1 - Heilsame Rituale

Seit vielen Mondzyklen treffen Nyara und ich uns morgens, um eine Runde im Meer schwimmen zu gehen. Sie empfindet eine ähnliche Liebe zum Wasser, wie ich. Anschliessend legen wir uns immer einen Moment zum Trocknen an den Strand. Hin und wieder hilft sie mir auch aufregendere Kleider zu entwerfen. Irgendwie ist meine Kreativität in der Hinsicht immer noch etwas eingeschränkt. Ich habe mittlerweile jedoch herausgefunden, welche Farben ich besonders mag und die mein Wesen betonen. Ich liebe alle Farben, aber am wohlsten fühle ich mich in Blautönen, Olivgrün, Blassrosa bis Magenta und allen Formen von Weisstönen. Laut Nyara hat sich mein Geschmack in der Hinsicht nur wenig verändert. Was sie wohl immer wieder fasziniert.

Als wir heute am Strand liegen, drehe ich meinen Kopf zu ihr und spreche sie auf etwas an, was ich in meinen Erinnerungen gefunden habe, während ich nachts ruhte.

«Sag, ist das deine Art mich daran zu erinnern, dass wir wieder zusammen schwimmen, gehen wollten. Einfach vor meiner Tür auftauchen, mich aus dem Zimmer holen und es umzusetzen?», während ich rede, wird mein Grinsen breiter. Denn ich weiss genau, dass sie durch diese Bemerkung sofort realisieren wird, dass ich mich zumindest an gewisse Dinge erinnern kann. Die Reaktion erfolgt dementsprechend sofort. Sie dreht den Kopf zu mir und sieht mich mit ihren blauen Augen forschend an. Ich kann zusehen, wie sie versteht. Dann erstaunt sie mich, denn ihr steigen Tränen in die Augen.

«Du weisst es wieder?», fragt sie mit belegter Stimme.

Lächelnd sehe ich sie an. «Nicht viel. Ich habe nur Zugang zu den letzten Tagen hier bekommen. Aber ich habe es gespürt, alles...», es ist etwas, was ich nicht in Worte fassen kann und das nur sie versteht. Lächelnd sehen wir uns an und ein Teil unserer uralten Freundschaft, ist gerade zurückgekehrt.

Nach unserem Strandausflug verabschiede ich mich in meinen Klavierraum. Er ist mein Lieblingsort neben dem Meer selbst. Denn auch wenn ich wieder lachen kann und meinem Leben folge, spüre ich den dumpfen Schmerz immer noch in meiner Brust nachhallen. Immer wieder gerate ich in Situationen, in denen ich mich umdrehen möchte, um in Darians Augen zu sehen und ihm über diesen Kontakt mitzuteilen, was ich gerade denke. Doch da ist niemand mehr, ich sehe also immer wieder ins Leere. Nur in diesem Raum bin ich, vollkommen ich selbst und heil. Ich habe noch immer nicht volle Einsicht erhalten, in die Geschichte zwischen Darian und mir, vielleicht werde ich das auch nie, dennoch werde ich regenerieren müssen. Während meine Gedanken arbeiten, übersetzte ich sie in den Ton des Klaviers. Es spricht mir aus dem Herzen und würde jemand zuhören, könnte er verstehen, was in mir los ist.

Für heute Abend ist ein grosses Gemeinschaftstreffen mit Musik und Tanz geplant. Es gibt hier häufig solche Anlässe und sie bringen immer viel Freude und Liebe. Diesmal werde ich auch ein Musikstück beitragen. Der Reisende hat mir erklärt, dass ich einfach nur üben soll und am Fest selbst, soll ich einfach das Übersetzten, was durch mich kommt. Das wird dann die Botschaft sein, die jeder Einzelne im Raum braucht. Als er das erklärte, spürte ich das tiefe Vertrauen in mir, das nötig ist, um genau das zu erreichen. Es überrascht mich immer wieder, wenn ich am Flügel sitze, ist dieses Vertrauen unumstösslich da. Ich hoffe es bleibt auch, wenn ich vor anderen spielen werde.

