3 | Nachtspaziergänge
Yana
Dosen-Ravioli schmeckten nie besser als auf Festivals. Vor allem kalt und direkt aus der Dose, während die Sonne auf den Kopf prallte. Besser gings nicht. Ich konnte nicht sagen, wie sehr ich solche Momente während der Pandemie vermisst hatte. Und wie viel das wieder gut machte. Mit den richtigen Leuten aufm Campingplatz hängen, sie alle so ungewaschen wie ich. Leben war gut manchmal.
Ich schob mir eine weitere Gabel in den Mund. Dabei tropfte Tomatensoße auf mein schwarzes Top, das ich mir mit einem Haargummi zu einem bauchfreien gebunden hatte. Egal. Auf der anderen Seite des Weges hatten ein paar Leute angefangen Twister zu spielen. Auf einmal begann eine Person, sich ihrer Klamotten zu entledigen und es ging nicht lange, bis andere es ihr gleich taten. Unzählige Tattoos waren zu sehen. Tattoos auf normalen Körpern mit Speckrollen, ungleich großen Brüsten, Bierbäuchen und so weiter. Schon krass, dass es ungewohnt sein konnte, durchschnittliche Körper zu sehen. Ungewohnt und doch schön. Denn es tat gut zu wissen, dass auch andere nicht so aussehen, wie die Medien es darstellten.
»Yana. Du und ich. Beim Nackt-Twister«, grinste Mel, die ebenfalls auf das Spektakel aufmerksam geworden war.
»Niemals. Gibt Sachen, die behalte ich gerne für mich.« Ich lachte und streckte ihr die Dose hin. Sie griff mit den dreckigen Fingern hinein und angelte einen Raviolo, den sie sich auf die Zunge legte.
»In Ordnung. Aber du bist doch sicher meine größte Supporterin, wenn ich blank ziehe und da mit mache?« Auf Mels Lippen lag ein Grinsen, das ihre spitzen Schneidezähne zeigte, von denen einer abgebrochen war.
»Absolut. Also auf geht's.« Ich klemmte meine Mische unter den Arm, nahm die Dose in die Hand und in die andere meinen zusammengeklappten Campingstuhl. Gemeinsam steuerten wir die Gruppe an.
»Darf ich mich anschließen?« Mel lächelte die Spielenden an.
»Ja, klar. Herzlich Willkommen bei Nackt-Twister.« Eine Person machte eine überschwängliche Verbeugung und während ich es mir auf meinem Camping-Stuhl neben zwei anderen Leuten gemütlich machte, zog sie sich ihre Klamotten aus.
Vor den FLINTA*-Klos war eine lange Schlange. Ich stellte mich an, ehe ich damit begann, mir eine Kippe zu drehen. Zeit dafür war allemal. Die Putzkraft ging mit einer Tüte Klopapierrollen an mir vorbei und mein Blick blieb an den Tattoos des Menschen vor mir hängen. Unscheinbare Linien zogen sich über den Nacken und das Schulterblatt und ich fragte mich, ob sie eine Bedeutung hatten. Während ich noch darüber nachdachte, setzten sich plötzlich die verschiedenen Teile zusammen.
Dieses Muttermal an der Stelle, an der der rechte Arm in die Schulter überging.
Die Größe, die Körperform.
Kurz musterte ich sie, als müsste ich mich vergewissern, dass sie es tatsächlich war. Die kurzen rosa Haare waren tatsächlich verschwunden, stattdessen fielen ihr dunkle Locken auf die Schultern. Ihre Klamotten waren nicht mehr so abgenutzt und ranzig, und vor allem nicht viel zu weit. Stattdessen trug sie ein enges, schwarzes Top und einen langen Rock, der an der Seite über einen Schlitz verfügte. Ich sah einen Teil ihres Unterschenkels und die dunklen Haare, die dort wuchsen.
»Edina?« Mein Herz begann so schnell zu schlagen, dass es wehtat. Es hämmerte in meiner Brust, unkontrollierbar.
Sie drehte sich zu mir um und Überraschung zeichnete ihr Gesicht. Dunkle Augenbrauen, die nach oben wanderten. »Oh, hi.« Hatte ich sie früher perfekt lesen können, so konnte ich jetzt ihre Miene nicht deuten. War es Ablehnung? Doch dafür wirkte sie zu offen. Freute sie mich zu sehen? Dafür wirkte sie zu distanziert.
Ich zog an meiner Zigarette. »Hey. Ja, krass, ich hab nicht mit dir gerechnet.« Nicht mehr. Nicht mehr, nachdem ich jahrelang auf ein Wiedersehen gehofft hatte.
