Kapitel 40

Ela liegt vor mir auf dem Wickeltisch und lässt alles stumm über sich ergehen. Das gefällt mir überhaupt nicht. Sie ist nicht mehr sie selbst. Sonst hat sie mit mir herum gealbert und alles durcheinander gebracht. Aber jetzt? Sie bewegt sich kaum, gibt keinen Ton von sich. "Guten Morgen.", höre ich Tina plötzlich hinter mir. Ich drehe mich zu ihr um und lächle. "Hey, was machst du denn hier?", "Wir waren für heute zum Frühstück verabredet. Ich habe Brötchen mitgebracht." Ich schlage mir gegen die Stirn. "Stimmt, das habe ich total verpennt. Ich bin sofort bei dir." Sie nickt und geht wieder nach unten, während ich Ela zuende anziehe und mit ihr runter in die Küche gehe. "Hey, Prinzessin. Hast du Hunger?", fragt Lia fröhlich und nimmt mir meine Tochter ab. Ela kuschelt sich an sie und macht die Augen zu. "Ihr geht's wohl nicht besser?", fragt Lia besorgt. "Nein, überhaupt nicht. Eher im Gegenteil." Ich seufze und setze mich zu Tina an den Tisch. "Möchtest du gar nichts essen?", frage ich Lia, da nur zwei Teller auf dem Tisch stehen. "Ich war schon eine Stunde vor dir wach und habe da schon gegessen.", "Eine Stunde vor mir? Mein Gott, mir ist um sieben ja schon zu früh." Lia kichert, während sie Ela ein Brot mit Nutella schmiert. "Irgendwas ist anders an dir. Ist mir beim letzten mal schon aufgefallen aber ich weiß einfach nicht was.", murmelt Tina nachdenklich und mustert Lia. "Vielleicht meine Brüste?" Tina zieht eine Augenbraue hoch. "Ja, na klar! Wieso sind sie plötzlich kleiner?", "Ich habe die Implantate entfernen lassen, weil sie kaputt waren und ich es sowieso scheußlich fand.", "Das steht dir auch viel besser.", "Danke.", lächelt Lia und bietet meiner Tochter ein Häppchen an. "Nee.", jammert Ela aber und dreht den Kopf weg. Ich seufze verzweifelt. Was ist nur los mit ihr? Ich sehe auf die Uhr. Mittlerweile ist es acht Uhr. Der Doktor müsste sich dann ja bald melden. "Wann musst du heute zur Arbeit?", "Halb zwei beginnt meine Schicht.", antwortet Tina mir und beißt von ihrem Brötchen ab. In dem Moment, als ich gerade von meinem Brötchen abbeißen will, beginnt mein Handy zu klingeln, weshalb ich schnell ran gehe. "Reus.", melde ich mich. "Guten Morgen, Herr Reus, Doktor Wilke hier. Ich habe die Ergebnisse vor mir liegen.", "Guten Morgen. Und? Wie sieht es aus?", "Ich bin etwas besorgt. Elaine hat sehr wenig rote Blutkörperchen. Ich werde Sie in ein Krankenhaus überweisen, damit das genauer untersucht werden kann." Zu wenig rote Blutkörperchen? "Und was bedeutet das? Ist es etwas schlimmes?", "Das kann ich Ihnen so noch nicht sagen, Herr Reus. Ich empfehle Ihnen noch heute Vormittag zu mir in die Praxis zu kommen, um die Überweisung abzuholen und dann sofort ins Krankenhaus zu fahren. Es ist wichtig, dass das jetzt abgeklärt wird." Ich nicke, obwohl er es nicht sehen kann. "In Ordnung, ich mache mich jetzt auf den Weg." Ich lege auf und sehe Elaine an, die sich an Lia schmiegt. "Magst du sie anziehen? Ich gehe mich fix fertig machen." Lia nickt irritiert, doch ich verschwinde schon nach oben, bevor sie überhaupt etwas sagen kann. Zu wenig rote Blutkörperchen. Was soll das heißen? Was hat meine Tochter?

