. Es beruhigte mich noch mehr und löste ein feines, kleines Glücksgefühl in mir aus.
Ich konnte dieses Gefühl jedoch nicht halten und so war ich morgens regelmäßig einer der Ersten, die wach waren und durch die unteren Räume wanderte. Oft endete meine Reise jedoch bei der Hollywoodschaukel und ich setzte mir die Kopfhörer auf.
Seit ich wieder ins Internet konnte und Musik hörte, da holte ich alles nach, was ich so verpasst hatte.
Doch meistens ließ ich Not the one laufen.
Ich wusste, dass es Maras Song war und dass sie mit Not the one sich selbst meinte. Immer wieder klickte ich das Video zur Single an und stoppte, wenn sie durch das Bild lief. Ihr Haar war kürzer, aber ansonsten wirkte sie wie immer.
In meinem Kopf spielte sich zum tausendsten Mal unsere letzte Begegnung ab.
»Du widerst mich an!«
Und sie hatte recht damit. Denn als ich mit Raymond aufrollte, was ich Falsches in der Vergangenheit getan hatte, da hatte ich mit viel Scham und Selbstjustiz zugeben müssen, wie furchtbar ich Mara behandelte – dafür, dass sie mir als Kumpel so wichtig war.
»Wie konnte ich auch nur einen einzigen Moment glauben, dass du anständig bist, dass ich-«
Irgendwo zwischen all den kalten Hotelbetten, den zahlreichen Konzerten und der Einsamkeit hatte ich meine Anständigkeit verloren. Wann es passiert, das wusste ich selbst nicht so genau.
»Ich dachte... dass ich dir etwas bedeuten würde! Aber stattdessen bin ich für dich absolut austauschbar, wie all deine Schlampen!«
Jetzt, wo ich alleine auf der Hollywoodschaukel saß, ihren Song hörte und an all die Tage, die ich mit Mara hatte dachte, da begriff ich erst, wie weh ich ihr getan hatte und wie falsch meine Sicht war. Ich hatte uns als Kumpels abgestempelt.
»Wir sind keine verdammten Freunde! Checkst du das nicht!«
Es gab einen himmelweiten Unterschied zwischen Freundschaft und dass, was wir gehabt hatten.
»Ich bin verliebt in dich! Das wusstest du, du weißt es seit über einem Jahr! Denkst du echt, da hat sich irgendetwas dran geändert? Hältst du mich wirklich für die Art Mädchen, die mit dir schläft, einfach, weil es Spaß macht, ohne etwas dabei zu fühlen?«
Um die Wahrheit zu sagen, ich hatte all dies immer verdrängt. Mit solchen Gefühlen wollte ich mich nicht auseinandersetzen. Sie machten angreifbar und ich hatte nie gute Erfahrungen damit gemacht. Schließlich sah ich es doch an meinen Freunden: Liebe hatte jeden von ihnen haltlos fallen gelassen.
Raymond musterte mich nur ernst, als ich ihm dies erzählte, dann fragte er: „Denkst du, dass deine Freunde vielleicht anderer Meinung sind?"
Keine Ahnung, wir hatten schließlich nie darüber gesprochen. Mittlerweile wurde es jedoch besser. Die Jungs besuchten mich regelmäßig und auch wenn sich die Gespräche am Anfang zogen, so erkannte ich ihren guten Willen.
Nach meinem üblichen Programm am Tag, ich kannte den Plan mittlerweile auswendig, kamen sie getrennt oder alle zusammen vorbei.
Und als Harry eines Tages lächelte und sprach: „Du fängst an besser auszusehen", da blickte ich zum ersten Mal seit langem wieder richtig in den Spiegel.
Er hatte recht.
Ich hatte etwas Gewicht zugenommen und meine dunklen Schatten unter den Augen wurden blasser. Es kostete mich viel Kraft mich körperlich wiederaufzubauen, regelmäßig Sport zu machen und nicht in ein Tal aus Demotivation zu versinken.
Besonders als Lauren vor mir entlassen wurde.
Sie schrieb mir ihre Telefonnummer auf und sprach: „Wenn... naja, du mal reden möchtest, dann ruf ruhig an."
Ich lächelte und schrieb ihr die Meine auf: „Gleiches gilt für dich."
