65. Kapitel
Harry:
Je mehr Zeit ich mit Louis verbringe, desto besser geht es mir. Es klingt dumm, selbst in meinem Kopf, aber es ist so. Ich arbeite weniger, was mich im Normalfall massiv stören würde, aber bisher gab es kaum etwas, dass mir genauso wichtig war, wie meine Arbeit. Louis hat das auf den Kopf gestellt. Anstatt jeden Abend sehr spät im Büro zu sitzen, sehe ich zweimal die Woche Louis. Und am Wochenende auch. Es tut mir sehr gut. Ich hätte nicht gedacht, dass es besser ist, weniger zu arbeiten, das ergibt auch nach wie vor noch so viel Sinn, aber das muss es auch nicht. Gefühle müssen keinen Sinn ergeben. Ich denke, sobald ich versuche, sie zu verstehen, würde ich verrückt werden. Ich weiß allerdings mit Sicherheit, dass sie von Tag zu Tag Louis gegenüber stärker werden.
Heute ist so ein Tag, an dem ich ein bisschen früher Feierabend machen werde. Ich werde direkt von der Baustelle, wo es gut voran geht, zu Louis fahren. Theoretisch weiß ich zwar, dass die Firma, die ich engagiert habe, gut und zuverlässig ist, aber bei diesem Projekt kann ich keine bösen Überraschungen gebrauchen. Kontrolle muss sein. Ich bin gerade angekommen und sitze noch im Wagen, als ich eine Antwort von Louis bekomme. Ich habe ihn vorhin gefragt, ob wir uns nachher sehen.
Louis: Gerne, ich habe erst übermorgen wieder Schicht. Wir kochen wieder zusammen, nehme ich an?
Me: Wir können auch essen gehen, wenn du magst.
Louis: Heute ist mir eigentlich eher nach einem gemütlichen Abend auf dem Sofa.
Me: Okay :)
Louis: Machst du pünktlich Feierabend?
Me: Ich schätze schon.
Louis: Ich bin noch mit Liam unterwegs, ich schaue, dass ich dann zeitig zuhause bin.
Me: Ach so okay. Mach dir keinen Stress. Schreib mir einfach, wenn ich mich auf den Weg machen kann, okay?
Louis: Mache ich.
Zufrieden stecke ich mein Handy weg und steige aus. Auf der Baustelle finde ich mich inzwischen gut zurecht. Ich schlüpfe unter dem Flatterband hindurch und gehe auf den Schichtleiter der Baufirma zu. „Mister Styles, hallo", begrüßt er mich und reicht mir die Hand. Er deutet seinen Mitarbeitern kurz an, die Arbeit für einen Moment sein zu lassen, damit es nicht so laut ist, während wir uns unterhalten. „Ich sehe, es geht gut voran", sage ich zufrieden und sehe mich um. „Alles verläuft nach Plan", stimmt er zu. „Es gibt weder böse Überraschungen noch sonstige Probleme. Das Wetter soll in den nächsten Tagen auch mitspielen. Ich bin zuversichtlich, dass wir bald schon mit dem Neubau beginnen können." – „Sehr gut." Ich mache einige Fotos zur Dokumentation und um sie meinem Kunden zu schicken, den ich fortlaufend auf dem aktuellen Stand halte.
„Der Plan für den Bau steht final, nehme ich an? Ich habe nichts mehr von Ihnen oder dem Architektenbüro gehört", fragt er mich anschließend. „Der Plan ist final. Es kommen möglicherweise noch kleine Änderungen, aber grundsätzlich soll das neue Gebäude so aussehen, wie geplant. Haben Sie schon kontakt mit dem Innenarchitekten und dem Ausstatter?" – „Der erste Kontakt steht", nickt er. Diese beiden Parteien werden sich den Bau anschauen, sobald die Grundmauern stehen und es begehbar ist. Die Pläne für die Einrichtung stehen zwar schon, aber es ist wichtig, dass sie sich ein Bild vom realen Gebäude machen können. Und der Kunde wird ebenfalls dabei sein.
Mir wird erklärt, was die nächsten Schritte des Abriss sind und wie der Zeitplan aussieht. Ich bin sehr zufrieden, sodass ich mich nicht allzu spät wieder auf den Weg zu meinem Auto mache. Gerade, als ich die Baustelle wieder verlasse, sehe ich zwei Männer am Flatterband auf der anderen Seite stehen. Sie stehen gut dreißig, vielleicht vierzig Meter von mir entfernt. Verwundert sehe ich sie an. Es sind Louis und Liam. Liam sieht nach oben zum Gebäude. Es wird von der Hinterseite aus abgerissen, sodass die Fassade zur Straße hin noch zu erkennen ist. Ich folge seinem Blick. Es ist ein hässliches Gebäude, das längst aus dem Stadtbild hätte verschwinden müssen. Liam hat sein Handy in der Hand. Filmt er gerade etwas? Nach einem Moment gibt er das Handy Louis, der sich an die Bordsteinkante stellt und Liam filmt, der irgendetwas sagt. Sie sind zu weit weg, ich höre nicht, worum es geht.
