18 | hogsmeade.
Der Samstag, an dem das Zaubererdorf Hogsmeade seine Türen für die Schüler der Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei öffnete, näherte sich mit dem Donnergrollen eines Herbstgewitters.
Logan hielt streng an ihrem Vorhaben fest. Mit einem Kribbeln in den Fingerspitzen und unter wiederkehrendem Seitenblick von Corben, als wolle er sagen - Das ist Wahnsinn, aber ich lass dich das nicht alleine machen.
Fred hingegen hatte entweder Glück gehabt oder bloß Recht behalten. Umbridge hatte ihn nicht identifizieren können und mit einem sicheren Alibi seines Zwillings George, der im Krankenflügel gesessen und einer schmerzleidenden Katie die Hand gehalten hatte, und seines jüngeren Bruders Ron, dem Prof. McGonagall seine Anwesenheit zum Straf-Putzdienst im Pokalzimmer bezeugen konnte, und Lee, der sich mit großer Ernsthaftigkeit für Fred einsetzte - hat im Bett gelegen und geschlafen wie ein Stein Professor, das kann ich schwören! - kam er mit einem lässigen Kommentar davon: „Vielleicht wars eine Fata Morgana, Professor."
So schürten sie alle Logans Neugier auf das Zaubererdorf. Und auf die Antworten, die darin verborgen lagen. Genau so wie auch der Rest ihres gesamten Quidditch-Teams, das sich nach ihrem Training beim Klatscher-Sammeln herzlichst über die ganzen Schätze des Honigtopfes auszutauschen pflegte. Das, gemeinsam mit Corbens piercendem Blick auf sie, ließ ihre Magengegend brodeln - Ich hab echt kein Bock drauf, Logan, überlegs dir bitte anders.
Doch das tat sie nicht.
Also kam der Samstag. Anne und Naome hatten sich längst über die Ländereien, untergetaucht im großen Schülerstrom, auf den Weg ins Nachbardorf gemacht, als Logan über den kleinen Zwischenweg den dritten Stock im Ostgebäude erreichte. Das gedämpfte Getuschel zweier Rotschöpfe war dabei ihre Willkommensmusik. Fred und George begrüßten sie mit ausladenden Armbewegungen und zerrten sie hinter das Portrait eines alten, in seinem Lehnstuhl schlafenden Zauberers, bis zu der Statue einer buckligen, alten Frau. Dort tippte George mit dem Zauberstab gegen sie, murmelte Worte, die Logan kaum verstand, und schon sprang sie, einen schmalen Gang abwärts preisgebend, zur Seite.
Bis nach Hogsmeade liefen sie eine ganze Weile. George erzählte ausgiebig von dem Zwischenfall mit Katie und wie er den Klatscher nur aus Versehen in die falsche Richtung gefeuert hatte.
Logan quittierte die Geschichte mit einem mahnenden „Wehe dir passiert das beim Spiel! Wenn ich wegen dir 'ne Woche Unterricht verpasse, verzeih ich dir das nie."
Und prompt sinnierte Fred über die Erinnerung, wie er Anne im dritten Jahr mit einer Wasserbombe erwischt hatte, was sie ihm tatsächlich auch bis heute nicht verzieh.
Als sie den Honigtopf durch den Vorratskeller erreichten, fiel niemandem auf, dass drei von Spinnenweben eingehüllte Gestalten plötzlich im Laden erschienen waren, ohne je durch die Vordertür gekommen zu sein.
Draußen vor der Ladentür, die mit ihrem Zufallen das viele Geschnatter der Schülermenge verschluckte, wehte kalter Herbstwind. Wassertropfen flirrten in der Luft und legten sich in Logans kurzes Haar, während sich die Zwillinge ihre Kapuzen in die Stirn zogen.
„Und jetzt?" George spähte die endlos verlassen daliegende Straße hinab.
Logan blinzelte gegen den Wind. „Ich muss zu den drei Besen."
Mit Schalk im Blick nickte er, doch er fragte nicht nach, sein Bruder war schneller: „Wir können dich auch begleiten." Freds lange, schmalen Lippen feixten unverhohlen zu ihr hinüber.
„Nicht nötig."
