48. Kapitel
Ein paar Jahre zuvor.
Harry:
„Wo warst du?" Ich drehe mich um. Niall steht vor mir und sieht mich fragend an. „Frische Luft schnappen", antworte ich knapp und straffe die Schultern. Scheiße, ich hoffe, Louis erzählt niemandem, was dort gerade passiert ist. Das war der Alkohol. Oder so. Ich weiß nicht, was da passiert ist oder wie es dazu kommen konnte. Das hätte nicht passieren dürfen. Das ist nicht passiert. Das war nur der Alkohol. „So lange?" – „Ich mag diese Art Partys nicht, das weißt du." – „Schon klar", antwortet er mir und trinkt sein Bier.
Mein Handy klingelt. Ich ziehe es aus meiner Hosentasche und sehe, dass Gemma schon viermal versucht hat, mich anzurufen. Fuck. Niall unterhält sich mit wem anders. Kurzerhand spreche ich zwei andere Typen an. „Wisst ihr zufällig die Adresse von diesem Haus hier?" – „Wieso fragst du?" – „Taxi", antworte ich knapp. Er nickt und gibt sie mir. „Danke." Ich wende mich zu Niall. „Hey, spielst du mit?", fragt er und will mir den Tischtennisball in die Hand drücken. „Ich muss weg", sage ich knapp und ohne mich zu entschuldigen, laufe ich mit schnellen Schritten nach draußen. Ich rufe Gemma zurück. Sie hebt nicht ab. „Fuck", murmle ich und rufe mir ein Taxi. Ich kann so nicht fahren, ich habe zu viel getrunken. „Heb schon ab", murmle ich und versuche es erneut. Wieso bin ich nur mit Louis auf die Tanzfläche gegangen? Wieso bin ich mit ihm auf sein Zimmer gegangen? Verdammt, das war alles ein großer Fehler.
„Harry?", fragt sie endlich und ich atme auf. „Hi, Gem", antworte ich ehrleichtert. „Was ist los?" – „Uhm... kannst du herkommen? Ich weiß, du wolltest mit Niall auf diese Party aber..." Sie zögert und ich steige in das Taxi. „Erst einmal in Richtung Islington.", sage ich dem Fahrer. „Bist du zuhause bei Mum?" – „Nein", antwortet sie und schnieft. „Ich weiß, ich sollte dort nicht hingehen, aber Anny hat doch Geburtstag gefeiert und..." Sie schweigt einen Moment. „Du bist bei Anny?", frage ich sie. „Nein... also doch... quasi." – „Gemma, wo bist du?", frage ich sie. „Stellman Close in Islington", antwortet sie leise.
„Hast du etwas getrunken?", will ich wissen und bin augenblicklich wieder nüchtern. „Harry..." – „Hast du etwas getrunken?" – „Ein bisschen Bier", sagt sie dann. „Gemma du bist sechszehn!", rege ich mich auf und presse mir Zeigefinger und Daumen gegen den Nasenrücken. „Ich bin auf dem Weg, okay? Ich brauche noch eine Viertelstunde." – „So lange?" – „Was ist los, Gemma?", will ich wissen. Sie ruft mich nicht an, weil sie ein oder zwei Bier zu viel getrunken hat. Irgendetwas stimmt da nicht. „Kannst du dich einfach beeilen?" – „Das tue ich, ich bin auf dem Weg. Du bleibt jetzt am Telefon, okay? Wo genau bist du?" – „Es ist eine Garagenparty bei Annys Bruder", sagt sie dann. „Ich habe mich draußen ein paar Meter weiter weg gestellt", antwortet sie mir. Sie steht also allein in einer vermutlich nicht unbedingt großen Seitenstraße. Es ist dunkel, inzwischen ist es nach Mitternacht und sie ist allein. Und sie ist meine kleine Schwester, verdammt!
„Okay, du gehst jetzt wieder zu Anny. Weißt du, wo das Badezimmer ist?" – „Ja, wieso?" – „Du gehst jetzt in das Bad und schließt ab, okay?" – „Was? Aber mir geht es gut!", widerspricht sie mir. „Gemma, geh in das Badezimmer und schließ ab. Ich kenne Annys Bruder." Ich bin mit dem Wixxer auf eine Schule gegangen. Der Kerl ist nicht dumm, aber er hat absolut keinen Anstand. Mich wundert es nicht, dass er Anny angeboten hat, ihre Geburtstagsfeier in der Garage seiner WG zu feiern. Ich hasse es, dass Gemma dort ist. Noch dazu ist es ihre erste Party überhaupt und bisher hat sie nie mehr als ein Glas Wein an Feiertagen getrunken.
„Fahren sie schneller, bitte", sage ich dem Taxifahrer. „Ich halte mich an die Vorschriften", antwortet er mir. „Es geht um meine kleine Schwester. Ich lege 100 Pfund drauf", antworte ich ihm, obwohl ich das Geld theoretisch für etwas anderes bräuchte. Siehe da, es klappt. Er fährt schneller. Was Geld nicht alles bewirken kann.
„Ich bin im Badezimmer, und jetzt?" – „Was hast du getrunken?", will ich von ihr wissen. „Vier Flaschen Bier", antwortet sie mir. „Ich habe immer einen Daumen auf der Öffnung gehabt und ich habe die Flaschen selbst aufgemacht, so wie du gesagt hast." – „Sehr gut, Gem, das ist sehr gut." Ich bin stolz auf sie, dass sie sich daran gehalten hat. „Ich bin gleich da, okay? Und dann fahren wir nach Hause." – „Können wir laufen?", fragt sie mich. „Es dauert nur eine halbe Stunde und..." – „Und du willst nüchtern zuhause ankommen. Klar, wir laufen", verspreche ich ihr und das Taxi biegt ab. Ich sehe die Party schon von weitem. Viele Menschen, laute Musik und Lichter. Ich sehe ein paar Freunde von Gemma. „Ich komme jetzt hoch, okay?" – „Okay", antwortet sie und ich lege auf.
