38. Was hast du da?
°○ Leon ○°
"Mein Zimmer ist oben, rechts von der Treppe", flüsterte ich Maria zu und nickte in Richtung Tür, die zum Flur führte.
Wir waren durch den Hintereingang erst zum Hauswirtschaftsraum reingekommen und von dort in die Küche. "Lauf schon mal vor! Und pass auf, die dritte und vierte Stufe von oben knarrt. Auf die darfst du nicht treten."
"Ist gut", flüsterte Maria zurück und gab mir einen Kuss.
"Leon!", erklang Richards Stimme aus dem Wohnzimmer. "Hol mir mal ne Kiste Bier!"
"Ja, mach ich." Ich sah Maria an und nickte wieder zur Tür.
Maria verstand und schlich hinaus.
"Wird's bald?", rief Richard erneut.
Er klang schon deutlich verärgert, als würde er schon seit Stunden auf seine Kiste warten. Geduld war noch nie eine von seinen Stärken gewesen, immer musste er alles sofort haben.
"Ich komme", sagte ich, bemüht darum, ruhig und freundlich zu klingen.
Auf einen Ausraster von Richard sollte ich es lieber nicht anlegen, vor allem nicht jetzt, wo Maria hier war.
Ich war natürlich froh, dass sie mich besuchte. Trotzdem, es war auch seltsam, irgendwie.
Ich hatte nie Besuch. Auch als Kind war nie jemand zu mir nach Hause gekommen.
Eddie war ein paar mal hier gewesen, hatte aber immer nur kurz in der Küche gesessen und darauf gewartet, bis ich soweit war, mit ihm zu kommen.
Auch damals hatte ich schon jeden Tag in der Werkstatt mithelfen müssen.
Natürlich war es nicht so viel Arbeit gewesen wie heute, aber auf jeden Fall genug, um schon in der Grundschule regelmäßig im Unterricht einzuschlafen.
"Was ist mit der Kleinen?" Richard thronte in seinem Sessel, die Fernbedienung in der einen und den Flaschenöffner in der anderen Hand.
"Die ist mit Manuel weg."
"Gut", sagte Richard und nickte zu der Kiste, die ich ihm neben den Sessel gestellt hatte. "Mädchen sollte man nie alleine nach Hause laufen lassen."
"Ich weiß", antwortete ich und reichte ihm eine Flasche.
"Gut", sagte Richard wieder. Er griff sich die Flasche, öffnete sie und nahm gleich einen großen Schluck.
"Soll mich wundern, wie ausgerechnet du dir so ein süßes Mäuschen angeln konntest." Richard rülpste. "Die arme Kleine! Muss ja auf beiden Augen blind sein."
"Ja, muss sie wohl." Ich senkte den Blick.
Ja, es stimmte. Für so jemanden wie Maria war ich kein guter Umgang. Da konnte ich machen, was ich wollte, ihr geben, so viel wie ich konnte.
Es wäre trotzdem nie genug.
Sie könnte es auf jeden Fall besser treffen. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie das auch so sah.
In meinem Zimmer stand Maria an meinen türenlosen Kleiderschrank gelehnt und starrte vor sich hin. Als sie mich kommen hörte, zuckte sie erschrocken zusammen.
"Keine Angst, Süße! Ich bin's nur", sagte ich, betrat das Zimmer und schloss die Tür hinter mir. "Hättest es dir ja ruhig schon mal etwas bequem machen können."
"Ich wusste nicht, wo ich mich hinsetzen sollte", sagte Maria und blickte sich im Zimmer um, als erwartete sie, dass nun Möbel an den Stellen stehen würden, die vorher leer gewesen waren.
"Ja... die Matratze wäre okay gewesen", sagte ich schnell und stieß dabei ein verlegenes Lachen aus, das unangenehm laut im Raum widerhallte.
"Hast du deinem Vater erzählt, dass ich hier schlafe?", fragte Maria.
"Nein. Er denkt, du bist mit Manuel weg."
"Hab ich mir schon gedacht." Sie zitterte wieder, was neben ihren immer noch nassen Kleidern wohl der niedrigen Temperatur hier im Raum geschuldet war, die sich kaum von der Kälte des Winters da draußen unterschied.
"Du solltest jetzt mal duschen", meinte ich, lief an meinen Kleiderschrank und begann Maria dort Sachen heraus zu suchen. "Sonst erkältest du dich noch."
"Ich weiß nicht." Maria schniefte. "Was ist, wenn dein Vater mich erwischt?"