„Dann gehen wir erst zu Zonkos." George klopfte Fred auf die Schulter. Er war drauf und dran gewesen, etwas zu erwidern, sagte dann aber nur: „Stimmt, wird Zeit."
Also ließen sie Logan mit theatralisch mahnenden Worten - Um halb sechs hier, wehe, du verspätest dich, Fräulein - zurück.
Eine Seitenstraße und nicht mehr als vierhundert Meter weiter gen Süden, roch Logan den berauschenden Duft warmen Butterbiers bereits gegen die Windböen, bevor sie die Drei Besen überhaupt sah. Hogsmeade war ein kleines Dorf, doch mit seinen Backsteinhäsuern aus dunklem Ton erinnerte es an die vielen hohen Gänge im nicht ganz so weit entfernten Schloss, das man gelegentlich zwischen den Dächern hinweg in der Ferne erkennen konnte.
Rob und Corben, eingehüllt in drahtige Wintermäntel, standen wie besprochen zwei Straßenecken weiter. Ersterer paffte gedankenverloren an einer Zigarette und schluckte den Qualm, als er Logan am Ende des Weges entdeckte - „Wurd auch Zeit."
Corben folgte seinem Blick, die Nase rot vor Herbstkälte.
„Also", tönte Rob in feierlichem Ton und blies einen massigen Schwall Qualm aus seiner Lunge, kaum dass Logan in Hörweite war „kanns losgehen? Hast dus dabei?"
Im grauen Herbstdunst verschmolz Logans ausgewaschene Jacke, die mal Tonks' gewesen war, mit dem Backstein des Pubs und Logans Augen huschten die Straße entlang. Unter den tanzenden Nieseltropfen war niemand zu sehen. Sorgsam fischte sie den ratternden Kompass aus ihrer Jackentasche, bevor sie ihn wieder verschwinden ließ.
„Und was ist das jetzt für ein Typ, den wir aufsuchen?", fragte sie. Nicht einmal beim Frühstück hatte Corben auch bloß den Deut eines Hinweises verlauten lassen.
„Ein alter Familienfreund", erklärte Rob, während er die Hände tief in seiner Lederjacke vergrub und das Kinn weiter aus dem giftgrünen Schal wand. Seine Fußspitze zermahlte seinen Zigarettenstummel am Boden. „Meine Ma hat vor Jahren mal dafür gesorgt, dass ein vernichtender Artikel über ihn nicht gedruckt wurde. Hätte ihn ziemlich in Verruf gebracht, Schwarzmarkthandel, Magischer Artefaktenmissbrauch und so weiter. Ein paar Jahre Askaban hat sie ihm erspart." Rob klang beinahe gelangweilt, während er sie eine schmale Gasse entlang führte, an die kaum Tageslicht drang. „Dafür hat er ihr mal ein paar Informationen zu gefährlichen Objekten der schwarzen Magierszene gesteckt. War einer ihrer größten Artikel bisher."
Als würde er in schönen Erinnerungen an Familienessen und Spieleabende schwelgen, seufzte Rob heiße Luft aus seiner Lunge aus, die prompt als silbrige Atemwolke in den Himmel stob. Logan musterte ihn und den Pferdeschwanz, den er heute trug, noch bevor sie Corbens wissenden Blick auffing, der Bände sprach - Ich hab mit dem Kerl rein gar nichts zu tun.
Irgendwann, vor einem Wirtshaus mit rauchigem Seiteneingang, blieben sie stehen. Bei Nacht, mutmaßte Logan und zog ihre Schultern ans Kinn, sah es hier vermutlich nicht mehr so heruntergekommen aus. Wenn Licht aus der Taverne auf die Straße quoll und die Schatten die Graffitis an den Wänden überdeckten. Die Stube zum Dörrhaus war unbesucht und die Dielen knarrten als Willkommensgruß unter ihrer Last, sobald sie über die Schwelle traten.
Die Kälte dieses Wintertages erschien ihnen zu folgen, heißer Dunst frisch gewärmten Butterbiers stob an sie heran, doch verlor sich noch vor den kahlen Wänden. Ein Geklimper aus der Küche hinter dem Tresen verriet, dass sie nicht alleine waren.
„Jope?", rief Rob in die Leere um sie herum und die Spinnenweben unter den Baldachinen zitterten.