"Würdest du mir mal bitte sagen was los ist?", seufzt Lia genervt, als wir uns im Krankenhaus ins Wartezimmer setzen. "Der Kinderarzt sagte, dass Ela zu wenig rote Blutkörperchen hat. Und dass sie im Krankenhaus näher untersucht werden muss." Lia runzelt die Stirn. "Ist das was schlimmes, wenn man davon zu wenig hat?", "Keine Ahnung. Ich habe aber auch Angst zu googeln. Vermutlich würden mich die Sachen, die ich da zu lesen bekomme, nur beunruhigen. Deswegen habe ich es lieber gelassen." Lia streichelt mir über den Rücken. "Es wird schon alles gut sein. Vielleicht nur eine Art Infekt oder so was." Hoffentlich ist nur etwas harmloses. Ich mache mir sowieso immer zu viele Sorgen, wenn es um Ela geht. Ich male jedes mal sofort den Teufel an die Wand. Vielleicht weil sie meine kleine Prinzessin ist. Mein ein und alles. "Herr Reus? Sie dürfen jetzt reinkommen." Ich stehe mit Ela auf und folge der Schwester. "Wir werden der kleinen Maus jetzt noch einmal Blut abnehmen.", erklärt sie mir. Mit großen Augen drücke ich Lia meine Tochter in die Arme und drehe mich um. Gott, mir wird gleich schlecht. Lia kichert, während Ela schon zu jammern beginnt. "Das ist überhaupt nicht schlimm, Süße. Heute habe ich ein paar Gummibärchen für dich. Die bekommst du, wenn du wieder ganz doll artig bist, ja?" Ela bejaht, doch sie wimmert noch ein wenig. "Das war's schon. Gar nicht schlimm. Ich würde Sie bitten noch ein wenig im Wartezimmer Platz zu nehmen, ja?" Lia und ich nicken. "Hier, ein Gummibär der aussieht wie ein Gespenst." Ela nimmt ihn Lia ab und sieht ihn sich ganz genau an, bevor sie ihn in den Mund steckt. "Lecker?" Meine Tochter nickt und lehnt ihren Kopf wieder an Lias Schulter.

"Herr Reus?" Ich hebe den Kopf und stehe auf, als ich einen Doktor sehe, der auf mich zukommt. Seit einer Stunde warten wir schon. "Und? Haben Sie etwas gefunden?", "Wir würden gern eine Knochenmarkuntersuchung bei Ihrer Tochter durchführen, um zu überprüfen, ob mein Verdacht sich bestätigt." Verdacht? Wovon redet er? "Was haben Sie denn für einen Verdacht?", "Ich möchte bitte erst die Untersuchung durchführen, Herr Reus, denn auch ein Arzt kann sich mal irren und ich möchte Sie nicht unnötig beunruhigen. Ich hoffe, dass Sie das verstehen." Beunruhigen? Das klingt alles andere als gut. Er hat einen unguten Verdacht, so viel steht fest. "Für diese Untersuchung müssen wir Ihre Tochter kurzzeitig in Narkose legen. Mit einer dünnen Hohlnadel werden wir am hinteren Beckenkammknochen wenige Millimeter in eine Spritze saugen. Der Eingriff wird maximal eine viertel Stunde dauern. Anschließend wird die Einstichstelle noch für etwa eine halbe Stunde mit einem kleinen Sandsack beschwert, sodass mögliche Nachblutungen verhindert werden. Danach kann Ihre Tochter normal aufstehen und herumlaufen." Ich nicke, bin aber irgendwie leicht überfordert. "Kommen Sie einfach mal mit der Kleinen mit, Herr Reus. Elaine ist bei uns in guten Händen, vertrauen Sie uns.", "Ja, das tue ich ja. Ich bin nur etwas überfordert, Entschuldigung. Ela? Kommst du mit?" Ich nehme Lia meine Tochter ab und folge mit ihr auf dem Arm dem Arzt, der vorausgeht.

Ela wird der kleine Sandsack abgenommen, ehe sie auf meinen Schoß klettert und sich an mich kuschelt. "Der Doktor wird gleich bei Ihnen sein. Es wird nicht lange dauern." Die Schwester verlässt das Zimmer und lässt uns drei alleine. "Lia? Was genau untersucht man beim Knochenmark?", frage ich ängstlich. "Ich weiß nicht genau.", murmelt sie bedrückt. "Ich habe Angst." Sie nimmt meine Hand und drückt sie etwas. "Es wird schon nichts schlimmes sein." Ich hoffe, dass sie recht hat. Die Tür geht auf und der Doktor setzt sich hinter seinen Schreibtisch. "Ich habe mir alles ganz genau angesehen. Aber ich habe leider keine guten Nachrichten für Sie, Herr Reus." Wie bitte? "Mein Verdacht hat sich leider bestätigt.", "Was hat sie?", "Ihre Tochter hat Leukämie."

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