Kapitel 5

Isobell wusste, dass sie schrecklich aussah. Ihre Haare hatte sie einfach nach hinten gebunden, weil sie am Morgen nicht die Energie aufbringen konnte, irgendetwas damit zu machen. Sie trug aus dem gleichen Grund ebenfalls kein Make-up. Sogar ihr Weg zur Arbeit, schaffte es nicht ihr ein wenig Farbe auf ihre Wangen zu bringen.

Sie hatte, nachdem sie gestern Nacht aufgewacht war, schlecht geschlafen, und hatte sich den Rest der Nacht nur noch hin und her gewälzt. Ihr Bett sah aus, als wäre es auseinander gerissen worden. Träume, in denen sie in die Wohnung ihres Freundes ging, wiederholten sich andauernd, wurden immer klarer, und Markus von Mal zu Mal reueloser.

Der Stress vom wenigen Schlaf und den gestrigen Ereignissen bereiteten ihr Übelkeit, die darin gipfelte, dass Isobell, nachdem Marcie darauf bestanden hatte, dass sie etwas aß, ihr Frühstück wieder ausgebrochen hatte.

Jetzt schleppte sie sich selbst zur Arbeit, da sie nicht den ganzen Tag in Selbstmitleid zerfließen wollte. Isobell wollte stärker sein. Trotz der Tatsache, dass, wie sie wusste, die Möglichkeit bestand, sie Markus über den Weg laufen könnte. Oder wie sie Markus kannte und die Art wie er gestern Abend mit ihr gesprochen hatte, das ziemlich sicher war.

Nicht mehr als ein paar Sekunden, nachdem sie an ihrem Schreibtisch platz genommen hatte, klingelte ihr Telefon.

„Was auch immer er sagt, was auch immer er tut, wage es ja nicht, mit ihm zu sprechen oder ihn zu sehen. Bitte Issy, du weißt, dass es nur zu deinem besten ist."

Marcie...seufzte Isobell in Gedanken. Sie hatte diesen Vortrag bereits heute Morgen erhalten, als sie sich für die Arbeit fertig gemacht hatte, und mit der Migräne, die sich begann, in ihren Schläfen zu bilden, musste sie sich das wirklich nicht noch einmal anhören. Ungeachtet des Wissens, dass sich ihre Freundin nur um sie sorgte.

„Ich weiß, Marcie. Ich verspreche, das werde ich nicht, ich....ich muss nur heute überstehen, und dann ist Wochenende."

„So ist es recht. Ich ziehe los und fülle deinen Kühlschrank für dich auf, damit du nicht einmal deine Wohnung verlassen musst, Schätzchen. Ich werde dich am Samstag nicht sehen können, weil ich ein heißes Date habe, aber ich werde den ganzen Sonntag für dich da sein."

Isobell lachte über die Verwendung der Bezeichnung 'heißes Date'.

„Okay, wer ist sie denn?"

„Oh, nur ein Mädchen, dass neulich bei mir im Studio vorbeikam, wir haben uns gut verstanden, also habe ich die Chance ergriffen.", Isobell konnte das dumme Grinsen auf dem Gesicht ihrer Freundin förmlich sehen.

Isobell war die erste Person, der Marcie erzählt hatte, dass sie Homosexuell sei. Es war ein Teil des Grundes, warum ihre Freundschaft so stark war, sie vertrauten einander mit allem.

„Okay, viel Spaß. Ich will Sonntag alles darüber hören. Wir reden dann später."

„Bye Issy."

Isobell legte den Hörer auf und versuchte sich an die Arbeit zu machen.

***

Die Mittagspause kam schließlich und Isobell war dankbar, sie musste aus diesem Büro raus. Sie begann paranoid zu werden, es fühlte sich an, als ob jeder sie beobachten würde, als ob sie wüssten, was passiert war.

Als sie zu den Türen aufschaute, verschlug es ihr die Sprache, als sie sah, wie Markus hindurch kam und geradewegs auf sie zu kam.

Aufgebracht schaute sich Isobell um, in der Hoffnung irgendeine Art von Fluchtweg zu finden, aber sie wusste, dass es zwecklos war. Der einzige Weg nach draußen war der einzige Weg ins Innere.

Markus hatte ein flehendes Lächeln auf seinem Gesicht, als er darum bat, sie zum Mittagessen auszuführen.

„Bitte Issy, ich will nur reden. Ohne Druck, bitte."

Nachdem sie ein paar Sekunden auf ihrer Unterlippe herumgekaut hatte, eine Angewohnheit von ihr, wenn sie über Dinge nachdachte, gab Isobell schließlich nach.

„Okay.", antwortete sie mit leiser Stimme.

