Kapitel 40 ✔️


Oh Mann, jetzt war ich allen Ernstes verheiratet. Etwas Bammel vor der Hochzeitsnacht hatte ich ehrlich gesagt schon, aber das hatte noch einige Stunden Zeit. Abgesehen von ein paar Küssen mit Luca hatte ich überhaupt keine Erfahrung. Hilfe! Ich brauchte Ablenkung, und zwar schnell. Sonst kam ich doch noch auf die Idee Michael, eine Knarre an den Kopf zu halten, damit er mich von hier wegbrachte. Weit weg von den ehelichen Pflichten einer Ehefrau. Ich atmete einige Male tief durch und wischte die schwitzigen kalten Hände am Kleid ab. Nicht ganz ladylike, aber das störte mich wenig.

Suchend schaute ich mich um und sah, wie Onkel Sergio meinen Cousin beobachtete. Emiliano war völlig auf Lucy und ihre engelsgleiche Erscheinung fixiert. Sein Gesichtsausdruck, seine ganze Körperhaltung war ein Anzeichen für komplettes Wohlbefinden. Diese Zufriedenheit strahlte auf meinen Onkel ab, an den ich mich langsam heranschlich.

„Na Zietto, habe ich dir zu viel versprochen?" Amüsiert bemerkte ich, wie er leicht zusammenzuckte. Treffer versenkt. Unsere Mafiosi waren durchgängig zu unaufmerksam, wenn selbst der Don zu spät reagierte.

„Deswegen musste ich also die geänderte Tischordnung durchsetzen. Was macht eigentlich Massimo? Dem hattest du ja ebenfalls einen anderen Tischpartner zuweisen lassen", lenkte er von seiner Überraschung ab, die ihm ins Gesicht geschrieben stand.

Ja, das andere Sorgenkind auf Liebesgebiet schien sich ebenfalls prächtig zu amüsieren. Er und John passten meiner Meinung nach ausgezeichnet zueinander. Der liebevolle Don und ein zuverlässiger Mafioso, was sollte da schon schiefgehen?

„Läuft glaube ich ganz gut bei ihm und John. Allerdings könnte der Fettarsch es mir übelnehmen, wenn er einen seiner Männer an Massimo verliert. Obwohl, dann hat er endlich Ruhe vor den Flirtversuchen." Meine Mundwinkel wanderten noch weiter nach oben, wenn das überhaupt möglich war. Ein wenig schmerzte mein Gesicht schon von dem ewigen Gegrinse, das ich heute an den Tag legte. Ich suchte mit Blicken die Menge nach Lucius ab, denn ich liebte es, den Italiener aus San Francisco zu ärgern. Er tat gerne so, als ob ihn alles kalt ließ, doch tief im Innern hatte er einen weichen Kern.

„Diavoletta!" Da war er auch schon. Knurrig wie immer.

„Was denn?", fragte ich Lucius gespielt unschuldig. „Stört dich etwas, Sacco di Lardo?"

„Du magst zwar wie ein Engel aussehen, aber du bleibst ein Teufelchen", seufzte er kopfschüttelnd. Ein Teufelchen, das ihn ungestraft ärgern durfte. Denn übelgenommen hatte er mir noch nie etwas. Dafür mochte er mich viel zu gern, wie die anderen Mafiafamilien ebenfalls. Was mich wieder zurück zu Ilimitada brachte. Onkel Sergio hatte meine Idee positiv aufgenommen. Vermutlich auch, weil ich damit sein Gewissen beruhigt hatte. Er hatte sich anmerken lassen, dass ihm seine Entscheidung für Emiliano als Nachfolger nicht einfach gefallen war. Ich hatte bemerkt, dass er in letzter Zeit viel darüber nachgedacht hatte, wer von uns beiden besser als neues Familienoberhaupt geeignet war. Mein Cousin natürlich. Das stand für mich nicht zur Debatte. Denn egal wie viel qualifizierter ich war, die ganze Aufmerksamkeit, die mir täglich in der Rolle zufallen würde, war nichts für mich. Lieber blieb ich im Hintergrund und trat nur zu bestimmten, notwendigen Momenten ins Rampenlicht. Im Bündnisfall, der sicher eintreten würde.

„Pequeña tormenta!"

Während meiner Überlegungen war ich von Onkel Sergio und Lucius weggewandert und stand nun vor Enrique, dem Don der Tempestuoso. Wie hatte er mich genannt? Kleiner Sturm.

