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Unser Spaziergang im Regen ist bereits zwei Wochen her. Ein harmloses Teenager-Party-Spiel entpuppte sich als emotionale Reise in die Vergangenheit. Und hätte ich geahnt, welch dunkles Geheimnis hinter Alecs Narbe steckt, hätte ich diese Frage niemals gestellt. Seine Tränen haben mich tief berührt und auch die Art wie er darüber sprach. Alec ist jung, klug, willensstark, ein guter Zuhörer und wunderbarer Gesprächspartner. Es war nicht gelogen was ich ihm dort im Park umgeben von Regentropfen und dunklen Wolken sagte. Meine Mum hätte ihn geliebt.
Seit diesem Tag hat sich unser Zusammenleben verändert. Jeden Abend kommt Alec müde und erschöpft nach Hause. Er steht im Flur und entledigt sich seiner von der Arbeit schmutzigen Kleidung. Jeden Abend beobachte ich ihn dabei, wie er nur in Boxershorts bekleidet den Wohnbereich betritt und nach einem kurzen 'Hallo Magnus.' direkt ins Bad verschwindet. Jeden Abend höre ich das Wasser rauschen und dann gehe ich in die Küche und kümmere mich um die Zubereitung unseres Abendessens. Ich muss nicht auf Fleisch verzichten, nur gewisse Dinge beachten. Aber das ist kein Problem und ich mache es ganz gerne.
Jeden Abend kommt Alec nach einer wohltuenden Dusche in die Küche und schmiegt sich dicht an meinen Rücken. Jeden Abend blickt er über meine Schulter und brummt wohlig über den herrlichen Duft nach frischem Gemüse und Kräutern aus aller Welt. Die Vibration seines tiefen Basses trifft auf meinen Körper und jagt mir jedes Mal einen Schauer über den Rücken. Die ersten Male hatte ich das Gefühl mein Herz bleibt stehen, so überrascht war ich über seine Erscheinung und meine körperliche Reaktion.
Es ist irgendwie unser Ding geworden. Alec taucht plötzlich und unerwartet hinter mir auf, raunt Worte in mein Ohr oder sagt einfach nichts und ich spüre nur seinen warmen Atem an meinem Hals. Und jeden Abend essen wir zusammen und reden über unseren Tag. Also eigentlich redet Alec. Ich höre zu. Meine Tage verlaufen immer gleich. Sie sind monoton, beständig. Aber für mich ist es wichtig so zu leben. Ich bin ein Freigeist und leicht chaotisch wie man unschwer an meinem Büro erkennen kann. Die Stapel der Bücher werden immer größer und schon lange sind aus Hügeln Berge geworden.
Nach dem gemeinsamen Abendessen gehe ich in mein Büro und arbeite noch eine Weile oder erledige Papierkram. Steuererklärung zum Beispiel. Langwierig, aber notwendig. Alec liest oder telefoniert mit seinen Geschwistern. Erledigt den Abwasch und kümmert sich um seine schmutzige Arbeitskleidung. Irgendwie, und ich weiß überhaupt nicht genau wann, hat er angefangen auch meine Wäsche zu waschen. Jedes Mal bedanke ich mich und sage gleichzeitig, dass er nicht mein Hausangestellter und somit nicht für meine Wäsche verantwortlich ist. Nach einem kleinen verschmitzten Lächeln und einem Zwinkern macht Alec einfach weiter und wieder liegt am nächsten Tag die vormals schmutzige Wäsche zusammengelegt und wohlriechend in meinem Kleiderschrank.
Jeden Abend. Seit zwei Wochen. Bis auf gestern Abend. Alec kam spät nach Hause. Er war bereits geduscht und umgezogen, begrüßte mich nicht mit seinem 'Hallo Magnus' und dem feinen Lächeln um seine Mundwinkel. Stattdessen kam er hundemüde nach Hause und fiel ohne ein Wort der Begrüßung bäuchlings auf das Sofa. Bald darauf vernahm ich ein leises Schnarchen und das ich mit der kleinen Leselampe und einem neuen Buch in der Hand auf dem Sofa direkt neben ihm saß, schien Alec so gar nicht zu stören. Verdutzt beobachtete ich ihn eine Weile und strich ihm zärtlich durch die Haare. Wieder vertieft in meine Lektüre vergaß ich alles andere und konzentrierte mich nur auf meine Finger in Alecs Haaren und den verlorenen Erinnerungen von Glenn.