Sie liefen schweigend nebeneinander her, bis zu einem kleinen italienischen Bistro, dass wegen ihrer Pasta zu Isobells Lieblings-Restaurants gehörte. Als sie sich hingesetzt hatten, war die Spannung greifbar. Isobell wollte ihren Blick auf alles außer Markus gerichtet halten.

Markus griff über den Tisch und nahm Isobells Hand in seine, was dafür Sorgte, dass sie leicht zusammenzuckte, aber sie erlaubte ihn sie weiter zu halten.

„Issy, bitte schau mich an."

Isobell schaute ihn an, das üble Gefühl, dass sie heute Morgen bereits hatte, begann sich erneut einzustellen. Sie konnte nicht verstehen, wie die Leute so ruhig, kalt und distanziert bleiben konnten, wenn sie dieses Gespräch mit der Person hatten, die sie betrogen hatte. Isobell fühlte sich schwach wegen der Tatsache, dass sie hier saß und von ihm so betroffen war.

„Bitte Isobell, glaub mir, sie war nur ein Fehler, einer, von dem ich wünschte, dass ich ihn rückgängig machen könnte. Ich wollte dich niemals verletzen.", seine Stimme war sanft, es war einer der Gründe, warum sie ihn in erster Linie gemocht hatte. Seine Stimme war beruhigend und lullte sie in ein falsches Gefühl der Sicherheit ein.

„Aber das hast du.", sie schaffte es, ihre Stimme wieder zu finden, und sie zog ihre Hand aus seiner. Seine Berührung fühlte sich kalt und fremd für sie an.

Leicht seufzend antwortete er: „Ich weiß, dass ich das getan habe, und es tut mir so leid, aber es wird nie wieder passieren, das verspreche ich."

Die Migräne, die im Laufe des Morgens abgeklungen war, kam plötzlich mit aller Macht zurück. Isobell stöhnte innerlich, das war das letzte, dass sie jetzt brauchte.

„Ich weiß nicht, ich glaube nicht, dass ich dir noch einmal vertrauen kann.", Die Worte kamen automatisch aus ihrem Mund und leierten die Gründe runter, warum sie nicht wieder zu ihm zurückkehren würde.

„Bitte Issy, ich kann beweisen, dass ich vertrauenswürdig sein kann. Ich möchte das du bei mir einziehst. Also wirst du es? Wirst du bei mir einziehen?"

Seine Frage hing in der Luft und plötzlich wurde alles um sie herum still. Isobells Augen wurden groß, als die Bedeutung seiner Frage einsank. Er wusste, dass es sie auf diese Weise beeinflussen würde, da er alles aus ihrer Vergangenheit wusste.

Sie konnte nicht atmen, seine Anwesenheit erstickte sie. Isobell musste hier weg und alles überdenken. Sie glaubte nicht, dass sie noch viel länger in seiner Nähe bleiben konnte, ohne sich ihm zu beugen, nur um die Dinge einfacher zu machen.

Ihr Stuhl kratzte über den Holzboden, als sie aufstand.

Markus schaute wegen ihrer plötzlichen Bewegung überrascht drein und begann ebenfalls aufzustehen, bevor Isobell ihn mit einer Handbewegung aufhielt.

„Bitte, nicht, ich muss nachdenken. Ich rufe dich an, bitte ruf mich nicht an.", schaffe sie es hervorzubringen, bevor sie das Bistro verließ.

Er saß erschrocken da. Markus war sich sicher, dass sein Angebot bei ihm einzuziehen, genügen würde. Er konnte sehen, dass sie fast zugestimmt hätte, bevor sie plötzlich von ihrem Stuhl gesprungen war.

Markus konnte die Blicke des wartenden Personals auf sich spüren, ihn beurteilten. Da er keine Ursache für Tratsch sein wollte, stand er ruhig von seinem Stuhl auf und verließ das Bistro ebenfalls.

*****

Müde drückte Isobell die Türe zu ihrer Wohnung auf und brach erschöpft auf ihrem Sofa zusammen. Der Nachmittag war der schlimmste ihrer Arbeits-Karriere gewesen. Sie konnte nichts richtig machen, machte überall Fehler und war nicht in der Lage sich zu konzentrieren. Sogar ihr Abteilungsleiter hatte sie zur Seite genommen und sie auf ihre markante Änderung ihrer Einstellung und ihren Fähigkeiten angesprochen.

Sie schloss ihre Augen, lehnte ihren Kopf zurück, und massierte sich sanft ihre Schläfen. Die Migräne begann sich aufzulösen, während sie das tat. Sie blieb eine Weile so liegen und ihre Hände fielen schließlich zur Seite, als sie langsam begann in den Schlaf zu driften.