Der Raum ist wie ein Ozean aus Liebe, Licht und Ton und am liebsten würde ich hier nicht weg. Doch das unumstössliche Zeichen dafür, dass ich zurücksollte, manifestiert sich in dem, der Raum wieder normal wird. Als würde er mit mir reden und mich rauswerfen.

«Das müssen wir mal klären, du wirst etwas eigensinnig», spreche ich lächelnd mit dem Raum. Von der Tür her vernehme ich ein Lachen.

«Sprichst du jetzt schon mit Räumen? Du weisst, wenn du Redebedarf hast, kannst du dich jederzeit an mich wenden.»

Ich drehe mich blitzschnell zur Tür um, da steht Fynn, seine Augen leuchten vor Freude.

«Nett, dass du dich so daran amüsierst. Jetzt weiss ich, wen ich hätte zurechtweisen müssen, dich, nicht den Raum», meine Erwiderung ist nicht annährend so ernst gemeint, wie es vielleicht klingen mag und Fynn weiss das auch.

«Ich bin gekommen, um mit dir nach Hause zu gehen. Wir sollten uns für das Fest vorbereiten. Es wird bereits dunkel», sein Grinsen wird etwas breiter, denn meine darauffolgende Reaktion hat er erwartet.

«Was, dunkel? War ich so lange hier? Eben war doch noch Morgen.»

«Kaia, wenn du hier bist, vergisst du alles, das weisst du doch. Wir haben uns bereits abgesprochen, heute hatte ich die Ehre, dich abzuholen.»

«Und wieso stehen wir noch hier herum?», frage ich leicht unter Druck.

«Keine Sorge, ich bin früher los, ich hatte so eine Ahnung, dass du leicht nervös sein könntest wegen heute Abend», sein Gesicht wird dabei wieder etwas ernster. Er sucht nach Hinweisen, die ihm zeigen, dass er recht hat und er muss nicht lange suchen. Mein Gesicht rötet sich leicht. «Wusste ich es doch. Komm, wir gehen zu Fuss, das beruhigt.»

Zügig bin ich bei ihm und zusammen verlassen wir das Gebäude. Draussen ist es tatsächlich bereits Abendstimmung, allerdings, wie Fynn gesagt hat, noch früh genug um entspannt nach Hause zu gehen. Also schlendern wir zurück und beobachten das Leben hier. Seit ich mich wieder daran beteiligen kann, wird mir auch bewusst, wie viele wir hier sind. Das ist mir anfangs nie wirklich aufgefallen. Aber es sprüht hier vor Leben. Jeder hilft hier jedem. Wenn man etwas erkannt hat oder gut kann, wird das Erfahrene an diejenigen weitergegeben, die das gerade lernen möchten. So gibt es immer einen regen Austausch an Erfahrungen, so auch an diesen Gemeinschaftsabenden wie heute. Es belebt mich, das zu sehen und ein sanftes Leuchten erreicht meine Augen. Ich versuche zu ignorieren, dass Fynn es sieht und sich darüber freut.

Zu Hause angekommen, wartet Nyara bereits auf mich.

«Danke Fynn, du kannst sie mir nun anvertrauen. Wir werden ihr einen Traum von Kleid zaubern», sie lächelt ihn dabei verschwörerisch an, als ob ich nicht da wäre.

Zusammen gehen wir hoch in mein Zimmer. Dort verfrachtet sie mich auf mein Bett. Auf der Liege sitzend, beobachte ich sie, wie sie auf und ab geht, während sie tief in Gedanken versunken ist.

«Wenn du mich an deinen Überlegungen beteiligst, kann ich vielleicht etwas an Ideen beisteuern. Vielleicht funktioniert es heute ja», sage ich ihr hoffnungsvoll, denn ich spüre, wie meine Ruhe langsam wieder in Unruhe umschlägt.

«Nein, ich habe da schon einige Ideen. Ich muss mich nur entscheiden. Du wirst wahrscheinlich allen ablehnend gegenüberstehen und wirst daher keine Hilfe sein», sie grinst mich frech an.