»Ich auch nicht mit mir. War überhaupt nicht mein Plan, hierhin zu kommen.« Edina lachte. Ihr Lachen klang wie früher und doch irgendwie anders. Nicht so zurückhaltend, nicht so schüchtern, sondern eher wie das eines Menschen, der sich leicht tat, andere kennenzulernen und auf sie zuzugehen.
»Wieso bist du doch hierhin gekommen?« Wir rückten in der Schlange vor und vor uns war nur noch eine Person, die für die Klos anstand.
»Ich hab mitbekommen, dass Leute fürs Awareness-Team fehlen und es deswegen fast nicht zustande kam. Das kann nicht sein, fand ich. Es ist so wichtig, dass sich Menschen auf Festivals drum kümmern. Und generell überall.«
Edina hatte sich verändert. Also klar, es lagen über sechs Jahre zwischen unserem Treffen und es war kein Wunder, dass diese Zeit etwas mit uns gemacht hatte, und doch war es seltsam. Als würde ich einer Fremden gegenüber stehen. Einer Fremden, die nicht so unfassbar verschlossen war, die sich nicht verängstigt vor der Welt versteckte.
Es hätte mich für sie freuen sollen, dass sie sich so verändert hatte. Dass sie aus sich rausgekommen war, dass sie Dinge machte, die ihr wichtig waren.
Und doch tat es irgendwie weh. Weil ich am liebsten bei all dieser Veränderung dabei gewesen wäre. Weil ich sie gerne auf ihrem Weg unterstützt hätte ...
»Da hast du recht.« Irgendwie wusste ich nicht, was ich dazu sagen sollte. Ich hätte besser etwas Inhaltsvolleres beigetragen, einen Gedanken, der mich nicht so klingen ließ, als hätte ich keinen Bock auf dieses Gespräch. Das hatte ich. Das hatte ich verdammt sehr. Am liebsten würde ich zu einem langen Spaziergang zusammen mit ihr aufbrechen und unter hohen Tannen über alles reden, was damals so vorgefallen war. Und ihr endlich erklären, warum ich mich so beschissen verhalten hatte. Aber wahrscheinlich konnte sie sich das schon denken ...
Und sowieso, es würde nur rechtfertigend klingen.
Es wäre nicht angebracht, mein Fehlverhalten kleinzureden und das würde ich damit tun.
Edina erwiderte meinen Blick und ich hätte zu gerne gewusst, was in ihr vorging. Was sie von mir dachte, wie sie sich mir gegenüber fühlte. Ob da dieselbe Enttäuschung war wie damals, als wir uns zum letzten Mal gesehen hatten.
Noch immer schlug mein Herz schmerzhaft schnell. Die Zeit, in der wir hier in der Kloschlange standen, fühlte sich zähflüssig langsam an.
Die Person vor uns verschwand im Klo. Ich rauchte, inhalierte viel zu tief. Wollte nur weg hier und gleichzeitig bei Edina sein. »Wie geht's dir so? Wie isses in der großen Stadt?« Ich verzog meine Lippen zu einem schiefen Grinsen.
»Das haben mich heute echt schon einige gefragt.« Edina lachte und es war so seltsam, diese Worte aus ihrem Mund zu hören. Früher hätte sie die bloße Vorstellung davon, angesprochen zu werden, stark gestresst.
»Und? Bekomm ich auch die Antwort, die alle bekommen haben?« Ich grinste und aschte auf den Boden.
»Ist ganz cool. Nette, offene Leute, viele Möglichkeiten, ich kann mich nicht beklagen.« Jetzt klang sie unfassbar verschlossen. Als wäre da eine deutliche Grenze, die sagte: Näher lass ich dich nicht ran. Für dich ist kein Platz mehr in meinem Leben.
Mittlerweile hatte mein Herz aufgehört zu schlagen. Es zog sich zusammen, ein unangenehmer Druck, denn es gab manche Sachen, die konnte man nicht mehr gutmachen. Und manche Beziehungen waren eben schon vorbei, ehe sie richtig angefangen hatten.
In diesem Moment wurde ein weiteres Klo frei und Edina lächelte etwas. »Tschüss!«
Kein Bis dann, kein Wir sehen uns, auch wenn das auf so einem kleinen Festival nicht unwahrscheinlich war. Nur ein Tschüss, das keinen Raum freiließ für Interpretationen.