„Na so groß bist du aber auch nicht, dass du mich ungestraft klein nennen darfst", warf ich ihm spöttisch grinsend zu. Nein, im Vergleich zu den anderen Dons war er nicht groß. Nur einige Zentimeter größer als ich.

„Es ist schon witzig, dass deine Cousine zwar eurer Ahnin wie aus dem Gesicht geschnitten ist, du aber ihren Charakter hast." Er hielt mir ein dünnes Büchlein mit ledernem Einband hin. „Nun nimm schon, dann verstehst du, warum meine Familie dem ersten Sam Hudson erst geholfen und ihn danach fallen gelassen hat. Wir wurden nicht von den Pensatori verjagt, wir sind gegangen."

Hielt er etwa ein weiteres Puzzlestück meiner Familiengeschichte in der Hand? Ehrfürchtig nahm ich ihm das Büchlein ab.

„Ich habe die Geschichte in unserer Bibliothek gefunden und für dich abgeschrieben. Mario erzählte, dass du sehr an Geschichte und vor allem an eurer Familiengeschichte interessiert bist."

„Gracias." Ich lächelte Enrique an und strich liebevoll über den Einband.

„De nada", erwiderte er, bevor er zu den Dons von San Francisco und Chicago wanderte, die sich mittlerweile den Blicken und Gesten nach prächtig über meinen Cousin amüsierten. Verständlich war es, so wie dieser Lucy anhimmelte.

Grinsend steuerte ich mit dem Büchlein auf die Bibliothek zu. Die anderen konnten meinetwegen von Herzen draußen feiern, doch ich wollte jetzt mehr über die erste Giulia erfahren. Ich zog die Stiefel aus und fläzte mich auf die Couch, die noch so bequem war wie bei meinem allerersten Aufenthalt in dieser Villa. Damals hatte Michael sich zu mir gesellt, seinen Arm um meine Taille geschlungen. Es war das erste Mal nach langer Zeit, dass ich mich geborgen gefühlt hatte. Doch zu dem Zeitpunkt ahnte ich nicht einmal, wer er war. Michael, mein großer Bruder und Beschützer. Auch war es das Wochenende gewesen, an dem ich erst unfreiwillig mit Luca in einem Bett geschlafen und ihm nach der Heimfahrt das Herz gebrochen hatte. Und wobei ich kapiert hatte, dass die Gefühle nicht nur von seiner Seite kamen. Doch ich war der festen Überzeugung gewesen, dass es nie eine Beziehung zwischen uns geben durfte. Tja, so leicht täuschte man sich.

Ich grinste bei dem Gedanken, wie es ihn genervt hatte, dass ich mich vor ihm in der Bibliothek versteckt hatte. Fiel mir ein, dem guten alten Long John Silver hatte ich schon lange keinen Besuch mehr abgestattet. Hing aller Wahrscheinlichkeit nach damit zusammenhängen, dass ich kein eigenes Exemplar besaß und es demnach grundsätzlich in fremden Bibliotheken las. Ich schielte zum Regal hoch, auf dem das Buch stand und zog die Augenbrauen zusammen. Vielleicht sollte ich es kurzerhand mitgehen lassen. Es gehörte ja eh meiner Familie. Aber das hatte Zeit. Ich schlug erwartungsvoll das Büchlein auf, während mein Herz ungeduldig schnell pochte. Was würde ich gleich erfahren?

Die Italiener hatten sie. Der Spanier ballte die Fäuste. Wie auch immer ihre kleine Julia in deren Hände gefallen war, war erst einmal egal. Wenigstens wussten sie endlich, wo sie sich aufhielt. Sich Detective Sam Hudson zum Freund zu halten, hatte sich als Glückstreffer herausgestellt. Korrupte Bullen anzufüttern, war schon immer praktisch gewesen.

„Juan, ich erwarte von dir, dass du deine kleine Schwester aus den Fängen der Italiener befreist." Carlos Tempestuoso ließ keinen Zweifel entstehen, was er von seinem Sohn erwartete. Julia war als kleines Mädchen von einem verdammten Italiener entführt worden. Noch in Spanien damals. Einige Jahre hatte Carlos seine Tochter verzweifelt gesucht, bis er mit seiner Frau und den zwei Söhnen nach Amerika ausgewandert war, um das Tätigkeitsumfeld der Familie zu erweitern. Sie hatten sich mit dem italienischen Don Ferrucci angefreundet, doch nun hatten sie festgestellt, dass ihre kleine Julia mit seinem Consigliere verheiratet war.

