Kapitel 42
Ich schließe gequält die Augen, als Ela im schlaf leise wimmert und sich auf die Seite dreht. Sie nuckelt an ihrem Schnuller und scheint auf der einen Seite friedlich, auf der anderen Seite aber gequält zu sein. Ich möchte nicht, dass mein kleines Mädchen leidet. Das hat sie beim besten Willen nicht verdient. "Hier." Lia hält mir eine Tasse Kaffee entgegen, welche ich dankend annehme. "Du solltest deine Eltern anrufen, Marco. Deine Mutter hat bereits bei dir auf dem Handy angerufen." Ich weiß ja, dass sie recht hat. Aber was bringt das denn, wenn ich meine Familie jetzt auch noch zum weinen bringe? Rein gar nichts bringt das. "Ich weiß was du denkst. Aber ich halte es für schlauer, wenn du deine Familie benachrichtigst.", redet Lia mir ins Gewissen. "Was bringt es denn, Lia?", "Sie verdienen die Wahrheit. Ich würde es als Oma wissen wollen, wenn mit meinem Enkelkind etwas ist." Ich weiß ja, dass sie recht hat. Aber ich weiß nicht, ob ich das einfach so kann. "Ich bleibe bei ihr. Fahr zu deiner Familie und erkläre alles in Ruhe. Vielleicht kannst du sie alle bitten sich testen zu lassen. Wenn wir Glück haben, dann ist unter deiner Familie jemand dabei, der Ela Stammzellen spenden kann. Dann ist das alles hier schneller wieder gut, als wir denken." Da ist was dran. Wir alles müssen uns testen lassen. Irgendjemand muss meiner Tochter doch helfen können. "In Ordnung, ich werde mich auf den Weg machen. Ruf mich bitte an, falls Ela wach wird, ja?", "Aber natürlich. Nun geh." Ich nicke und drücke meiner Tochter noch einen leichten Kuss auf die Stirn. Das ist doch alles ein schlechter Albtraum. Das kann nur ein Albtraum sein!
Auf dem Weg zum Auto habe ich meinen Schwiegereltern und meinen Schwestern eine Nachricht geschickt, dass sie bitte zu meinen Eltern kommen sollen, was Cony, Yvonne und Melanie mir sofort bestätigt haben. Ich habe lediglich geschrieben, dass es wichtig sei. Mehr nicht. Sie ahnen nicht was für schlechte Nachrichten ich ihnen gleich überbringen werde. Aber was bleibt mir denn anderes übrig? Ich habe die leise Hoffnung, dass einer von ihnen Stammzellen für Elaine spenden kann. Aber bei unserem jetzigen Glück ist die Hoffnung ziemlich klein.
Ich stelle das Auto ab, als ich in der Einfahrt meiner Eltern ankomme. Das Auto meiner Schwiegereltern steht bereits hier, also sind sie schon da. Ich habe Angst vor den Reaktionen. Ich rechne mit Tränen. Mit sehr vielen Tränen. Auch ich werde welche vergießen. Allein die Gedanken an das, was gestern und heute alles geschehen ist, treiben sie mir wieder in die Augen. Lia und ich sind die ganze Nacht bei Ela gewesen. Als sie gestern aufgewacht ist, hat sie viel geweint. Lia und ich konnten sie aber wieder beruhigen. Heute wird sie sofort ihre erste Chemo bekommen. Ich muss also nach diesem Gespräch hier zurück ins Krankenhaus, damit ich bei meiner Tochter sein kann, wenn dieser schreckliche Abschnitt ihres Lebens beginnt. Ich wünschte ich könnte ihr das abnehmen, doch das kann ich nicht.
Mit einem dicken Kloß im Hals steige ich aus meinem Auto aus und gehe ins Haus. Für die Haustür habe ich ja einen Schlüssel. "Marco?" Meine Mom kommt in den Flur und sieht mich besorgt an. "Was ist los? Wie siehst du denn aus? Wieso hast du alle herbestellt?" Ich ziehe meine Schuhe aus. "Komm, Mom, ich muss mit euch reden.", "Reden? Worüber denn? Wo ist denn überhaupt Elaine?" Ich schlucke schwer. Und sehe meine Familie an, die mich entsetzt ansehen, als sie mich bemerken. Ich muss verdammt scheiße aussehen. Verheult und übermüdet. "Wo Elaine ist? Sie ist im Krankenhaus." Ich schlucke schwer. "Sie ist sehr krank.", "Hatte sie wieder so starkes Fieber?", fragt Cony besorgt. "Wenn es nur das wäre...", murmle ich. "Marco, was ist los?", fragt meine Mutter nun mit Nachdruck. "Ela hat eine akute lyphoblastische Leukämie. Sie ist schwer krank und wir noch heute ihre erste Chemo bekommen." Meine Mutter stößt einen spitzen Schrei aus, während sie sich die Hände vor den Mund schlägt. "Ich würde euch bitten euch testen zu lassen, damit wir sehen können, ob jemand von euch Stammzellen für Ela spenden kann. Ihr seid meine einzige Hoffnung. Und ich brauche euch alle. Ich weiß nicht, ob ich das alles sonst schaffe." Meine Mutter reißt mich in ihrer Arme, während mir, und auch ihr, bereits Tränen über die Wangen laufen. Meine Schwiegereltern bringen vor Schock kein Wort hervor, meine Schwestern liegen sich weinend in den Armen und mein Vater kommt mir feuchten Augen zu mir, um meine Schulter zu drücken. "Wir werden alles tun, was im unserer Macht steht, mein Junge.", sagt er zu mir. "Danke, Dad." Er umarmt mich fest. "Wie schlimm ist es?", fragt Cony leise. "Tja, wie schlimm kann Krebs bei einer zweijährigen schon sein? Hätte ich nicht auf Lia gehört und wäre mit Ela nicht zum Blut abnehmen gegangen, dann würde ich meine eigene Tochter in den Tod stürzen. Sie wird leiden müssen und ich weiß nicht, ob ich das ertragen kann. Aber ich muss, denn ich darf sie nicht im Stich lassen." Mein Handy beginnt plötzlich zu klingeln, weshalb ich mich schnell von meiner Familie löse und ran gehe. "Ist sie wach?", "Nein, aber wir müssen sie gleich wecken. Sie muss gleich zur Chemo." Ich nicke leicht. "Ich bin gleich da." Ich lege schnell auf und sehe meine weinende Familie an. "Ich muss los. Ela braucht mich gleich. Bitte lasst euch so schnell wie möglich testen. Und bitte seid für uns da.", "Natürlich sind wir für euch da, Marco. Was denkst du denn?" Melli kommt zu mir und umarmt mich, genauso wie Yvi. "Danke. Ich wollte es euch einfach erzählen. Danke, dass ihr hergekommen seid.", "Du musst dich nicht bedanken, Marco. Das ist selbstverständlich." Ich nicke meinem Schwiegervater zu, drehe mich dann aber schweren Herzens um, damit ich mir meine Schuhe anziehen und gehen kann. Meine kleine Tochter braucht mich bei ihrer ersten Chemo. Sie braucht einen starken Papa, der ihr Halt gibt. "Melde dich bitte bei uns, Marco. Und sagt bescheid, wenn man ihr etwas braucht. Wir helfen wo wir nur können. Elaine wird das schaffen.", sagt meine Mom. "Das hoffe ich.", flüstere ich ganz leise, ehe ich zu meinem Auto gehe zu zurück zum Krankenhaus fahre.
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