4 - Meeresblütenzauber
Die Klänge des Klaviers tragen uns Stunden davon, bis wir sowas wie Frieden finden. Als wir beide ruhiger sind, erscheint ein grosses grün gepolstertes Sofa, das sich mitten in meinem Ozeanraum manifestiert, als wir es brauchen. Es sieht einladend und gemütlich aus. Ich realisiere, wie erschöpft ich bin. Über die spiegelnde Wasseroberfläche gehen wir zum Sofa. Ich lege mich so hin, dass ich meinen Kopf auf Fynns Schoss legen kann. Sanft und gedankenverloren streicht er durch mein Haar. Ich beobachte ihn dabei, wie er in die Weite der Unendlichkeit blickt und dennoch nichts von ihr wirklich sieht.
«Erzählst du mir davon?», frage ich sanft, ich will ihn nicht erschrecken.
Er sieht zu mir hinunter und betrachtet mich erst lange.
«Du musst nicht, aber ich frage mich, was deine Geschichte und wunden Punkte sind. Ich kann mir dich einfach nicht weniger als vollkommen vorstellen. Du warst und bist für mich so heil in deinem Wesen. Im Gegensatz zu mir...», ergänze ich meine Frage, weil ich plötzlich unsicher werde und mich erklären möchte.
«Interessant, für mich bist du die, die so hell ist, wie ein Stern und niemals untergeht», er unterbricht sich selbst und sieht wieder in die Weite. «Ich kann mich nur an einen Bruchteil von dem Erinnern, was wir alle auf der Erde erlebt haben. Aber was mich am meisten mitnimmt, sind die Leben, in denen ich dir von weitem zusehen musste, wie du leidest. Diese Verbrennung war einfach nur grausam.»
Erschrocken sehe ich ihn an, als er wieder eine Pause einlegt, seine Stimme ist belegt.
«Du weisst davon?», in meiner Stimme schwingt das Entsetzen mit, das ich bei dem Gedanken empfinde.
«Wir inkarnierten immer nah beieinander», ist seine ruhige Antwort darauf. «Ich habe mich heute auch an dieses Leben erinnert. Ich war einer der Richter. Der, der gegen die Verbrennungen war.»
Seine Stimme klingt traurig und mitgenommen bei diesen Worten.
Die Bilder erscheinen nochmals vor mir und klar, jetzt erkenne ich es. Er hatte versucht zu vermitteln und zu schlichten. Er war mir damals sehr sympathisch, weil er ähnliche Sichtweisen zu haben schien, wie ich. Nun wird mir auch klar, warum, weil wir uns tatsächlich sehr ähnlich und nahe waren.
«Ich erinnere mich...», hauche ich.
Dabei beobachte ich entsetzt, wie Fynn Tränen in die Augen steigen.
«Es tut mir so leid, dass ich dich vor diesem grausamen Tod nicht bewahren konnte. Es hatte mich den Rest meines Lebens begleitet.» Ich kann die Tränen in seiner Stimme hören, als er spricht.
In einer fliessenden Bewegung setze ich mich auf und umarme ihn. Sein Kopf liegt auf meiner Schulter und ich spüre, wie sich die Trauer und das Gefühl versagt zu haben, nicht gut genug zu sein, durch seinen Körper arbeitet. Das Zittern dringt durch jede Zelle.
«Es gibt nichts, was dir leidtun muss. Du hast dein Bestes gegeben. Du hättest nichts ändern können. Die Angst und die Intrigen waren damals einfach zu stark. Ich hätte vermutlich auch in einem männlichen Körper antreten sollen», mit dem letzten Satz versuche ich einen Scherz zu machen und damit die Stimmung aufzulockern.
Natürlich wäre es eine Option gewesen, das weiss ich auch und andere Leben habe ich auch dort sicherlich in einem solchen verbracht, jedoch schienen diese Leben, nicht so relevant für den jetzigen Zeitpunkt zu sein. Vielleicht konnte ich vieles von den Inkarnationen bereits lösen. Es ist allerdings nicht besonders wichtig. Erinnerungen kommen so, wie sie nötig sind, damit wir weiterkommen.
Fynn reagiert nur langsam auf meinen Aufmunterungsversuch.