Irgendwann regte Alec sich neben mir und sprang panisch vom Sofa auf. Verschlafen und verwirrt wischte er sich mit den Händen über das Gesicht und raufte sich die Haare als er sah, dass ich auf dem Sofa saß und ihn eingehend beobachtete. Ich schaltete das Licht aus und stand vom Sofa auf. Ohne ein Wort zu sagen griff ich nach Alecs Hand und er verschränkte sofort unsere Finger ineinander. Weiterhin schweigend gingen wir die Treppe hoch, die defekte Stufe knarzte und wenig später standen wir in meinem Schlafzimmer.
"Was hast du vor Magnus?" fragte Alec mit noch vom Schlaf rauer Stimme.
"Schlafen." antwortete ich, zog meine Sachen aus und legte mich ins Bett. Alec verstand und entledigte sich seiner Kleidung. Ein frischbezogenes Kissen liegt immer bereit und die Decke ist groß genug für drei Personen. Die Nacht war ruhig. Alec schlief augenblicklich ein und ich lauschte noch eine ganze Weile seiner ruhigen Atmung. Die Wärme seines Körpers der nah an meinem lag, war wie eine schützende Decke. Meine Lider wurden schwer und ich schlief ruhig und friedlich, frei von verwirrenden Träumen und schlechten Gedanken.
Alec schlief noch als ich heute morgen erwachte. Die ersten Sonnenstrahlen des Tages kitzelten meine Nasenspitze und grummelnd öffnete ich meine Augen. Es war eindeutig zu früh und zu hell und ich versuchte zu ergründen warum das so war. Vergebens. Mein Herz setzte einen Schlag aus als ich den Kopf wendete und schwarze wild durcheinander liegende Haare erblickte. Das Bild von Las Vegas schob sich ungefragt in meine Gedanken und ich erinnerte mich an diesen Morgen voller Fragen und Kopfschmerzen, einem sichtlich irritierten Alec und mich wie ich panisch das Hotelzimmer und meinen Ehemann verließ.
Und nun sitze ich am Esstisch mit meiner dampfenden Tasse Kaffee in den Händen und verstehe die Welt nicht mehr. Ich beobachtete Alec dabei, der wie ein aufgescheuchtes Tier durch das Haus rannte. Laut polternd stürmte er die Treppe herunter als ich gerade dabei war den Lokalteil der Zeitung zu lesen. Fluchende Worte verließen seinen Mund, ich hätte nie gedacht, dass er zu solch einer Sprache fähig ist. Er verschwand im Bad, die Tür schlug lautstark zu und ich verschüttete vor Schreck etwas von meinem Kaffee, den ich gerade an meine Lippen führte. Nun fluchte ich und das Rauschen des Wassers beruhigte meinen Kopf und die Frage warum Alec so aufgebracht war.
Wenig später, früher als bei seinem allabendlichen Duschritual, öffnete sich die Tür schwungvoll und ein tropfnasser nackter Alec stürmte aus dem Bad. Nackt. Alec war nackt. Ich starrte ihn an und beobachtete gespannt einen Wassertropfen dabei, wie er aus den Haarspitzen perlte, über die Stirn und die Wange lief, auf die Brust tropfte und seinen Weg über Alecs Körper immer weiter hinunter Richtung Leiste floß. Das Alec mit mir sprach registrierte ich erst, als eine Hand in mein Sichtfeld kam. Meine Augen waren gefangen von dem Anblick seines prachtvollen Schwanzes und ich hatte eindeutige Bilder vor meinen Augen. Ein ganzer Film lief in meinem Kopf ab und die Fortsetzung war bereits in Auftrag gegeben.
