8. Das Paket
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Nachdem du den Wagen gestartet und einige Runden durch New York gedreht hast, fällt dir eins auf. Der Wagen ist unauffällig und wird gleich wieder vergessen. Das kann natürlich Vorteile haben.
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Inzwischen ist es drei Uhr nachmittags. Dir geht viel durch den Kopf. Du hattest allen so glaubwürdig erzählt, dass du dich an nichts erinnern konntest, dass du es schon fast selbst glaubst.
Das 'Afterlife', du solltest nochmal hinfahren, vielleicht ist June wieder da. Als Barfrau muss sie etwas von der Frau mitbekommen haben, wer sie ist, warum sie verschwand. Was ist so besonders an der Frau, oder 'T', warum sind die anderen hinter ihr her? Was hat sie vor? Je mehr du darüber nachdenkst, desto mehr Fragen kommen auf.
Du beschließt nach deinem Botengang dort vorbeizufahren.
Das wird schon nicht so lange dauern; es kann ja nicht so schwer sein, ein Päckchen abzuliefern.
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Zuerst fährst du jedoch zurück zur Wohnung, es ist noch etwas Zeit. Als du in die Straße biegst, kommt es dir vor, als ob ein schwarzer Chrysler gerade wegfährt. Komisch. Kann das sein oder bildest du dir das nur ein? Als du den Wagen geparkt hast, gehst du Richtung Haus. Du wolltest gerade die Eingangstür aufschließen, als dir ein Nachbar entgegenkommt.
„Oh, hey, Sie müssen der Neue sein."
„Hallo, ja, scheint wohl so."
Vor dir steht ein junger Mann, Anfang zwanzig, mit Trainingsanzug. Scheinbar will er gerade joggen gehen. Vielleicht sollte er das weiße Stirnband mit den drei Streifen weglassen. Das war dir zu 80er. Aber Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden.
„Ich wollte gerade eine Runde laufen gehen."
Als ob man das nicht sehen würde: „Ja, irgendwie habe ich mir das schon gedacht!" Seine blonden Haare fallen ihm ins Gesicht, da hilft auch das Stirnband nicht.
Er trippelte auf der Stelle, „Ich bin übrigens Justin, wohne unten links!"
„Aaron", gibst du ihm zu verstehen.
„Wir können uns ja mal auf einen Soja-Latte treffen!"
Alles, bloß das nicht, kommt dir in den Sinn. Jedoch quälst du dir ein Lächeln raus: „Äh ja, sicher, wenn Cedric mal Zeit hat, bringe ich ihn gerne mit." Der wird sich besonders darauf freuen, du musst lächeln, als du daran denken musst.
„Ja, cool. Also dann, wir sehen uns." Justin grinst dich an, während er schon halb losläuft.
„Kann es kaum erwarten." Doch er winkt nur kurz und läuft davon.
Kopfschüttelnd gehst du nach oben.
Da kommt dir eine Idee, als du in deinem Stockwerk angekommen bist.
Du gehst nicht zu deiner Wohnungstür, sondern stattest deinen neugierigen Nachbarn einen Besuch ab.
Dreimal klopfst du an die Tür. Du hörst die Bewegung dahinter, bis sie geöffnet wird. Oh, da hat einer vergessen, vorher durch den Spion zu sehen, fällt dir auf. Auf einmal steht ein älterer Herr erschrocken vor dir. Seine grauen Haare, die Halbglatze und seine Lesebrille auf der Nasenspitze können seine Überraschung nicht verbergen.
„Oh...", stammelt er überrascht.
„Ja, Hallo. Ich bin der neue Nachbar von gegenüber. Aber das wissen Sie ja bereits. Ich dachte mir, wenn sie schon wissen, wer ich bin, möchte ich auch wissen, wer sie sind."
Er war sichtlich überrumpelt, „Äh...", sagt er nur.
„Aaron...", entgegnest du.
„Was?" Noch immer weiß er nicht, mit der Situation umzugehen.
„Mein Name! Aaron", gibst du ihm zu verstehen.
„P.. Peter...", sagt er schließlich.
„Hallo, Peter. Ich bin jetzt wieder Zuhause, werde heute Abend aber nochmal losfahren. Die Nacht ist lang und New York schläft bekanntlich ja nie", gibst du ihm zu verstehen.
