Kapitel 10 ~ Lebe das Leben
Ich konnte es nicht glauben, dass ich das tun musste. Schmollend beugte ich mich zu meinem Laptop runter und hielt das Video an, nur um in der Suchzeile »Rock'n'Roll Grundschritte« einzugeben. Was war mit mir los? Normalerweise hatte ich keine Schwierigkeiten, Tänze zu analysieren und die Schritte aus Compilation-Videos herauszuarbeiten und mir selbst beizubringen. Doch das war mir einfach zu schnell. Ich sah nur ein wildes hin und her Gehüpfe ohne einen wirklichen Sinn dahinter. Die fliegenden Petticoat-Röcke mit ihrem Mal großen oder kleinen Punkten zogen meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. So unkonzentriert war ich schon lange nicht mehr.
Zuerst sah ich mir die ersten Schritte ganz in Ruhe an. Danach spulte ich zurück, drückte auf Play und entfernte mich mit wenigen Schritten vom Bildschirm, um mitmachen zu können. Es war bereits Nachmittag und ich hatte den ganzen Vormittag nichts Besseres zustande gebracht, als aus dem Boogie-Woogie einen Hip-Hop-Dance hinzulegen. Der Tanzstil war wirklich schnell und mithalten konnte ich auch nur schwierig, wie ich zugeben musste. Also stand ich nun hier im Pavillon und folgte der Tante im Bildschirm jeden Schritt in Zeitlupe.
Mit dem ersten Schritt war ich schon gelangweilt. Ich wollte tanzen! Doch leider war es ein langer Weg bis zum Tanz. Ein noch längerer bis zum Erfolg. Also musste ich die Zähne zusammenbeißen und der Tante jeden Schritt und Tritt folgen. Nach einer gefühlten Ewigkeit von trockenen Übungen wagte ich mich dann an etwas Schnelleren. Sofort kam ich ins Schwitzen, fand jedoch auch meinen Spaß daran. Ich wagte es sogar bald zu einem der vorherigen Videos mitzutanzen. Meine Bewegungen wurden mit jeder Minute, die ich tanzte, sicherer und lockerer. Zum Takt der Musik des Videos zuckte jeder Muskel in mir. Ich wagte es sogar neue Videos herauszusuchen und weitere Schritte einzuprägen und zu üben.
Nach zwei Stunden tanzen ohne Pausen, beschloss ich dann Feierabend zu machen und hielt das Video an. Erschöpft ließ ich mich auf den Boden sinken und legte mich mit dem Rücken über den weißen Holzboden, der sofort meinen Rücken kühlte. Ich liebte es einfach mal auf dem Boden zu liegen und an die Decke zu starren, in diesem Fall, war es der riesige alte Kronleuchter, der von der Spitze des Daches herunterhing. Kate hatte einmal erwähnt, dass sie diesen einst ersteigert hatte und dieser einen besonderen Wert für sie trug. Die Kristallgläser, die in Tropfenform herunterhingen, klimperten leise, wenn sie durch den Wind aneinandergeraten. Es hatte irgendwie eine beruhigende Wirkung auf mich, so wie ich ihn vom Boden aus betrachten konnte, obwohl er mich locker erschlagen könnte, wenn er herunterfallen würde.
Enttäuscht seufzend, wie ich in etwas so Schönes auch wieder negatives fand, rappelte ich mich auf und warf einen Blick auf mein Smartphone. Ein paar neue Nachrichten bedeckten den Sternhimmel meines Displays, die schon eine ganze Weile dort sein mussten. Die üblichen Chats wurden mir angezeigt. Da Jona mir die meisten Nachrichten hinterlassen hatte, ignorierte ich erst einmal den von Mila und unserer Chaotentruppe.