Das schrille Klingeln ihres Telefons riss Isobell einige Zeit später aus ihren Schlaf. Gähnend nahm sie den Hörer ab.

„Hallo?"

„Hey, ich bin es."

Isobell schwieg ein paar Augenblicke, als sie versuchte die Stimme zuerkennen.

„Wer ist ich?"

Die Person am anderen Ende der Leitung gab ein nervöses Lachen von sich, bevor sie antwortete.

„Der Kerl, den du gestern fälschlicherweise angerufen hast, du weißt schon, der 'du kannst dich jederzeit wieder zu mir verwählen Typ'?" Isobell lachte als sie ihn erkannte. „Ich wusste, du würdest dich an diesen kitschigen Satz erinnern."

„Von allen, war das der unvergesslichste."

„Ähem, ja, nun, jedenfalls wollte ich hören, wie es dir geht, wir hatten gestern nicht die Gelegenheit uns anständig zu verabschieden, und ich wollte mich nur vergewissern.", Archie schlug sich ungläubig darüber, dass er plapperte, mit einer Hand vor die Stirn. „Also, wie geht es dir?"

Isobell lächelte über seine Sorge und dann erinnerte sie sich plötzlich daran, was heute in der Mittagspause mit Markus passiert war.

„Oh, mir geht's gut.", Isobell versuchte einen Hauch von Lässigkeit vorzutäuschen, jedoch hörte Archie das sofort heraus.

„Nein geht es nicht, bitte, ich hab angerufen, damit du jemanden zum Reden hast, also bitte sag mir, was passiert ist."

Isobell atmete tief durch und versuchte sich selbst, vor ihren aufsteigenden Gefühlen zu festigen. Sie wollte wirklich nicht schon wieder ins Telefon heulen, so wie sie es gestern getan hatte.

„Nun, ich habe es geschafft, mich heute Morgen zur Arbeit zu schleppen, in der Hoffnung mich von allem abzulenken. Stattdessen kam Markus vorbei und bat mich mit ihm Mittagessen zu gehen. Und da ich nun mal der Dummkopf bin, der ich bin, hab ich mich von ihm ausführen lassen. Er hat versucht mich davon zu überzeugen, dass es alles ein Fehler war, aber die ganze Zeit über, die ich da war, war mir schlecht. Mir war schlecht, weil ich mir selbst erlaubt habe, so schwach zu sein und mich von ihm hab so beeindrucken lassen. Dass ich mir erlaubt hatte, ihn zu lieben. Dann hat er mich gefragt, ob ich bei ihm einziehen möchte, und ich wusste....ich wusste, wenn ich nicht sofort da verschwinden würde, ich ja gesagt hätte, denn er wusste, was das für mich bedeuten würde, er weiß alles über meine Vergangenheit. Markus wusste ganz genau, was passieren würde, wenn er mich bitten würde, bei ihm einzuziehen. Aber ich habe es geschafft, dort zu verschwinden."

Isobell atmete schwer, beschämt darüber, dass ihr alles auf diese Weise herausgeplatzt war.

Beide schwiegen, als sie über die Informationen nachdachten.

„Was meintest du damit, als du gesagt hast, dass du dir erlaubt hast, ihn zu lieben?" er war vorsichtig bemüht nach ihrer Vergangenheit zu fragen, ohne geradewegs auf eine Art dort hinein zu stochern, die ihr nicht gefallen würde.

„Also...ich glaube, dass die Liebe nicht von sich selbst aus geschieht. Es passiert, wenn du es dir aussuchst oder es geschehen lässt. Es geht nicht darum, dass die andere Person dich dazu bringt, sie zu lieben, es geht darum, dir selbst zu erlauben, sie zu lieben."

Archie war von ihrer Antwort überrascht. Er hatte irgendeine Antwort erwartet, die damit zusammenhing, dass sie in der Vergangenheit von jemanden verletzt worden war. Nicht so etwas. Er dachte über ihre Worte nach, er hatte nie in dieser Hinsicht an die Liebe gedacht. Er wusste ganz genau, dass die Liebe niemals das Märchen war, dass aus ihr gemacht wurde, aber er hatte nie gedacht, dass es eine Wahl wäre, jemanden zu lieben. Archie war immer davon ausgegangen, dass es einfach passierte, von sich aus, wie sie gesagt hatte.

Aber das half ihn immer noch nicht, bei seiner gegenwärtigen Situation, zu versuchen ihr zu helfen. Er wusste, dass er sie gerade heraus fragen musste.

„Was ist in deiner Vergangenheit passiert, dass er dich so manipulieren kann?"

