44. Majestic
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Dann siehst du, wer es ist. Schwer atmend, steht June vor dir, in ihr bebt es. Du stehst ein paar Zentimeter vor ihr, wie in Schockstarre, Gänsehaut schleicht deinen Rücken hoch. Du hast sie erkannt, natürlich, kannst dich aber nicht bewegen. Sie weiß sicher auch nicht, was das gerade ist, was da gerade passiert. Ihr starrt euch gegenseitig an, schaut euch tief in die Augen. Das Wasser tropft von euren Gesichtern, die Sekunden vergehen. Schwer atmend steht ihr voreinander. Keiner ist imstande, sich zu bewegen; dein Herz schlägt bis zum Hals. Junes Augen funkeln, sie beginnt zu zittern. Ihr atmet beide schwer, dann nimmst du deinen Arm von ihrem Hals. Es scheint, als würde sie es nicht bemerken. Noch immer schaut ihr euch tief in die Augen. Sie zittert weiterhin, doch dann greift sie nach deinem Gesicht. Ihre Hände liegen auf deinen Wangen, sie zieht dich zu sich und ihr küsst euch leidenschaftlich.
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Doch plötzlich hört ihr, das etwas in der Seitenstraße umfällt, erschrocken trittst du einen Schritt zurück. Ihr könnt Schritte vernehmen, du machst dich zum Angriff bereit. Dann kommt ein breiter, großer Typ um die Ecke.
„Jules!" Ruft June erleichtert.
Doch Jules schimpft nur: „Wer stellt da auch einen Eimer hin."
Erst dann sieht er euch an. „Oh." Er bemerkt, dass hier irgendwas passiert ist. „Alles okay?"
June räuspert sich. „Ähem, ja. Wir suchen den Eingang."
„Soll das ein Scherz sein?"
June steht immer noch an der Wand und schaut ihn fragend an.
Jules bemerkt das. „Schau mal runter."
June tritt zur Seite und nimmt ihre Füße hoch. „Oh."
Sie steht direkt auf dem 'W'.
Du willst ihr beistehen: „Das habe ich auch nicht gesehen, war wohl zu offensichtlich."
Jules schüttelt den Kopf. „Lasst mich mal."
Er tastet die Bretter ab, oben kann er etwas greifen und zieht dran. Dann kann er die "Bretterwand" aufziehen.
Ihr geht rein und seid in einer Art Mitarbeiterbereich. Ihr müsst scheinbar durch den früheren Personaleingang gegangen sein. Ihr lauft auf eine Tür zu, als ihr diese öffnet, seht ihr die Toiletten für die Besucher. Dann geht es nach vorne. Rechts geht es zum Eingang.
„Tut mir leid, ich muss das machen", sagst du nur.
Die beiden schauen dich etwas verwundert an. Doch das ist dir egal, du gehst zum Eingang und stellst dich davor. Dann drehst du dich um.
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Jetzt hast du genau den Blick wie damals, als du noch ein Kind warst. So schäbig das Kino auch von außen aussah, hier drinnen ist es fast noch unverändert. Es wurde alles so gelassen wie damals, vom Staub mal abgesehen. Vor dir ist eine kleine breite Treppe, roter Teppich im ganzen Eingangsbereich, sogar auf den Treppen. Geht man diese hoch, ist dort ein Plateau, auf dem die Bar steht. Dort konnte man Popcorn und Getränke kaufen. Sie ist auch noch immer in Rot gehalten, die Getränke wurden gezapft, die Popcorn-Maschine steht daneben. Alles sieht so aus wie in den 60er Jahren. Das war damals schon so einmalig. Links und rechts gehen zwei breite geschwungene Treppen hoch, die die Bar förmlich einkreisen. Dort ging es, über den roten Teppich, in den riesigen Saal.
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Die beiden sehen dich an, June merkt es als Erstes. Sie kommt zu dir und stellt sich neben dich.
„Das ist das Kino meiner Kindheit", erzählst du. „Hier war ich mit meinen Eltern! Ich war noch ein Kind, aber damals war es magisch. Ich habe dieses Bild, als ich das erste Mal durch den Eingang trat, nie vergessen."
Jules hört dir zu, kommt dann auch zu euch.
„Jetzt, genau heute, stehe ich wieder hier", dir steigen Tränen in die Augen. „Alles ist wieder da. Die ganzen Erinnerungen, alles von damals."
June lehnt sich an dich. Als du das bemerkst, legst du einen Arm um ihre Schulter.
„Ich hätte das alles heute nie erwartet!" Du bist ein wenig überwältigt. „Das ist unglaublich!"
