Brief
20.10.2015
Delian,
es tut mir wirklich unendlich leid, dass ich dir seit bald drei Monaten nicht mehr geschrieben habe. Ich habe einfach nicht den Kopf dafür gehabt. Eigentlich schreibe ich dir nur, damit du weißt, dass es mir gut geht. Zumindest körperlich. Ich lebe noch. Mach dir keine Sorgen um mich. Schreib mir bitte einfach nur weiter Briefe und erzähl mir von deinem Leben. Das gibt mir einen kleinen Lichtblick, eigentlich den einzigen im Moment. Ich kann dir nicht versprechen, dir wieder zu antworten.
Vielleicht kann ich dir im Laufe dieses Briefes erzählen, was passiert ist, wenn ich mich gut genug fühle. Ist es nicht so, dass es hilft, wenn man darüber spricht? Ich wurde zu irgendeinem komischen Therapeuten geschickt, aber der kann mir nicht helfen. Und wenn jemand mitbekommt, dass ich dahin muss, dann bin ich am Arsch. Ich bin doch nicht irgendein Psycho.
Mein Stottern ist wieder schlimmer geworden. Manchmal bekomme ich gar nichts mehr raus. Also muss ich vielleicht wieder zum Logopäden, wenn es nicht besser wird. Gar keinen Bock darauf. Warum kann ich nicht einfach wie jeder vernünftige Mensch normal reden, ohne bei jedem zweiten Wort hängen zu bleiben? Es ist einfach alles beschissen zurzeit.
Ich vermisse dich. Es ist so komisch, wir haben uns doch quasi noch nie getroffen. Aber manchmal stelle ich mir vor, wie du neben mir sitzt und ich dich anschauen kann und wir einfach ein normales Gespräch führen. Vielleicht können wir uns in einer fernen Zukunft ja mal treffen ... Wenn du das willst. Aber vielleicht wäre es auch nur zu komisch zwischen uns.
Wie geht es dir gerade eigentlich? Hast du eigentlich schon wieder Schule oder bist du noch im Urlaub?
Ich merke schon wieder, dass ich versuche, das Thema weiter hinauszuzögern, das mache ich oft. Ist dir das aufgefallen? Ich will es dir wirklich erzählen, aber ich kann nicht. Vielleicht schreibe ich den Brief morgen weiter.
Okay, es waren zwei Tage. Aber ich kann es immer noch nicht, ich kann es noch nicht aufschreiben. Das fühlt sich so endgültig an. Es tut mir leid, aber ich kann gerade einfach nicht. Nur bitte bleib bei mir und erzähl mir deine Geschichten.
Amaliel
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