7. Kapitel
Im Café angekommen, begrüßt mich Tyler herzlich und führt Xavier und mich zu einem Ecktisch. Als wir uns hingesetzt haben, dreht er sich wieder um und geht, aber nicht ohne mir noch einmal zuzuzwinkern. Xavier betrachtet das alles mit leicht hochgezogenen Augenbrauen.
Nachdem Xavier und ich jeweils einen Kaffee und ein Kuchenstück bekommen haben, fängt Xavier an zu erzählen:
"Die Nachtschatten wurden damals gegründet, um die Außenseiter vor den Normies zu beschützen. Sie wurden vor dreißig Jahren aufgelöst, weil sie einen Normie getötet haben sollen."
"Wie ist denn das passiert?", unterbreche ich ihn.
"Das weiß man nicht ganz genau. Ein Normie, ich glaub er hieß Garret, hat sich in die Schule geschlichen und irgendwer hat ihm einen Degen in den Bauch gerammt", erzählt Xavier. Vorsichtig lege ich meine Gabel wieder auf den Teller. Mir ist irgendwie der Appetit vergangen.
"Weiß man denn wieso Garret sich in die Schule geschlichen hat?", frage ich und hoffe der Grund ist weniger blutig.
"Ne", antwortet Xavier, "Er und seine Familie hassten die Nevermore und die Außenseiter darin. Sie waren Nachfahren von Joseph Crackstone."
Fragend ziehe ich eine Augenbraue hoch.
"Joseph Crackstone hat Jericho entdeckt und gegründet. Er hasste die Außenseiter auch. Crackstone hat sie gejagt und getötet", erklärt Xavier, und ich nicke. Das kommt mir bekannt vor. Vielleicht haben mir meine Eltern mal von ihm erzählt.
Nach diesem doch ernsteren Gespräch unterhalten wir uns über... naja weniger ernste Dinge eben. Über die Schule, über unsere Kräfte und über unsere Eltern. Es fühlt sich schön an. Und bei dem Gespräch kann ich meine Nervosität vergessen.
"Was ist da eigentlich mit dir und Tyler?", fragt Xavier nach einer Weile.
"Was soll mit ihm sein?", frage ich.
"Naja eure Begrüßung...", beginnt er, doch ich unterbreche ihn.
"Ach das. Er hat mich dazu ermutigt zurück zur Nevermore zu gehen, und mit dir zu reden", erkläre ich ihm, "Wieso?"
"Es ist nur so, dass", beginnt er, doch hört schlagartig auf zu reden als Tyler zu uns kommt.
"Darf es noch etwas sein?", fragt er. Xavier und ich schütteln fast gleichzeitig den Kopf. Xavier bezahlt für uns, und dann machen wir uns auf den Weg zurück zur Nevermore. Und niemand von uns denkt auch nur daran die Tyler Sache nochmal zu erwähnen.
Als wir gerade den viereckigen Hof erreicht haben, kommt Wednesday schnellen Schrittes auf uns zu. "Komm mit", sagt sie zu mir gewandt.
"Ich schätze ich gehe dann mal lieber", sagt Xavier.
"Danke nochmal für heute", sage ich, woraufhin er mich plötzlich in eine Umarmung zieht. Ich erwidere diese und weiß, dass ich genau das gebraucht habe. Wieder durchfährt mich dieses Gefühl von Liebe und Nervosität. Und wieder kann ich nicht zuordnen ob es sein, oder mein Gefühl ist.
Wir stehen lange so dort und mein Herz schlägt so laut, dass ich Angst habe er könnte es hören. Wednesday räuspert sich und wir lösen uns schnell voneinander. Xavier geht, und ich drehe mich zu Wednesday um, die angewidert das Gesicht verzieht.
"Jungs sind so eine Zeitverschwendung", sagt sie, kühl wie immer, und es klingt wie ein Vorwurf. Dann zieht sie etwas aus ihrer Tasche, und hält es mir unter die Nase. Ich erkenne es sofort wieder. Es ist ein Teil des Bildes aus Xaviers Gedanken. Allerdings ist darauf nur das Mädchen, das Wednesday so ähnlich sieht. Nicht der Mann mit dem Hut, oder meine Doppelgängerin.
