Kapitel 22 | Ein letzter Kuss
Dumbledore blickte ihn ruhig an, während Hermine heftig nach Luft schnappte und Weasley so aussah, als ob seine Augen jeden Moment aus seinem Kopf herausspringen würden.
„Hermine, Ron – danke für eure Unterstützung. Ihr könnt nun in eure Schlafräume zurückkehren.", sagte Albus ruhig, was Ron sofort dazu veranlasste aufzuspringen und den Weg Richtung Korridor einzuschlagen. Granger jedoch, starrte Snape unentwegt an.
Er versuchte ihren Blick zu ignorieren und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie verschwinden würde. Konnte sie nicht noch offensichtlicher sein? Wut stieg in ihm empor. Er hatte das alles so satt!
Räuspernd durchbrach der Schulleiter die Stille und wandte seinen Kopf Hermine zu, die nun endlich aus ihrer Starre aufzuwachen schien. Leicht errötet und peinlich berührt, senkte die junge Hexe ihren Blick zu Boden, um dann nickend und wie paralysiert dem Weasley Jungen zu folgen, der schon beinahe zur Tür raus war.
Kurz bevor er sie zuschlug, hörte Snape ein entrüstetes „Was zum Henker war denn das?!" von ihm sagen, doch seine Aufmerksamkeit galt nun Albus, der seinen Blick ihm zugewandt hatte.
„Mein lieber Freund...", begann er ruhig, doch Snape schüttelte sich.
„Nein, Albus. Komm mir nicht so!", rief er aufgebracht. „Wieso ich dir diese Tatsache verschwiegen habe? Ganz einfach! Es ist Vergangenheit! Der Halbblutprinz ist Geschichte. Es gibt ihn nicht mehr!"
Wild mit den Händen gestikulierend, lief er auf und ab und schüttelte immer wieder den Kopf.
„Weißt du wo ich eben war, Albus?!"
Dumbledore zog eine Augenbraue in die Höhe, um ihm seine Ratlosigkeit mitzuteilen.
„Bei IHM! Der dunkle Lord möchte Hogwarts angreifen. Er will die Zauberwelt auslöschen! Er will die Menschen zu Sklaven machen, keinerlei Regeln beachten und sie zu Todessern mutieren lassen!", rief er, beinahe brüllend. Seine Wut stieg auf 180, endlich konnte er all seinen Frust herauslassen, auch wenn nicht alles Dumbledore galt. „Und was ist mit dir!? Du willst, dass ich dich umbringe! Töte! Falls es Malfoy nicht schafft! Und was lässt du zurück?! Einen sechzehnjährigen Jungen, der uns alle retten wird? Wer glaubt an sowas? Ich nicht!"
Heftig atmend raufte er sich seine pechschwarzen Haare, drehte sich abrupt zu seinem Schulleiter um und versuchte jegliche Regung in seinem Gesicht zu erkennen, doch ohne Erfolg. Nein, Albus schien ihm gar nicht wirklich zuzuhören. Er schien mit seinen Gedanken ganz woanders zu sein.
„Seit wann bist du so emotional, Severus?", fragte er nach kurzer Zeit, während seine Augen fest auf ihm hafteten. Seine Hand glitt zu seinem Kinn, auch wenn von diesem beinahe nichts mehr zu sehen war. Der lange, strahlendweiße Bart schien ihm im Weg zu sein.
„Wie bitte?"
„Seit wann bist du so emotional?" Seine Hand strich in Gedanken versunken über sein Kinn.
Irritiert verschränkte Snape seine Arme vor der Brust. Emotional?
„Ich bin nicht emotional!", zischte der Professor wütend. Seine Augen glitzerten im Schein der Kerzen, während er tief ein und ausatmete. „Aber du forderst Unmögliches von mir, Albus."
Sein letzter Satz schien ruhiger zu sein, doch in seinem Inneren brodelte es.
Dumbledore strich sich nachdenklich durch den langen, weißen Bart, während er aufstand und einige Meter auf ihn zuschritt.
„Ich habe auch vorher Unmögliches von dir gefordert, mein Freund. Was hat sich verändert?", flüsterte er gedankenverloren. Seine Augen bohrten sich in die Seine.
Snape knetete unruhig seine Hände. Worauf wollte er hinaus? Etwa auf Hermine? War sein Verhalten so - atypisch? Und was sollte er Dumbledore sagen?
„Was soll sich verändert haben, Albus?", fragte er stattdessen, doch er wusste, dass er schon zu viel von sich preisgegeben hatte. Sein Schulleiter war ein weiser, intelligenter und erfahrener Mann. Menschenkenntnis war ihm nicht fremd und schon gar nicht die Seiner.