Sogar Jules legt seine Hand auf deine Schulter. In der Zwischenzeit kommen Talia und Steve aus dem Saal, bleiben oben an der Treppe stehen und hören dir nur zu. Sogar Steve nimmt Talia kurz in den Arm.
„Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Es roch nach Popcorn, alle lachten. Vorne haben wir uns die Karten geholt. Dann ging es hoch zur Bar, Popcorn und Cola. Das ganze Kino war voll. Meistens waren wir in der Sneak-Preview, das gab es nur einmal im Monat. Es wurde nicht verraten, welcher Film lief; es gab nur einen Satz in der Zeitung, nur diesen einen Hinweis."
Deine Augen glitzern und du hast lange nicht mehr so sehr gelächelt. Es kommt dir wie ein Film vor, der vor deinen Augen abgespielt wird. Ein Film voller Erinnerungen, alles ist wieder da, als wäre es gestern gewesen!
„Im Saal kam dann der Betreiber und setzte sich vor die Leinwand. Sie haben mit den Nummern auf den Tickets immer eine Verlosung gemacht. Dann gab es Merchandise, T-Shirts, Becher und Plakate. Sowas gibt es heutzutage kaum noch!"
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Einen Moment stehst du da und bist in Gedanken. Du lässt deinen Blick durchs ganze Kino wandern.
Dann holst du tief Luft: „Ich denke, wir müssen weitermachen." Du deutest nach oben.
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Gemeinsam geht ihr in den Saal, besser gesagt in die Loge. Da merkt ihr, dass die beiden schon länger hier sind. Hier liegt alles voller Papiere, Steve hat hier seine ganzen Rechner aufgebaut, überall liegen Kabel.
Du fragst nur: „Oh, haben wir etwas verpasst?"
Talia schüttelt den Kopf. „Nein, na ja, etwas, wir sind schon zwei Tage hier. Die Bibliothek war ja nur ein temporärer Unterschlupf. Steve hat hier schon alles kameraüberwacht, na ja, zumindest eingerichtet."
Du schaust erschrocken zu June.
„N-na ja, fast", sagt Steve und holt seinen Laptop hervor. „A-ab jetzt, s-sind wir o-online."
Er tippt etwas ein, dann hört ihr ein Geräusch über euch, scheinbar ist der Projektor angesprungen. Vor euch beginnt die Leinwand zu leuchten. Er hat den Laptop gespiegelt, das heißt, man sieht den Desktop des Laptops auf der großen Leinwand. Doch das meiste bleibt schwarz. Dann erscheinen acht schwarze Kästchen. Mehr passiert dann jedoch nicht. Alle schauen Steve an.
„D-das w-wollte ich schon immer m-mal m-machen!", sagt er.
Er drückt eine Taste auf dem Laptop und sagt:
„W-wir sind Online!"
Im nächsten Moment erscheinen nacheinander Livebilder. Der Haupteingang, die Vorhalle, Toilettengang, Loge, Kinosaal, beide Gebäudeecken von draußen und der Mitarbeitereingang. June schaut dich in dem Moment an, als wollte sie sagen, das war knapp ein paar Minuten später und sie hätten euch in flagranti erwischt.
Ein Raunen geht durch die Loge, das nimmt Steve zur Veranlassung: „D-danke", sagt er nur.
„Aber kommen wir zum nächsten Projekt", beginnt Talia schließlich.
„Wir haben da was vorbereitet. Das Ganze wird noch eine Nummer größer, denn so langsam sind wir in aller Munde."
Gebannt sehen sie alle an, keiner weiß, was sich Talia und Steve überlegt haben.
Dann lässt sie die Katze aus dem Sack: „Der Time Square!"
Alle sehen sich mit großen Augen an.
„Was kaum einer weiß", erzählt sie weiter, „es sind nur die ersten drei Etagen bewohnt, alles andere steht leer."
Dann macht Steve, der eure Reaktionen beobachtet, weiter: „I-ich m-muss da rein, d-dann spiel i-ich unsere Werbung a-auf."
Doch das geht dir alles zu schnell. „Moment, wie willst du das machen? Ich meine, die Werbung wird sicherlich durch einen Zentralrechner eingespeist. Du wirst doch sicher Zugriff darauf haben müssen."
Er nickt: „K-korrekt, i-ich muss mich i-in das N-netzwerk h-hacken."
Nur wird das niemals so einfach sein, überlegst du. „Aber wie willst du das machen?"