"Der wird denken, dass ich unter der Dusche stehe", meinte ich und holte zu der schwarzen Boxershorts noch ein graues T-Shirt aus dem Kleiderschrank.
"Handtücher sind im Badezimmer, im großen Schrank", sagte ich und hielt dann inne.
Lauschte auf Richards vom Bier schwankende Schritte unten im Flur.
"Komm schnell!" Hastig drückte ich Maria die Kleidungsstücke in die Hand und zog sie mit mir, als ich ins gegenüberliegende Badezimmer eilte.
Ich schloss die Tür hinter uns beiden ab, gerade als Richard die Treppe hochkam, lief schnell zur Dusche und drehte das Wasser auf.
"Leon!" Die Türklinke wurde heruntergedrückt. "Zum Teufel, was- Es ist mitten in der Nacht! Was gehst du da jetzt noch duschen?"
"Ich hab bei der Arbeit so geschwitzt. Da wollte ich mich nicht mit ins Bett legen."
Richard lachte. "Wenn du von so ein bisschen Rumstehen und Löcher in die Luft gucken schon das Schwitzen kriegst, solltest du erst mal richtig arbeiten gehen", spottete er und rülpste. "Morgen früh stehst du wieder bei mir auf der Matte, um Punkt sieben Uhr!"
"Ich muss aber doch noch zur Schule", meinte ich.
"An einem Samstag?"
"Morgen ist Freitag."
"Ah ja?", fragte Richard. "Na schön. Dann kommst du eben nach der Schule."
"Ist gut", sagte ich, da fiel die Tür zum Schlafzimmer schon ins Schloss.
"Dein Vater ist streng", stellte Maria fest.
"Ja... so kann man das auch ausdrücken", sagte ich und grinste.
"Vielleicht sollte ich ja doch lieber wieder nach Hause gehen."
"Jetzt red keinen Stuss! Ich lass dich doch jetzt nicht nach Hause laufen! Mitten in der Nacht! Und dann noch bei diesem Wetter!"
"Ja, aber-", wollte Maria mir widersprechen, hielt sich dann die Hand vors Gesicht und nieste. "Was ist, wenn dein Vater herausfindet, dass ich hier bin?"
"Das wird er schon nicht."
"Und wenn doch?", fragte Maria. "Ich will nicht, dass du wegen mir Ärger bekommst."
"Mach dir darüber mal keine Sorgen! Hier!" Ich gab ihr ein Taschentuch.
Maria nahm es, hielt es sich vors Gesicht und schien etwas mit sich zu hadern, bevor sie dann einmal kurz hineinblies.
"Gleich nochmal!", forderte ich sie auf. "Kräftig Naseputzen!"
Maria zögerte einen Moment, dann schnäuzte sie sich erneut, diesmal deutlich fester, als beim ersten Mal.
"Na also, es geht doch!" Ich holte schnell zwei Handtücher aus dem Schrank und hängte sie über die Duschwand, zog mir meinen Pullover aus und begann dann den Gürtel meiner Hose zu öffnen.
"Na komm, wir müssen uns beeilen", sagte ich. "Sonst fragt Richard sich gleich noch, was ich hier so lange mache." Ich sah Maria an, die stand immer noch in ihren nassen Klamotten vor mir und machte keine Anstalten, sich auszuziehen. "Was ist?"
"Nichts... ich... also, du könntest mir ja auch etwas Geld leihen, für den Bus."
"Vergiss es!"
"Ich gebe es dir auch zurück, sobald ich-"
"Darum geht es nicht!", fiel ich Maria ins Wort. "Heute Nacht gehst du nirgends mehr hin!"
"Aber-"
"Nichts aber!" Ich nickte zur Dusche. "Jetzt komm!"
Eine Weile erwiderte Maria noch meinen Blick, die Arme fest vor der Brust verschränkt und merklich vor Kälte zitternd, dann begann sie sich endlich auszuziehen.
"Geht das so?", fragte ich, als Maria wenig später zu mir in die Dusche stieg. "Oder ist dir das zu heiß?"
"Schon ein bisschen", antwortete Maria, die sich gleich eng an die mir gegenüberliegende Wand drückte, da stellte ich das Wasser etwas kälter. "So besser?" Ich hielt ihr die Duschbrause hin.
Maria hielt die Hand in die Strahlen, dann nickte sie.
"Gut, dann nimm!", sagte ich, drückte ihr die Duschbrause in die Hand, nahm dann das Shampoo und begann mich einzuseifen.