Ich liebe es, dass die Kleidung hier keine Begrenzung kennt. Sämtliche Materialien oder Eigenschaften, können in Kleidung eingeflochten werden. Es ist gibt wirklich kaum Beschränkungen. Das Schwierigste daran ist allerdings, sein Wesen hervorzuheben oder besser gesagt zum Ausdruck zu bringen. Aber Nyara ist darin ein Genie.

«Ich habe es», ruft sie, wie aus dem nichts.

Ohne nach meiner Meinung zu fragen, beginnt sie damit es zu kreieren, während ich immer blasser werde. Ich werde auffallen, wie sonst was, dabei ist es das Gegenteil, von dem, was ich im Augenblick brauche. Damit ich nicht noch nervöser werde und mich völlig blockiere, konzentriere ich meine Gedanken darauf, dass es heute Abend viele haben wird, die so auffällig angezogen sein werden. Es hilft ein bisschen.

«So, fertig», Nyara grinst über das ganze Gesicht, sie ist sichtlich zufrieden mit ihrem Werk. «Komm, ich helfe dir gleich.»

Das Kleid glitzert und funkelt und das Licht in meinem Zimmer reflektiert sich darin. Die Basis ist ein mitternachtsblaues Kleid, bodenlang, mit einem Schlitz am Bein, für die gewünschte Bewegungsfreiheit. Es umschmeichelt meine Hüfte, sowie Taille und legt sich wie eine zweite Haut über meinen Oberkörper. Dabei ist es diesmal vorne etwas höher geschlossen, nur um im Rücken beinahe bis zu meinem Hintern offen zu sein. Die Ärmel sind ebenfalls lang und diesmal enganliegend. Der offene Rückenausschnitt ist mit länger werdenden glitzernden Ketten verziert, die dem Kleid, wenn ich mich bewege, schöne Töne entlocken. Das alles ginge ja noch, aber das Kleid hat zudem eine Schleppe, sie ist nicht lang, aber dennoch auffällig. Dazu kommt noch das Auffälligste. Das Kleid funkelt so stark, weil es mit hunderten von diamantähnlichen Steinchen besetzt ist. Diese sorgen dafür, dass es aussieht, als hätte der Sternenhimmel persönlich einen Teil von seinem Gewand für dieses Kleid gespendet.

Als ich es an mir bewundere, entfällt auch meine Nervosität, es raubt mir einfach nur den Atem, dass Nyara so etwas wunderschönes für mich kreiert hat. Meine Haare steckt sie hinten locker hoch, während feine Haarsträhnen vorne locker in mein Gesicht fallen. Für das Hochstecken verwendet sie Haarnadeln, die am Ende blaue und silberne Steinchen haben und somit perfekt auf das Kleid abgestimmt sind. Es ist eine Kunst, die Nyara wirklich beherrscht. Zurzeit bin ich in der Hinsicht leider nicht die beste Schülerin.

Als Nyara fertig ist, klopft es leise an der Tür.

«Ja?», frage ich irritiert. Denn zuvor habe ich mitbekommen, dass jemand gegangen ist. Ich habe mich nicht weiter darauf geachtet, wer alles dabei war.

Die Tür wird geöffnet und Fynn tritt ein. Ich kann sein Gesichtsausdruck im Spiegel beobachten und als ich diesen sehe, fühle ich mich sofort vollständig wohl im Kleid. Sämtliche Bedenken und die restliche Unruhe verschwinden. Ich werde bestimmt auffallen, doch im Guten, dessen bin ich mir nun sicher. Mit einer fliessenden Bewegung drehe ich mich um und ein echtes Lächeln zaubert sich auf mein Gesicht, begleitet wird das Ganze von den fein klingenden Tönen, die das Kleid macht.

«Nyara, du hast dich selbst übertroffen.», sagt Fynn staunend und ohne den Blick von mir zu lösen. «Ich weiss. Danke», antwortet Nyara glücklich glucksend.

Die beiden verursachen bei mir das Bedürfnis schnaubend meine Augen zu verdrehen, was ich auch mache.

«Und was wirst du tragen, Nyara? Sind wir nicht schon spät dran?», frage ich sie provokativ.