Es war ein seltsamer Abschied, fast als würde sie auf die andere Seite des Lebens gehen. Ihr Mann holte sie ab und als der elegante Mann sie fest in seine Arme schloss, da bemerkte ich die Ähnlichkeit, die Spencer mit seinem Vater hatte.
Ob Harry das wusste, oder gar die Eltern schon getroffen hatte?
Falls ich geglaubt hatte, dass mir ohne Lauren langweilig werden würde, so hatte ich mich getäuscht. Carl und Logan leisteten mir viel Gesellschaft, wir spielten viel Karten, Kicker und jedes Mal, wenn einer von uns verlor, dann musste er eine Sünde offenlegen.
Für den heutigen Tag kam Louis vorbei und wir verzogen uns zum Strand. Bud behielt uns im Auge und wir zogen unsere Schuhe aus, um das kühle Wasser zu spüren. Da der Strandabschnitt privat war, mussten wir nicht mit nervigen Fotografen rechnen.
„Wenn wir weiter so viel grillen, dann bin ich bald fett", beschwerte sich Louis bei mir und fasste sich an die nicht vorhandene Wampe. Er war unglaublich braun und lange hatte ich ihn nicht mehr so ausgeschlafen erlebt.
„Wie läuft es so mit Briana?", fragte ich und bemerkte, dass sein Gesicht kurz stehen blieb. Das Grinsen auf seinen Lippen verflüchtigte sich eine Spur: „Gut... ich meine... wir kommen klar."
Ich schob die Snapback in den Nacken und musterte Louis: „Und was heißt das jetzt für Dumme?"
„Keine Ahnung, ich...", Louis zögerte und trat durch das Salzwasser, „... ich kann das selbst nicht so genau erklären. Im Moment ist es einfach so, dass ich ihre Gegenwart genieße. Ich kann mich entspannen, völlig gehen lassen und muss nicht damit rechnen, dass sie mich irgendwie verurteilt."
Er rieb sich durch die Haare: „Das Einzige, was sie von mir erwartet, ist das ich mich um Freddie kümmere und Zeit mit ihm verbringe."
„Das ist nicht wirklich eine Anforderung, wenn man bedenkt, dass du nichts lieber tust", meinte ich amüsiert. Louis lächelte unsicher: „Ja, ich wollte mehr Zeit mit Freddie und... es ist komisch, dass sie mir die gibt. Wenn man bedenkt, was ich so gerissen habe, um ihr das Leben schwer zu machen."
„Wieso hast du dich damals überhaupt mit ihr eingelassen?", wollte ich wissen und schritt tiefer ins Wasser. Der Wind machte die Hitze erträglicher und Louis schob sich die Sonnenbrille zurück auf die Nase: „Ich war dauerhaft betrunken und na ja, ab und an auch high. Briana war nett zu mir und das hat mir gefallen."
Und er es wohl irgendwie auch gebraucht.
„Sie ist allgemein wohl schlicht ein nettes Mädchen", sprach ich und hörte Louis lachen: „Du täuschst dich, sie kann einen ziemlich gut anbrüllen oder in den Hintern treten. Als sie mit mir fertig war, hatte ich jedes Mal ein episch schlechtes Gewissen. Auch wenn es lange dauert, bis sie laut wird."
„Ist vielleicht auch genau das, was du ab und an brauchst", murmelte ich.
Eine Weile schlenderten wir schweigend nebeneinander her. Dann fragte ich: „Wie hast du es hinbekommen, dass du mit Briana wieder klarkommst?"
„Mich entschuldigt", antwortete Louis prompt. Ich blinzelte: „Das hat gereicht?"
Er zuckte mit den Schultern: „Nein, ich habe zugegeben, dass ich ein Trottel war und musste erst beweisen, dass ich mich wirklich bessern wollte. Wieso, was hast du aufgefressen?"
Ich konnte mit Louis nicht darüber reden und winkte deshalb ab. Ganz nach dem Motto: Nur so. Aber eigentlich fragte ich mich, ob es überhaupt eine Möglichkeit gab, wie ich das mit Mara wieder in Ordnung bringen konnte.
Aufmunternd schlug Louis mir bei seinem Abschied gegen die Schulter: „Egal, was du auch aufgefressen hast, es gibt immer eine Möglichkeit das zu kitten."
Da war ich mir nicht so sicher.