«Ich werde diese Bilder einfach nicht los, Kaia. Ich bekomme sie nicht aus meinem Kopf. Bei der Geburt zu vergessen, kann ein wahrer Segen sein.»
«Weisst du, ich habe beinahe nichts davon gespürt. Ich war bereits aus dem Körper, als die Flammen hochstiegen», ich möchte ihn damit beruhigen, dass ich nicht leiden musste. Es zeigt auch seine Wirkung, erstaunt sieht er mich an.
«Wirklich? Du warst schon vorher weg?»
Ich nicke als Antwort.
«Ich wusste es bereits vor dem Prozess selbst. Ich löste mich schon in den Tagen zuvor immer mehr von meinem Körper. Der Weise hatte mich bereits begleitet und in Empfang genommen, als es so weit war.»
Fynn sieht mich durchdringend an und kontrolliert, ob ich das nur sage, damit er sich besser fühlt. Doch er erkennt schnell, dass es für mich tatsächlich so war. Er atmet tief durch und ich kann hören, dass er mit dem Ausatmen einiges von der Last loslässt. Er zieht mich nochmals nahe an sich.
«Hier wird es einfacher sein. Wir sind hier zu Hause. Wir haben einen Vorteil und Ahwagahwaen ist nicht die Erde. Hier schwingt bereits alles höher.»
Nun versucht er mich zu beruhigen und wenn er ehrlich ist, auch etwas sich selbst.
«Ich wünsche mir so sehr, den Rest dieses Lebens in Frieden hier sein zu können», antworte ich darauf und lege mich wieder hin.
Doch bevor ich meinen Kopf auf seine Beine legen kann, legt er sich hinter mich ebenfalls hin. Seinen Arm platziert er so, dass er mir als Beinersatz dient. Mit dem anderen Arm greift er über meinen und zieht mich nahe an sich heran. Wahrscheinlich sind wir so in diesen seltsamen Dämmerschlaf gefallen. Als ich zurückkehre, liege ich mit dem Kopf auf seiner Brust und sein Arm hält mich am Oberkörper, nah bei sich.
Es ist hell draussen, als wir aus dem Haus der Musik treten. Wir nutzen den frühen Morgen, um nach Hause zu schlendern. Dort wollen wir uns auf den zweiten Tag Schulung und Schwingungsveränderung vorbereiten. Das Gespräch und die Nacht haben mir gutgetan, ich fühle mich friedlicher und die Emotionen von den Erinnerungen scheinen bereits abgeflacht zu sein. Kiran erwartet uns bereits vor dem Haus.
«In welcher Welt wart ihr denn? Wir müssen los, der Reisende wartet auf uns am Strand unten», er grinst uns schelmisch an.
Erstaunt blicke ich zu Fynn, der mich ebenfalls leicht verlegen ansieht. Damit sagt er mir, dass auch er nichts mitbekommen hat. Zügig folgen wir Kiran, der vor uns her hüpft und voller Vorfreude lacht. Seine Sprünge wirken ziemlich beflügelt, als würde die Schwerkraft für ihn anderen Gesetzmässigkeiten folgen. Mir soll es recht sein, denn er sieht so unglaublich glücklich und zufrieden aus. Ich hingegen spüre, wie sich die wiedergewonnene Farbe langsam aus meinem Gesicht zu verabschieden beginnt. Besorgt sehe ich zu Fynn, der mich bereits beobachtet.
«Heute wird es sicher um andere Dinge gehen», beruhigt er mich, bevor ich etwas sagen kann.
«Ich hoffe es.»
Zuversicht hört sich allerdings anders an. Dennoch fühle ich mich ein wenig besser. Tatsächlich erwartet uns der Reisende bereits am Strand.
«Ihr werdet heute hier am Strand, aber auf der physischen Ebene üben zu manifestieren. Das ist wichtig, denn ihr werdet diese Fähigkeit brauchen, wenn ihr zurückkehrt. Ihr solltet die Dynamik des Manifestierens auf der Ebene kennenlernen, denn sie ist träge im Vergleich zu der hier.»
Er begrüsst uns mit dieser Eröffnung und wir hören gespannt zu, sofort entspannen sich meine Schultern. Wie immer haben seine Worte den Effekt so vieles mehr zu vermitteln. In mir bildet sich das Verständnis, dass es sich beim Manifestieren um eine angeborene Fähigkeit handeln muss, die jeder in sich trägt. Durch die unterschiedliche Dichte der Ebenen jedoch, ist sie in ihrer Trägheit verborgen.