„Hm.", grübelte Albus, zog leicht seine Augenbrauen in die Höhe und seufzte tief. „In welcher Verbindung stehst du zu Hermine Granger?"
Ein Schauer lief über seinen Rücken. Unweigerlich wurde er an die Begegnung mit Voldemort erinnert, der ihm beinahe exakt dieselbe Frage gestellt hatte.
„Sie ist meine Schülerin, Albus.", erwiderte er knapp.
„Nur deine Schülerin?"
„Was soll das bitte bedeuten?", zischte er nun genervt. „Möchtest du mich irgendetwas fragen?" Er kniff seine Augen zusammen und beobachtete seinen alten Freund. Er konnte es ihm nicht anvertrauen. Er konnte es einfach nicht.
„Seit wann duzt du sie?", bohrte er weiter nach und plötzlich wurde dem Tränkemeister bewusst, auf welch dünnem Eis er sich bewegte. Es war nicht nur eine moralische Frage, die ihn quälte, sondern auch eine rechtliche. Dumbledores Neugier war jedoch mehr als sonderbar.
„Granger musste einige Male bei mir nachsitzen. Da haben sich die Wogen augenscheinlich geglättet.", brummte Snape schulterzuckend. Er wollte so viel Langeweile demonstrieren, wie möglich.
„Beim Nachsitzen haben sich die Wogen geglättet? Interessant.", antwortete Albus seufzend. „Nun, es ist schon spät. Ich werde mich nun zurückziehen."
Beinahe erleichtert seufzte Snape innerlich auf. Das Gespräch hätte sich in eine wesentlich größere Katastrophe gewandelt, wenn sein engster Vertrauter seiner Neugier weiterhin nachgegangen wäre. Aber er musste unbedingt auf der Hut sein.
Sein Kopf glitt zu dem Buch, das zerfetzt und kaputt auf seinem Bürotisch lag.
„Zerstöre es.", sagte Dumbledore ruhig. „Und Severus..."
Der Tränkemeister hob seinen Kopf und blickte ihn an.
„Denk an dein Versprechen."
Mit diesen Worten drehte sich sein Schulleiter um und verließ wortlos sein Büro.
Schluckend ließ Snape sich auf seinen Stuhl fallen, während er mit seinen Augen auf einen undefinierbaren Punkt an der Wand starrte. Es schien alles aus dem Ruder zu laufen. Die Mission, der er sich versprochen hatte. Sein Privatleben. Seine Gefühle liefen Amok, er wusste nicht mehr, was er denken, fühlen oder gar sagen konnte, ohne damit jemandem schaden zu wollen. Diese ekelhaften, schwierigen, schmerzhaften Emotionen von Hoffnung, Glückseligkeit und Liebe sollten verschwinden. Er liebte Granger nicht. Sie war nur ein Schulmädchen, eines, das ihn sehr beeindruckte. Er musste seine Gedanken an sie löschen, sie aus seinem Gehirn verbannen. Er wollte es nicht mehr spüren.
Die Zeit schien für ihn keinen Raum mehr einnehmen zu wollen, Snape wusste nicht wie lange er seinen Gedanken nachgehangen war, bis er plötzlich eine Bewegung in seinem linken Augenwinkel wahrnahm. Ruckartig drehte er seinen Kopf zu Tür und sah in zwei bernsteinfarbene, erschrockene Augen, die ihn mitfühlend beobachteten.
Augenblicklich schien sein Herz Purzelbäume zu schlagen, seine Hände wurden schwitzig und sein Puls schoss in die Höhe.
„Granger, was machen Sie hier?", flüsterte er rau und schüttelte stumm seinen Kopf.
„Die Tür stand offen, Sir.", antwortete sie mit zitternder Stimme. Weiterhin erschrocken starrte sie ihn an.
„Was?", fragte Snape barsch. Was tat sie hier? Was wollte sie?
„Du weinst, Severus.", sagte Hermine leise. Langsam ging sie einen Schritt auf ihn zu. Snape blieb ruhig auf seinem Stuhl sitzen, die Hände wie erstarrt auf seinen Oberschenkeln liegend und den Blick nicht von ihr abwendend. Er weinte? Nein, das konnte nicht sein. Er weinte nie. Er hatte seit dem Tod von Lily nicht mehr geweint.
Granger schien nicht stehen bleiben zu wollen, denn kurze Zeit später blickte sie auf ihn herab, nur wenige Zentimeter von ihm innehaltend.