Maria entspannte sich etwas, sobald das warme Wasser über ihren Körper lief, schien jedoch trotzdem noch darauf zu achten, sich so nah an die Fliesen und von mir weg zu drücken, wie es ihr möglich war.
"Willst du Shampoo?", fragte ich und hielt ihr die Flasche hin.
"Das ist doch für Männer, oder?"
"Ja und?" Ich grinste. "Da wächst dir schon kein Bart von. Hier!"
Maria zögerte einen Moment, dann nahm sie die Flasche, gab mir dafür die Brause und drückte sich etwas Duschgel in die Hand.
"Das ist doch viel zu wenig!", meinte ich und nahm Maria die Flasche ab. "Da!" Ich drückte ihr noch etwas mehr von dem Gel in die Hand.
"Danke" Maria begann sich einzuseifen, während ich schon dabei war, mich abzuduschen.
Maria hatte einen schönen Körper. Das hatte ich natürlich auch schon vorher gewusst, jedoch wurde mir das jetzt noch mal deutlicher, wo ich ihn zum ersten Mal so richtig vor mir sah. Ganz unverhüllt und glänzend von den Wassertropfen, die ihr über die Haut perlten, sich mit dem Schaum vermischten, überall, wo sie sich mit den Händen entlangfuhr.
Maria stand leicht gebeugt da mit hochgezogenen Schultern, immer noch dicht an die Fliesen gedrückt und die Beine eng beieinanderstehend, als ob sie darauf bedacht war, trotz ihrer Nacktheit möglichst wenig von sich preiszugeben.
"Komm mal von der Wand weg, Süße!", sagte ich, nahm Maria am Arm und zog sie etwas näher zu mir in die Mitte der Duschkabine, bevor ich damit begann, ihr den Schaum vom Körper zu waschen.
Maria stand ganz still und beobachtete mich dabei, wie ich die Duschbrause über ihre Haut fahren ließ, über ihre prallen Brüste, deren Nippel jetzt hellrosa und weich aussahen, ihre Arme, bis hinunter zu ihren Beinen, die sie immer noch so dicht aneinander drückte, dass man den kleinen Spalt dazwischen inmitten der Schamhaare nur erahnen konnte.
Als Maria die Hände an den Kopf hob, um sich den Schaum aus den Haaren zu drücken, sah ich noch etwas anderes.
"Was hast du da?", fragte ich und wies auf einen blauen Fleck an Marias Bauch, in der Nähe ihres Nabels.
"Nichts... da hab ich mich gestoßen."
"Wie das?", fragte ich weiter.
Maria zuckte die Achseln. "Bin gestolpert."
Ich musterte sie. "Das glaub ich dir nicht."
Maria wich meinem Blick aus.
"Das ist beim Streit passiert, vorhin mit deinem Vater.", meinte ich dann. "Darum bist du von Zuhause weggelaufen."
Maria schwieg.
Das reichte mir als Antwort.
"Hier, komm!", sagte ich wenig später, hielt Maria das ausgebreitete Handtuch hin, als sie dann schließlich aus der Dusche stieg, und hüllte sie darin ein.
Maria begann sich abzutrocknen und klapperte dabei wieder etwas mit den Zähnen.
"Die Sachen sehen gut an dir aus", sagte ich, als sie sich wenig später das T-Shirt und die Boxershorts von mir übergezogen hatte.
"Danke", sagte Maria.
Sie begann sich die Haare zu bürsten und musterte mich dabei, so als ob sie etwas sagen wollte, sich aber nicht traute.
"Was ist? Warum guckst du so?", fragte ich und drückte mir Zahnpasta auf die Bürste.
"Ach... nur so... Tut mir leid, ich war nur in Gedanken", sagte Maria. Sie biss sich auf die Unterlippe.
"Und worüber?"
"Ich... ja, also... ich hab mich nur gefragt, wie das passiert ist, die ganzen blauen Flecke an deinem Rücken und... aber das geht mich ja auch gar nichts an, also... tut mir-"
"Schon gut", sagte ich und fing dann an mir die Zähne zu putzen, während Maria sich weiter die Haare kämmte, dabei Strähne für Strähne abteilte und vorsichtig mit der Bürste die Knoten darin löste.
"Ich teile halt öfter mal was aus", meinte ich, nachdem ich die Zahnpasta ausgespuckt hatte und spülte mir den Mund mit Wasser aus. "Da muss ich natürlich auch mal was einstecken."
