26
»FALSCH!«
Der Stab von Lady Priscilla knallte zum wiederholen Male direkt zwischen Lottie und ihr auf den Tisch.
Am liebsten wäre Shaha aufgesprungen und sich die Ohren zuhaltend aus dem Raum gelaufen, doch sie blieb und hielt Jamies bohrenden Blick in ihrem Hinterkopf stand.
Trotz ihrer zitternden Hände, die sie gekonnt unter dem Tischtuch verbarg, warf sie ihrer Sitznachbarin einen mitfühlenden Blick zu. Lottie war soeben zusammen gefahren und sah mittlerweile einfach nur verzweifelt aus.
Bei allem was sie mit Lady Priscilla durchgingen schien Lottie einfach alles falsch zu machen, doch sie machte keinen einzigen Fehler! Und das hätte Shaha um ehrlich zu sein auch gewundert, so oft wie sie das ganze mit Jamie durchgegangen waren.
Der stand noch immer schweigend bei den anderen Leibwächtern, doch seine Augen schienen regelrecht golden zu glühen, so wütend war er. Ein Seufzen entwich Shahas Lippen, als sie Lotties und Jamies undurchdringliche Gesichter betrachtet.
Wie konnte ein Mensch sich nur so an dem Unbehagen anderer ergötzen?
Schlimmer konnte es eigentlich nicht mehr kommen.
Eigentlich.
Denn der Drache ließ alle Teilnehmer sich erneut in einer Reihe aufstellen und verkündete nur wenige Sekunden später: »Nun ist es an der Zeit für die wichtigste Lektion.« Sie trommelte mit ihren spitzen Fingernägeln auf den hölzernen Stab, das typisch dünne Lächeln zierte ihre Lippen. »Sie werden den Walzer üben!«
Wieder unterdrückte Shaha den Drang zu würgen. Ihr graute es seit Anfang an vor diesem Part.
»Bitte suchen Sie sich einen Partner. Hopp-hopp!«
Besorgt blickte sie sich nach Lottie um, die große Schwierigkeiten haben würde einen Partner zu finden. Kein Wunder, so sehr wie diese Furie sie ständig nieder machte. Doch Shaha mit ihr tanzen zu lassen, würde Lady Priscilla sicherlich nicht in den Sinn kommen.
Wenn aber niemand mit ihr tanzen wollte, dann würde sie durchfallen.
Im nächsten Moment wurde ihre Aufmerksamkeit jedoch durch ein Räuspern von ihrer Freundin abgelenkt. »Gewähren Sie mir diesen Tanz?«, Shaha starrte auf die goldene Hand die ihr entgegen gesteckt wurde, bevor sie ihren Gegenüber musterte.
Seine schwarzen Locken fielen ihm ins Gesicht, als er den Kopf leicht neigte, um auf Shaha hinab zu sehen.
Während er seine perlweißen Zähne zeigte, zierten zwei perfekt symmetrische Grübchen seinen goldenen Wangen.
Shaha machte in ihrem Kopf einen Vermerk, dass, sollte Disney jemals einen Prinz Naveen für einen Live-actionfilm brauchen, sie ihn hundert prozentig dafür vorschlagen würde.
Sein Räuspern riss sie aus ihren Gedanken und Shaha warf einen letzten Blick auf Lottie, die glücklicherweise nun doch einen Partner gefunden zu haben schien. Und so neigte Shaha ihren Kopf respektvoll, bevor sie ihre Hand in die seine legte.
Vorsichtig zog er sie näher und sie begannen langsam zur Musik zu walzen. Noch immer argwöhnisch musterte sie ihren Tanzpartner und konnte nicht umhin, ihn zu fragen: »Ich habe Sie noch nie auf einer der Veranstaltungen gesehen, würden Sie mir Ihren Namen verraten?« Ein leicht belustigtes Lächeln erschien auf seinen Lippen, bevor er gelassen antwortete. »Richard Lee. Mein Großvater wollte mich lange nicht an offiziellen Veranstaltungen teilnehmen lassen.«
Shaha musterte ihn genau, seine Hände waren ruhig, sein Blick und seine Stimme gelassen. Weder zuckten seine Mundwinkel, noch mied er ihren Blick. Doch irgendetwas fühlte sich nicht richtig an.
Nervös warf sie einen Blick in Richtung ihrer Freundin, die mit dem blonden Prinz Ashwick tanzte und auf Wolke sieben zu schweben schien. Auch hier schien etwas nicht ganz zu stimmen, irgendetwas passte nicht ins Bild.
Doch Shaha tat es als ihre übliche Paraneuer ab und versuchte sich so gut wie nur irgend möglich auf den Tanz zu konzentrieren.
Als das Lied stoppte kehrte das Ungutes verheißende Gefühl zurück. Schnell ließ sich auch dessen Quelle ausmachen, als ihr Blick den von Jamie traf. Er bebte regelrecht vor Wut und abrupt fragte Shaha sich, was sie falsch gemacht hatte. Seine Wut schien sich jedoch nicht gegen sie zu richten, viel mehr gegen ihre Erdbeerprinzessin und rasch zählte sie eins und eins zusammen: Es lag an Edmund Ashwick.
