13 Jahre später - Aurela

Prüfend sah ich mich in der Gasse um. Niemand zu sehen.

Die kleine, heruntergekommene Bar wurde nur von einigen einheimischen Männern besucht. Die wenigen Läden waren verrammelt und geschlossen und die Wohnungen fast alle leer. Nirgendwo brannte Licht. An diese gottverlassene Nebenstraße kam man nur, wenn man sich verirrt hatte und von der Hauptstraße, auf der der Bär steppte, zweimal falsch abgebogen war. Ich hatte es getestet. Normalerweise konnte man hier nicht landen. Aber ein Straßenschild war absichtlich sabotiert worden und führte einen geradewegs in diese verlassene Gasse.

Hier gab es keine Augenzeugen oder Hilfe. Ein perfektes Spiel.

Gut, dass Jules ein Auge für solche Dinge hatte.

„Bist du da?", fragte sie in diesem Moment. Durch das winzige Headset in meinem Ohr, dass sie selbst entwickelt hatte, konnte ich sie perfekt verstehen.

„Ja, noch ist nichts zu sehen.", antwortete ich.

„Warte noch kurz. Die Bar müsste gleich die letzten rauswerfen und zumachen. Dann ist dort überhaupt niemand mehr unterwegs."

„Wenn du dich täuschst mit dieser Straße, schuldest du Malu das Rezept deiner geheimen Geheimcookies," sagte ich grinsend. Julina hütete all ihre Rezepte, wie ihre Kinder. Sie würde sich eher den Arm abschneiden, als freiwillig eines herauszurücken.

„Tss, ich irre mich nie. Und außerdem: Selbst, wenn ich ihr ein Schritt für Schritt Video machen würde, könnte sie meine Cookies immer noch nicht zubereiten. Du weißt, was sie mit der neuen Mikrowelle angestellt hat. Dabei wollte sie sich nur die restlichen Nudeln aufwärmen." Ich lachte. Stimmt, die Explosion und den anschließenden Feueralarm hatte ich schon fast wieder vergessen.

„Ich kann euch übrigens hören", maulte es in dem Moment in mein Ohr. „Wisst ihr, ich habe auch so ein supercooles Headset, das uns alle miteinander verbindet."

„Toll, denn ich wollte dir gerade sagen, dass du nach dieser Aktion ausgesehen hast, wie unser Schornsteinfeger Fred", neckte Julina.

„Ich fand eher, dass sie Ähnlichkeit mit einem frisch geschlüpften Geierküken hatte.", schob ich hinterher. Julina prustete los.

„Niemand versteht, warum du das Keksrezept als Wetteinsatz genommen hast", meinte ich grinsend. „Du mutierst in der Küche zu Hellboy. Die Version mit Höhnern und Flammenkrone. Wenn er seine Prophezeiung wahrmacht und den Untergang der Welt heraufbeschwört. Oder den Untergang der Küche," fügte ich leise hinzu.

Jules lachte hell. Sie war diejenige von uns dreien, die am ausgeglichensten und sanftmütigsten war und deren warmes Lachen immer ansteckte. Und das, obwohl sie diejenige war, die am meisten gelitten hat. Damals.

Malu dagegen stöhnte. „Ich werde das Rezept verkaufen und ein Vermögen damit verdienen. Und da Jules freiwillig keine ihrer Kostbarkeiten herausrückt, hole ich es mir eben so. So, jetzt kennt ihr mein schwarzes, verdorbenes Geheimnis."

Ich spürte Julinas skeptisches Schweigen. „Beim letzten Mal, als du uns einen Geburtstagskuchen gemacht hast, hast du uns fast vergiftet", meinte sie trocken. Nun musste ich auflachen.

„Konnte doch keiner ahnen, dass Natron genauso aussieht, wie normales Mehl und dass die Buttercreme nicht mit gebacken werden darf.", verteidigte sich Malu hitzig. „Ich habe es nur gut gemeint. Ihr seid echt undankbar. Euch zauber ich nie wieder einen Kuchen. Tja, das habt ihr jetzt davon."

„Das hätte ich gern schriftlich", seufzte Julina.

„Ich habe sogar ein Foto davon gemacht", flachste ich „Hashtag: brauner Schlamm."

„Sagt ausgerechnet die, die dachte Instagram wäre ein neumodischer Begriff für Sofortbildkamera."

„Im Grunde ist es ja auch nur ein Neologismus, der von dem englischen Begriff instant camera abgeleitet ..."

„Hört schön auf ihr beiden. Sagt, dass ihr euch lieb habt und konzentriert euch wieder. Ich will nicht, dass ihr abgelenkt seid. Das wird heute sowieso eine sportliche Nummer. Also?" Julina wartete geduldig.

Ich seufzte. „Mals weiß, dass ich sie liebe, nicht wahr mein kleines Geierküken?" Malu schnaubte nur amüsiert.

„Wenn wir hier überhaupt Erfolg haben.", meinte sie „Vielleicht hast du dich auch in der Straße geirrt, große Göttin des Hackens. Und was heißt hier sportliche Nummer? Ihr habt immerhin mich. Das wird ein Riesenspaß."

Damit hatte sie nicht unrecht. Im häuslichen Bereich war Malu zwar eine echte Gefahr... Und das meinte ich wörtlich, denn das Verhältnis zwischen Bränden, Explosionen und ungenießbarer Speisen war, naja, sagen wir, nicht ganz ausgewogen.

Aber auf der Straße war sie diejenige von uns, die mit jedem Messer werfen und mit jeder Waffe schießen konnte. Sie war schnell, wendig und verfehlte nie ihr Ziel. Sie konnte ohne Bescheidenheit sagen, dass sie die beste Kämpferin unserer kleinen Gruppe war.

Ein Schlag oder Tritt von ihr hatte schon so manchen den Kiefer und manchmal auch das Genick gebrochen. Obwohl das eher selten der Fall war. Malu war kein Freund des schnellen Todes. Die ganze Sache lief ihr zu schmerzlos und unblutig ab. Ich glaube, sie sieht in jedem von diesen Männern, die wir nachts aufspüren ihn wieder. Und lässt sie das spüren. Mals meint, für sie wäre das tausend Mal besser als die Psychocouch.

Das äußerte sich bei solchen Einsätzen vor allem durch ihren Hang zum Quälen, Foltern und Verstümmeln. Sie spielte mit denen, die noch am Leben waren. So lange, bis sie sich wünschten, sie hätte sie am Anfang mit einem sauberen Kopfschuss erledigt.

Jap, wir drei waren jeder auf seine eigene Art kaputt und beschädigt. Niemand macht ohne Grund das, was wir tun. Aber es war unsere Form der Heilung. Ziemlich traurig, ich weiß. So was möchte eigentlich keiner in seinem Lebenslauf stehen haben, aber manchmal konnte man sich das eben nicht aussuchen. Aus diesem Grund gab es drei große Regeln für uns:


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