Wenn Logan es nicht besser gewusst hätte, hätte sie auf ein leises Tippeln entlang der Holzwände geschwört, an denen nun ein paar Käfer reißaus nahmen. Corbens angestrengt starre Mundwinkel drückten aus, wie Logan sich fühlte. Mit missmutiger Mine schob er seinen Unterarm auf den Tresen und sah sich entlang der mit alten Rahmen behangenen Wände um. Logan hingegen, starrte bloß auf ihn.
Bis zu dem Moment zumindest, an dem Robert mit der flachen Hand auf den Tresen donnerte und erneut seine Stimme erhob - „Jope, ich bins, Rob! Komm raus!"
Die Geräusche aus der Küche verstummten und ein Schatten huschte die Wand entlang. Dann folgten Schritte - und eine untersetzte Frau mit hervorquellenden Augen in schmutzigblauem Kleid erschien. Für einen Moment glaubte Logan, sie würde jeden Moment schreien, doch stattdessen zogen sich ihre wulstigen Lippen zu einem breiten Staunen: „Rob!"
Das karierte Spültuch in ihren Händen landete auf den mit Staub umhüllten Dielen.
„Jope, ich fass's nicht, das fasst' auch nicht!", spie sie über ihre Schulter hinweg und kam unter äußerst schwerfälligen Schritten um den Tresen herum geeilt, sich die fettigen Hände an ihrer Schürze wischend. „Guck wer's blicken lässt, das fasst's nicht!", krakeelte sie in überraschend hohem Stimmton und drückte Rob, der eine Mine schrecklichster Erwartung aufgesetzt hatte, fest an ihre massive Schulter. Ihre glimmenden Augen stoben durch den Raum.
„Ich fass nicht, wie groß du bist!" Es war fast schon mütterliche Fürsorge, mit der sie seine Locken auf dem Scheitel festpatschte. „Wie lang ists her? Fünf Jahre?"
„Sechs Monate, Sue", stöhnte Rob und zog sich die steife Lederjacke an seinem Körper zurecht. Auf den Blick der Frau zog sich kein Widerwort, sondern lediglich ein äußerst träumerischer, herzzerreißender Ausdruck. Als wäre sie soeben in eine Parallelwelt mit einem viel jüngeren Rob abgedriftet.
„Vergiss es", erklang eine schnarrende Stimme aus dem Gang, der am Tresen vorbei in die Tiefen des Pubs führte. Erschrocken fuhr Logan auf ihrem Absatz herum.
Aus irgendeinem, unerklärlichen Grund hatte sie impulsartig befürchtet, Professor Snape aus dem Halbdunkeln auftauchen zu sehen. Doch stattdessen schlurfte ein hagerer, langer Mann an sie heran. Eine matt graue Schürze war um seinen, für den spindeldürren Rest seines Körpers viel zu ausgedehnten Bauch gewickelt und das schwarze T-Shirt, das er trug, war von kleinen Brandlöchern übersät. Sein Kinnlanges, strähnig graues Haar wippte bei jedem seiner Schritte gegen sein fliehendes Kinn.
Die Frau namens Sue schien ihn gar nicht zu bemerken; ihr Blick verlor sich mittlerweile an dem Punkt im Nichts, an dem Rob vor einem Moment noch gestanden hatte.
„Kriegen sie das im St. Mungo nicht in Griff?" Rob begrüßte Jope mit einem kräftigen Handschüttler. Seine Haut wurde fleckig weiß unter dem Druck.
Jope, der sich mit dem Handgelenk über die wässrigen Augen fuhr, sah an Rob vorbei, geradewegs zu seiner Frau. „Nich wirklich. Wird nur schlimmer, aber damit haben wir uns abgefunden, richtig Sue?"
Beim Klang ihres Namens schreckte die Frau plötzlich wieder auf, als hätte sie bloß einen Neustart gebraucht: „Butterbier, jemand von euch Butterbier?" Ohne eine Antwort abzuwarten, stob sie in Richtung Küche davon.
Jope Gormock hatte nun seine Aufmerksamkeit Robs beiden Begleitern zugewandt und sein schläfriger Blick hing sich für einen Moment zu lange an Logan fest - „Wen hast' mitgebracht?"