„Was willst du, Hermine?", hauchte Snape leise und jetzt, genau jetzt, spürte er unbewusst eine Träne seine Wange hinunterrollen.
Er weinte? Nein! Niemals! Doch er war zu erstarrt, um sich zu bewegen, um sie anzuschreien, sie solle aus seinem Leben verschwinden. Was war sie? Ein Mädchen. Seine Schülerin.
Verunsichert schaute Granger ihn einen Moment lang an, dann nahm sie augenscheinlich all ihren Mut zusammen und hob ihre Arme, um sie um seinen Hals zu schlingen und ihm beruhigend über den Rücken zu streicheln. Regungslos blieb der Professor auf seinem Stuhl sitzen, äußerlich ruhig und innerlich tobend. Was tat sie da?
Sanft, aber bestimmt, legte sie ihren Kopf auf den Seinen und Snape sackte plötzlich zusammen. Er schlang seine Arme um ihren Körper, um sie fest an sich zu pressen, wissend, dass er diese Verbindung ein für alle Mal beenden musste. Jetzt oder nie.
Doch er konnte nicht. Seine Emotionen und die damit verbunden Verlustängste, ließen ihn starr wirken, unfähig irgendeine Entscheidung zu treffen. Wie sollte er in diesem Gefühlschaos auch nur irgendetwas entscheiden?
Herzklopfend löste er sich von ihr und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Ohne weiter darüber nachzudenken, zog er sie an sich heran und legte seine Lippen auf ihren sanft, geschwungenen Mund. Zärtlich küsste er sie, nicht fordernd oder verlangend, sondern langsam und zurückhaltend. Als ob sie eine Glaspuppe wäre, die jeden Moment zerbrechen könnte. Liebevoll strich er durch ihre braunen, langen Haare. Sie schlang ihre Arme um seinen Körper und hielt sich wie ein Rettungsanker an ihm fest.
Zeit schien für beide keine Rolle zu spielen, denn sie küssten sich eine gefühlte Ewigkeit. Nichts schien in diesem Moment wichtiger zu sein, als ihre Lippen auf seinen und seine Lippen auf ihren. Doch als Snape merkte, dass Hermine leidenschaftlicher wurde, löste er sich langsam von ihr. Er versuchte seine Gedanken zu steuern und in die harte, unfaire Realität zurückzukehren, auch wenn er sich am liebsten einfach hätte fallen lassen wollen.
„Severus...", flüsterte Hermine leise und strich ihm sanft über die Wange. „Du musst mich nicht zurückweisen."
Lächelnd hob der Professor seinen Kopf und stand langsam auf. Wenn alles anders wäre, wenn kein Krieg herrschen würde, wenn er keine Mission zu erfüllen hätte..., wenn all das hier vorbei wäre. Dann würde er sich fallen lassen. Dann würde er sie nicht zurückweisen. Niemals.
Tief ein und ausatmend, nahm er langsam ihre Hände in die Seine und blickte in zwei bernsteinfarbene, leuchtende Augen. Aus irgendeinem unerklärlichen, merkwürdigen Grund, mochte Hermine ihn tatsächlich. Etwas, das er sich beim besten Willen nicht erklären konnte.
„Hermine.", begann er mit leicht zittriger Stimme zu erklären, riss sich dann jedoch zusammen. Er ließ vorsichtig ihre Hände los und schritt einen Meter zurück.
Ihre Augen weiteten sich und schluckend schüttelte die junge Hexe ihren Kopf.
„Nein, Severus...", wollte sie ihm erklären, doch er verbat ihr mit einer Geste den Mund.
„Hermine, es herrscht Krieg. Ich habe eine Mission zu erfüllen..."
„Welche Mission, Severus? Lass mich dir dabei helfen! Ich bin gut, ich...", rief sie dazwischen, doch wieder unterbrach er sie.
„Nein, Hermine. Du bist eine Schülerin. Und diese Mission habe ich alleine zu erfüllen. Und eine derartige Verbindung würde weder dir, noch mir helfen."
„Eine derartige Verbindung? Das hat doch nichts mit einer Verbindung zu tun, wir haben doch starke Gefühle füreinander, du und ich..."
Es überraschte ihn, dass Granger plötzlich so direkt und ehrlich war. Dass sie, trotz dem, was er sich geleistet hatte, überhaupt noch solche Emotionen für ihn übrig hatte.
„Hast du schon vergessen, was ich dir angetan habe? Hast du das etwa tatsächlich verdrängt?", fragte Snape grob.