„Ah...", noch immer weiß er nicht, was er davon halten soll.
„Dafür schlafe ich morgen aus. Sie auch?"
„Äh...", mehr bringt er nicht heraus.
„Nein, sie brauchen sich keinen Wecker zu stellen, ich klingle bei Ihnen, wenn ich das Haus verlasse."
Nach mehrfachen Blinzeln kommt er wieder zu sich. „Also... Ich denke, das wird nicht nötig sein..."
Du musst grinsen: „Alles klar, dann wünsche ich Ihnen noch einen schönen Abend!"
Etwas grimmiger antwortet er: „Ja, gleichfalls..."
Schnell verschließt er die Tür und du drehst dich grinsend weg.
Jetzt kannst du in deine Wohnung gehen.
Dort angekommen, legst du dich auf die Couch und schaust TV, Nachrichten. Sie berichten, von den Finanzmärkten, Wetter und Sport.
Der restliche Tag vergeht wie im Flug, schnell ist es halb zehn, du musst dich langsam auf den Weg machen. Du ziehst deine Jacke über und nimmst die Schlüssel. „Dann wollen wir mal", du verlässt die Wohnung und winkst der Nachbarwohnung zu, nur für alle Fälle. Dann gehst du zu deinem Wagen.
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Kurz vor zehn erreichst du den Park. Nachdem der Wagen abgestellt ist, machst du dich auf den Weg. Im Park leuchten die Laternen und hüllen alles in ein sanftes Licht. Es sieht geradezu malerisch aus, aber der Park ist fast menschenleer. Was durchaus vorteilhaft sein kann, wenn du das Päckchen diskret abholen sollst.
Du siehst die Brücke und begibst dich langsam in die Richtung. 21:55 - Du erreichst die beschriebene Stelle. Du siehst dich um, da ist die Stelle unter der Brücke an der Laterne, aber du kannst kein Paket entdecken. Na ja, es ist noch etwas zu früh. Du beschließt, dich auf eine Parkbank zu setzen, um zu warten. So hast du alles im Blick.
21:57 - Ein Pärchen läuft Arm in Arm an dir vorbei, sie schauen kurz zu dir rüber. Du nickst ihnen zu, dann gehen sie etwas schneller an dir vorbei. Aber wer will es ihnen verübeln, ein einzelner Typ, der nachts alleine auf einer Parkbank sitzt, na ja.
22:00 - Immer noch nichts zu sehen. Kein Päckchen wurde abgegeben. In einiger Entfernung torkelt jemand in deine Richtung.
Als die torkelnde Person näher kommt, kannst du erkennen, dass es ein junges Mädchen ist.
Sie spricht dich sogleich an: „Huch, ich gllaaube ich bin eetwass zu späät..."
Du musst leicht grinsen. „Wwaas ist daaran soo luustig???"
Schwankend schaut sie in deine Richtung. „Äh, reden Sie mit mir?"
Sie versucht möglichst ernst zu bleiben. „Siiehst duu hier noch jemanden?" Sie sieht dich herausfordernd an.
„Äh, nein...", du versuchst nicht zu grinsen.
„Daaann kaann ich doch nur diich meinen..."
Logische Schlussfolgerung, stellst du fest. „Okay...."
Sie baut sich vor dir auf. „Woo rauf waartest duu dann noch..." Scheinbar versucht sie ernst zu wirken, jedoch funktioniert das nur bedingt.
Sie ist jung, vielleicht gerade 18, hat pinke Haare, mehrere Ohrlöcher, Piercings und Tattoos.
Ihre kurzen Lederhotpants, das durchsichtige Top, mit dem Bikinioberteil darunter, lässt dich etwas anderes vermuten. Du weißt nicht, was du davon halten solltest, oder was sie von dir will.
„Willst du zu mir?" Fragst du schließlich.
„Iich soll hier um zehn waarten. Biis ich aabgehoolt werde!"
Ist sie etwa Das Paket? „Kann das sein, dass du ein ganz klein wenig betrunken bist?" Du siehst zu ihr, wie sie torkelnd vor dir steht.
„Aach, daas iist dooch niich viiel geewesen..."
Offensichtlich war nur der Letzte schlecht. „Schon klar."
Sie sammelt sich nochmal. „Aaalso, können wiiir daann???"