Bei dem lauten Poltern aus der Küche zuckte er nicht auch nur mit der Wimper.
„Corben und Logan, Jope." Rob deutete mit einer ausladenden Bewegung auf seine Begleiter.
Jope vermied für einen Moment lang jegliches Blinzeln und die vielen Falten auf seinem dünnen Gesicht warfen schon fast Schatten, bis er endlich ein Lächeln zeigte. Groß und breit, bei dem sein oberer Eckzahn fehlte.
„Corben?", wiederholte er und reichte Corben so schwungvoll die Hand, dass es den Jungen ein paar Schritte zur Seite wuchtete. „McLaggen? Endlich gibt's die Ehre."
Corben schenkte Rob bloß einen strafenden Blick, bekam jedoch nur ein Achselzucken zurück, während er sich so schnell es ging aus Jopes Griff wandt.
Das konnte Logan im Anschluss auch nachvollziehen, denn der Händedruck, den sie von dem Besitzer des Gasthauses bekam, quetschte ihr die Sehnen und war begleitet von einem Geruch nach beißendem Schweiß und staubigen Mottenbällen.
„Also Rob." Jopes lange Nase vibrierte im Einklang mit seinem Kinn „Was kann ich für dich tun?"
„Es geht um magische Artefakte natürlich. Sagen wir, ich brauch eine fachliche Meinung."
„Und die?"
„Sind involviert, in meiner Stufe und nicht vom Ministerium", versicherte Rob mit einem Lachen, doch Corben und Logan kamen nicht umhin, zum abwertenden Tonfall des Wirts zögernde Blicke zu tauschen. „Ich schwöre, keiner hier verpfeift irgendwen."
Jopes beißender Blick fraß sich in sie hinein, als erwarte er jederzeit ein Zauberstabzucken. Doch dann ließ er ein Seufzen hören und schließlich schlurfte er auf den Hacken voran - Kommt.
Im Hinterzimmer des Wirtshauses, getrennt vom Rest der Räumlichkeiten durch einen engen, mit Holzkugeln besetzten Vorhang, stand der Duft nach einer jüngst gerauchten Zigarre in der Luft, der Logans Einschätzung revidierte, heute die ersten Gäste hier gewesen zu sein. Dabei war sie nicht schnell genug, um einen Blick auf die Gerätschaften am hintersten Ecktisch zu werfen, die Jope bei ihrem Eintreten mit einem Fingerschnipsen im Nichts verpuffen ließ. Sue schob sich an ihnen vorbei, um vier Krüge voller warm blubberndem Butterbier vor ihnen niederzuschmettern. Der Blick, den sie Rob schenkte, glühte regelrecht, bevor sie sich umwandte und wieder in der Küche verschwand.
„Also", raunte Jope, noch während er seinen Krug unter lautem Knarren an sich zog. Erwartungsvoll starrte er in die Runde. Die abwartenden Blicke von Corben und Rob folgten.
Logans Griff hatte sich seit ihrem Eintreten in das Dörrhaus nicht von dem Kompass in ihrer Jackentasche gelöst und ihre Finger waren merkwürdig verkrampft, als sie ihn präsentierte.
Jopes Kiefer spannte sich und sein Kinn zuckte - bloß für den Bruchteil einer Sekunde lang. Im nächsten Moment hatte er nach dem Kompass gegriffen und Logan war als hebe er ein Tonnengewicht von ihren Händen.
Für eine kurze Weile lang sagten sie nichts. Lediglich Rob schlürfte an der Schaumkrone seines Butterbiers und seine Augen tanzten gemeinsam mit dem Kompass, der sich in Jopes knochigen Händen wand, durch das Licht.
Bis: „Wo haste den her?"
„Hat mein Vater von einer Reise nach London mitgebracht." Logan rutschte auf ihrem Stuhl voran. „Aber er ist kaputt, er -"
„Isses sicher deiner?" Jope starrte sie an, durch den Vorhang seiner Haarsträhnen hindurch und an dem hölzernen Gestell vorbei.
Robs Schlürfen verstummte. „Wem sollte er sonst gehören?"