Augenblicklich senkte Hermine ihren Kopf zu Boden und schwieg. Abwartend verschränkte Snape seine Arme vor der Brust.
„Nein, das habe ich nicht vergessen.", flüsterte sie nach kurzer Zeit leise. „Aber ich weiß, wieso du es getan hast."
Die junge Hexe hob ihren Kopf und blickte ihm tief in die Augen.
„Weil du keinerlei Ahnung hast, wie du mit Menschen umgehen sollst. Weil du Angst hast und du deswegen Menschen, die du liebst, zurückweist. Weil du in deiner Vergangenheit augenscheinlich keinerlei wahrhaftige Liebe erfahren hast. Du bist unfähig mit Menschen umzugehen. Deshalb bist du so gewaltsam in meine Gedanken eingedrungen. Weil du im ersten Moment nicht verstanden hast, was so schlimm daran ist, die Privatsphäre anderer zu verletzen, da sonst auch niemand auf dich Rücksicht nimmt. Du bist kein schlimmer Mensch, Severus. Du bist das Produkt einer schlimmen Vergangenheit und bösen Menschen, die dich nicht verdienten."
Atemlos und mit zitternden Händen, versuchte sie dem Blick ihres Professors standzuhalten.
Snapes Herz klopfte während ihrer Rede immer heftiger und er war erneut überrascht, wie reif Hermine doch war. Wie unglaublich sie andere Menschen reflektieren konnte und wie wunderbar ihr Charakter und ihre Großzügigkeit doch waren.
Doch das änderte rein gar nichts an der Tatsache, dass er sie und die Mission beschützen musste. Er durfte keine romantische Beziehung weiterführen, ohne mit der Gefahr leben zu müssen, dass ihr etwas zustoßen könnte. Er hatte schon zu viel von sich offenbart, nicht nur vor Dumbledore, insbesondere vor dem dunklen Lord. Und sie hatte keinerlei Ahnung davon, wer er war.
Also hatte er nur eine Möglichkeit sie loszuwerden – er musste sie verletzen. Erneut. Und er hasste sich schon jetzt dafür.
„Nein, Hermine.", schüttelte er spöttisch seinen Kopf. Die emotional, erstarrte Mauer aufzubauen, war schwieriger, als er gedacht hätte. „Du liegst vollkommen falsch. Und ich muss mir ganz sicherlich keinerlei psychologische Fakten über ein Schulmädchen anhören, dass noch nicht einmal einen Abschluss in der Tasche hat. Granger, ich habe absolut nicht die Gefühle für Sie, die Sie ärgerlicherweise für mich haben."
„Ärgerlicherweise?", rief Hermine erschrocken und in ihren Augen bildeten sich Tränen. Die plötzliche Distanz und die Tatsache, dass er sie siezte, taten ihr unbeschreiblich weh. Das sah Snape mit dem bloßen Auge.
„Das, was wir beide hatten, war Sex. Und ein Vergnügen meinerseits. Und diese derartige Verbindung beende ich nun. Kehren Sie in Ihre Schlafräume zurück, Granger."
Nach Luft schnappend schüttelte sie heftig ihren Kopf.
„Hör auf damit, Severus! Ich glaube dir kein Wort! Du lügst!", rief sie verletzt und ging einige Schritte auf ihn zu. Doch er schritt zurück. Nein, sie sollte nun endlich verschwinden.
Dass er sie mit einem einzigen Satz nicht einfach abspeisen konnte, war ihm vorher klar gewesen.
„Scheren Sie sich jetzt raus!", knurrte er kühl.
Wie erstarrt verharrte Hermine in ihrer Position und presste wütend ihre Lippen aufeinander.
„Wie Sie wollen, Professor.", zischte sie schluckend, drehte sich um und machte auf dem Absatz kehrt. Das Knallen seiner Wohnungstür schallte noch sekundenlang in seinen Ohren, während er sich leer und erschöpft auf seinen Stuhl fallen ließ.
Wie paralysiert schenkte er sich mithilfe seines Zauberstabes ein Glas Whisky ein und trank es in einem Schluck aus. Nach dem zweiten Glas, beruhigte sein Inneres sich langsam und nach dem vierten spürte er keinerlei Emotionen. Sein Kopf schien wie leergefegt, der Alkohol brannte in seiner Kehle und alles um ihn herum schien unreal zu sein.
Er hatte das Richtige getan. Es war der einzige, richtige Weg gewesen. Und mit genau diesen Gedanken, trank er sein fünftes Glas Whisky aus.
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