«Da ihr alle schon lange nicht mehr hier inkarniert seid, ist es gut, wieder das Gefühl für Ahwagahwaen und seine Schwingung zu bekommen. Denn selbst wenn die Stadt an einem sehr schwachen Energiepunkt steht, ist Materie hier immer noch agiler und leichter zu Formen, als es auf der Erde war.»
Erneut verdeutlicht sich mir, der Unterschied von Ahwagahwaen und der Erde. Damals konnte sie diese Bedingungen noch nicht bieten. Doch genau in dieser Zeit, befindet sie sich selbst im Wandel. Es ist eine schöne Vorstellung, denn sie bedeutet, dass selbst wenn wir als Menschheit den Planeten verlassen mussten, unser Wirken dort erfolgreich war. Das Bewusstsein hat sich verändert, auch wenn es uns viele Leben, viel Schmerz und so einige Lektionen gebracht hat.
In dieser Erkenntnis durchflutet mich ein so gewaltiger Schauer der Liebe, dass sich sämtliche Härchen an meinem Körper dem Himmel entgegenstrecken. Nur mit starkem Blinzen vermeide ich das überquellen der Tränen meiner Rührung und Bewegtheit.
Während der Reisende weitererzählt, nehme ich wahr, dass sich langsam die Spannung um uns verändert. Als ich realisiere, was diese Änderung bringt, stehen wir bereits in der weitläufigen Bucht der physischen Welt von Ahwagahwaen.
Ein merkwürdiges Gefühl durchfährt mich, in dem Wissen, wieder hier zu sein. Ausserdem ist mein Empfinden so anders, als auf unserem Hinweg. Alles fühlte sich so leicht und fein an. Nun, da ich viel Zeit in noch sanfteren Ebenen verbracht hatte, kann ich diese Leichtigkeit hier kaum noch wahrnehmen. Sogar beim Atmen kann ich den dichten Widerstand fühlen und es ist, als hätte sich ein Schleier über meine Augen gelegt. Es verdeutlich mir stärker als jemals zuvor, wie unterschiedlich diese Welten sind.
Der einzige Sinn, der hier deutlicher zu Geltung kommt, scheint der Tastsinn zu sein. Leicht überfordert fühle ich beinah jedes Sandkorn einzeln unter meinen Schuhen. Auch der Wind drückt beinah grob gegen meinen Körper. Trotz der so veränderten Eindrücke konzentriere ich mich auf meinen Atem.
Langsam schaffe ich es ein wenig Ruhe in mich zu bringen und erkenne so, dass Fynn und Kiran wohl mit der ähnlichen Flut an Informationen zu arbeiten haben.
«Ihr werdet euch schnell wieder daran gewöhnt haben, keine Sorge», versichert uns der Reisende mit einem Hauch eines Lächelns.
Er selbst mit seinem Körper, woher dieser auch immer kommen mag, scheint keine derartigen Schwierigkeiten zu haben.
«Versucht bitte nicht nur Dinge zu manifestieren, sondern übt auch den Ort zu wechseln wie in Andakla. Es wird euch viel Flexibilität und Freiheit geben, wenn ihr im Notfall darauf zurückgreifen könnt. Wenn ihr auf emotionale oder andere Blockaden stossen solltet, dann versucht sie gleich hier zu lösen, damit ihr weiter üben könnt. Die universelle Energie wird weiter verstärkt durch euch fliessen. Das wird euch helfen und beschleunigt die Prozesse weiter.»
Er lächelt wieder, diesmal weniger aus Amüsiertheit als aus Liebe. Einen Wimpernschlag darauf ist er, aus dem für unsere Augen sichtbaren Bereich, verschwunden. Seine Präsenz ist jedoch nie weg. Leicht von der gesamten Situation irritiert, sehen wir uns an.
«Na, dann wollen wir mal. Was wollen wir schönes manifestieren?», fragt Fynn und versucht uns damit aufzulockern.
«Wir sollten nur Dinge manifestieren, die der Natur hier nicht schaden oder sie verändern. Also Steine, Sand oder sowas», antworte ich ernster.