Der Wirt kippte den Kompass in seine Horizontale und antwortete, ohne von ihm abzusehen: „Wegweiser sin' prägegleich. Sie binden sich anne erste Person, die sie aufgelesen hat, sobald ihr ursprünglicher Besitzer starb."
Mit einem leisen Klacken traf der Kompass die Tischplatte. Alle Blicke bohrten sich durch Logans Umhang hindurch bis auf ihr Mark.
„Heißt das, man muss den vorigen Besitzer töten, um -" Sie waren allesamt so eng um den Kompass gebeugt, dass Robs Minzduft den Geruch nach Bierschaum und Verwesung um sie übertönte.
„Nicht zwinglich." Jope erschien in seiner Hosentasche nach etwas zu kramen. „Reicht, wenn dus inner Hand hältst, wenn sein eigentlicher Besitzer am andern Ende der Welt wegen Drachenpocken ins Gras beißt."
„Das heißt, damit er wirklich Logan gehören würde", schlussfolgerte Rob „müsste der alte Besitzer -"
Wie schon Sirius Monate zuvor am Grimmauldplatz, tippte Jope nun mit einem kurzen, äußerst mitgenommenen Zauberstab gegen den das Glas über dem Ziffernblatt. Revelio.
Ein roter Schimmer bildete sich um das Gehäuse, das nun bloß noch drastischer zitterte, bevor er es wie aus einer Kanone gefeuert über die Tischplatte raste. Mit einer schnellen Handbewegung hielt Logan es davon ab, gegen ihren Ellenbogen zu donnern. Er gehörte ihr.
„Mir tut's leid, Mädchen. Ich hoffe, er hat deinem Dad nie gehört."
Logan konnte spüren, wie sehr es in Corbens Kopf ratterte, bevor sie den Kompass wieder zurück in die Mitte schob.
Es gab viele Möglichkeiten, die man sich zusammenreimen konnte, das wusste sie. Vielleicht hatte sie einfach Glück gehabt und deswegen gehörte der Wegweiser nun ihr. Oder ihr Vater hatte diesem Umstand Abhilfe geschaffen, was dann aber wiederum einen weiteren Tod bedeuten musste - Sie konnte nicht erahnen, was Corben grade am ehesten von allem schlussfolgerte.
„Also, ich hab ihn schon untersucht, Jope", brach Rob die Stille, die sich um sie geschlossen hatte und räusperte den Butterbierschaum aus seiner Kehle. „Er hat keinerlei Reaktion gezeigt. Auf gar nichts. Nichtmal ein simpler Aufrufezauber wirkt was. Er dreht sich einfach nur im Kreis."
Wieder langte der Wirt in die Mitte. Das Glas über dem Ziffernblatt spiegelte für den Bruchteil einer Sekunde Corbens aalglatte Mine. „Isser immer so kalt?"
Logan wusste, dass er sie ansah, doch sie begenete seinem Blick diesmal nicht. Vielleicht aus Furcht, dass er Wahrheiten finden würde, wenn er zu lang in ihre Iris starren würde.
„Irgendwie schon."
Jope drehte den Zauberstab in seiner Hand, bevor der den Wegweiser akribisch mittig vor sich niederlegte. Dann krümmte er den Rücken, seine Nasenspitze berührte fast das Gehäuse. Und unter einem leisen Murmeln, das an der Tischplatte erstarb, begann er, schmale Kurven um das Ziffernblatt zu malen.
Im ersten Augenblick regte sich nichts. Doch dann, als Logan beinahe den Blick abgewandt und erstmals ihrem Krug gewidmet hätte, begann der Kompass zu glühen. Erst matt, dann greller, in einem goldenen Schein aus springenden Funken; die Nadel auf dem Zifferblatt hörte auf, sich zu drehen und der Wegweiser erhob sich in die Luft.
„Was machen Sie - sorry." Jopes strenger Blick ließ sie verstummen.
Stille, gespannt wie das Seil eines Bogens um einen anvisierten Pfeil dehnte sich durch den Raum und selbst Corben hatte sich nun auf beiden Unterarmen vorgebeugt, um keinen Wimpernschlag zu verpassen. Denn der Kompass, er färbte sich. Unter den stobenden Funken erschien er zu glühen, in einem gleißenden Rot wie schmelzendes Metall über offener Flamme.
