Kapitel 20
Randon Banks
Es ist unschwer zu erkennen, dass sie weglaufen will. Vor mir wollte noch nie jemand weglaufen. Es fühlt sich schrecklich an, jemanden zu verjagen, dem man nichts Böses will. Ihre Körpersprache verrät mir immer wieder, wie unwohl sie sich fühlt, aber sie schickt mich nicht weg. Vielleicht will sie nicht unhöflich sein oder weiß nur nicht wie. Was auch immer der Grund ist, ich hoffe sehr, dass sie mich nicht nur hier akzeptiert, weil sie nicht weiß, wie sie mich bitten soll zu gehen.
Das alles führt mich zu der Frage, die mich seit einigen Stunden beschäftigt. Seit dem Moment, als sie im Auto vor mir zurückgeschreckt ist, grüble ich darüber nach, aber ich finde keine Antwort. Dabei muss ich das wissen, sonst werde ich immer wieder Dinge sagen oder tun, mit denen ich sie verletzte oder ihr Angst mache.
>Hat dich mal jemand verletzt?< Ich habe es leise gefragt, so behutsam wie möglich, trotzdem zuckt sie leicht zusammen, verkrampft sich. Irgendwie habe ich damit gerechnet, dass ihr Mal etwas passiert ist, dass ihr jemand weh getan hat. Nur dachte ich nicht, dass sie so deutlich reagieren würde.
>Ich habe wie jeder andere gute und schlechte Erfahrungen in der Schule gemacht. Die Schlechten hängen mir noch nach aber mich hat nie jemand körperlich verletzt<, sagt sie leise, mehr zu sich selbst, als zu mir, starrt auf den Wohnzimmertisch. Eine so schnelle, klare Antwort habe ich nicht erwartet. >Es ist nur eine Sache, die mich verfolgt. Nur ein Grund, warum ich nicht angefasst werden will und nicht mit Menschen aus komme. Aber diese Angst sitzt tief.< Den letzten Satz habe ich fast nicht verstanden, so leise hat sie gesprochen.
>Wenn du Mal darüber reden willst, höre ich dir zu<, versichere ich ihr, doch sie bleibt genau so angespannt stehen. >Wollen wir Venom schauen?< Langsam dreht sie den Kopf zu mir, mustert mich fragend. >Ich habe ihn noch nicht gesehen und du magst ihn, wenn es dein Lieblingsfilm ist.< Noch immer zögert sie und ich versuche sie mit einem Lächeln zu beruhigen. >Wir können auch weiter schauen, wenn das Essen da ist. Wir müssen nicht reden, wenn du nicht willst.< Tatsächlich scheint sie das zu beruhigen, denn sie nickt knapp und entspannt ihre Schultern. Wortlos setzt sie sich wieder auf das Sofa, zieht ihre Beine eng an ihren Körper und sucht den Film raus.
Vielleicht kann ich ihr irgendwann damit helfen und ihr zeigen, dass es keinen Grund gibt vor jedem Menschen Angst zu haben. Aber was, wenn ihr Hang zum Selbstschutz begründet ist?
---
Müde reibe ich mir die Augen, taste meine Jeans nach meinem Handy ab, ziehe es hervor. Max ruft an und da ist irgendwo eine Erinnerung daran, dass wir verabredet waren, darum hebe ich ab.
>Wo bist du?<, will er gleich wissen und um das beantworten zu können, muss ich mich selbst umsehen. Ich liege auf dem Sofa bei Clara, der Fernseher zeigt eine pausierte Scene von irgendeinem Film. Wie es aussieht haben wir Venom noch zu Ende gesehen und dabei gegessen. Bei dem darauffolgenden Film bin ich dann wohl eingeschlafen und sie hat den Film pausiert. Clara sitzt am anderen Ende des Sofas, schläft seitlich gegen die Rückenlehne gelehnt. Sie trägt noch immer ihre Brille, hat sich in ihr zu großes T-Shirt eingekuschelt.
>Warte<, bitte ich Max leise und stehe auf, verlasse das Wohnzimmer. Kurz überlege ich, ob ich in ein anderes Zimmer gehen soll, aber ich kenne mich hier nicht aus. Ohne groß weiter zu grübeln schließe ich die Wohnzimmertür, gehe in den Flur und setzte mich auf die hölzerne Treppe. >Bin wieder da. Ich bin bei einer Freundin. Wie spät ist es?<
>Gleich zehn<, meint Max, lacht leise. >Was denn für eine Freundin?< Die Andeutung durch die tief gelegte Stimme lässt mich die Augen rollen.
>Eine, die du nicht kennst und mir Nachhilfe in Mathe gibt. Nichts weiter.<
>Langweiler<, stöhnt er, trinkt etwas aus einer Flasche. >Also ich sitze hier allein bei meinem Bruder, betrinke mich und du pennst bei einer Frau. Das ist schon unfair.< Müde reibe ich mir das Gesicht.