"Magnus." Alecs aufgeregte laute Stimme und seine wedelnde Hand brachten mich zurück in die Realität. Und in dieser Realität bat Alec um eine Tasse Kaffee und erzählte mir, dass er spät dran sei. Wofür verriet er mir nicht. Denn er war bereits auf dem Weg ins Schlafzimmer und kam etwas später wieder laut polternd die Treppe herunter. In einem dunkelblauen Smoking mit schwarzem Revers, schwarzen Schuhen unter dem Arm und einer Krawatte in der Hand. Geschickt schlüpfte er in seine Schuhe und nachdem schlanke Finger in Windeseile die Schnürsenkel zubanden, widmeten die sich dem Binden der Krawatte.
Ein Schluck Kaffee, schwarz und dunkel wie die Nacht, voll aromatisch und herrlich duftend floß heiß durch seine Kehle. Er verzog leicht das Gesicht und konnte doch nicht auf einen weiteren Schluck verzichten. "Der ist echt stark." sagte er und widmete sich wieder der Krawatte, die noch locker um seinen Hals hing. Selten habe ich einen Mann gesehen, der in solch einer Geschwindigkeit wie Alec einen Knoten binden kann. Und was für einen. Er entschied sich nicht wie üblich für einen doppelten Windsor. Nein. Alec Lightwood band einen Schmuckknoten. Genauer gesagt, einen Trinity-Knoten und mir klappte vor Überraschung der Mund auf. Seine schlanken Finger fuhren geschickt über den seidigen Stoff der tiefblauen Krawatte und banden einen perfekten Knoten.
"Ich bin sowas von spät dran." Ein letzter großer Schluck aus der Tasse und dann passierte es. Alec kam um den Tisch herum zu mir, legte seine Lippen auf meine und küsste mich sanft. Völlig neben der Spur reagierte mein Körper, aber mein Verstand kam nicht so schnell hinterher. Alec küsste mich, ich erwiderte mechanisch, Alec streichelte mit seinen Fingern liebevoll durch meine Haare und löste sich nur wenige Milimeter von mir. Seine weichen Lippen bewegten sich hauchzart an meinen, alles kribbelte und die Synapsen in meinem Kopf liefen auf Hochtouren. Was war hier los?
"Ich muss wirklich los. Bis später Baby." Und so schnell wie Alec um den Tisch herum kam und meine Lippen küsste, genau so schnell löste er sich von mir, griff nach seinem Handy und verschwand in Richtung Tür. Abrupt blieb er stehen und wendete zögerlich seinen Kopf. Ich war überhaupt nicht in der Lage etwas zu sagen. Und Alec anscheinend auch nicht mehr. Wir starrten uns an und hatten beide jede Menge Fragezeichen über dem Kopf schweben. Warum hat er das getan? So sitze ich hier nun schon eine Weile und lasse die Momente noch einmal ablaufen. Der Film läuft und jedes Mal entdecke ich ein neues Detail. Aber sie bringen mich der Frage nach dem 'Warum?' nicht näher.
Alec verabschiedete mich wie einen Freund. Aber nicht wie die Sorte Freund, mit der man auf ein Bier in die nächste Bar oder einen Club zum feiern geht. Er verabschiedete mich wie einen Partner. Wie einen festen Partner oder in unserem Fall, wie einen Ehemann. Ein Klingeln holt mich aus dem sich immerzu drehenden Gedankenkarusell.
"Raphael. Was kann ich für dich tun?" frage ich, da ich seinen Namen in großen grünen blinkenden Buchstaben auf dem schwarzen Display leuchten sah.
"Hallo mein Freund. Ich wollte euch nur viel Spaß bei der Hochzeit wünschen. Und dich an das Treffen morgen erinnern. Hoffentlich für dich ohne Brummschädel und Morgenübelkeit." Was? Hochzeit? Welche Hochzeit? Wovon redet er?
"Ich weiß nicht wovon du redest." antworte ich verwirrt.
"Die Hochzeit? Von Alecs Schwester? Sie ist heute. Und sie hat dich eingeladen." höre ich Raphael sagen und verfluche mich gerade selbst.
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