«Ach ich habe meines doch schon im Kopf. Das dauert nicht lange. Wartet so lange unten», weist sie mich an. Auf meine Provokation und mein Schnauben geht sie gar nicht erst ein. Ich weiss genau, dass sie auch den Wow-Effekt haben möchte und uns deshalb nach unten schickt. Unsere Eitelkeit konnten wir wohl alle noch nicht ganz ablegen. Nun ja, eines nach dem anderen, würde ich sagen.

Auf dem Weg nach unten betrachte ich Fynns Garderobe. Das Oberteil ist diesmal viel Körperbetonter geschnitten. Auch der leichte Ausschnitt ist grosszügiger und zeigt etwas mehr von seiner schön geformten Brust. Der Stoff ist um den Ausschnitt am Hals und an den Armen mit Stickereien in der Beschaffenheit von Diamanten verziert und ich verdrehe nochmals die Augen, während ich Nyara innerlich tadle, sein ganzes Oberteil ist in Mitternachtsblau gehalten. Seine Hose ist ein wahrer Blickfänger und ich kann es nicht glauben, dass es gut aussieht, aber das tut es. Denn sie silbern zu nenne, wäre nicht treffend genug. Besser ist es so zu beschreiben, sie bricht das einfallende Licht und glänzt dadurch, wie die Sterne auf meinem Kleid.

Es ist eine Kreation, die wir mit den Materialien und Fertigkeiten in der Stadt wohl niemals hätten herstellen können und ich glaube auch nicht, dass es auf der Erde je etwas vergleichbares gab.

«Es steht dir», sage ich leise zu ihm. Das Blau und das Leuchten der Hose holen seine besten und schönsten Aspekte hervor.

«Danke, dir steht dein Kleid aber auch richtig gut. Als hätte Nyara gewusst, was ich trage und es angepasst», ein sanftes Lächeln begleitet seine Erwiderung. Darauf wird mein Gesicht ganz warm, was mich erahnen lässt, dass ich nun etwas rötere Wangen habe als zuvor.

«Das macht sie absichtlich», antworte ich verlegen.

«Keine Sorge, ich empfinde das eher als Kompliment. Das heisst sie mag mich», er zwinkert mir zu, denn er weiss genau, dass sie ihn mag.

Unten vor dem Hauseingang, warten wir auf Nyara. Ich habe mich bei Fynn eingehackt und wir sehen beide Erwartungsvoll nach oben.

«Meine Eltern, Kiran und Irven sind schon weg?», frage ich Fynn beiläufig zur Bestätigung.

«Ja, sie sind vorhin los. Du hättest Kiran sehen sollen, er platzt beinahe vor Freude, dich heute spielen zu sehen. Er hat zur Feier des Tages einen kleinen Anzug kreiert, der aussieht, als wäre er die Sonne persönlich», als er von Kiran spricht, leuchten seine Augen hell auf und er sieht zu mir.

Als ich das spüre, sehe ich auf zu ihm, um zu lesen, was er mir so vermitteln will. Ich verstehe sofort. Kiran ist nicht der Einzige, der diese Freude empfindet, mich heute spielen zu sehen. Auch Fynn empfindet es als einen ganz besonderen Anlass. Ich lächle verlegen. Diese liebevollen Erwartungen, geben mir einerseits ein warmes Gefühl, andererseits flattert nun mein Magen doch wieder. Es ist das reinste Gefühlskarussell heute.

Dann können wir Nyara auf der Treppe hören und drehen die Köpfe sofort zu ihr. Sie bleibt extra einen Moment auf der Treppe stehen, damit wir sie von allen Seiten betrachten können. Sie sieht umwerfend aus. Ihr Kleid ist einer wunderschönen gelben Blume nachempfunden. Es ist enganliegend geschnitten, aber aus einem Material, das ihr sämtliche Bewegungsfreiheit erlaubt. Die Farbe bis hoch zur Brust ist in einem hellen und sehr lebendigen Grün. Ihre Schultern und Arme sind frei, doch sie sind vom wallenden Blütenkranz in einem Sonnengelb umgeben, es passt wundervoll zu ihrem Haar. Dieses hat sie mit Blüten so geflochten, dass es wirkt, als würden die feinen Blütenstaubblätter der Blume dort sichtbar werden. Es mag im ersten Augenblick schlicht klingen, aber durch ihre Körpergrösse und ihr lebendiges Wesen, verleiht sie dem Kleid oder auch das Kleid ihr das nötige Etwas.