Mit Raymond bequatschte ich weiter die Alpträume und ein paar Tricks, was ich tun sollte, wenn der Drang nach Aufputschmittel übermächtig wurde. Langsam spürte ich, dass ich nicht mehr allzu lange da sein würde und ich sollte mich nicht täuschen, denn Raymond erklärte mir: „Wenn du das Center verlässt, Niall, dann wird dir die Welt ziemlich fremd vorkommen. So, als wärst du Jahre weg."
„Rechne ich irgendwie mit", gab ich in seiner Sitzung zu und Raymond reichte mir eine Liste an Telefonnummern und Hinweise, an die ich mich wenden konnte.
„Solltest du jedoch mit jemanden reden wollen-!"
„Dann rufe ich an", schloss ich seinen Satz, doch er lächelte: „Nein. Mich wirst du nicht anrufen, sobald du hier raus bist, ist mein Job erledigt."
Ich versteifte mich, doch Raymond blieb optimistisch. Sofort wurde mein Hals trocken und ich spürte, dass ich hier eigentlich noch gar nicht raus wollte. Die schweißnassen Hände rieb ich aneinander und sprach: „W-Was ist, wenn-!"
„Du bist so weit", nahm mir Raymond die Illusion. Er richtete sich auf: „Du gehst hier sauber raus, du weißt, was falsch gelaufen ist und noch wichtiger, du bist da draußen ganz sicher nicht mehr alleine."
Vielleicht, aber trotzdem erschien es mir, als würde man mich buchstäblich vor die Tür setzten. „Wann muss ich packen?"
„In drei Tagen öffnet sich das Tor zur Freiheit", orakelte Raymond gut gelaunt und deutete meine Miene richtig: „Hör zu Niall, nur weil du mich nicht anrufen sollst, heißt das nicht, dass du dir draußen nicht weiterhin Hilfe suchen darfst. Es gibt großartige Kollegen und Psychologen, die dich bestimmt so lange betreuen, wie du meinst es zu brauchen."
Das klang zu lässig und ich traute mir selbst nicht über den Weg. Die Erinnerungen, wie sehr ich meinen Stoff brauchte, als man mich einsperrte, war übermächtig. So kam es, dass ich abends mit Carl und Logan zusammensaß und fragte, wie sie das halten wollten. Aber es half mir nicht, weil ihre Sucht anders zu behandeln war.
Logan verdiente mit Videospielen sein Geld und Sexsucht war nichts, was man mit totalem Entzug auf irgendeine Weise heilen konnte.
„Das wird schon", meinte Carl bei einer Runde Skat und spielte mit seinen Karten. Dieses Ritual hatte für mich etwas Beruhigendes. Ich hatte das früher immer mit meinem Vater und Greg gespielt, mittlerweile hatte ich kaum Lust mich stattdessen mit meiner Gitarre zu beschäftigen.
Es war seltsam und ich hoffte, das würde sich vielleicht wieder ändern.
Als Liam mich besuchte, da blieben wir im Garten und spielten Tischtennis, so, wie wir es früher getan hatten. Es war am Anfang komisch, aber je länger wir spielten, umso mehr fühlte es sich wieder so an, wie vor langer Zeit.
„Gib es zu, du hast heimlich geübt!", empörte er sich und ich grinste: „Bisschen Nachhilfe, aber das war nicht der Rede wert."
„Du Angeber", hielt er mir vor und drehte sich die Snapback falsch herum, sodass er die Kappe im Nacken hatte: „Letzter Aufschlag, danach ist Ende im Gelände!"
Von wegen, wir spielten noch drei weitere Sätze und saßen am Ende auf dem Boden im Schatten und mit der nackten Hauswand im Rücken. Die Wasserflaschen waren schon zur Hälfte geleert und ich fragte, ohne, dass ich es geplant hatte: „Wieso hast du nicht im Sophia gekämpft?"
Sichtlich überfahren verschluckte er sich an seinem Wasser und hustete so heftig, dass ich ihm auf den Rücken klopfte. „Wie kommst du jetzt darauf?"
„Ist doch egal, also, warum hast du nicht?", wollte ich das Gespräch leiten und Liam schien darüber nachzudenken, dann schloss er die Flasche in seinen Händen: „Es gibt Dinge, die kann man nicht verzeihen und das, was ich getan habe, schließt dies mit ein."