"Ja", meinte Maria und biss sich dann wieder auf die Unterlippe, als ob sie noch mehr sagen wollte, sich das aber nicht wagte.
Diesmal fragte ich nicht weiter.
°○ Maria ○°
Mein Arme fühlten sich unangenehm schwer an. Sie hingen weit über meinen Kopf. Ich wollte sie herunternehmen, doch das ging nicht Etwas Kaltes schnitt mir scharf in die Handgelenke.
Ich verdrehte den Kopf.
Es waren Handschellen. Meine Hände waren damit an einem Rohr befestigt. Es war dünn und mit weißer Farbe bestrichen, die an einigen Stellen schon abgeblättert war und dunkles Metall zum Vorschein kam.
Ich versuchte mich zu befreien, doch egal mit wie viel Kraft ich an den Handschellen zog, das Rohr blieb fest sitzen.
Bald gab ich es auf und lehnte mich an die Wand hinter mir, sie fühlte sich rau an und war weiß verputzt. Auch der Boden unter mir, hart und genauso kalt, war weiß, so wie der ganze Raum.
Es war eher ein Verlies, als ein Raum und aus irgendeinem Grund wusste ich, dass es unter der Erde lag.
Es gab keine Fenster hier drin, nur eine schwarze Tür, zu meiner Rechten, am Ende des schlauchförmigen Raums.
Schweiß lief mir über kalt über das Gesicht und an meinem Körper hinunter.
Ich senkte den Blick und merkte, dass ich nackt war, sah mich im nächsten Moment als jämmerlich blasse Gestalt wie durch einen Spiegel, die zitternd an der Wand gekettet mit weit aufgerissenen Augen zu mir herübersah und begann zu weinen. Weinte vor Schmerzen, wegen der Kälte, die mir bis tief unter die Haut gekrochen war, weinte vor allem aber wegen der Person, die mir da im Spiegel entgegenblickte.
War das wirklich ich?
Ein Wimmern erklang. Es kam nicht von mir.
Ich wandte den Kopf, diesmal zu meiner Linken, da sah ich-
"Leon!"
Er stand da, mitten im Raum, ebenfalls nackt und beide Arme mit schweren Ketten an den Wänden befestigt. Er schluchzte leise und stieß immer wieder dieses Wimmern aus wenn ihn etwas von hinten traf.
Eine Peitsche.
Sie pfiff durch die Luft, dann klatschte sie auf seine Haut. Pfiff durch die Luft-
"Leon!"
Und klatschte.
Ich rief Leon, immer wieder, schrie den Namen schließlich heraus, doch Leon reagierte nicht. Das Echo meines Schreis verhallte im Verlies, genauso wie alle anderen Geräusche.
Das Pfeifen und Klatschen.
Das Wimmern.
"Leon!"
Etwas Warmes lief zwischen meinen Beinen heraus.
Ich sah hin.
Blut.
Eine ganze Lache davon breitete sich unter mir aus.
Ich begann heftiger zu zittern, zu weinen und zu schreien.
"Nein!"
Etwas Schweres drückte mir auf die Brust-
"Nein, bitte!"
Drückte und schüttelte mich, immer weiter und-
"Maria, du musst aufwachen!"
Ich schlug die Augen auf und wandte gleich wild den Kopf zu allen Seiten. Wo war ich hier?
"Alles gut, Süße. Du hast nur schlecht geträumt."
Das Licht wurde angeknipst, eine kleine Nachttischlampe auf dem Boden neben Leons Matratze.
"Komm mal her!" Leon zog mich vom Bett hoch und nahm mich in den Arm.
"Ganz ruhig! Jetzt ist es ja vorbei."
Ich lehnte den Kopf an seine Brust.
Es dauerte eine Weile, bis ich es schaffte, mit dem Weinen aufzuhören und wieder normal zu atmen. Das T-Shirt klebte mir nass an der Haut und mein linker Arm prickelte schmerzhaft, als das Blut begann, wieder hineinzufließen.
"Geht's wieder?" Leon löste seine Umarmung und sah mich besorgt an. "Das muss ja ein heftiger Traum gewesen sein! Ich hab dich kaum wach bekommen."
"Ja", sagte ich, schniefte und wischte mir mit der Hand durchs Gesicht. "Das war schlimm."
"Was ist denn da passiert?"
"Ich war... gefangen, irgendwie... ja, und du warst auch da."
"Echt?", fragte Leon. "Und was hab ich gemacht?"