Ein paar Minuten sehe ich den Beiden dabei zu. Sie bemerken mich nicht. Ich stehe inzwischen neben meinem Auto und drehe die Schlüssel in der Hand. Je länger ich hier stehe, desto seltsamer wird die Situation. Was erzählt Liam da alles? Noch sind keine News über das neue Projekt für die Öffentlichkeit freigegeben worden, es würde mich also wundern, wenn er über das neue Bürogebäude, das hier entsteht, berichtet. Außerdem hätte das nichts mit seinem Podcast zu tun, wenn ich richtig informiert bin. Seltsam. Dann nickt Louis knapp und nimmt das Handy herunter. Liam dreht sich um und sieht wieder das Haus an. Dann hält er inne. Einen kurzen Moment später sieht er zu mir. Er sieht mich direkt an. Ich weiß, dass er mich erkennt und er weiß, dass ich es weiß. Louis sieht Liam einen kurzen Moment irritiert an, ehe er seinem Blick folgt.
Er ist verwundert und überrascht. Ohne zu zögern, läuft er auf mich zu. „Hey", sagt er, lächelt kurz und drückt mir einen süßen Kuss auf die Lippen. „Hi", antworte ich und erwische mich dabei, dass ich hoffe, dass Louis direkt bei mir mit ins Auto einsteigen wird. Allerdings weiß ich nicht, was die beiden noch vor haben. „Hi Liam." Der Kerl neben Louis nickt nur knapp. „Was macht ihr hier?", frage ich dann und deute auf die Baustelle. „Habt ihr etwas für den Podcast gemacht?", spekuliere ich, da mir partout nichts anderes einfallen will. „Quasi", sagt Liam. „Es ist ein Video darüber, wieso die nächsten zwei Folgen später kommen werden als geplant. Es nur zu erzählen oder zu schreiben ist nicht zu effizient, wie es zu zeigen."
„Und was machst du hier?", fragt Louis weiter. Ich bin angespannt. Liams Podcast wird sich verschieben wegen dieser Baustelle. Fuck. Das darf nicht wahr sein. Als ich einen Moment zögere, sehe ich es in seinem Blick. Er hat es längst verstanden. „Haz?", fragt Louis nach, als ich nicht antworte. Bevor ich dazu komme, presst Liam heraus: „Er arbeitet." – „Aber doch nicht auf einer Baustelle. Er..." Louis spricht nicht weiter. Er sieht mich perplex an. Ich verziehe nicht eine Miene. In meinem Job kommt es zwischendurch zu unangenehmen Situationen, das lässt sich nicht vermeiden. Das hier ist etwas anderes, vollkommen anders, aber ich versuche trotzdem, ruhig und professionell zu bleiben. „Du hast gesagt, du wärst es nicht", höre ich meinen Freund sagen. „Ich wusste es nicht", erwidere ich ehrlich. „Das hier ist dein Prestigeprojekt", versteht er und ich nicke. „Ja. Dieses alte Gebäude ist sowieso nichts mehr wert. Es wurde Zeit, dass es verschwindet", antworte ich. Liam verdreht die Augen. „Für versnobte Leute wie dich vielleicht. Für viele andere Start-Up-Gründer und für mich war es sehr wichtig."
„Hat dich überhaupt nicht interessiert, was mit diesen Leuten passiert?" – „Das habe nicht ich geregelt", antworte ich Louis und bemerke, dass er Abstand zwischen uns gebracht hat. „Nein, du hast nur mit einem Anwalt gedroht", entgegnet Liam. „Das Gebäude wäre früher oder später sowieso abgerissen worden." – „Vielleicht aber erst in zwei oder drei Jahren. Das ist viel Zeit." Ich antworte ihm nicht, sondern sehe wieder zu Louis. „Interessiert es dich wirklich so wenig, wie es anderen Leuten geht?" – „Ich mache meinen Job." – „Das ist ein sehr egoistischer Job", antwortet er mir sofort und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Ich bin kein Egoist. Ich tue lediglich meine Arbeit. „Woher hätte ich wissen sollen, dass Liam sein Aufnahmestudio dort hat?" – „Indem du dich informierst, wen du von heute auf morgen auf die Straße setzt", kontert Louis sofort und schüttelt leicht den Kopf. Er ist enttäuscht, sehr. Das steht ihm auf der Stirn geschrieben. „Ich möchte da gerne drüber nachdenken, bevor ich jetzt etwas falsches sage", spricht er aus und wieder versetzen mir seine Worte einen schmerzhaften Stich mitten in die Brust. „Das bedeutet?", möchte ich wissen. „Dass du heute Abend lieber nicht zu mir kommen solltest. Ich melde mich." – „Was?" Irritiert sehe ich ihn an. „Du willst nicht... das hier ist meine Arbeit. Das hat doch nichts mit uns zu tun." – „Das hat etwas mit dir zu tun", entgegnet Louis. „Wie konntest du mir sagen, dass du Liam nicht vor die Tür gesetzt hast, wenn du nicht einmal wusstest, wen du vor die Tür setzt?"
Darauf habe ich keine Antwort. Scheiße. „Ich rufe dich an oder schreibe dir. Aber ich möchte heute Abend lieber allein sein", wiederholt er seine Wort. Ich umklammere meinen Schlüssel fester. „Okay." Was anderes zu antworten bringt nichts. Er wird sich nicht umentscheiden. Er nickt leicht. Die Stimmung ist unangenehm angespannt. Louis nickt kurz und sagt dann zu Liam: „Wir sollten gehen." Liam sagt daraufhin nichts, folgt ihm aber, als er sich umdreht und geht.
-- -- -- -- --
Tja, was haltet ihr davon? Könnt ihr Louis' Reaktion nachvollziehen?
Love, L
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top