„Aber Vater, sie hat diesem Vincente Pensatori bereits einen Sohn geboren. Sie wird kaum freiwillig zu uns zurückkehren." Juan hielt nichts davon, seine jüngere Schwester zur Rückkehr in den Schoß der Familie zu zwingen. Sie waren nach dieser langen Zeit alles Fremde für sie. Er selbst war zu dem Zeitpunkt ihrer Entführung zehn Jahre alt gewesen, sein jüngerer Bruder sieben. Der Spanier überlegte angestrengt. Julia müsste einundzwanzig sein, da er selbst sechsundzwanzig war. Sechzehn lange Jahre war sie verschwunden gewesen.

Was hatte dieser Sam Hudson noch gesagt?

„Dieser miese Hund hält sie gegen ihren Willen dort fest. Er hat sie dazu gezwungen, seine Frau zu werden, weil er von ihrer unvergleichlichen Schönheit geblendet wurde. Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als von dort zu fliehen."

Wenn das stimmte, dann war es seine Aufgabe, seine Schwester zu retten. Doch etwas störte ihn an dem Detective. Obwohl sein Vater Carlos korrupte Bullen schätzte, Juan selbst traute diesen schmierigen Typen nicht, die ihre Überzeugung für ein paar Dollar wegwarfen. Entweder man entschied sich für den rechten Pfad und blieb diesem treu. Oder man verdiente sein Geld, wie seine Familie. In beiden Fällen zählte das Wort, das man Anderen gab. Ehre. Das war etwas, das Hudson fehlte.

Der Sohn des spanischen Dons ging im Kopf seine Optionen durch, sah dabei aus dem Fenster der Villa auf den Garten hinaus. Mit dem fremden Don zu verhandeln, Julia heimlich zu entführen, einen Krieg vom Zaun zu brechen oder sie in den Händen dieses Vincente zu lassen.

„Ach hier steckst du." Lucas warme Stimme brachte mich zurück in die Gegenwart. Er klang belustigt. Ich schaute zu ihm hoch und bemerkte, wie er seine Mundwinkel leicht nach oben gezogen hatte. Es schien, als ob er kapiert hatte, dass er mich nicht ändern konnte. Ich rückte etwas zur Seite und er setzte sich hinter mich aufs Sofa. Entspannt kuschelte ich mich an ihn, um dann gleich wieder in die Vergangenheit einzutauchen.

Einige Tage waren seit der Nachricht Hudsons vergangen. Die Tempestuoso hatten einen Rekruten zu den Italienern geschickt, der diese in ihrem Auftrag ausspionierte. Dies hatte Juan gegen den Willen seines Vaters durchgesetzt. So bekamen sie die Möglichkeit, die Lage in Ruhe zu analysieren, statt sich kopflos in einen Krieg zu stürzen.

„Boss?" Einer seiner Vertrauten trat ins Zimmer, sodass Juan von seiner Zeitung aufblickte. „Nach ersten Erkenntnissen lebt Ihre Schwester freiwillig mit diesem Vincente zusammen. Pablo konnte sie bei einem ihrer Besuche in der Villa Ferruccis beobachten. Sie unterhielt sich entspannt mit der Frau des Dons und genoss die Nähe ihres Ehemanns während des gemeinsamen Essens. Auch vertraut sie ihm völlig im Umgang mit ihrem gemeinsamen Sohn."

Juan schluckte. Wie sollte er das seinem Vater schonend beibringen? Denn dieser ging davon aus, dass seine Tochter niemals aus freien Stücken mit diesem Italiener zusammen war. Ein Krieg war fast schon unausweichlich, denn dieser Vincente würde Julia wohl kaum ziehen lassen und erst recht nicht mit dem gemeinsamen Sohn. Er musste seine Schwester dort anders herausholen. Doch zuerst sollte er seinen Vater über die neuen Erkenntnisse informieren.

„Warte, Ihr seid mit den Tempestuoso verwandt?" Luca hatte klammheimlich mitgelesen und pustete mir ins Ohr, um meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu erhaschen.

