12. Müde
Es war Freitag Mittag, ein windiger Tag, der vor der Tür stehenden Herbstferien würdig. Die meisten Schüler waren gerade in der Mensa und ließen sich ihr Mittagessen schmecken, bevor er für die meisten von ihnen in wenigen Stunden für eine Woche nach Hause gehen würde. Manu genoss die Zeit, die er in seinem Zimmer für sich hatte. Wäre er wie die Meisten nach Hause gefahren, hätte er jetzt wohl gepackt, aber er würde, wie der Rest der Basketballmannschaft auch, die Herbstferien im Internat verbringen, um intensiver trainieren zu können.
Normalerweise hatte er sich in den letzten Jahren immer auf diese Zeit gefreut. Die Schule hatte, von allen Schülern außer den wenigen Sportlern verlassen, eine ganz eigene, schöne Stimmung. Sie verbrachten die Tage mit Training, Theorielektionen und abends gemeinsamen Aktivitäten, es entstand jedes Mal ein ganz eigenes Gemeinschaftsgefühl, dass sie als Team bis jetzt jedes Mal noch mehr zusammengeschweißt hatte. Und wenn sie dann gemeinsam Pizza bestellten, die ihnen direkt an die Turnhalle geliefert wurde, die Abende zusammen feierten oder zwischen den einzelnen Trainingseinheiten kollektiv die großen Matten in den Turnhallen besetzten, um ein paar Minuten verlorenen Schlaf aufzuholen, dann fühlte sogar Manu sich zugehörig. Und die Aussicht, alternativ die Zeit Zuhause mit seinen Brüdern verbringen zu müssen, hatte die Trainingswoche jedes Jahr nur umso verlockender erscheinen lassen.
Dieses Mal war es anders. Manu wünschte sich vielleicht sogar ein bisschen, nach Hause zu seinen Brüdern zu dürfen. Er war sich ziemlich sicher, dass Patrick dieses Jahr nicht zulassen würde, dass er in der Gruppe aufgenommen wurde. Er würde zusehen dürfen, wie die Anderen wie die letzten Jahre Spaß hatten und zu einer Gemeinschaft zusammenwuchsen, ohne selbst dazu zu gehören.
Eigentlich hatte Manu mit Dado schreiben wollen - der jetzt, kurz vor seiner Entlassung sein Handy immerhin schon ein bisschen häufiger und länger bekam - aber von ihm fand er bloß eine eilige Nachricht, er müsse jetzt Mittagessen.
Auch Manus Magen rebellierte, er hatte schon zum Frühstück nur schnell ein Stück Brot verschlungen, aber er hatte beim besten Willen keine Lust, jetzt nach unten zu gehen, wo ihn im schlimmsten Fall Patrick oder dessen Clique abfangen würden.
Nein - noch mehr schmerzende Körperteile wollte Manu sich wirklich nicht vorstellen, jetzt, wo ihm die trainingsintensivste Woche des Schuljahres bevorstand. Er tippte eine kurze Antwort an Maurice: »Schade. Meld dich, wenn du kannst. Ich hab Zeit.«
Dann legte er sein Handy zur Seite und lehnte sich erschöpft im Bett zurück. Eigentlich müsste er seinen Eltern noch schreiben, zumindest eine kurze Nachricht zum Ferienbeginn, auf ihre letzte Frage, wie es ihm ging hatte er immer noch nicht geantwortet - aber er hatte keine Lust.
Der Spiegel an der Schranktür zeigte ihm unbarmherzig, wie blass er aussah, irgendwie ausgezehrt und erschöpft und seine dunklen Haare taten ihren Teil, um seine Haut noch kränklicher wirken zu lassen. Die Augenringe, die sich deutlich abzeichneten, ließen Manu seufzen.
Wundern tat es ihn eigentlich nicht. Er hatte die letzten Nächte kaum mal mehr als fünf Stunden geschlafen, achtete immer penibel darauf, vor Patrick aufzustehen und wagte es selten, vor ihm ins Bett zu gehen. Er hatte Angst, was der Ältere ihm antun würde, wenn er schlief und hilflos war.