„Danke, stimmt so", sage ich und drücke dem Fahrer hundertfünfzig Pfund in die Hand. Alles, was ich dabei habe. Ich steige aus und straffe die Schultern. Ich gehe zu der ersten Gruppe, die ich sehe und frage: „Wo ist das Bad?" Sie sehen mich skeptisch an. „Wieso sollten wir dir das sagen? Wer bist du?" – „Gemmas Bruder", antworte ich trocken. In dem Moment sehe ich Anny. „Hey, Anny!" Sie sieht mich verwundert an. Ich gehe zu ihr. „Happy Birthday." – „Danke! Ich wusste gar nicht, das du auch hier sein würdest", lacht sie betrunken. „Wo ist das Bad?", frage ich direkt. „Entspann dich, Kumpel." Ihr Bruder Steward haut mir freundschaftlich auf die Schulter. „Fass mich nicht an", sage ich und schlage seine Hand weg. „Meine Fresse, welchen Stock hast du denn im Arsch?", fragt er und verdreht die Augen. „Ich mag dich einfach nicht", antworte ich ehrlich. „Das Bad ist oben. Geh einfach durch die Garage rein", antwortet Anny mir. Ich gehe mit schnellen Schritten zwischen den Leuten durch und jogge die Treppe nach oben. Ich klopfe an der Tür. „Gemma? Mach auf. Ich bin's." Es knackt leise und sie öffnet die Tür. Sie sitzt auf dem Boden neben dem Waschbecken. Ihre Augen sind verweint. Ich schließe die Tür hinter mir und lasse mich neben ihr fallen. „Harry", sagt sie leise und schnieft. Im gleichen Moment fällt sie mir um den Hals und fängt an zu weinen.
„Was ist passiert, Gem?", frage ich und streiche ihr über den Kopf. Das habe ich schon immer gemacht, wenn es ihr nicht gut ging. Natürlich haben wir uns ständig und immer gestritten, aber wenn es ihr nicht gut ging, war ich da. Werde ich immer sein. „Es ist nichts passiert. Also nicht wirklich", sagt sie und wischt sich über die Augen. „Es war Brody. Er wollte... er hat versucht mich zu küssen." – „Brody?" – „Ein Freund von Steward", sagt sie und zuckt mit den Schultern. „Ich habe ihn weggestoßen, so wie du mir immer gesagt hast und bin weggelaufen. Dann habe ich dich angerufen."
Ich schließe die Augen und versuche mir nicht vorzustellen, wie ich diesem Brody die Fresse poliere. „Wir gehen nach Hause, ja?" – „Danke", lächelt sie schief und ich stehe auf. Gemma geht hinter mir, als ich mir den Weg durch die Leute bahne. „Gehst du schon?", fragt Anny überrascht. „Uhm... ja", antwortet Gemma. „Wieso das? Die Party fängt doch gerade erst richtig an?", fragt ein Typ sie. Er steht neben Steward. „Bist du Brody?", frage ich ihn. „Du kennst mich?" – „Was ist hier los?", will Anny wissen. Gemma verzieht den Mund. „Sag es. Du bist nicht schuld", ermutige ich sie. Ich möchte nicht, dass sie sich für eine solche Situation schämt. Sie konnte da nichts für.
„Brody wollte mich küssen. Ich wollte es nicht, aber er hat es trotzdem versucht. Auch, nachdem ich ihm das gesagt habe. Er hat versucht, mich anzufassen."
Anny sieht ihn perplex an. „Ist das dein Ernst? Oh Gott, Gemma." Gemma hat gute Freunde. Nur Steward und die Kerle, mit denen er sich umgibt sind Arschlöcher. „So war das nicht. Sie hat sich mir an den Hals geschmissen und wollte dann plötzlich nicht mehr." Ich gehe einen Schritt nach vorne und bevor er reagieren kann, schlage ich zu. „Red so nicht über sie, du Arschloch." Er taumelt zurück, spuckt zur Seite und sieht mich abwertend an. „Hat sie aber." – „Habe ich nicht", widerspricht Gemma mit fester Stimme. „Du kannst froh sein, wenn sie dich nicht anzeigt, Arschloch", sage ich und merke, dass Brody sich zweimal überlegt, ob er zurückschlägt. Er lässt es sein und wischt sich stattdessen das Blut unter der Nase weg. „Verpiss dich, Schwuchtel." Für einen kurzen Augenblick bin ich wie erstarrt. Ich will ihn direkt noch einmal schlagen, aber ich weiß genau, wie das wirkt. Ich atme tief durch und versuche, mir nichts anmerken zu lassen.
„Wir verschwinden", sage ich und verlasse mit Gemma die Garagenauffahrt. „Danke." – „Du kannst immer anrufen, das weißt du?" – „Ich weiß", nickt sie und hakt sich bei mir unter. „Ich bin stolz auf dich", sage ich dann. „Ich hasse es, dass dir das passiert ist, aber du darfst niemals denken, dass du so etwas nicht laut aussprechen kannst." – „Ich weiß, dass haben Mum und Dad uns beigebracht. Und du hast mir das auch beigebracht." – „Mhm, deswegen hast du auch mich angerufen und nicht Mum", sage ich und sie lächelt schief. Wir kommen an einem Imbiss vorbei. „Pizza?", frage ich sie und sie grinst. „Immer."
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Deswegen ist Harry damals so schnell gegangen. Es hatte nichts mit Louis zu tun. Meint ihr, er glaubt ihm?
Love, L
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