Da sich hier nichts anderes, kein Päckchen oder Ähnliches befindet, hast du die Befürchtung, SIE ist das Päckchen.
„Soll ich dich ins Hotel bringen?" Du musst dir sicher sein.
„Jaha, Hiintertür... Diee saagen ich biin zu peinlich... Veersteh isch garnich..."
Doch du hingegen beginnst zu verstehen, warum sie nicht wollen, dass sie in dem Zustand durch den Haupteingang spaziert. Somit ist klar, dass sie dein Auftrag ist. „Okay..."
Du legst ihren Arm um deine Schulter und greifst ihr an die Hüfte. Was ihr sichtlich gefällt, da sie ein, „Uhhhh...", verlauten lässt. Aber du musst sie ins Auto bekommen.
„Ich denke, so finden wir das Auto schneller..."
Zumindest scheint sie begeistert zu sein. „Guute Ideee..."
Langsam geht ihr zum Ausgang des Parks, inzwischen sind ein paar Menschen unterwegs, die euch komisch ansehen.
Als ihr am Auto seid, hilfst du ihr auf die Rückbank. Lachend setzt sie sich in die Mitte und schaut, wie du einsteigst. Im Rückspiegel kannst du sehen, dass sie dich die ganze Zeit beobachtet. Du startest den Wagen.
„So, wir fahren los!"
Sie kicherte noch immer. „Wohooo..."
Du musst auch lächeln. „Wer bist du eigentlich?" Vielleicht kannst du so erfahren, wie sie mit all dem hier zusammenhängt.
„Nur eiiiiine Tochter."
„...und wessen Tochter?" So leicht gibst du nicht auf.
„Iss egaalll..."
Da merkst du, heute ist nicht viel aus ihr herauszubekommen. Trotzdem gibst du nicht auf. „Und warum die Piercings, die Klamotten?"
Auf einmal war ihr permanentes Grinsen verschwunden; sie sitzt ganz starr da und schaut dir durch den Spiegel direkt in die Augen. Dir kommt es vor, als ob sie plötzlich wieder nüchtern ist.
„Hättest du gesehen oder gewusst, was ich weiß, könntest du es verstehen..."
Erschrocken drehst du dich um und siehst sie mit großen Augen an. Im nächsten Moment ist ihre versteinerte Miene verschwunden, sie grinst und lacht wieder. Du fragst dich, was das gerade war.
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Nach ein paar Minuten erreicht ihr das Hotel. Du hilfst ihr beim Aussteigen und ihr geht zur dir bekannten Tür. Du klopfst an, eine tiefe Stimme empfängt dich und öffnet die Tür.
Noch so ein Schrank wie Cedric, wenn auch nicht so breit, ein normaler Türsteher, öffnet euch die Tür. Vorsichtig nehmen sie "das Paket" in Empfang und wollen sie gerade wegbringen. Da schaut sie auf und eure Blicke treffen sich ein letztes Mal. Sie wird sogleich starr, sie schaut dir bitterernst und tief in die Augen.
„Hilf mir...", flüstert sie dir zu.
Dann kehrt ihr Grinsen zurück und der Türsteher baut sich vor dir auf. Mit einem „Wanda muss jetzt erst mal schlafen", wendet er sich an dich.
„Ist hier alles in Ordnung?", du starrst ihm direkt in die Augen.
„Ja, sicher, sie hat nur ein leichtes Alkoholproblem. Wir verstehen uns ja, hier herrscht Diskretion", stellt er nochmal klar.
Als du gerade nachfragen und in die Tür greifen willst, knallt er diese Tür zu. Jetzt stehst du vor der Tür, deine Hand ist noch ausgestreckt, bereit, den Griff zu greifen. Hättest du etwas machen müssen, eingreifen, sie da herausholen? Dein Auftrag wurde abgeschlossen, das ist klar. Nur hast du ein ganz ungutes Gefühl bei der Sache.
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Du überlegst die ganze Fahrt zurück zur Wohnung, ob du richtig gehandelt hast. Irgendwas stimmt da nicht. So viel ist dir bewusst.
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Du erreichst deine Wohnung und fällst hundemüde in dein Bett. Doch deine Gedanken lassen dich nicht zur Ruhe kommen. Irgendwann spät in der Nacht schläfst du dennoch ein.
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Das Afterlife musste warten.
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