Als endlich die nächste Kabine frei wurde, drückte ich meine Kippe schnell aus und verstaute sie in meinem Taschen-Aschenbecher. Sperrte die Tür hinter mir zu und lehnte mich dagegen. Musste diese Begegnung erst mal sacken lassen. Mein Blick blieb an den zahlreichen Stickern hängen und an den Wänden, die mit politischen Sprüchen bekritzelt waren. My body is not ur porn stand da, und smash the patriarchy.
Das mit Edina war schon so lange her und doch wirbelte sie noch so viele Gefühle in mir auf. Keine, die ich genauer deuten konnte. Nur, dass in mir ein rabiater Wirbelsturm tobte, der bereit war, verdammt viel mit sich zu reißen. Ich vermisste sie mit einem Mal so sehr. Alles, was damals zwischen uns war. Die Nähe zu ihr, die ich wie keine andere genossen hatte. Denn bei ihr fühlten sich Berührungen angenehm an. Hatten sich angefühlt, denn wie es heute wäre, wusste ich nicht. Und würde ich auch nicht mehr herausfinden, denn diese Sache war vorbei.
Tief atmete ich durch und pinkelte dann. Wartete noch ein paar Augenblicke in der Kabine. War genug Zeit verstrichen, dass Edina und ich uns nicht so awkward beim Hände waschen über den Weg laufen würden?
Ich drückte die Spülung und wagte den Vorstoß. Bei der Wasserstelle entdeckte ich zwei Menschen, die sich die Zähne putzten, und eine andere Person, die ihr dreckiges Geschirr spülte. Doch zum Glück keine Spur von Edina. Kurz machte ich noch mein Bandana nass und band es mir in die Haare, um meinen Kopf zu kühlen.
Ich entschied mich dagegen, ins Camp zurückzukehren. Kein Bock darauf, dass meine Freund*innen direkt checken würden, was mit mir los war. Dass mich irgendwas beschäftigte. Dass sie dann zwar verständnisvoll damit umgehen würden und mich vielleicht nicht ausfragen, aber trotzdem. Es war schon anstrengend genug, würden sie überhaupt wissen, dass etwas los war.
Langsam schlenderte ich über das Festivalgelände und lauschte der Musik, die von der Bühne kam. Es war kurz nach Mittag, und eine der ersten Bands spielten. Zwei Frauen, die eine mit Gitarre, die andere mit Bass, die englischen Punk machten. Ich kannte sie nicht, aber nahm mir vor, mir später ein paar Songs von ihnen zu speichern. Klangen ganz nice.
Da blitzte vor meinem inneren Auge eine Erinnerung auf, die ich die letzten Jahre in Schach gehalten hatte. Nachts, wenn ich in meinem Bett bei meiner Mama zuhause lag und nicht schlafen konnte. Auf YouTube herumhing, meine ganzen mobilen Daten dafür draufhaute, weil unser WLan mal wieder abgestellt war. Ein paar Songs entdeckte, sie Edina schickte. Wie auch sie wach war, in Nächten, die nur uns gehörten. Wie wir über Songzeilen diskutierten, wie sie kleine Skizzen zu meinen liebsten Lines malte. Irgendwo auf einer Festplatte hatte ich noch die Bilder, die sie mir damals geschickt hatte.
Wie lange das mittlerweile her war? Das muss irgendwann kurz nach meinem Abschluss gewesen sein ... also bestimmt schon acht, neun Jahre. Irgendwie unwirklich. Wie verwaschen und doch klar sich diese Erinnerung anfühlte. Eine Erinnerung an eine Zeit, die so viel schmerzhafter war und sich doch viel leichter, schwereloser anfühlte als die heutige, deren Mühlen des Erwachsenseins nur schwermütig mahlten.
»Kann ich dir ein paar Sticker anbieten?« Ein älterer Typ mit geflochtenem Iro streckte mir einen Stapel Sticker hin und ich schreckte auf. Schien um Seenotrettung zu gehen, soweit ich das erkennen konnte. Erst da wurde mir klar, dass ich bei meinem Streifzug über das Gelände an einem Stand stehen geblieben war.
»Äh, ja, klar. Sticker sind immer gut.« Ich grinste schief. »Was genau macht ihr denn?«, erkundigte ich mich, während es guttat, unter dem schützenden Schatten des Pavillons zu stehen. Mittlerweile schlug die starke Hitze, der viele Alkohol und das wenige Wasser auf meinen Kreislauf. Ich nahm mir vor, gleich an der Wasserstelle etwas zu trinken, während ich mich mit dem Typen über die Aktionen der Gruppe im Mittelmeerraum unterhielt. Aktuell sammelten sie Spenden für die Reparatur ihres Schiffs.