Ob er es jetzt wagen konnte, eine halbe Stunde Schlaf zu ergattern? Patrick müsste theoretisch auf jeden Fall noch eine ganze Weile beim Essen sein. Wenn Manu Glück hatte, würde er sich dann noch etwas mit seinen Freunden verquatschen und er sein Zimmer zumindest für eine Weile für sich haben. Ein Rückzugsort war das hier eh schon lange nicht mehr für ihn. So einen richtigen Platz, an dem er sich sicher fühlte und einfach entspannen konnte, hatte er eh nicht mehr. Da war sein Bett, unter zwei Decken vergraben, noch das, was am nähsten dran kam - trotz Patricks Anwesenheit, die ihm Angst machte.
Und wenn er ehrlich zu sich selbst war, würde er den Schlaf gut brauchen können. Übermüdet spielte man keinen guten Basketball und so richtig entspannen würde er die nächsten Tage in den Pausen, wenn alle eine Weile schlummerten, auch nicht können.
Vielleicht war es dumm und er würde es doch noch bereuen, wenn Patrick zurück kommen würde, aber all diese Gründe überzeugten ihn schließlich doch, sich in sein Bett zu verkriechen, noch eine Nachricht an Dado, dass er nun doch erstmal vielleicht nicht sofort antworten würde, der Handywecker, der ihn in einer dreiviertelten Stunde wecken würde, und keine fünf Minuten später schlummerte Manu tief und fest.
Als Manus Handywecker klingelte, konnte er den Ton erst gar nicht zuordnen. Er wollte noch nicht wieder aufwachen, wollte nicht wach sein müssen. Wieso durfte er nicht einfach schlafen? Wenn er den Wecker nur lange genug ignorieren würde, vielleicht ...
Erschrocken hielt Manu die Luft an, als er Schritte hörte. Patrick schien also schon wieder zurück zu sein, kam gerade auf ihn und das Bett zu und - schaltete seinen Wecker aus. Kurz regte sich nichts, dann legte er Manus Handy wieder auf den Nachttisch - kurz hatte er befürchtet, er würde es einfach mitnehmen - und schien zu seiner Zimmerseite zurückzukehren.
Eine Weile lang traute Manu sich nicht, sich zu rühren. Am liebsten hätte er weiter geschlafen, aber Patrick - andererseits hatte er ihn bis jetzt auch einfach schlafen lassen, ohne irgendetwas zu machen. Hatte er überhaupt eine Wahl? Er war so verdammt müde, er konnte jetzt nicht aufstehen. Es ging nicht. Und selbst wen Patrick sonst was mit ihm machen würde.
Manu war kurz davor, wieder einzunicken, als er hörte, wie es an der Tür klopfte, die nur wenige Sekunden danach aufging.
»Wie siehts jetzt aus, Palle, kommst du mit?«
Der Stimme nach war es Sebastian, der da hereingekommen war, um seinen Kumpel zu sehen. Was Patrick ihm antwortete, überraschte Manu jedoch.
»Schrei nicht so. Ja, ich komm mit, wart kurz.«
»Was ist los?«
Patrick deutete anscheinend in Manus Richtung. »Er schläft.«
Sebastian antwortete nicht mehr, wahrscheinlich hatte er seine Reaktion irgendwie nonverbal zum Ausdruck gebracht. Es dauerte noch ein paar Sekunden und leises Gekrusche, bis Patrick erneut antwortete.
»Okay, ich habs. Los, gehen wir.«
Als die beiden die Tür - extra leise, wenn Manu sich nicht täuschte - hinter sich schlossen, wagte er es auch wieder, die Augen zu öffnen. Wach war er jetzt eh. Was war das denn gewesen? Das war ja mal so gar nicht Patrick-mäßig, man hätte fast denken können, er würde ihn gar nicht so sehr hassen. Seit wann war er denn so ... fast schon nett zu Manu?
Immer noch verwirrt griff Manu nach seinem handy. Vielleicht war Dado ja endlich online, er brauchte jetzt dringend jemanden zum Reden.
Dado war tatsächlich online und hatte ihm geantwortet. Im selben Moment, in dem Manu seine Nachricht auf dem Sperrbildschirm seines Handys sehen konnte, wurde ihm auch bewusst, dass Patrick sie ebenso gelesen haben musste, als er seinen Wecker aus gestellt hatte.
»Ist Patrick nicht da, oder kannst du jetzt doch schlafen, während er da ist?«
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Hayho, Leute!
Ja, besser spät als nie: Ein neues Kapitel!
Was haltet ihr davon?
Hat Patrick sich komisch verhalten? Und warum?
Wer will, kann gerne wieder Charakter-Fragen stellen.
Liebe Grüße und einen schönen 1. Dezember!
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