Da übernimmt Talia das Wort: „Da kommt ihr ins Spiel! In den ersten zwei Etagen ist ein Drogerie-Markt, in der dritten sitzt das 'Countdown Entertainment'. Das ist das Ziel! Dort wird alles geplant, da wird die ganze Werbung über die Leinwände laufen. Wir müssen uns zwischenschalten."
Du schaust sie skeptisch an. „Das sollen wir machen?"
Doch Steve hat die Frage kommen sehen. „I-ihr bekommt e-einen USB-Stick m-mit, den m-müsst ihr, in einen der R-Rechner s-stecken. Dann i-installiert s-sich das P-Programm v-vom allein."
„Wie lange dauert das?", fragst du nach.
„N-nicht länger a-als 30 S-Sekunden", erklärt Steve, „dann h-habe i-ich Z-zugriff, k-kann mich dann r-reinhacken."
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Es wird immer größer und gewaltiger, du bist dir noch nicht so sicher, was du davon halten sollst, auch June hat Zweifel.
„Aber wie sollen wir da überhaupt hineinkommen?"
Allerdings hat Talia alles wohl durchdacht. „Ihr wollt die LED Wand mieten, habt eine Anfrage gestellt. Jetzt werdet ihr die Entwürfe begutachten!"
Das wird alles nicht so einfach überlegst du. „Äh, das wird schwer, weißt du, was das kostet? Die werden Sicherheiten haben wollen."
Talia lächelt: „Wir haben das Geld, es gibt genügend Briefkastenfirmen, denen fällt zu spät auf, dass zu viel abgebucht wird. Das wird dann über diverse Konten im Ausland verteilt, so können sie es nicht zurückverfolgen."
Eines muss man ihnen lassen, das alles ist gut durchdacht, sie haben einen Plan, soviel steht fest!
Talia führt es noch weiter aus. „Das wird die Tage gebündelt und die Anzahlung überwiesen. Das machen wir aus der Schweiz."
Dir fällt etwas auf: „Ihr seid recht weit mit der Planung, kann das sein?"
Talia lächelt verschmitzt. „Nun, wir waren nicht untätig. Ihr sollt ein neues Getränk aus der Schweiz bewerben, 'No Sweat -> Just Swiss'."
Du musst lachen. „Ernsthaft?"
Talia beschwichtigt: „Es ist ja eigentlich egal, wir brauchen nur einen Grund."
Während du über alles gesagte nachdenken musst, fällt June noch etwas auf. „Aber wie sollen wir sie ablenken, dass wir an den Rechner kommen?"
Da hebt Talia den Zeigefinger. „Das ist Problem Nummer eins!"
June überlegt: „Spontan entscheiden, also wenn wir drin sind?"
Talia sieht sie an. „Wenn euch das reicht?"
Dann streckt sie den Zeige- und Mittelfinger hoch. „Problem zwei, es kann sein, dass Steve in Reichweite sein muss. Dann sollte er in einer der leeren Etagen sein. Könnte mit dem Fahrstuhl oder der Treppe machbar sein. Nur, je nachdem wie schnell er sich reinhacken kann, wird es danach schnell von Bullen wimmeln. Ihr müsst dann sehr, sehr schnell raus."
Du schaust in die Runde, bevor Talia weiter macht: „Wenn es optimal läuft, kann er das von hier aus machen."
Das sind viele Probleme, allerdings hebt Talia auch noch den Ringfinger. „Dann kommen wir zu Problem drei, was sollen wir einblenden?"
„Laufschrift", sagst du sofort.
Talia schaut dich an, bis du erklärst: „Unsere Nachricht, die von rechts nach links, durch die Leinwand läuft, abgeschlossen mit einem riesigen 'W'."
Talias Augen beginnen zu funkeln: „Das ist genial!"
„Hallo?" Meldet sich Jules: „Ein Spruch wäre vielleicht auch gut!"
Da löst Talia den Blick von dir. „Stimmt."
Alle überlegen, was man schreiben kann; mehrere Ideen werden schnell wieder verworfen.
Dann fällt dir etwas ein: „Wie wäre es mit etwas Dramatischem?"
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Wir sind da.
Wir sind überall.
Wir können nicht aufgehalten werden.
Wir sind das Volk.
Wir sind viele, zusammen sind WIR die Mächtigen.
Achtet auf unser Zeichen!
'W'
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Sprachlos sitzen alle zusammen und schauen dich an.
„Wie kannst du das so einfach...", stottert June fast.
„Was denn?" Willst du wissen, „nicht gut?"
Jules klopft dir auf die Schulter. „Das ist dein Geniestreich, den nehmen wir."
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