Doch mir fällt auch etwas anderes auf. Ein Wasserzeichen in der Ecke rechts oben. Ich habe es schon einmal im Versteck der Nachtschatten gesehen. Ich versuche Wednesday nicht darauf aufmerksam zu machen, doch leider deutet sie auf genau dieses Zeichen.
"Ms. Thornhill meinte, das Zeichen gehört zu einer Studentenverbindung", erklärt Wednesday mir.
"Woher hast du das Bild überhaupt?", versuche ich vom Thema abzulenken.
"Rowan", antwortet Wednesday, "Vielleicht finden wir diese Verbindung hier irgendwo."
Verdammt! Gerade wo ich sie in die falsche Richtung locken will, hat sie die Statue schon entdeckt. Ich bleibe unschlüssig stehen. Ich könnte auch einfach zurück aufs Zimmer gehen, und so tun, als wäre nichts gewesen...
"Kommst du?!", ruft Wednesday ungeduldig. Ich seufze. Ich habe wohl keine andere Wahl.
"Wieso muss ich überhaupt mitkommen?", beschwere ich mich, während Wednesday die Statue mit ihrer Taschenlampe untersucht.
"Du willst doch auch wissen, was es mit all dem hier auf sich hat, oder?", antwortet sie, "Außerdem könntest du noch... nützlich sein."
Als ich gerade wieder zu einer langen Erklärung ansetze, warum ich nicht in andere Gedanken eindringen werde, ruft Wednesday: "Hier!"
Wednesday deutet auf das Buch, das die Statue in der Hand hält. Dort ist dasselbe Zeichen wie auf der Zeichnung. "Hier muss es sein", sagt sie.
"Und wie kommen wir rein?", werfe ich ein.
"Versuch es mit deiner Telekinese", sagt sie in einem befehlerischem Ton, und ich merke, dass es zwecklos ist zu widersprechen.
"Meinetwegen. Aber auf deine Verantwortung", sage ich und schließe die Augen. Ich atme ein paar Mal tief ein und aus bevor ich sie wieder öffne. Wenn alles geklappt hat müssten sie ihre dunkle Farbe jetzt verlieren, und stattdessen einen grellen Lilaton annehmen. Ich bewege die Hände ein wenig, bis auch sie in einen lilanen Schimmer gehüllt sind.
Mich durchströmt ein Gefühl der Stärke, und ich bewege meine Arme nach rechts, um die Statue beiseitezuschieben. Doch es klappt nicht. Nach zwei weiteren Versuchen gebe ich auf.
"Vergiss es. Das schaffe ich nicht. Lass uns einfach verschwinden bevor uns jemand erwischt", sage ich, und will mich schon auf den Weg machen, doch Wednesday hält mich auf.
"Hier im Buch steht etwas", sagt sie.
"Oh toll!", rufe ich wenig begeistert. Doch das scheint Wednesday nicht zu stören. Stattdessen zückt sie einen Block und einen Stift, und beginnt zu schreiben.
"Hast du's endlich?", frage ich nach ein paar Minuten. Statt zu antworten stellt Wednesday sich vor die Statue und schnipst zweimal. Die Statue fährt wie gestern bei Xavier nach hinten, und gibt den Geheimgang frei.
Wednesday geht sofort hinein, und seufzend folge ich ihr. Sie betrachtet interessiert die Gemälde an den Wänden, und bleibt bei einem ganz besonderen stehen. Sie schaut es fast genauso angewidert an wie Xavier und mich eben. Dann geht sie einfach weiter als wäre nie was gewesen.
Unten angekommen frage ich: "Und jetzt?" Doch es kommt keine Antwort. "Wednesday?", frage ich, doch neben mir steht niemand mehr. Und bevor ich schreien kann legt jemand von hinten seine Hand auf meinen Mund.
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