Schweigen folgte seiner Frage und Archie glaubte, er hätte versucht, zu früh zu tief zu graben.

„Tut mir leid, ich bin ein Idiot. Ich sollte dir nicht so persönliche Fragen stellen."

„Nein, ist okay. Es ist nur...es, ich finde es nur schwierig darüber zu sprechen.", Archie war überrascht, als sie antwortete.

„Nimm dir ruhig Zeit, ich gehe nirgendwo hin.", versicherte er ihr.

Isobell schloss die Augen, als sie darüber nachdachte, was passiert war, als sie noch klein war. Obwohl sie im Alltag darüber hinweg war, beeinflusste sie es immer noch emotional. Das war mehr als offensichtlich.

„Meine Eltern starben bei einem Autounfall, als ich neun war. Ich kann mich nicht erinnern, was in diesen wenigen Tagen passiert ist, nachdem ich herausgefunden habe, dass ich sie nie wieder sehen würde. Aber ich erinnere mich an dieses Gefühl völliger Leere, wie als könnte mich nichts jemals davon abhalten zu fallen.

Ich wurde in die Obhut meiner Tante und meines Onkels gegeben und obwohl ich mir sicher bin, dass sie mich tief in ihrem inneren geliebt haben müssen, hatten sie keine Ahnung, was sie mit mir machen sollten. Sie hatten keine eigenen Kinder und hatten danach auch keine. Ich denke, es liegt daran, dass sie zu sehr ineinander verliebt sind, um die Liebe mit jemanden zu teilen. Ich war so ruhig und schüchtern, dass es ihnen schwerfiel, mit mir zu reden. Ich schätze, dass viel von dem meine eigene Schuld war."

Archie atmete scharf ein, wie konnte sie das denken?

„Sie reisten viel, sie sind beide Archäologen. Du solltest ihr Haus mal sehen, randvoll mit interessanten Artefakten und Krimskrams, von dem du dir nicht mal annähernd vorstellen könntest, dass er existiert. Das half unserer Beziehung ebenfalls nicht.

Im Laufe der Jahre fühlte ich mich immer einsamer, das Haus wurde kalt und leer für mich. Sie hatten Leute dort, die für sie gearbeitet haben; Köche, Putzleute, aber sie wollten nie mehr Zeit mit mir verbringen, als nötig war. Ich sehnte mich nach jemanden, der mir nur einen Hauch von der Liebe zeigte, die meine Eltern mir gegeben hatten, so sehr, dass ich fast ohne sie nicht funktionieren konnte.

Ich fiel während des Anfangs meiner Teenager Jahre in ein Loch, von dem ich dachte, dass ich niemals wieder hinaus kommen würde. Bis Marcie kam. Sie wohnte neben meiner Tante und meinen Onkel und ich erinnere mich daran, dass ich mit ihr gespielt hatte, als ich mit meinen Eltern früher immer zu Besuch war. Eines Tages tauchte sie einfach vor meiner Haustüre auf und teilte mir mit, dass ich für mein eigenes Wohl viel zu deprimiert aussah, und dass sie mich aufmuntern würde."

Archie lächelte leicht über die Erinnerung, die sie mit ihm teilte.

„Seither ist sie meine beste Freundin. Aber deshalb wusste Markus, was es bedeuten würde, mich zu bitten bei ihm einzuziehen. Ich erzählte ihm von der Zeit, in der ich zu Marcies Haus hinüber gegangen und wo ihre ganze Familie gewesen war. Wie sehr ich mir wünschte, zu so etwas nach Hause zu kommen, wo jemand auf mich wartet."

Isobell seufzte und lehnte sich auf dem Sofa zurück. Sie fühlte sich erschöpft, ihm so viel ausgeschüttet zu haben.

Beide schwiegen für eine Weile, zufrieden damit, den anderen beim Atmen zuzuhören. Archie wollte ihr einfach die Zeit geben, sich mit allem auseinanderzusetzen, was sie ihm gerade erzählt hatte. Er konnte nicht glauben, wie Markus sie ausgenutzt hatte. Der Drecksack verdiente sie nicht.

„Danke, dass du mir zugehört hast. Ich weiß nicht warum, aber mit dir zureden, obwohl ich dich nicht einmal kenne, scheint so...." Isobell fiel kein Wort ein, um es zu beschreiben.

„Einfach." beendete Archie für sie den Satz.

Isobell lächelte, das war es ganz genau.

„Ja, genau."

Beide blieben für den Rest der Nacht am Telefon, redeten gelegentlich oder verfielen bisweilen in angenehmes Schweigen. Beide waren einfach dankbar, dass der andere da war.

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