»Ey yo, Yana Banana mit dem Bandana!«, brüllte da jemand und auch ohne mich umzudrehen wusste ich, dass das Jeremy war. Jeremy, der sich lieber mal wieder auf den Trecker seiner Eltern setzen sollte und damit durch McDrive düsen, das war mehr sein natürlicher Lebensraum als ein Punkfestival.
»Yana Banana mit dem Bandana?«, wiederholte ich skeptisch und wandte mich zu ihm um. Zur Untermalung meiner Worte hob ich eine Augenbraue.
»Passt doch.« Er deutete auf mein Bandana.
»Ich seh keine Banane.« Ich ging ein paar Schritte vom Stand weg, um Platz für ein paar Leute zu machen, die sich die ausliegenden Flyer anschauen wollten. »Und was auch immer du jetzt sagen willst, es gibt keine lustigen ‚höhö, aber in meiner Hose ist eine'-Sprüche.«
Jeremy legte eine gespielt beleidigte Miene auf. »Sowas traust du mir zu?«
»Ich trau dir ganz schön viel zu«, konterte ich und nahm das Bier entgegen, das er mir in diesem Moment hinstreckte. Bedankte mich. Es schmeckte angenehm kühl, der Becher war feucht angelaufen von der Kälte.
Vielleicht bildete ich es mir nur ein, doch für einen Moment tauchte in Jeremys Gesicht ein Schatten auf. Ein dunkler Gesichtsausdruck, als würden meine Worte verdrängt geglaubte Gedanken in ihm aufwühlen. Aber vielleicht war es auch nur eine Einbildung gewesen, denn der Augenblick war so schnell vorbei, wie er gekommen war.
Ich gab Jeremy sein Bier zurück. »Viel Spaß noch«, sagte ich, eindeutig als Abweisung zu verstehen.
»Und so ändern sich die Zeiten. Früher wolltet ihr alle mit uns chillen, heutzutage rennt unsereins euch hinterher.« Jeremy schüttelte den Kopf und trank fahrig aus seinem Bier.
Ich seufzte. Manchmal war es ganz okay mit ihm und manchmal konnten wir auch Spaß zusammen haben, aber heute überspannte er den Bogen und das gewaltig. Ich hatte keine Ahnung, wie Mel ihn so gut finden konnte, dass sie sogar mit ihm ins Bett stieg. Aber na ja, da hatte wohl jede*r andere Geschmäcker und wer war ich, darüber zu urteilen. Mel konnte meine Frauenwahl bisher auch nicht nachvollziehen. »Komm mal klar. Seh ich aus, als hätt ich je was auf deine Dorfatzen gegeben?«
Kopfschüttelnd ließ ich ihn stehen, während er irgendwas davon brabbelte, dass das ja so nicht gemeint war. Keine Ahnung, warum, aber seine Aussage regte mich auf. Ich hatte nie zu diesen Cliquen dazu gehören wollen, die sich in unseren Dörfern gebildet hatten. Die jeden ausschlossen, dessen Eltern Probleme hatte, die nicht ins Bild passte. In Gegenden wie unserer warst du nur wer, wenn du nicht aus der Reihe tanztest. Mit Narben auf den Armen und einer Sexualität, die nicht hetero war, warst du ein Niemand. Nicht würdig, mit ihnen im Bauwagen abzuhängen, die selbsternannten Thronsäle der Abgehängten.
Irgendetwas an seiner Aussage machte mich sauer und ich brauchte, um zu verstehen, was das war. Da stand ich schon längst an den Wellenbrecher gelehnt da, eine Kippe zwischen meinen Fingern, die mittlerweile verklebt von Schweiß und Bier waren. Es war die selbstverständliche Hierarchie, die in seinen Worten mitschwang. Wir da oben und ihr da unten. Generell, wir und die, dieses Einteilen in zwei unüberwindbare Gruppen, das wir seit unserer frühen Jugend, nein, wohl eher unserer Kindheit kannten. Jeremy und ich, das war nicht dasselbe Level. Und es stand für ihn außer Frage, dass früher alle so cool sein wollten wie er, obwohl sie nichts hatten, das ich je hatte haben wollen.
Ich war die letzte, die noch auf ihrem Campingstuhl saß, als alle anderen aus unserer Gruppe sich längst in ihren Zelten verkrochen hatte. Aus dem von Ronja und Mel war gelegentliches Flüstern zwischen zwei Personen zu hören, deren Stimmen ich Mel und Jeremy zu ordnete. Manchmal Lachen. Ansonsten war nicht mehr viel los. Bis auf Musik, die irgendwo aus der Ferne klang, war es still und ich hörte das Rauschen des Windes in den Bäumen. Es war frisch und ich hatte mich in meinen Kapuzenpulli gekuschelt.