„Ich weiß's nich wasses is, aber - Seht ihrs?"
Das Holz des Gehäuses blendete sie fast und Jope unterbrach seine fahrigen Zauberstabbewegungen abrupt - das Glühen schwachte ab und Jope fischte den Kompass aus der Luft und drehte ihn in seiner Handfläche herum.
„Sieht aus wie ein Kältepunkt im Innern. Ist da was drin?"
„Das isn Zauber." Die Spitze von Jopes Zauberstabes malte Kreise um den kleinen, schwarzen, zitternden Fleck auf der Rückseite des Kompasses, den der erlischende Schein nicht erfasste. Als wäre das Innere aus kaltem, unberührbaren Stein. Einem Stein, der bebte, wie ein schlagendes Herz. „Den kann ich nich entziffern." Dann verblasste das Rot und der Punkt verschwamm. „Aber er's dunkel." Jope wandte den Wegweiser herum und stellte ihn ab. „Und er kämpft gegen die Magie vom Kompass an."
„Das heißt, er -"
„Ich würd's vernichten, Kind", schloss Jope, bevor Rob eine Frage hätte einwerfen können und seine schwarzen Pupillen fraßen seine dunkle Iris, während sein Blick sich in Logan verbohrte. „Vergraben oder im See versenken aber bloß's nicht bei dir behalten. Wer weiß von welchem Schwarzmarkt dein Dad's aufgesammelt hat."
Vorsichtig zog Logan den Kompass zu sich heran. Die Nadel ratterte wieder als wäre sie aus einem Schlaf erwacht. Flink drehte sie ihn erneut auf seine Rückseite, doch das Holz war wieder eiskalt und der schwarze Fleck inmitten war verschwunden. Aber wenn sie es sich lang genug einbildete, konnte sie wieder das Pochern darin spüren, von dem sie immer geglaubt hatte, es wäre das ihres eigenen Pulses gewesen.
„Vielleicht kommt's noch vonnen Grindelwald-Aufständen und dann müsstestes eigentlich melden. Aber ich denk's willst nicht" Jope leerte die Hälfte seines Butterbiers in einem Zug. Als hätte er seine Pflicht für heute getan. „Unangenehme Fragen stellen's da." Dann klopfte er in die Hände. „Ich bleib dabei: Du solltest's versenken. Da gibts nicht zu holen, werd das Teil los."
Als sie das Dörrhaus kurze Zeit später verließen, hatte sich bereits eine neblige Dämmerung über das Zaubererdorf gelegt und die frische Luft brannte in ihren Lungen, während Logan den Kompass unter Corbens brennendem Blick in ihre Jackentasche fallen ließ. Der Staub des Hinterzimmers schien sich jedoch in den Stoff ihrer Mäntel gesogen zu haben und auch Corben, der während ihrer Anwesenheit kein einziges Wort gesagt hatte, atmete schwer, als sie über die Schwelle traten.
„Gibt's was neues von deinem Alten?", konnten sie Jope noch an Rob gewandt fragen hören, während er ihm unter Sues herzhaftem Schniefen energisch die Hand schüttelte.
„Hab ihn seit Mai nicht mehr gesehen."
Logans Atem stob in kleinen Wölkchen gen Himmel empor und als Corben sich räusperte, schenkte sie ihm ein flüchtiges Lächeln. Seine ausdruckslose Miene verwies bereits auf die Mengen an Fragen, die sich in seinen Hinterkopf gebrannt hatten und in dem milchig gelben Licht, das aus dem Wirtshaus fiel, konnte sie seine Kiefer fest aufeinander pressen sehen.
„Mit dem wird schon alles in Ordnung sein." Jope gab Rob einen Klaps auf die Schulter, der ihn durch die Tür taumeln ließ. „Der weiß immer, wasser tut."
Nun war es an Rob, sich an einem gezwungenen Lächeln zu versuchen. „Ich wünschte, dem wäre wirklich so", rief er Jope über seine Schulter zu, während er sich den giftgrünen Hausschal enger surrte.
Sie hatten keine vier Schritte abseits des Gasthauses getan, da donnerte die Holztür hinter ihnen ins Schloss.