>Warum hast du angerufen?<
>Lesley hat mich angerufen und gefragt, wo du dich rum treibst. Ich habe behautet, du wärst zu Hause, weil du ja nicht hier aufgekreuzt bist, aber da hat sie dich wohl schon gesucht. Also wollte ich wissen, bei wem du bist<, erzählt er und meine Laune trübt sich.
>Warum will sie wissen, wo ich bin?< Ich weiß, dass er die Schultern hebt, wie immer, wenn er die Antwort nicht kennt.
>Da fragst du den falschen. Stellst du sie mir vor?<
>Gute Nacht, Max<, wechsle ich das Thema und er stöhnt genervt.
>Schon gut, geh zurück zu ihr ins Bett<, meint er gereizt, legt auf. Ich weiß nicht so recht, warum ich ihm nichts erzähle. Weder die Sache mit den Broten und ihr, noch von Clara. Aus irgendeinem Grund habe ich kein gutes Gefühl dabei, irgendjemandem davon zu erzählen. Dabei sorgt genau das offenbar dafür, dass jeder denkt, dass ich etwas mit einer der beiden laufen habe.
Ächzend stehe ich wieder auf, gehe zurück ins Wohnzimmer und schleiche zur Couch. Clara hat sich nicht bewegt, seit ich weg bin. Ihr Haar fällt über ihr Gesicht und ehe ich mich davon abhalten kann, streiche ich es ihr hinter das Ohr. Gegen meine feste Überzeugung, dass sie aufspringen und davonlaufen würde, regt sie sich keinen Millimeter, sitzt einfach nur weiter da und schläft.
Sobald meine Hand wieder brav bei mir ist, setzte ich mich vor sie und kann nicht anders, als sie anzusehen. Trotz dem schwachen Licht, kann ich sie gut sehen.
Mir fällt jetzt erst auf, dass sie sich hinter ihren Haaren versteckt. Wenn sie die blonden, leicht gewellten Haare nach hinten macht, kann man ihr schönes Gesicht viel besser sehen. Sie hat feine Züge, trägt kein Makeup und hat auch keine Unreinheiten, die sie verbergen will.
Ich verstehe nicht, warum sie sich nicht zeigt.
Wieder hört meine Hand nicht auf mich, will ihre Wange berühren, doch ihr stechender Blick lässt mich erstarren. Ihre grünen Augen fixieren mich, jagen mir einen Schauder über den Körper.
>Was machst du da?<, fragt sie mit vom Schlaf belegter Stimme. Noch immer hat sie sich nicht bewegt, bleibt genau so sitzen.
>Ich wollte dich wecken<, lüge ich, denn genau das wollte ich vermeiden. >Kann ich hier schlafen oder soll ich nach Hause fahren?< Sie scheint verwirrt zu sein, sieht sich kurz in dem Raum um. Dabei fällt ihr das Haar wieder ins Gesicht, doch es scheint sie nicht zu stören. Es ist eher so, als wäre sie das gewohnt und ich frage mich, wie lange sie sich schon vor der Welt versteckt.
>Du kannst hier schlafen. Das Sofa lässt sich ausziehen, ich hole dir eine Decke und ein Kissen.< Sie steht auf, schaltet ein kleines Licht ein, dann den Fernseher, sowie die Soundanlage aus und verlässt das Zimmer, bevor ich etwas erwidern kann. Oder auch nur weiß, was ich sagen soll. Da ich nichts Besseres zu tun habe, schiebe ich den Wohnzimmertisch bei Seite, ziehe das Sofa aus.
Kaum bin ich fertig damit, kommt sie wie versprochen zurück, reicht mir eine Decke und ein Kissen.
>Danke.<
>Wenn du noch etwas brauchst, ich bin oben. Mein Zimmer ist das Einzige rechts von der Treppe.< Bevor ich antworten kann, verschwindet sie aus dem Zimmer, holt mir noch eine Flasche Wasser, reicht sie mir.
>Auch danke dafür. Alles okay bei dir?< Sie zögert kurz, nickt dann aber.
>Gute Nacht.<
>Dir auch.< Mit einem Lächeln versuche ich ihre abweisende Haltung zu lockern, doch sie dreht sich einfach nur um und geht.
Das wird nicht leicht, was du dir da vorgenommen hast, mein lieber Randon.
Für mich ist dieses Mädchen ein Rätsel. Allerdings eines, das ich gerne lösen würde.