Bald erhob ich mich und lief über den Zeltplatz, meine Hände in den Taschen meiner langen Jogginghose vergraben, die ich gegen meine kurze ausgetauscht hatte.
Immer wieder tauchte die Erinnerung daran auf, wie es sich angefühlt hatte, Edina früher so nahe zu sein. Sie hatte mir Sicherheit vermittelt, Ruhe vermittelt. Sie im Arm zu halten, war eine besondere Nähe gewesen. Wie es war als wir damals zusammen auf dem Festival gewesen waren. Ich erinnerte mich daran, wie wir erst nur die Tage hier verbracht hatten, weil wir noch keine achtzehn gewesen waren und uns unsere Eltern keine Nächte auf dem Campingplatz erlaubten. Wie lange ich mit meiner Mama diskutiert hatte deshalb. Wie wir pünktlich um halb eins unten am Feldweg standen, dort, wo das Dorf schon fast begann, und auf Edinas Mama warteten, die uns abholen kam. Wir beide neben Niklas auf der engen Rückbank des Kleinwagens, unsere Knie, die sich manchmal zufällig berührten. Wie aufgekratzt wir gewesen waren, die Euphorie der ersten Konzerte, stolz auf unsere blauen Flecken, die wir uns im Moshpit geholt hatten. Die Bändchen an unseren Handgelenken geschätzte Trophäen, ich trug meines solange, bis es sich über die Jahre hinweg auflöste.
Ach, ja. Noch einmal die Ekstase erleben, die mein erstes Punkkonzert ausgelöst hatte.
Noch einmal die Zeit von vor der Pandemie, als so viel mehr möglich schien, sich mein Denken nicht so begrenzt anfühlte.
Ich war in einer melancholischen Stimmung, in der ich über den nächtlichen Zeltplatz schlenderte. Der Vollmond spendete viel Licht und tauchte die bunten Zelte in ein geisterhaftes Ambiente. Ab und an schnarchte jemand laut und manchmal hörte ich auch leise Stimmen, anderswo Musik, aber nicht laut genug um sie zu erkennen. Ich mochte es, wie viel Rücksicht die Menschen hier aufeinander nahmen, nicht wie bei anderen Festivals, bei denen man kaum ein Auge zu tun konnte, weil Preußens Gloria und die Flippers sich ein Rapbattle lieferten. Ohne zu rappen, versteht sich.
Da entdeckte ich auf dem Weg eine Person, die in meine Richtung kam, wahrscheinlich auf dem Weg zum Klo, das ich eben passiert hatte. Ich kniff meine Augen zusammen und meinte, Edinas viele Locken zu entdecken. Aber das hatte ich heute schon mehrmals gedacht, doch seit unserer morgendlichen Begegnung vor den Toiletten war ich nicht mehr auf sie getroffen. Dabei war das Festival nicht besonders groß und man traf ständig auf Leute, die man zuvor schon gesehen hatte.
»Yana?«, sprach sie mich an und da checkte ich erst, dass es sich wirklich um Edina handelte. Na gut, vielleicht war das letzte Bier schlecht gewesen. Oder die letzten zwei bis drei. Oder meine Fickenfanta, die ich mit mir spazieren trug.
»Hey. Auch noch wach?« Wow, Glückwunsch, Captain Obvious.
»Nur wach geworden, weil ich aufs Klo muss.«
Ich nickte und setzte mich mit ihr in Bewegung, in die Richtung, aus der ich eben gekommen war. Oh Mann. Ich verzog mich besser schnell, ehe das hier ins Unangenehme abdriftete. Oder na ja, noch mehr als ohnehin schon.
»Und du, kannst du nicht pennen?«, erkundigte sich Edina, die es nicht zu stören schien, dass ich mit ihr mit ging und dafür sogar meine Bewegungsrichtung geändert hatte. Kurz sah ich zu ihr. Ihre Beine steckten in einer rose Pyjamahose mit Herzen drauf, die ich irgendwie ziemlich süß an ihr fand, und die nicht zu den derben Boots passte. Es fühlte sich schön an, wie Edina sich nach mir erkundigte, sich für meinen Zustand interessierte.
»Habs noch gar nicht versucht.« Ich grinste schief. »Irgendwie immer schön, wenn der Campingplatz so zur Ruhe kommt.«
»Das auf jeden Fall. Sich die ganzen Schnapsnasen in ihren Bett verkriechen.« Edina lachte und ich stimmte mit ein.
Einem spontanen Impuls folgend fragte ich da schon: »Hast du Lust spazieren zu gehen?«
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