Wirklichkeit

"Jeder sah die Umgebung mit anderen Augen und da war ich mir sicher. Es gab keinen einzigen Menschen, der die Welt genauso sah, wie ein anderer. Dafür könnte ich meine Hände ins Feuer legen. So sicher war ich mir!"

Das sind Gedanken der achtzehnjährigen Protagonistin Liah. Mit diesem Zitat von Miirabea aus "Die Legende der fliegenden Seelen" wird ausgesagt, dass jeder in seiner eigenen Welt lebt und jeder seine eigene Wirklichkeit besitzt. 

Die nächste Feststellung ist einem Gedankenaustausch, den ich mit der Autorin KatInTheCradle hatte, entnommen: 

"Unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit ist vielfach determiniert, Sprache ist einer dieser Determinismen." 

Unsere Sinneswahrnehmungen, Erfahrungen, Überzeugungen, die individuell unterschiedliche Sozialisation, Erwartungen, Vorurteile und das Unterbewusste: All das und noch viel mehr spielt eine Rolle bei der Konstituierung dessen, was für jeden Einzelnen seine Wirklichkeit ist. 

Betrachten wir einmal die Rolle der Sprache. Ein klassisches Beispiel für eine je nach Sprache andere Sicht auf die Welt sind die Unmengen verschiedener Wörter für die unterschiedlichen Arten von Schnee in der Sprache indigener Völker im nördlichen Polargebiet. Doch leider hatte der Ethnologe Franz Boas Unrecht mit seiner Behauptung hinsichtlich dieser vielen Wörter für Schnee in der "Eskimo-Sprache", die es auch gar nicht gibt, sondern viele verschiedene Sprachen unterschiedlicher Völker, die im hohen Norden wohnen. Benjamin Lee Whorf und andere haben Boas diese These einfach geglaubt, weil sie so gut in Konzepte des Kulturrelativismus passte.

Ein anderes Beispiel: Australische Aborigines beschreiben räumliche Verhältnisse mit Hilfe der Himmelsrichtungen, weil in ihrer Spache die Wörter "rechts" und"links" fehlen. 

Etwas für Starwars-Fans:  "Grammatik gelernt bei Yoda ich hab." - Yoda folgt einfach der Syntax der japanischen Sprache und schon sieht die Welt irgendwie anders aus.  

Dem Yale-Wissenschaftler Keith Chen zufolge werde in in jenen Ländern, in deren Sprache keine Zukunftsform vorhanden sei, mehr gespart und vorgesorgt, aufgrund der fehlenden Unterscheidung zwischen Gegenwart und Zukunft.

Wie entsteht nun unsere individuell und vom jeweiligen sprachlich-kulturellen Hintergrund determinierte Vorstellung von dem, was wir für "die Wirklichkeit" halten?

Es sind nicht nur unsere beschränkten Sinne, welche uns sowieso nur winzig kleine Ausschnitte des möglicherweise Vorhandenen erkennen lassen, nein, wir wissen noch nicht einmal, ob das, was wir wahrnehmen, überhaupt da ist. Vielleicht sind alles nur Illusionen, Abbilder, Projektionen, elektrische Impulse, die jemand, den wir nicht kennen, durch unser Hirn jagt. Oder es ist das Werk von Drogen, Chemie, eines Hormoncocktails, von unbekannten Botenstoffen, wer weiß das schon?

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