Noch immer hallen mir die Worte Nyaras im Ohr nach. «Wenn du etwas kreierst, das nicht direkt der universellen Liebe dient, sollte es in niemandes Freiraum eingreifen.»
Auch der Weise bestärke später Nyaras Worte. «Das Mass aller Handlungen ist es, den Freiraum eines jeden Individuums, sowie jeder Existenz zu wahren. Manifestieren bedeutet der universellen Energie Form zu geben. Für gewisses Bewusstsein mag dies daher so wirken, als ob etwas aus dem Nichts erscheint. Für das geübte Wahrnehmen, wird erkennbar, dass es sich um reine Umwandlung von Energie in dichtere Formen handelt. Damit geht viel Verantwortung einher.»
Die Erinnerung ruft unweigerlich wieder das warme Gefühl in mir hervor, welches ich bei dem Lauschen dieser Worte empfand. Die Schönheit der Harmonie, die Gewissheit, dass alles miteinander verbunden ist, lassen die Schatten des vorangegangenen Tages weiter verschwinden. Nichts besteht nicht aus Energie, geformte Energie kann nicht zerstört werden, doch in ihrer Form verändert.
Dank den Worten des Reisenden ist mir nun auch vollends bewusst, dass es sich hierbei um ein universelles Gesetz handelt und somit auch auf der Erde Geltung hatte. Aufgrund der Trägheit dauerte die Entstehung teilweise jedoch so lange, dass das Resultat als Zufall oder Fügung abgetan werden konnte.
«Gut, dann halten wir uns an einfache natürliche Bestandteile, die hier hinpassen», erwidert Fynn bestätigend und unterbricht meinen gedanklichen Exkurs.
Auch Kiran ist einverstanden, denn wir alle haben wohl in der Hinsicht dieselbe Lektion erhalten. Jeder für sich bewegt sich in den für ihn richtigen geistlichen Zustand.
Mental ist es deutlich anstrengender hier zu manifestieren als in Andakla. Dort fühlt es sich einfach fliessend an, hier habe ich das Gefühl, ich wolle eine zähe Masse formen. Dennoch dauert es nicht lange, bis wir drei, erste Erfolge verzeichnen können. Es ist nicht selbstverständlich, dass uns das so schnell und verhältnismässig einfach gelingt.
Alle Bausteine fügen sich hier nun zu einem Ganzen. Unsere Vertrautheit mit Ahwagahwaen, die Schulung und das tiefe Vertrauen in den universellen Gesetzen, die Arbeit an unseren Blockaden und die Reife des Planeten nehmen ihren Platz in diesem Konstrukt ein.
Wir verbringen beinahe den ganzen Tag damit Dinge zu manifestieren, bis es sich auch hier nicht mehr anfühlt, als würden wir gegen diese zähe Masse arbeiten. Am Ende versuchen wir uns noch mit ein paar praktischen Dingen, wie das Manifestieren eines kleinen Feuers, das Wärme und Licht an uns gibt, von anderen jedoch nicht gesehen werden kann und kein Holz braucht. Kiran kam auf den brillanten Gedanken.
«Wenn wir wieder länger draussen sind und von Wächtern oder so verfolgt werden sollten, kann das durchaus hilfreich sein», sein Lächeln, als er das sagte, lässt mich erahnen, welche Szenen er vor sich sieht.
«Kiran, sei vorsichtig, was du da heraufbeschwörst», lache ich zurück und meine es nur ein wenig ernst.
Unschuldig blickt er mich mit seinen schönen braunen Augen an. Als wir auch das hinbekommen, versuchen wir uns darin, zu reisen. Es ist irgendwie schwieriger als gedacht. Dennoch dauert auch das nur bis in den frühen Abend hinein. Die ganze Zeit schon spüre ich, dass wir kräftig unterstützt werden. Diese hohe Energie und Liebe, die stetig wie ein Fluss durch uns fliessen, verstehe ich als die vom Reisenden erwähnte Energieerhöhung. Es erleichtert und das Vorankommen mit den Übungen massiv. Die angekündigten emotionalen Einbrüche lassen sich damit schnell überwinden, womit unser Fokus wieder auf dem Praktizieren liegt.
