7. Kälte und Wärme

Das erste, das sie dachte, war, dass es sich eigentlich gar nicht schlecht anfühlte. Ihr war nicht kalt. Sie lag - oder zumindest glaubte sie, dass sie lag -, es war still und dunkel. Ein sanfter Wind strich über ihr Fell, langsam öffnete sie die Augen. Das Licht blendete sie, sie blinzelte, versuchte, in den verschwommenen Umrissen etwas zu erkennen, blinzelte noch einmal und bemerkte, dass sie nicht lag. Sie stand. Oder zumindest so etwas in der Art; jemand hatte sie am Nackenfell gepackt und zog sie über den Boden. Nein. Über das Wasser! Durch das Wasser. Nur ihr Kopf war darüber. Sie beobachtete die Oberfläche. Der Fluss war hier nicht mehr tief, kleine Wellen bäumten sich zwischen den runden Steinen auf.

Und ihr war kalt. Eisig kalt. Als ihr das auffiel, bemerkte sie, wie sehr ihr alles wehtat. Ihr Kopf, die Pfoten, der Rest des Körpers. Ihren Schwanz konnte sie vor Kälte gar nicht mehr spüren.

Jemand zog sie an das Ufer, legte sie auf den Steinen ab. Sie hustete, schaute auf und sah in Sturmpfotes Augen. Er wirkte müde, unglaublich müde für so einen kleinen Kater.

»Frag nicht.« Mit einem tiefen Seufzer ließ er sich neben ihr fallen, rollte sich auf den Rücken und sah in den Himmel. »Frag einfach nicht.«

»Danke.«

»Du musst das Wasser aus dem Pelz bekommen.« Kraftlos stand er wieder auf und schüttelte sich, bevor er versuchte, sich das Fell zu putzen. »Es ist kalt.«

Ihr Kopf fühlte sich betäubt an. Ihr ganzer Körper fühlte sich betäubt an, und unter der Betäubung lag Schmerz. Dumpfer, eisiger Schmerz.

Das erste, was sie taten, als sie trocken waren, war, die Hänge hinaufzulaufen. Nur weg vom Fluss, und weg vom Wind. Der Fluss hatte sie weit abgetrieben, nicht zu weit, aber weit genug. Inzwischen war es Sonnenhoch, und die Sonne schien gnädig auf sie herab, während sie die Hänge entlang des Flusses hinaufliefen; zurück an die Flache Stelle, wo sie eigentlich hatten landen wollen.

»Du bist zwischen zwei Steine gekommen«, sagte Sturmpfote irgendwann. »Bei dem Aufprall hast du sicher dein Bewusstsein verloren. Aber ich konnte mich fangen und dir heraushelfen. Die Strömung war dort nicht so stark, und wenn man einmal zum Stehen gekommen ist, ist es ja auch gar nicht so schwer, wieder herauszukommen.« Er sah sie von der Seite an. »Außerdem bist du ziemlich leicht. Würde man gar nicht denken, wenn man dich so sieht.«

»Das ist mein Winterfell!«

»Ich weiß.«

»Danke.«

»Schon gut. Du hast mir ja auch das Leben gerettet. Immerhin hast du uns abgebremst.«

Sie nickte, hielt im Nicken inne und verzog das Gesicht. »Aber ich habe dich auch erst dazu gebracht, überhaupt erst in den Fluss zu steigen.« Weidenpfote blieb stehen und sah ihn an.

Er sah nicht zurück. Er blieb auch nicht stehen. Er sagte nur: »Lass uns hoffen, dass es sich für diesen Einzelläufer lohnt«, und ging weiter. »Kennst du diese Katzen, die unbedingt wollen, dass man ›ich verzeihe dir‹ sagt?«

»Ich verzeihe dir.«

Er blieb stehen und neigte den Kopf. »So war das jetzt nicht gemeint.«

»Ich weiß. Ich meine nur...« Sie schüttelte den Kopf.

»Du meinst nur...?«

»Nichts. Lass uns weitergehen.« Hastig drängte sie sich an ihm vorbei. Sturmpfote seufzte und folgte ihr. »Wie ist es eigentlich so als Heiler?«

»Wie soll es denn sein.«

»Ich weiß nicht. Aufregend, vielleicht. Oder schön.«

»Es ist besser als das davor, wenn du das meinst.«

Sie schwieg.

»Nicht wegen dir oder meiner Schwester. Ich meine, man kann Kräuter sammeln und so etwas. Das liegt mir mehr, als meine Freunde zu verprügeln«, er zuckte mit den Schnurrhaaren, »Gänseblümchen schlagen wenigstens nicht zurück.«

»Und du weißt viel.« Über Prellungen und Stauchungen, zum Beispiel. Er wusste bestimmt, wie man sie auseinanderhielt.

Aber Sturmpfote zuckte nur mit dem Schwanz. »Nicht mehr als du. Andere Dinge. Du weißt zum Beispiel, wo du Mäuse fangen kannst. Und wie du am besten ein Kaninchen erbeutest. Oder wie du deinen Gegner am besten...«

»Ich habe schon verstanden.«

»Oder wie du dich bei Leuten beliebt machst.«

Irritiert blieb sie stehen. »Das weißt du doch auch so.«

Vorsichtig hielt auch er an. Seine Ohren zuckten. »Nein, ich meine, wie du ... naja, jemanden findest.«

Sie blinzelte, überlegte, ob sie etwas sagen sollte, und sagte nichts.

»War nur so ein Gedanke.« Er musste sich anstrengen, sie noch aufholen zu können. »Tannenblüte bekommt ja bald ihre Jungen.«

»Wem du das sagst.« Sie schnaubte leise.

»Was? Redet Tupfenherz etwa davon?«

»Nicht direkt. Natürlich nicht. Ich meine, es ist Tupfenherz.«

»Klar.«

»Aber er ist nervös, glaube ich.«

»Tupfenherz kann nervös sein?«

Sie lachten leise. Es tat gut, wieder mit jemandem lachen zu können. Vor Allem, wenn dieser Jemand Sturmpfote war.

»Er ist niedlich«, sagte sie plötzlich.

»Bitte was?« Tupfenherz war Einiges - ein Schatten hinter den Bäumen; der seltsame Kater, der alles beobachtete; derjenige, der alle Geheimnisse kannte und dem alle vertrauten; gleichzeitig derjenige, dem niemand wirklich traute, weil niemand sagen konnte, wie viel genau er wusste; derjenige, der immer lächelte und immer freundlich war; der einzige Kater, der für Tage verschwinden konnte, ohne dass es jemanden verwunderte; derjenige, der das Lager und das Territorium besser kannte als jeder andere, der immer wusste, was im Wald vor sich ging und wer wo wann war; derjenige, den man als Junges fürchtete und bewunderte zugleich, mit dem man sprechen wollte und gleichzeitig nicht; jemand, den jeder liebte, und von dem niemand wusste, wer er wirklich war.

Tupfenherz war Einiges. Aber niedlich - das hatte noch nie jemand gesagt.

»Er ist niedlich. Mit Tannenblüte, meine ich. Die beiden sind niedlich zusammen. Ich glaube, ihre Jungen werden die niedlichsten Jungen der ganzen Welt.«

»Du findest ihn niedlich?« Sturmpfote blinzelte und schüttelte verständnislos den Kopf. »Verstehe einer diese Kätzinnen.«

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