---
>Princess!<, ruft irgendjemand durch das Haus, weckt mich am nächsten Tag. So hell, wie die Sonne scheint, ist es bestimmt schon fast Mittag. >Wo ist mein Dornröschen?<, fragt die Stimme weiter, stürmt die Treppe nach oben. Müde setzte ich mich auf, strecke meine Glieder. Sobald die schweren Schritte nicht mehr zu hören sind, wird das Trampeln von Stimmengewirr ersetzt. Da ich mich nicht einmischen will und vermutlich auch nach Hause fahren sollte, stehe ich auf und gehe an mein Handy. Tatsächlich haben wir schon zehn Uhr, was erklären würde, warum ich mich so gerädert fühle.
So lange habe ich ewig nicht geschlafen.
Das Trampeln auf der Treppe verkündet mir, dass der Kerl wieder nach unten kommt, der nach Clara gerufen hat und wie erwartet stürzt er gleich ins Wohnzimmer.
>Guten Morgen „jemand aus der Schule"<, grüßt mich der hochgewachsene Mann vor mir. Er hat genau dieselbe Haarfarbe und dieselben Augen wie Clara, somit ist klar, wer er ist. Er kommt zu mir, reicht mir die Hand.
>Tristan, richtig? Ich bin Randon.< Er grinst breit, schüttelt mir mit einem kräftigen Händedruck die Hand.
>Meine kleine Princess hat mich also schon vorgestellt<, meint er gut gelaunt und wie aufs Stichwort kommt Clara im selben Moment zu uns ins Wohnzimmer. Allerdings ist irgendetwas anders an ihr. Sie trägt wie immer helle, enge Jeans und ein T-Shirt, das ihr viel zu groß ist. Auch ihre Brille trägt sie wie gewohnt und ihre Haare fallen ihr feucht auf die Schultern. Offensichtlich ist sie schon eine Weile wach und war duschen.
>Du sollst mich nicht so nennen, wenn Leute da sind<, beschwert sie sich, springt ihrem Bruder auf den Rücken, hält ihm den Mund zu. >Das habe ich dir schon hundert Mal gesagt. Hast du aus dem Vorfall gestern nichts gelernt?< Sie so locker und offen zu sehen, wirft mich völlig aus der Bahn. Tristan grinst nur, packt ihr Handgelenk.
>Du hast ihn ins Haus geholt und nichts gesagt, selbst schuld<, erklärt er, sobald er sich ihre Hand vom Mund gezogen hat. >Außerdem sollst du deinen demolierten Bruder nicht noch schlimmer zurichten. Die Blutergüsse sind noch schmerzhafter geworden, du kleines Biest<, beschwert er sich. Wieder überrascht sie mich, indem sie teuflisch grinst, ihre Handgelenke aus seinem Griff löst und sich nach hinten fallen lässt. Ich kann nicht schnell genug reagieren, um sie aufzufangen, aber das brauche ich auch nicht. Sie kippt nach hinten, bis ihre Hände auf dem Boden liegen, dann löst sie ihre Beine von seiner Hüfte, macht einen kurzen Handstand. Kaum hat sie sich ausbalanciert, kippen ihre Beine weiter, bis sie wieder steht. Sie richtet ihre Brille, lächelt noch immer.
Warum macht sie in Sport nie mit, wenn sie solche Sachen kann?
>Vielleicht kann ich Mom überzeugen dich in den Gymnastikkurs wechseln zu lassen<, überlegt Tristan laut, bekommt dafür aber von einer Schwester ein Kissen von dem Sofa an den Kopf geworfen.
Planlos stehe ich einfach da, beobachte das Schauspiel. Es ist schön zu sehen, dass sie auch anders sein kann.
>Untersteh dich. Ich werfe deine Xbox aus dem Fenster, wenn du das machst.< Tristan zieht scharf die Luft ein, folgt ihr aus dem Wohnzimmer. Da ich nicht weiß, was ich sonst machen soll, folge ich den beiden einfach auf den Flur.
>Dafür würde ich dich den Rest deiner Tage kitzeln<, droht er, aber sie lacht nur.
Ich habe sie noch nie lachen sehen.
>Du weißt doch sicher noch, wie das für dich ausgeht.< Mir wird ganz mulmig, als er Claras Arm packt und sie zu sich herum dreht. Wie fest er ihren Arm umklammert kann ich nur erahnen, aber es sieht schmerzhaft aus. Sie verzieht allerdings keine Mine.
>Du beißt mich nicht noch Mal, Princess.< Sie rollt die Augen, schüttelt seinen Arm ab.
>Nenn mich nicht so und zieh endlich deine Schuhe an. Wir gehen Frühstücken<, erklärt sie und endlich weiß ich, warum wir hier herum stehen. Sie sieht auch kurz zu mir und nickt knapp, damit ich weiß, dass ich auch eingeladen bin mitzukommen.
Dem komme ich gerne nach.
-------------
04.12.2018
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top