Als die Sonne bereits hinter dem Horizont verschwunden ist, ihr Licht aber dennoch den Himmel erhellt, spielen wir verstecken. Gerade hat sich Kiran an einen Ort projiziert, um sich zu verbergen, während Fynn und ich im Wettstreit zu suchen beginnen. Herausfordernd sehe ich ihn an.
«Er ist mein Bruder, ich kenne seine Energie fast so gut wie meine Eigene, glaubst du, du hast eine Chance?», meine Augen funkeln vor Freude und ich sehe, dass er auf mein Spiel eingeht.
«Und ihr seid meine Familie, meinst du ich kenne eure Energie nicht mindestens so gut, wie meine?», lautet seine Antwort, mit der er mich kurzzeitig aus dem Konzept wirft und den Augenblick nutzt, um zu verschwinden.
«Frechheit.»
Mein Stapfender Fuss beeindruckt somit nur die Leere um mich. Gleich darauf konzentriere ich mich auf Kiran, sanft dehne ich meine Energie aus und taste damit nach seiner. Er scheint ein gutes Stück weg zu sein. Doch dann habe ich ihn. Sofort materialisiere ich mich neben ihm. Er hockt auf einem grossen Stein und geniesst von hier die Aussicht über das weitläufige grüne Land. In seinem Rücken befindet sich das Meer.
«Habe ich dich», zufrieden nehme ich ihn in den Arm und gemeinsam warten wir, bis Fynn auftaucht. Mit Genugtuung sehe ich ihm in die Augen, als er nur Sekunden später bei uns erscheint.
«Siehst du, du hattest keine Chance», grinse ich ihn an.
Mit einem lässigen Lächeln auf den Lippen erwidert er: «Da hattest du wohl recht.»
Ich bin nicht sicher, was dieser Ton bedeuten soll. Hat er mich gewinnen lassen?
Nur zu gerne lasse ich mich vom Auftauchen des Reisenden, von diesem Gedanken ablenken. Er gibt uns die Anweisung, innerlich die Schwingung von Andakla anzunehmen und das Wort durch unser Bewusstsein ziehen zu lassen.
«Das Wort trägt den Kern der Schwingung des Ortes selbst. Es ist ein Ausdruck davon. Eine Übersetzung der Schwingung in Ton. Ihr könnt den Namen sogar singen, das ist auch eine Möglichkeit.»
Augenblicke später sind wir, dank seiner Hilfe, wieder in Andakla. Mit einem entspannten Seufzer lasse ich mich von dieser leichten und feinen Ebene willkommen heissen. Gemeinsam kehren wir nach Hause zurück, um uns von dem Tag zu regenerieren. Auf meiner Liege spüre ich das Bedürfnis, meine Energie zu harmonisieren, alles was mich bindet, für den Moment vorbeiziehen zu lassen. Also setze ich meinen Fokus auf die universelle Kraft und gebe mich deren Licht und Liebe hin. Sie fliesst durch meinen ganzen Körper, durch alle Ebenen. Ruhe und Frieden werden zu mir und ich zu ihnen.
Am letzten Tag in Andakla verbringe ich viel Zeit allein und lasse die Energie, wie am Abend zuvor durch mich hindurchfliessen. Dabei fokussiere ich mich ganz auf die Hingabe und Liebe, mit der ich meine Aufgabe weiterhin annehmen und leben werde.
Am Nachmittag besucht mich Nyara und begleitet mich in meinen Klavierraum, den ich sehr vermissen werde. Doch ich weiss, dass ich ihn hin und wieder besuchen werden kann. Er ist meine stärkste Verbindung zur Unendlichkeit und mein ruhiger Hafen. Nyara bleibt diesmal bei mir und lauscht meinem Spiel.
Heute Abend bei der Abschiedszeremonie werden andere Spielen. Die Melodien, welche unter dem bewegten Druck meiner Finger entstehen, drücken meine tiefe Verbundenheit und Freundschaft zu Nyara aus. Sie bleibt ganz still und wir geniessen die Nähe des jeweils anderen. Als es Zeit wird, sich vorzubereiten gehen wir nach Hause.
