16 - Die Nacht
"Das hört sich wirklich gut an... aber bist du dir sicher, dass sie den Kotzbrocken damit gemeint hat?" Victor und David gingen nebeneinander her durch die Straßen der Stadt, wie sie es oft taten, wenn sie nicht wussten, wohin. David fröstelte ein wenig, ließ es sich aber nicht anmerken. "Ich weiß nicht, ich denke schon. Ich werde sie morgen darauf ansprechen.", erklärte er und sah auf die Uhr. Es war inzwischen schon kurz nach zwölf, und sein Haus war nur ein paar wenige Straßen entfernt. "Ich begleite dich.", sagte Victor, als hätte er seine Gedanken gelesen. David nickte lächelnd. Einige Schritte gingen sie schweigend nebeneinander her. Die Stadt war ruhig zu dieser Zeit, die Hauptstraße war weit genug entfernt, um nur ein nebensächliches Rauschen zu sein, und die Laternen strahlten ein warmes Licht aus, dass alles irgendwie leuchten ließ.
"Oh,", stieß der Ältere plötzlich aus und David zuckte zusammen. "hab ich voll vergessen, sorry." David sah zu ihm, wie er in seinen Jackentaschen kramte und schlussendlich seinen Geldbeutel herauszog. "Hier. Für die Drinks." David wehrte ab. "Victor, wirklich, nein. Das hatten wir schon mal, ich bin alt genug, um meine Drinks selbst zu bezahlen." Victor blieb stehen, schnappte Davids Hand und drückte den Schein hinein. "Und ich sags nochmal: Du hast nicht für die Drinks, sondern für mich bezahlt, und das will ich nicht." Widerwillig steckte David das Geld ein. "Na gut. Aber so oft, wie du jetzt schon für mich bezahlt hast, schulde ich dir bestimmt mehr als ich hab." "Scheißegal. Du bist Student, ich arbeite. Das ist gut so." Seufzend nahm David Victors Hand und ließ sie ein wenig nach vorne und hinten schwingen.
Victor lächelte eins seiner seltenen Lächeln. Vor ihnen tauchte die Kreuzung zu Davids Straße auf. "Hey, wo wir gerade von Drinks reden...", begann Victor, die Chance auf eine unglaublich schlechte Überleitung nutzend. "... wollte ich fragen, ob du vielleicht, naja... Bock hättest mit mir auf den Geburtstag meiner Mum zu gehen." Überraschte sah David zu ihm auf. "Warte. Ich soll deine Familie kennenlernen?" Victor konzentrierte sich weiter auf den Weg. Er wusste nicht, ob das zu früh war, wo sie doch noch nicht mal ausgesprochen hatten, was sie waren. Und er fragte sich, ob David die Einladung unangenehm war. In seinem Blickfeld tauchte das hellgelbe Haus auf, das sie ansteuerten.
"Ich meine, ja. Nur wenn es für dich ok ist, natürlich. Ich meine, wir haben noch nicht... darüber geredet."
David schwieg für einen Moment. Victor fasste das als Unsicherheit auf und fuhr fort: "Ich meine, es werden viele Leute da sein, is also nicht auffällig wenn ich mit einem... meinem..." Er wusste nicht weiter. Seinem Freund? Einem Freund? Einem Bekannten? Einem Typ den er datete? Er ärgerte sich. Normalerweise war er überhaupt nicht auf den Mund gefallen. Ohne Probleme konnte er wildfremde Menschen zu einem Quicky auf der Toilette überreden, oder bei einem Cocktail ins Gespräch kommen. Aber mit David war das anders. Manchmal hing sein Gehirn in Davids Anwesenheit an jedem einzelnen Wort, das über seine Lippen kam. Zum Beispiel jetzt. "Ich meine, wenn du... mit.. mir..."
David erlöste ihn von seinen Qualen, indem er vor seinem Haus stehen blieb und sich Victor zu wand. "Natürlich will ich mit. Als was auch immer..." sie sahen sich an und wussten beide, dass sie nicht "was auch immer" waren. Victor fand seine Sprache wieder. "Komm als mein Freund mit. Als mein fester Freund." David grinste. "Bin ich denn dein fester Freund?" Victor küsste ihn, und allein die Vertrautheit von diesem Kuss müsste alle Fragen beantworten. "Seit dem 4. Date ungefähr.", antwortete Victor dann und David schmunzelte. "Das Date in dem schrecklichen Cafe mit den Katzen und dem süßen Kaffee?" Sie lachten beide.