"Du warst auch gefangen, mit Ketten und... jemand hat dich mit ner Peitsche geschlagen."
"Wer?"
"Ich weiß nicht", antwortete ich und zitterte, als mich ein kalter Schauder durchfuhr. "War irgendwie so ein Schatten." Ich nieste.
Leon legte seine Hand an meine Stirn und befühlte dann mit den Fingern meinen Hals. "Sieht so aus, als hast du heute schulfrei."
"Nein, ich muss zur Schule."
"Du bist krank, Süße!"
"Deswegen lässt Vater mich ja noch lange nicht zu Hause."
"Das sollte er aber."
Ich verzog das Gesicht, nieste ein zweites und dann gleich noch ein drittes Mal, diesmal in ein Taschentuch, das Leon mir vor die Nase hielt.
"Komm schon, raus damit!", sagte er.
Ich zögerte, dann schnäuzte ich mich.
"Und jetzt noch mal vernünftig!", forderte Leon, da kniff ich die Augen zusammen und schnaubte ein weiteres Mal geräuschvoll aus.
"Wieder besser?" Er musterte mich.
Ich nickte.
"Du kannst dich ja Morgen direkt von Frau Janssen krankschreiben lassen. Da kann dein Vater dann nichts gegen sagen. "
"Das wird ihn nur aufregen", meinte ich.
"Na und, dann lass ihn sich aufregen! Der beruhigt sich auch wieder."
Leon stand auf und lief zum Kleiderschrank, welcher keine Türen hatte.
Eine Weile wühlte er zwischen den Klamotten herum, die in wilden Knäueln in den Fächern lagen, zog schließlich ein sauberes T-Shirt heraus und gab es mir.
"Danke", sagte ich, begann gleich mir das nasse T-Shirt auszuziehen und schlüpfte in das neue.
Es war schwarz und fühlte sich angenehm weich an.
Wenig später lagen wir wieder im Dunkeln nebeneinander im Bett.
Ich kuschelte mich eng an Leons warmen Körper, der mich jetzt von hinten umarmte und dachte an meinen Traum.
An das Blut, die Peitsche.
Und an den Schatten.
Ja, vor allem daran.
Jemand hatte Leon geschlagen, nicht nur im Traum, auch in Echt.
Ich hatte es schon öfter gesehen, vorhin erst wieder, als wir zusammen geduscht hatten.
Die blauen Flecke an Leons Rücken, die Striemen, die Brandwunden.
Das alles war ihm nicht einfach so passiert. Auch nicht beim Prügeln. Nein, das musste jemand mit Absicht getan haben. Gezielt.
"Richard und ich verstehen uns nicht so gut... Er rastet halt schnell mal aus und... dann muss man gucken."
Sein Vater.
Bei dem hatte ich ja schon gleich so ein mulmiges Gefühl gehabt.
Und wie er Leon dann vorhin noch fast den Flaschenöffner gegen den Kopf geworfen hatte.
Wenn Leon sich nicht geduckt hätte. Und was war, wenn er es mal nicht konnte?
Was passierte dann, fragte ich mich und spürte dann, wie mir wieder Tränen in die Augen stiegen.
Wie konnte ich nur so egoistisch sein?
Ich heulte Leon hier etwas vor und sah dabei gar nicht, wie schlecht es ihm selber ging.
Er vermisste seine Schwester. Seine Mutter war mit ihr fortgefahren und hatte ihn hier allein zurückgelassen. Zusammen mit seinem Vater.
Dem Schatten.
Jemand, bei dem Leon immer auf der Hut sein musste, weil er öfter mal wütend wurde.
Bei dem er sich immer gleich schuldig fühlte, sobald sein Vater ihm nur einmal in die Augen sah. Und bei dem er sich deswegen immer bemühte, alles richtig zu machen und es trotzdem nie gut genug war.
Weil er selber nie gut genug war.
Ich spürte Leons muskulösen Arme an meinem Bauch und hörte seine regelmäßigen Atemzüge.
Er war inzwischen wieder eingeschlafen.
Die stundenlange Arbeit im Tankshop hatte ihn sicher müde gemacht, ganz zu schweigen von dem ganzen Drama, in das ich ihn dann noch hatte mit reinziehen müssen.
Allzu lange würde er sich diesen ganzen Stress mit mir bestimmt nicht mehr antun, überlegte ich und wischte mir mit dem Handrücken über das nasse Gesicht.
Ich müsste endlich mal lernen, mich zusammen zu reißen!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top