Verwirrt runzelte sie die Stirn und verabschiedete sich mit einem eleganten Knicks von ihrem Partner, bevor sie in Richtung der Assistenten eilte. Der Ausruf Lady Priscillas und das Knallen ihres Stabs ließ sie jedoch an Ort und Stelle gefrieren.
Ihr Kreischen erfüllte die gesamte Halle und alle Blicke richteten sich auf die ältere Dame. »Das- war ohne Zweifel die wunderbarste Darbietung, die ich seit Jahren gesehen habe!«
Um ein Haar wären Shaha ihre Gesichtszüge entglitten.
Lady Priscilla lobte Lottie? Nachdem sie seit Beginn der Stunde nur Kritik, Hohn und Spott für sie übrig gehabt hatte?
Mit tief gefurchter Stirn musterte Shaha den Prinzen skeptisch. Was für ein Mensch musste er sein, wenn er Lady Priscillas Meinung so drastisch verändern konnte?
Kein allzu vertrauenswürdiger, so viel stand fest.
Der Rest von Lady Priscillas Ansprache rauschte an Shaha vorbei, doch Lottie warf sie währenddessen ein warmes Lächeln zu. Ihre Erdbeerprinzessin schien überglücklich und ganz und gar mit sich zufrieden, während Jamies Augen weiterhin wütend funkelten.
Der gesamte Rest des Unterrichts verlief reibungslos und doch kreisten mehrere Fragen in Shahas Kopf.
Wer war Edmund Ashwick und warum machte er Jamie so wütend? Was war mit ihrem fragwürdigem Tanzpartner und warum hatte sie das Gefühl, das er log wenn er keine Anzeichen dafür zeigte?
Es fühlte sich an, als würden mehrere Tonnen Gewicht von Shahas Schultern fallen, als sie sich endlich ihren Freunden anschließen und dem Unterricht von Lady Priscilla entfliehen konnte.
Jamie schritt rasch voran, offenbar fuchsteufelswild, doch Lottie schien zu berauscht und euphorisch um diesem Umstand sonderlich viel Beachtung zu schenken.
»Ich hätte den ganzen Tag weitertanzen können. Habt ihr gesehen, wie beeindruckt Lady Priscilla war?«
Shaha bemühte sich, Lottie ihr bestes Lächeln zu schenken, das sie im Moment erzwingen konnte. Doch sie konnte sich nicht davon ab zu halten, einen leise geflüsterten sarkastischen Kommentar abzugeben. »Lady Priscilla zu beeindrucken ist definitiv etwas besonders Wünschenswertes.« Glückerweise war es leise genug gewesen, sodasss nur Jamie sie hörte und seine Reaktion überraschte sie. Er hielt kurz inne und musterte sie mit einer Mischung aus Überraschung und Belustigung, doch nur für wenige Sekunden. Schon lief er wieder voraus und sie hatte Mühe mit ihm mit zu halten.
Lottie kicherte, bevor sie sich an Jamie wandte: »Ich war freundlich und mutig und habe nicht aufgegeben. Bist du jetzt stolz auf mich?«
Shahas Herz krampfte sich kaum merklich zusammen.
»Ja, Lottie, ich bin sehr stolz auf dich. Und jetzt hör mir zu -«, Jamies gerunzelte Stirn verhieß nichts gutes.
Doch Lottie unterbrach ihn: »War es nicht zauberhaft? Lady Priscillas Gesicht war unbezahlbar. Wie im Märchen. Und Edmund -«
Shaha widerstrebte es sehr, Lottie zu unterbrechen, doch sie tat es dennoch.
»Lottie, darum geht es nicht. Prinz Ashwick -«, schon wurde sie von Jamie unterbrochen, »Lottie, hör zu, du darfst nicht -«
Genervt warf Shaha ihm einen Blick zu, als auch er daran scheiterte, Lottie zum zuhören zu bewegen.
So funktionierte Teamwork ganz bestimmt nicht.
»Er ist anders als jeder Junge, den ich je getroffen habe. Er ist wirklich ein echter Märchenprinz!«
Shaha griff nach Lotties Hand und drückte sie sachte, um Lotties Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Lottie-«
»Lottie, du darfst nicht-«
Doch schon wieder wurde Jamie unterbrochen, diesmal schenkte ihm Shaha jedoch auch einen teils belustigten, teils frustrierten Blick.
»Ich bin so glücklich, ich könnte -«
»LOTTIE, DU DARFST NIE WIEDER, UNTER KEINEN UMSTÄNDEN, MIT PRINZ EDMUND ASHWICK SPRECHEN!«
Lottie wirkte zutiefst geschockt und Shaha wusste nicht recht, mit wem sie größeres Mitleid haben sollte.
Vorsichtig drückte sie Lotties Hand erneut und sprach sanft zu ihr. »Du musst vorsichtig sein Lottie. Manchmal ist nicht alles so perfekt, wie es scheint.«
Aber der Schaden war bereits angerichtet und so tauschte sie bloß einen besorgten Blick mit Jamie.
Seine Augen schienen regelrecht vor grimmiger Entschlossenheit zu glühen.
Warum musste sich alles zwischen den beiden nur immer bis zum Äußersten hochtreiben?
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