«Bezaubernd», sage ich ihr gerührt.

«Wundervoll, darf ich die beiden Schönheiten, denn nun zum Fest begleiten?», fragt Fynn absichtlich hochgestochen.

«Selbstverständlich, dürfte ich an deiner anderen Seite gehen?», erwidert Nyara, seine Tonart imitierend.

«Mein Arm steht euch zur Verfügung meine Liebe.»

Ich fühle mich gerade wie eine Zuschauerin einer Theaterszene und bin damit bestens unterhalten. In solchen Momenten vergesse ich den dumpfen Schmerz in meiner Brust und lebe vollkommen im Augenblick. Auch wenn das ausserhalb meines Klavierraumes selten vorkommt, geniesse ich es jedes Mal.

Schnell erreichen wir den Festsaal. Es ist wieder das gleiche Gebäude, die glasartige Kuppel mit den schönen universellen Strukturen. Diese scheinen aus demselben Material geschaffen, wie mein Anhänger. Die Dekoration des Raumes ist diesmal anders. Es gibt keine Tücher und auch keine Blumen, dafür sind im ganzen Raum kleine helle sternartige Lichter verteilt, sie scheinen einfach in der Luft zu schweben. Ansonsten ist der Raum etwas abgedunkelt. Die Tanzfläche, die beinahe den ganzen Raum einnimmt, hat eine Weltraumoptik. Der Boden ist fest, aber so lebendig und unendlich, dass man das Gefühl hat, durch das All zu schweben.

Staunend stehe ich da und betrachte alles, ein leichter Schauer arbeitet sich durch meinen Körper.

«Nyara, wusstest du, dass heute alles so dekoriert ist?» Mein Gewand fügt sich nahtlos in die Szenerie ein und das raubt mir beinah den Atem.

Nyara selbst, als Blume im Weltall scheint ein wenig fremd zu wirken. Wobei, als ich mir die anderen Werke der Gäste ansehe, realisiere ich, dass es kunterbunt einfach alles darunter hat. Von Wald und Wiesenmotiven, zu Ozean- oder Wolkenkleidern.

Ist Kreativität nicht etwas Schönes, denke ich für mich.

«Nein, ehrlich, davon wusste ich nichts», antwortet sie mir verspätet und holt mich aus meinen bereits weitergeschweiften Gedanken zurück. Ich kann hören, dass sie ehrlich ist.

«Unglaublich...», antworte ich, allerdings kann sie am Ton hören, dass ich es allgemein meine und nicht ihre Ehrlichkeit in Frage stelle.

«Ich glaube, wir haben noch Zeit für einen Tanz, wenn du möchtest, Kaia?», fragt mich Nyara.

«Sehr gerne, die Ablenkung wird mir guttun», antworte ich und schnell gehen wir zur Tanzfläche, Fynn indes lässt uns den Raum und verschwindet.

Bisher habe ich es gemieden zu den Musikern zu sehen. Doch ihre Klänge, die sie durch den Raum fliessen lassen, sind unglaublich. Sofort zieht es mich mit und meinen Verstand lasse ich an der Tür stehen. Dadurch bin ich augenblicklich im Einklang mit Nyara. Ich spüre unsere uralte Vertrautheit in jeder Faser und in jeder Bewegung. Hingebungsvoll tanzen wir gemeinsam durch den Weltraum und es fühlt sich tatsächlich so an, als wären wir schwerelos.

Innerlich kann ich es zuerst wahrnehmen. Ein sanfter Impuls, dass es jetzt gleich soweit ist und ich bereits zu meinem geliebten Flügel gehen soll. Dann öffne ich die Augen und sehe, dass Nyara auch Bescheid weiss. Sie gibt mir Mut, als sie mir zum Abschied die Hand fest drückt.