Es war kalt und nieselte inzwischen ganz leicht, obwohl es auch einfach dichter Nebel sein könnte, den sie spürten. Jedenfalls froren beide und als David die Haustüre aufschloss, drehte er sich um und fragte: "Willst du mit rein kommen?" Zögernd antwortete Victor: "Kriegst du keinen Ärger?" David zuckte mit den Schultern. "Der Ärger war vorhin was trinken. Wenn er einen sitzen hat, schläft er besonders fest und lang. Er wirds nicht merken. Und ist ja auch nur kurz, um dich aufzuwärmen." So unterkühlt fühlte sich Victor zwar nicht, aber er willigte trotzdem ein. Nichts zog ihn an diesem Abend nach Hause.
Leise streiften beide ihre Schuhe aus und hängten ihre Jacken auf. Dann verschwand David in der Küche und holte zwei Gläser und eine Flasche Apfelschorle. Victor ging voraus, die Treppe hoch und dann rechts in Davids Zimmer. Alles war aufgeräumt, sein Bett gemacht und die Stifte und Hefter auf dem Schreibtisch sortiert. "Ganz schön sauber.", bemerkte Victor und setzte sich auf das Bett. Es fühlte sich seltsam an, jemanden zu besuchen und nicht im Wohnzimmer zu sein. Aber das kam daher, dass die meisten in seinem Alter eine eigene Wohnung besaßen. Dieses "aufs Zimmer gehen" kannte er noch aus der Schulzeit. Mit einem Mal fühlte er sich alt.
David nickte und stellte die Gläser auf dem Schreibtisch ab. "Du hast es unordentlich hinterlassen." Victor grinste. "Ich hatte besseres zu tun als Aufzuräumen." Davids Blick saß für eine Sekunde auf Victor, dann wandte er sich wieder den Gläsern und dem Apfelschorle zu. "Willst du was trinken?" Victor verneinte, und David setzte sich neben ihn auf sein Bett. Victors Blick schweifte noch immer durchs Zimmer.
"Krass, dass das schon Monate her ist...", stellte er fest und David ließ sich seufzend nach hinten fallen. Er sah zur Decke. "Immer noch krass, dass es überhaupt passiert ist. Ich glaube manchmal, dass ich mir das nur eingebildet habe, aber dann... dann bist du plötzlich da und bist der Beweis fürs Gegenteil." Victor legte sich auch nach hinten und rutschte ein Stück näher an David heran, sodass ihre Schultern nur noch Zentimeter voneinander entfernt waren.
"Stimmt, das ist noch viel krasser.", stimmte er dann schmunzelnd hinzu und drehte seinen Kopf zu David. "Du bist außergewöhnlich." Überrascht drehte David seinen Kopf ebenfalls, und sie sahen sich an. "Deshalb hat es wahrscheinlich funktioniert. Weil du einfach der Typ Mensch bist, der Dinge vollbringt, die andere nicht schaffen." David schnaubte und sah wieder zur Decke. "Dinge wie 'sich jeden zweiten Abend verprügeln lassen'? Fantastisch."
Victor drehte seinen Körper auf die Seite und wandte sanft Davids Kopf wieder zu ihm. "Es gibt auch noch andere Seiten an dir als die, die der Kotzbrocken einnimmt. Du bist klug und einfühlsam und... sehr viel besser in sowas hier als ich, aber... naja, du färbst so langsam auf mich ab. Du bist mehr als nur der verprügelte Junge."
"Und du bist mehr als nur ein Stripper."
Victor beugte sich ein Stück nach unten und küsste David mit all dem warmen Glühen, das er in sich spürte, und das ihn so glücklich machte. David erwiderte genauso innig. Er drückte sich auf einen Ellenbogen hoch, die andere Hand erreichte Victors Wange. Von der Schwerkraft gezwungen kletterte der Ältere über David, welcher darüber grinsen musste, und sie schoben sich ein Stück weiter aufs Bett, um mehr Platz zu haben.