Er streckte die Beine schwerfällig aus und sah mich an: „Habe ich da eigentlich noch das Recht zu versuchen sie irgendwie neu zu überzeugen ihre Zeit an mich zu verschwenden?"
Gute Frage.
Ich sah auf die Tischtennisplatte und dachte an Mara. Im Endeffekt war ich furchtbarer als Liam gewesen und er bestätigte nur, was ich schon ahnte. Egal welche Mühe ich mir geben würde, ich sah keinen Grund, wieso Mara mir verzeihen sollte.
Ich war ekelhaft, egoistisch und selbstsüchtig gewesen.
Wäre ich an ihrer Stelle, dann hätte ich mich selbst zum Teufel gejagt.
„Ganz ehrlich, Niall?", sprach Liam. „Ich glaube nicht, dass Mara dich besonders gerne wiedersehen will." Es war, als hätte er meine Gedanken gelesen. „Not the one macht eigentlich unmissverständlich klar, was du getan hast, wenn du denn wirklich Teil des Songs bist."
„Ich wünschte, es wäre anderes", gab ich trocken zu.
Er nickte: „Das habe ich mir jeden Tag gewünscht, seit Sophia weg ist."
Wir saßen in einer ähnlichen Situation, hatten uns beide scheiße verhalten und mussten mit der Quittung leben. Ziemlich bitter, auch wenn wir es verdient hatten.
„Vor allem, was willst du Mara sagen? Das ihr wieder Freunde sein wollt?", fuhr Liam fort. „Ihr seid nie wirklich Freunde gewesen, das ist dir doch klar, oder?"
„Nein, für mich war sie immer irgendwie ein Kumpel", sprach ich ehrlich und Liam brach in lautes Gelächter aus: „Schon klar, ich schlafe auch regelmäßig mit meinen Kumpels. Andy sagt, ich wäre der Knaller im Bett."
Ich gab ihm einen Stoß in die Seite, doch Liam lachte nur weiter: „Rede dir nur weiter ein, dass sie sich in diese Reihe gesichtsloser Puppen aufstellt, aber wir wissen alle, dass es so nicht war."
„Ihr habt überhaupt nichts mitbekommen!", behauptete ich, aber er winkte ab. „Mag sein, dass wir viel verpennt haben, aber das definitiv nicht. Als wir die Südamerika Tour anfingen, da bist du ständig mit ihr um die Häuser gezogen." Kurz rieb er sich das Kinn: „Und ihr habt in Los Angeles zusammengeschrieben, nicht wahr?"
„Das hat sich so richtig angefühlt", gab ich zu.
Liam lächelte: „Wir waren dämlich, als wir nicht einen ihrer Songs aufgenommen haben. Kein Wunder, dass sie keine Lust mehr hatte für einen Künstler auf diese Art zu arbeiten."
Da stimmte ich zu, denn mittlerweile verstand ich, wie enttäuschend es war, wenn man so viel Herzblut in etwas steckte und dann ständig abgewiesen wurde.
„Louis hat es alleine aufgenommen, du weißt schon, den Song, den Mara für ihn geschrieben hat", verriet Liam mir. Das passte zu Louis und es überraschte mich nicht.
Die Besuchszeit neigte sich dem Ende zu und wir erhoben uns. Liam und ich schlenderten ins Innere des Centers und in der Eingangshallte wollte ich ihn verabschieden, doch ihm schien noch etwas einzufallen.
„Nur, weil ich denke, dass man mir nicht verzeihen kann für meine Fehler, muss es bei dir nicht genauso sein", sprach er und ich blinzelte, ich brauchte einen Moment, bis ich ihn verstand.
Schwer atmete ich durch: „Nein, ich denke, man sollte realistisch sein. Ich werde das, was ich mit Mara hatte niemals zurückbekommen. Denn du hast recht, es gibt keinen Grund, wieso sie mir überhaupt zuhören sollte."
Liam verzog nachdenklich das Gesicht: „Ja, das sagt uns der Verstand, aber manchmal kommt es anders, als wir annehmen."
„Ich sollte es also dumm versuchen?", was dachte er sich, dass ich einfach mal gegen Wände rannte, oder glaubte, ich wäre die Ausnahme und man würde mir alles verzeihen, was ich so in den Sand setzte?