Auf dem gesamten Weg zurück zum Honigtopf sprach niemand von ihnen ein Wort. Lediglich das Schürfen von Corbens Schuhsohlen über den kiesigen Pflasterstein begleitete sie und Robs Gedanken verloren sich mit dem emporsteigenden Qualm seiner Zigarette.
Schlussendlich war es Corben, der die Stille brach und sein kehliges Räuspern riss Logan am Nabel aus ihren Überlegungsströhmen heraus: „Also, was tust du jetzt damit?"
Logans Griff um den Kompass verfestigte sich.
„Schmeißt du ihn weg?"
Rob hätte beinahe seinen Zigarettenstummel fallen gelassen - „Bist du des Wahnsinns, Corbs? Gerade jetzt ist es doch spannend!" Sie konnte hören, wie Corben scharf die Luft einzog. „In dem Ding steckt was drin und wir -"
„- sollten die Finger davon lassen." Corbens Stimme war so nachdrücklich, sie bebte fast mehr als der Wegweiser in Logans Hand. „Du hast es selbst gehört, es könnt noch von Grindelwald sein oder von sonst wo. Und es ist von irgendeinem Zauber besessen. Allein deshalb -"
„Ich glaub nicht, dass es von Grindelwald kommt." Logan klang entschlossener als sie war. „Dafür ist der Zauber in ihm und der, der dagegen steuert, noch zu stark. Grindelwald hätte ihn vor sechzig Jahren erschaffen müssen. Selbst der beste Langzeitzauber schwächt über die Zeit ab."
Rob deutete mit einer ausgiebigen Handbewegung auf Logan, als hätte sie ihm die Worte aus dem Munde geklaut: „Da hast dus."
Mittlerweile hatten sie die Hauptstraße des Zaubererdorfes erreicht und die gleißenden Lichter aus Ladenschaufenstern hinaus, die den Pflasterstein beleuchteten wie glänzende Einblicke in fremde Leben, waren mehr geworden. So langsam stoben ihnen auch die ersten Mitschüler entgegen, die sich von ihren bequemen Café-Stühlen lösen konnten und nun den Heimweg antraten. Die dünsenen Regentropfen waren nicht aus der Luft verschwunden.
„Also, ich würde sagen wir schlafen 'ne Nacht drüber", schloss Rob, als er die flachen Hände aneinander rieb und bei einem Laden für Briefeulenzubehör langsamer wurde. „Hab meiner Ma versprochen, ihr hier 'ne Klauenganitur für Pola mitzubringen" zum Abschied hob er drohend den Finger und fixierte Logan aus Schalk heraus „Also bloß nicht wegschmeißen, das Teil!" Und schon war er hinter einer Holztür und einem begrüßenden Glockenton verschwunden.
Erst als sie sich herumdrehte, konnte Logan sehen, dass Corben den Kopf schüttelte.
„Sag mir, dass du nicht genau so gefahrenbesessen bist, wie der", raunte er, als sie sich wieder in Bewegung setzten und Logan sah, wie scharf er die Ausbuchtung in ihrer Jackentasche fixierte. Als spiele er mit dem Gedanken, ihr den Kompass jeder Zeit zu entreißen.
„Also recht hat er ja." Logans Lippen formten sich zu einem Grinsen, bloß um Corben zu verärgern. „Jetzt wirds erst richtig spannend."
Dabei war es gar nicht Aufregung, die sie durchflutete. Vielmehr war es ein neuer Berg an Unsicherheit, der ihre Eingeweide zerfraß und ein Gedanke, der sich bei jedem weiteren Schritt tiefer in ihr Mark brannte: Vielleicht hätte sie den Wegweiser längst zerstören sollen. Vielleicht hätte sie niemals auf ihn hören dürfen.
Vielleicht, und das dämmerte ihr erst jetzt, während die Dunkelheit um sie tiefer sank, war er nicht aus gutem Gewissen, nicht zum Gebrauch von ihrem Vater an Gus und dann an sie gegeben worden. Vielleicht war er nicht da, um sie zu leiten. Vielleicht hatte ihr Vater ihn untersuchen, ihn gar vernichten oder verstecken sollen. Vielleicht war er ein Geheimnis, oder ein Hinweis. Und als sie die letzte Biegung vor dem Honigtopf erreichten, da fürchtete sie erstmals: Vielleicht hätte Albus Dumbledore diese Sache längst sehen sollen.