Diesmal entwerfe ich mein eigenes Kleid, weshalb Nyara mir meinen Raum lässt. Als ich allein in meinem Zimmer vor dem Spiegel stehe, beginne ich mir mein Kleid genau vorzustellen. Es soll ein Bild von mir widerspiegeln, welches ich hier kreiert habe. Dieses zeigt die Wellen des Ozeans, wie sie sich im Kreis bewegend nach oben gegen den Himmel arbeiten. Während sie unten ein dunkles Blau mit beinahe grünen Aspekten haben, werden sie gegen oben hin heller und lichtdurchlässiger. Dementsprechend gehen sie von einem sanften Türkis bis ins hellste Blau, beinahe Weiss über.
Dieser Teil des Kleides wird an meiner Hüfte enden und von dort beginnen tausende kleine Blüten aus dem Meer zu steigen, erst sind sie hell und aber wenn sie höher in die Luft steigen, nehmen sie ein helles Rosa an. Auch die Blüten drehen sich im Kreis immer weiter hoch in den Himmel. Mein ganzer Oberkörper wird nun von dieser Blütenpracht bedeckt.
Ich kann nicht sagen, dass darunter sowas wie Stoff ist, die Blüten bilden ein eigenes Gewebe und schmiegen sich an meinen Körper. An meinen Armen dünnen sie aus und geben mehr Haut den Blicken frei. Meinen Ausschnitt umgarnen sie spielerisch und geben genau so viel von mir preis, dass es ansprechend aussieht und zu mir passt. Auch am Rücken bilden sie einen schönen etwas tieferen Ausschnitt.
Das Ganze könnte jetzt wild und unruhig klingen, doch trotz den verschiedenen Farben und Beschaffenheiten von Wasser und Blüten, bilden sie eine perfekte Harmonie. Zart und fliessend geht das sanfte Wasser über in die Blüten, als würden diese aus dem Wasser heraus entstehen. Mein Haar lasse ich offen fallen. Doch bevor ich fertig bin, klopft es an der Tür.
«Ja?», sage ich und drehe mich gar nicht erst um.
Nyara kommt sicherlich, um einen prüfenden Blick auf mich zu werfen. Aus diesem Grund achte ich nicht weiter darauf, was an der Tür geschieht. Erst als ich höre, wie sie von innen geschlossen wird, Nyaras Stimme aber nicht schon drauf los redet, drehe ich mich erstaunt um.
Mein Herz macht einen kurzen Sprung vor Erstaunen. Fynn steht da und sieht mich mit seinen saphirblauen Augen an.
«Es ist wunderschön. Damit übertriffst du dich selbst», flüstert er und ich bin mir nicht sicher, ob ihm bewusst ist, dass er seine Gedanken ausgesprochen hat.
Ich werde rot und antworte verlegen.
«Danke, ich habe vor einer Weile ein Bild kreiert, in dem dieses Motiv vorkam. Es hat mich so sehr angesprochen. Also wollte ich es heute als Kleid tragen.»
Als Fynn nichts erwidert und einfach nur dasteht und mich ansieht, beginnt mein Herz unruhig zu pochen.
«Wieso bist du hier Fynn? Wollten wir uns nicht unten treffen?»
Meine Stimme verrät meine Unruhe.
«Ich... ich habe etwas für dich. Ich habe es gestern am Strand für dich kreiert», sagt er leise und kommt auf mich zu.
So kenne ich ihn gar nicht. Seine tiefen Empfindungen schwappen auf mich über und bewegen auch mich. Als er vor mir zum Stehen kommt und meine Hand in seine nimmt, sehe ich zu ihm hoch. Er dreht meine Handfläche nach oben und legt etwas sehr kleines Warmes hinein. Mein Blick wendet sich neugierig nach unten, während er mich loslässt.
In meiner Hand liegen zwei kleine Ohrringe. Es sind zwei kleine perlartige Tropfen. Oben gegen die silberne Fassung hin, verlaufen sie zu einem Spitz, wie bei einem Tropfen Wasser, bevor er sich löst und hinunterfällt. Der Tropfen selbst schimmert perlmutartig und enthält alle Farben, ähnlich wie mein Anhänger es in dem Traum getan hat.
In dem Augenblick jedoch scheinen die Tropfen aktiv die Farben zu wandeln. Sie passen sich vor meinen Augen jenen meines Kleides an. Damit dominieren nun die dieselben blau, rosa und weiss Töne die Perlen.