Als ich nach vorne gehe, kann ich meinen eigenen Herzschlag hören. Ich spüre jede Zelle in meinem Körper, wie sie zu vibrieren beginnt. Es ist nicht das angenehme, lustvolle Vibrieren, sondern jenes, das aus Nervosität und Angst entsteht. Ich versuche tief zu atmen. Vorne angekommen, sehe ich die anderen Musiker kurz an, einige von ihnen werden mich begleiten, andere sind jetzt dran mit Tanzen. Ich setzte mich an den Flügel und erinnere mich daran, was der Reisende gesagt hatte. Ich soll Vertrauen haben.

«Öffne dich und das Richtige wird durch dich hindurchfliessen. Du übersetzt die universelle Botschaft», höre ich den Reisenden jetzt zu mir sprechen. Seine heilende und schützende Präsenz legt sich sanft um mich. Sofort entspannt sich das innere Zittern. Ich schliesse die Augen, atme tief durch, empfange seine liebevolle Ruhe.

Alles in mir öffnet sich und ich kann spüren, wie das goldene Licht über meinen Kopf in mich fliesst. Es beginnt die Führung zu übernehmen und meine Hände bewegen sich unter dieser zarten Berührung wie von allein. Ich vergesse alles um mich herum, die Botschaft in den Klängen, vibrieren in mir. Was ausserhalb geschieht, entzieht sich mir völlig.

Es sind liebliche Melodien, manchmal erzählen sie von unruhigen und herausfordernden Zeiten, nur um dann wieder ins Vertrauen und die Liebe zu finden, was sich in leichten und ruhigen Klängen äussert. Das Stück neigt sich dem Ende, als auch dieser konstante innere Fluss der Führung nachlässt. Die Bewegungen meiner Hände werden langsam ruhiger, bis sie den letzten langhaltenden Ton spielen.

Ich öffne die Augen und tauche aus meiner absorbierten Blase auf. Zum ersten Mal erfasse ich die Stimmung im Raum. Die Emotionen sind förmlich greifbar. Jeder wurde durch die Melodie in einen aufbauenden Prozess geleitet. Das war die Aufgabe meiner Übersetzung heute Abend. Bei den restlichen Beiträgen wird es jetzt vor allem darum gehen, den Zuhörern und Tänzern das Angebot zu machen, einige ihrer Prozesse in Bewegung zu übersetzten und zu verarbeiten zu beginnen.

In der Menge stechen zwei Menschen für mich heraus. Einmal ist da Kiran, in seinem Sonnengewand, das wie Fynn gesagt hatte, wundervoll an ihm aussieht. Ich kann seine riesige Freude erkennen, die er in sich trägt und die noch grösser geworden zu sein scheint, weil ich meine Aufgabe so gut gemeistert habe. Der Zweite ist Fynn, ich sehe noch Spuren von Tränen in seinen Augen, was augenblicklich dazu führt, dass sich auch meine angestauten Emotionen in Tränen ausdrücken. Sofort sind die beiden bei mir.

«Kaia, du warst so grossartig. Es war wunderschön», redet Kiran liebevoll auf mich ein. Er umarmt mich stürmisch.

«Danke mein Sonnenschein», antworte ich mit einer von Tränen gezeichneten Stimme. Über Kirans Kopf hinweg, der mir nur bis zur Taille reicht, sehe ich Fynn in die Augen. Ohne ein Wort auszutauschen, überwindet er den letzten Rest an Distanz zwischen uns und nimmt Kiran und mich in den Arm. Ich lege meinen Kopf an seine Schulter und da spüre ich, wie ein Teil meiner Trauer und meines Schmerzes von mir geht. Mit jeder Träne werde ich etwas leichter.

Die Musik hat wieder begonnen, jetzt übersetzten andere die innere Führung. Ich darf mich also einfach in ihrem Spiel verlieren. Alles um mich verschwindet, nur Kiran und Fynn, dicht bei mir nehme ich jetzt noch wahr. Ein weiterer kleiner Schritt in Richtung Heilung geschieht genau in diesem Moment.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top