„Das habe ich nicht gesagt", korrigierte Liam mich, „du solltest jedoch wissen, worauf du dich einlässt. Manche Dinge kann man nicht gewinnen und andere fordern den Mut es zu probieren."
„Du klingst, als wären wir hier im Endspiel der Fußballweltmeisterschaft", spottete ich und Liam grinste: „Sorry, mir war danach große Reden zu schwingen."
Er hatte sich schon halb umgewandt, da drehte er sich noch einmal um: „Übrigens, Harry wird dich abholen, wenn du hier rauskommst."
Das klang alles noch so unwirklich und als ich Liam nachsah, da wurde mir einmal mehr bewusst, dass die Zeit im Center lief. Meine letzten Tage begannen und ich durchlief das gewohnte Programm, fast schon routiniert.
Und dann begann ich abends zu packen. Wirklich viel hatte ich nicht zu tun und ließ mir nach dem Frühstück Zeit.
Ich hätte es niemals für möglich gehalten, aber ich würde den geregelten Ablauf im Promises Treatment Center vermissen. All die Massagen, sogar die dämlichen Gruppensitzungen, aber auch das Zusammensein mit anderen, nur um simple Dinge zu tun.
Im Aufenthaltsraum blieb ich sitzen und verabschiedete mich je von Carl und Logan, dann mussten beide zum Yoga. Der dicke Millionär witzelte sogar: „Du weißt gar nicht, was dir da entgangen ist."
Doch, in dieser Hinsicht schon.
Carl war dünner geworden, es stand ihm, während bei Logan die tiefen Augenringe und die Blässe langsam nachließ. Beide hatten noch je eine Woche vor sich, dann verschwanden auch sie und ich war mir sicher, dass wir uns nicht noch einmal in diesem Leben treffen würden.
Wir waren hier schließlich nicht im Camp und niemand würde in zehn Jahren ein Treffen veranstalten für alle Süchtigen aus einer Gruppentherapie.
„Ihr Taxi ist da", sprach Bud lächelnd und schulterte mein Gepäck. Ich folgte ihm in jene Ankunftshalle, die ich einst nur widerwillig betreten hatte und traf dort auf Raymond. Er reichte mir die Hand, während Bud meine Sachen wegbrachte.
„Nun denn, einen angenehmen Tag", wünschte er mir und ich verstand, was er mir damit sagen wollte. Nämlich, dass ich die Chance nutze und mein Leben auch außerhalb auf die Reihe bekam.
„Ja, dir auch", antwortete ich knapp und Raymond zwinkerte, dann humpelte er zur Rezeption, wahrscheinlich um den nächsten Junkie zu retten.
Der Abschied von hier war merkwürdig, man spürte genau, dass die Leute damit viel Erfahrung hatten, denn sie blieben distanziert und fachlich. Niemand verdrückte ein Tränchen, vielleicht weil einige von uns in absehbarer Zeit zurückkehrten.
Dazu wollte ich nicht gehören.
Diese Hölle überlebte ich nur einmal und auf gar keinem Fall kehrte ich dorthin zurück.
Ich ging zum Ausgang, Bud kam mir entgegen, er knickte knapp: „Viel Glück."
Das war alles. Eigentlich wollte ich ihm danken, aber dann ließ ich es und stattdessen stieß ich die schwere Flügeltür auf. Morgendliche warme Luft empfing mich. Sonne briet auf mich herunter und ich schob mir die Sonnenbrille auf die Nase.
Suchend sah ich mich um und dann entdeckte ich Harry.
Er grinste breit, hob die Hand zum Gruß, trug genauso wie ich, eine Sonnenbrille auf der Nase und das für ihn typische bunte Hemd. Cool lehnte er sich aus seinem weißen Mercedes-Benz Caprio und hatte mein Gepäck schon verstaut.
„Willkommen in Freiheit, Knastbruder", rief Harry gut gelaunt und ich ging die Treppen zu ihm runter. Meine Gelenke fühlten sich an, als wäre ich alt und erschöpft, und ich selbst konnte nicht unterdrücken, dass es mir beinahe vorkam, als wäre ich tatsächlich ewig lange eingesperrt gewesen.
Mit jedem weiteren Schritt wurde mir jedoch eines besonders klar.
Man war niemals bereit für die Freiheit, wenn man das Promises Treatment Center verließ.
Auch ich nicht.
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