„Sieht ganz danach aus. Willst du nicht mal wieder zu unseren Gästen gehen?", brummte ich ungehalten über die Unterbrechung. Früher hatte ich immer in Ruhe lesen können, aber das war Vergangenheit, seit ich diese Mafiafamilie kannte. Schlug ich nun wirklich den richtigen Weg ein, im Schoße der Familie?

„Du willst mich wohl loswerden", neckte mein Mann mich und zog mich gleich noch enger an seine durchtrainierte Brust. „Hast mir vorhin bereits einen zu großen Schrecken eingejagt."

„Hast wohl geglaubt, ich lasse dich vor dem Altar stehen und haue mit Michael ab." Ich lachte leise, obwohl mir die Umklammerung meines Körpers auf die Nerven ging. Ich brauchte Freiheit, keine Klammeraffen.

„Zuzutrauen ist dir alles", brummte er nur. „Da passe ich lieber selbst auf dich auf. Aber Spaß beiseite. Der Trubel draußen ist selbst mir zu viel. Wer hat eigentlich all die Leute eingeladen?"

„Frag mal deine Mutter. Ich hatte da nicht so sonderlich ein Mitspracherecht." So gern ich meine Schwiegermutter hatte, sie versuchte mir zu sehr all die Freiheiten zu beschneiden, die mich seit langem begleiteten. Ja, sie meinte es gut und wollte mir meine Mamma ersetzen. Doch das erwartete ich gar nicht von ihr.

„Apropos Mamma. Sie wünscht sich, dass wir zu ihr ziehen, weil sie für unsere Kinder sorgen will." Ich drehte mich abrupt zu meinem Mann um. Kein verdächtiges Blitzen in seinen Augen, Mundwinkel waren neutral, eher ein wenig nach unten gezogen.

„Wo ist Michael? Ich brauche einen Fluchtwagen mit Fahrer." Damit überspannte Schwiegermama eindeutig den Bogen. Entweder zog ich zu Massimo oder in eine meiner Villen.

„Nichts da", knurrte Luca. „Ich habe meiner Mutter schon erklärt, dass das nicht passieren wird. So sehr ich ihr Essen liebe, aber sie täglich um mich zu haben? Nein danke." Er schüttelte sich ein wenig und ich entspannte mich wieder.

„Sie würde dir vor jeder Mission die kugelsichere Weste anziehen und dich fragen, ob du deine Pistole gesäubert hast", kicherte ich nun, was dem Italiener vor mir ein Seufzen entlockte.

„Ich gehe übrigens davon aus, dass sie während unserer Hochzeitsreise auf Sizilien auftauchen wird", brummte er weiter. Das traute ich ihr ungelogen zu. Ich schüttelte grinsend den Kopf.

„Wie gut, dass niemand weiß, wo wir die ersten Tage verbringen werden. Abgesehen von Emiliano, aber der hält eh dicht." Luca brach in dröhnendes Gelächter aus, als ich meinen Cousin erwähnte. Ich schaute ihn erwartungsvoll an.

„Die Wetten laufen schon, wie lange es dauert, bis er Lucy einen Heiratsantrag macht", erzählte er kichernd, nachdem er sich halbwegs eingekriegt hatte. „Aber lass uns jetzt mal wieder zu unseren Gästen gehen, bevor die auf falsche Gedanken kommen."

Wir liefen händchenhaltend in den Garten, tanzten und feierten, bis wir die Nase voll hatten und uns auf unser Zimmer zurückzogen. Unter dem lauten Gejohle der mittlerweile übelst angeheiterten Mafiosi, das meinen Magen zum Krampfen verleitete.

„Strengt euch an. Dann lässt Mamma wenigstens Jeanne und mich vorläufig in Ruhe", rief Matteo uns noch hinterher. Meine Schwiegermama hatte etwas verschnupft reagiert, als Giulia sich wegen ihrer Abstinenz immer mehr in die Enge getrieben gefühlt hatte. Denn meine Cousine hatte dann zugegeben, dass sie schwanger war. Die glänzenden Augen ihres Ehemannes hatten mich gerührt. Marco las ihr ab dem Moment endgültig jeden Wunsch von den Augen ab und sorgte dafür, dass sie sich nicht überanstrengte. War schon gespannt, wie es mir ergehen würde. Denn Luca und ich hatten uns geeinigt, dass wir nicht verhüten würden. Sollte ich schnell schwanger werden, dann war es halt so. Wenn nur dieses flaue Gefühl in meiner Magengegend nicht wäre!

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