Corben war stehen geblieben. Die Seitenstraße, über die sie eine Abkürzung genommen hatten, lag verlassen da und an ihrem Ende konnte Logan immer mehr Hogwartsschüler unter den aufflackernden Straßenlaternen zurück zum Schloss eilen sehen. Der Honigtopf war nicht mehr weit.
„Darf ich ihn nochmal sehen?", hauchte Corben ihr zu und trat einen Schritt näher an sie heran, so dass sein Rücken neugierigen Seitenblicken die Sicht versperrte. Sie konnte seinen Atem über ihren Scheitel streifen spüren.
Sie zog den Kompass hervor. Die Nadel tanzte noch immer.
Vorsichtig und ihn nur mit den Nägeln berührend hob Corben ihn empor. Das Glas über dem Ziffernblatt spiegelte die einzige Lichtquelle um sie; den matten Schein aus dem ersten Stock eines Wohnhauses neben ihnen.
„Hat er deinem Vater gehört?"
Logan war bei der Plötzlichkeit dieser Frage fast zusammengefahren. In Corbens Iris tobte ein Sturm. Er fixierte den Kompass nicht mehr, sondern sah zu ihr. Zentimeter entfernt.
Für einen Moment wusste sie nicht, was sie antworten sollte. Wusste nicht, ob Schärfe oder Besorgnis in seinem Blick lag und ob seine Hand in diesem Augenblick wirklich in ihre Richtung zuckte, denn plötzlich zerriss ein schriller Pfiff die Stille -
„Ay ist das etwa Logan mit ihrem heimlichen -" George Weasleys Ruf erstarb.
Corben war herumgefahren, hatte den Kompass mit so einer Geschwindigkeit zurück in Logans Handfläche gepresst, dass es sie einen kleinen Schritt zurück beförderte - und schrecklich langsam glitten Corbens Finger von ihrer Hand, während sich Logans Griff fest um den Kompass schloss.
Fred und George Weasley waren auf der Gabelung erschienen, beide jeweils beladen mit Papptüten, die von Zonkos Scherzartikeln erzählten, und einem so großen Grinsen im Gesicht, dass es die Dunkelheit überwand. Einem Grinsen, das verging, als sie Corben erkannten.
„Also wir wollten ja nicht stören", summte Fred mit federnden Schritten, doch Logan hörte die Säuerlichkeit heraus „aber wir wollten zurück zum Schloss. Wird Zeit."
Viel zu langsam verstaute Logan die Hände in den Jackentaschen, ließ den Kompass los - „Na gut, gerne."
Mit einem bemüht unbekümmerten Blick lächelte sie Corben zu, doch seine Antwort war viel eher eine Grimasse des Unwohlseins. Mit ungewohnt fremd vom Körper abstehender Hand strich er sich durchs Haar. „Klaro."
Für einen Moment wollte er auf dem Absatz herumfahren, entschied sich dann doch für die andere Richtung und marschierte strammen Schrittes an dem auf sie zuschreitenden Fred vorbei. „Bis morgen, Logan!"
Und erst jetzt, als er sich von ihr entfernte, bemerkte Logan, wie nah sie sich gestanden hatten. Und gemäß dem perplexen Starren der beiden Weasley Zwillinge wusste sie, dass der der Ausdruck 'Das war mit Sicherheit nicht das, wonach es aussah' nie besser in ihr Leben gepasst hatte.
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Oh hey. Und jetzt? Ich hab einen Fragenregen für euch:
Was haltet ihr von den Gormocks? Könnt ihr ihnen trauen?
Was denkt ihr, was für ein Zauber steckt in dem Kompass?
Sollte Logan ihn wirklich lieber loswerden?
Danke für eure unermüdlich schönen Rückmeldungen, lieben Kommentare und ganzen Votes. Das bedeutet mir so viel. Am Samstag setze ich aus, um mit den Antworten für euch aufzuholen. Aber nächste Woche schleichen wir nochmal durch die Gänge, bevor das Spiel losgeht. Einverstanden?
Alles Liebe, Al x
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