Sofort steigen mir Tränen in die Augen vor Rührung.
«Sie passen sich dem an, was du trägst. So werden sie zu allem passen, sie werden sich mit dir verändern und wachsen», erklärt mir Fynn.
«Sie sind wundervoll. Ich weiss nicht was ich sagen kann...ich werde sie nie ablegen», antworte ich ihm ehrlich und stecke sie in die kleinen Ohrlöcher.
Sie sind perfekt und fühlen sich an, als würden sie mit mir verschmelzen. Schnell drehe ich mich zum Spiegel um, während Fynn dicht hinter mir stehen bleibt. Im Spiegel erkenne ich, wie rot mein Gesicht gerade ist. Doch es ist eigentlich ganz hübsch, es lässt mich so sanft wirken. Die Ohranhänger sind unglaublich und perfekt. Ein Traum, nie wäre ich auf die Idee gekommen sowas zu entwerfen.
«Sie sind einfach nur perfekt Fynn.»
Im Spiegel sehe ich, wie er gerührt lächelt, auch er hat etwas glasige Augen. Dann hebt er seine Hände und greift in meine Haare. Normalerweise dürfte das nur Nyara tun, doch im Moment sind wir uns so nahe, dass er mein volles Vertrauen hat. Als er sanft mit seinen Händen durch sie hindurchfährt, überkommt mich ein Schauer, der mich kurz die Augen schliessen lässt. Sofort öffne ich sie wieder, als er meine Haare loslässt.
Dann erkenne ich, was er gemacht hat. Überall in meinem Haar haften nun kleine Blüten und Wassertropfen. Sie greifen harmonisch das Thema und die Energie des Kleides auf und sind noch besser als das, was ich mit meinem Haar vorgehabt hätte.
Zutiefst bewegt und alles um mich vergessend, drehe ich mich zu Fynn um. Seine Hand berührt vorsichtig einen der Anhänger, er betrachtet ihn kurz und sieht mir dann in die Augen. Langsam greift er mit seiner Hand in meinen Nacken. Der feine Druck führt mich näher zu ihm.
«Du bist wunderschön.»
Ich kann fühlen, dass er damit nicht nur mein jetziges Erscheinen meint. Ein ziehen breitet sich in meiner Brust aus. Eine Art Sehnsucht flutet damit meinen Körper und es fällt mir schwer zu atmen. Eine Erinnerung an etwas sehr Altes, lange nicht mehr dagewesenes setzt sich in mir fest, während die Zeit stehen bleibt und alles um uns ruhig wird.
Neue Tränen bahnen sich ihren Weg nach draussen und als Fynn sie sieht, zieht er mich noch näher an sich heran. Mein Gesicht drücke ich an seine Brust, während er seine eine Hand in meinem Nacken behält und mit der anderen über meinen Rücken fährt. Seine Lippen drückt er sanft auf meinen Scheitel. Meine Arme um seinen Oberkörper schlingend, ziehe ich mich nahe an ihn. Nach einer Weile versiegen meine Tränen und unsere Atmung passt sich einander an.
Ein erneutes Klopfen lässt uns auseinanderfahren. Erstaunt sehe ich ihn an und gebe ein mechanisches «Ja» von mir, um denjenigen der Stört einzulassen. Es ist Kiran.
«Kommt ihr? Wir sollten gehen.»
Sein Gesicht strahlt von Herzen. Ich bin mir sicher, dass er sofort die Energie im Zimmer gespürt hat. Sein Strahlen heisst dann wohl, dass er das gut findet. Wieder sehe ich zu Fynn. Der nickt nur auf meine stumme Frage hin, ob er bereit ist. Kiran stellt sich zwischen uns und fasst uns an den Händen.
Er ist heute in einem wunderschönen und dynamischen Flammenanzug gekleidet. Es ist kein zerstörerisches Feuer, sondern wirkt eher wie von einer Kerze. Ich bin froh, dass Kiran zwischen uns geht. Unfähig einzuordnen, was da im Zimmer gerade geschehen ist, stehe ich noch neben mir. Deshalb ist mir der Abstand zwischen Fynn und mir gerade willkommen. Ich kann nicht beurteilen, wie es ihm dabei geht.
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