Sie versanken in den Küssen, die manchmal zart und weich waren, und manchmal viel inniger und fordernde, als David je geküsst worden war. Eigentlich hatte er bisher nur einmal jemanden geküsst, und das war Maya gewesen, in der 7. Klasse. Inzwischen war sie bi mit Vorliebe für Frauen und er schwul. Eine gewisse Ironie lag schon darin.
Aber David konnte seine Gedanken kaum klären, als Victor über ihm stützte. Immer mal wieder öffnete er die Augen und sah zu ihm hoch, und konnte gar nicht so schnell denken, wie ihm Empfindungen durch den Kopf rasten. Sein Herz hämmerte gegen seine Brust, seine Lippen fühlten sich heiß an.
Victor kämpfte gegen den Drang, David die Klamotten auszuziehen. Ein einziges Mal wollte er die angemessene Geschwindigkeit haben, was die Liebe anging. Er wollte sich, aber vor allem David, Zeit lassen. Aber wie er so unter ihm lag und ihn immer wieder mit verklärtem Blick ansah, und zwischen den Küssen nach Luft schnappte, da spielten seine Gedanken verrückt. Sein Kopfkino malte ihm viel pikantere Szene aus als nackte Oberkörper. Er spürte, wie David in seine Haare fasste und erschauderte ein wenig.
Vielleicht, wenn er vorsichtig war.
David hätte beinahe nach Luft geschnappt, aber seine Lippen wurden weiter von Victors in Beschlag genommen. Eine Hand streifte vorsichtig unter Davids Shirt, an seiner Hüfte entlang und einige Zentimeter nach oben.
Scheiße, ich bin Jungfrau., schoss es David durch den Kopf. Er wünschte sich, doch dieses eine Mal auf der Erstsemesterparty mit diesem Mädchen geschlafen zu haben. Dann hätte er wenigstens ein bisschen Erfahrung vorzuweisen. Er dachte daran, mit wie vielen Menschen Victor wohl schon geschlafen hatte, und wie routiniert sein Vorgehen wohl sein musste. Überfordert mit diesem Gedanken brach David den Kuss ab, um für eine Sekunde durchatmen und einen klaren Gedanken fassen zu können. Victor nutzte die Gelegenheit und küsste eine kleine, liebevolle Spur zu Davids Hals.
Das wars dann mit den klaren Gedanken.
David legte den Kopf zur Seite, um ihm Platz zu machen. Victors Hand hatte sich bis zu dem Brustkorb des Jüngeren vorgearbeitet und David beschloss, dass sein Oberteil nur noch störte. Mit einer flüssigen Bewegung hob der den Obrkörper ein Stück und zog sich dann sein Oberteil aus. Er sah Victor an, nicht sicher, was seine Augen gerade zeigten von dem ganzen Durcheinander, dass in ihm herrschte. Victor grinste und setzte sich auf Davids Hüfte, um sich selbst sein Shirt ausziehen zu können.
Ohne viel Kontrolle darüber zu haben, streckte David die Hand aus und Victor lehnte sich wieder über ihn, bis seine Hand seinen Brustkorb traf. Natürlich hatte David Victor schon oft halb nackt gesehen. Das war schließlich seine Arbeitskleidung. Aber in diesem Moment war er trotzdem auf eine ganz neue Art davon angezogen. Er hatte das starke Bedürfnis, Küsse über Victors ganzen Körper zu verteilen; Er hatte das Bedürfnis, seinen Oberkörper vor Schweiß glänzend zu sehen, wenn er-
Victor näherte sich mit seinen Lippen wieder Davids und dachte für einen Moment daran, dass er ihn einfach fragen könnte, ob das alles in Ordnung war, oder ob sie aufhören sollten, solange es noch nichts zu bereuen gab.
Aber dann entschied er, dass Worte völlig überflüssig waren und drückte seine Lippen verlangend auf Davids. Beide schlossen die Augen. Die Nacht war noch jung.
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Okay so, hear me out.
Ich weiß ich hab was von ner Update Pause geredet, aber Tatsache ist, dass wir die 1K reads geschafft haben, und, naja, was sollte ich schon anderes sagen außer:
VIELEN VIELEN DANK!
Ich freue mich riesig, dass diese kleine Story hier gelesen wird... Danke für den ganzen Support und die vielen Kommentare und Likes!
AOF
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