Jo: Hey, Lyni. Ich habe heute mal mein Leben genutzt und etwas Sinnvolles getan, als nur herumzuliegen und die Zeit abzuwarten, bis wieder Montag ist. Hier ein paar Songs, die uns in den Untergang begleiten könnten:
Elvis Presley - Jailhouse Rock
Bob Seger - Feel Like A Number
Elvis Presley - Burning Love
Fats Domino - I'm Walkin'
Bob Seger - Old Time Rock & Roll
Chuck Berry - Rock and Roll Music
Little Richard - Tutti Frutti
Ich musste schmunzeln, als ich seine Nachricht las. Untergang. Haha. Wie lustig. Schön wie er versuchte mich wieder auf den Arm zu nehmen, in dem er meine Worte gegen mich benutzte. Der wird sich noch umsehen, wenn ich versuchen würde, ihm die Tanzschritte beizubringen. Zu denen kommen auch ein paar Hebefiguren, um die er jetzt nicht mehr herumkommen konnte, da er bewiesen hatte, dass er nun stark genug war und mich halten konnte. Er wird noch bereuen zugestimmt zu haben, ohne es mit mir abgesprochen zu haben, auch wenn ich ihn eigentlich gar nicht mehr sauer war.
Als ich den ersten Song in meinem Smartphone eingeben wollte, hörte ich Schritte, die sich dem Pavillon nährten und schaute von meinem Smartphone auf. Kate stand vor mit und strahlte mich, wie immer, über beide Ohren an. Mit einem Tastendruck sperrte ich mein Smartphone und legte es neben mich auf den Holzboden. Dann lehnte ich mich ein wenig nach hinten und stützte mich auf meinen Handballen ab.
»Na, wie kommst du voran mit dem Tanzen?«, fragte sie mich und lehnte sich gegen einer der hellblauen Pfeiler des Pavillons, die das Dach trugen.
»Es könnte besser laufen«, meinte ich ehrlich und strich mir meine Curtainbangs aus der Stirn. Ich mochte sie wirklich, aber manchmal nervten sie einfach nur. Entweder hingen sie mir in den Augen und versperrten mir die Sicht oder kitzelten mir die Stirn. Beides ist nicht wirklich vorteilhaft. Dennoch ließ ich sie mir jedes Mal nachschneiden.
»Hm ... Das wird schon. Bisher hast du alles allein geschafft«, versuchte sie mich aufzumuntern und lächelte mich ermutigend an. Ihre hellbraunen Haare hatte sie mit einer Klammer hochgesteckt, während sie unter ihrem gerade viel zu langen Pony hervorlugte. Der hatte es auch mal wieder nötig gekürzt zu werden.
Ich nickte nur zustimmend und hievte mich auf meine Beine, um meinen Durst mit meiner Flasche Wasser zu löschen.
»Es ist diesmal schwerer als ich dachte«, sagte ich und zog erneut an meinem Wasser. Das leichte prickeln der Kohlensäure in meinem Hals entspannte mich sofort.
»Auch für dich gibt es Herausforderungen«, meinte sie nur und sah mich durch ihre grünen Augen an. »Ash, ich muss mit dir reden.«
Der letzte Tropfen meines Wassers bahnte sich schmerzhaft den Weg in meinem Magen, als ich heftig schlucken musste. Kate »musste« noch nie »mit mir reden«. Vorsichtig sah ich zu ihr herüber und erkannte die Sorge in ihren Augen, die sie um einiges älter wirken ließ. Unglaubliche Hitze stieg in mir auf, während ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen. Erneut strich ich meine Curtainbangs nach hinten und atmete dabei tief ein.
»Dein Vertrauenslehrer hat mich angerufen«, begann sie. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen eine Runde drehten. »Er macht sich Sorgen, dass du den Anschluss in der Schule verpasst. Du beteiligst dich an keiner Arbeitsgemeinschaft und für die Vorbereitungen des Homecomings hast du dich auch in keine Gruppe eingetragen. Im letzten Jahr haben wir eingesehen, dass du Zeit für dich brauchst und dich einleben musstest, deswegen habe ich auch nie etwas gesagt und Mr Miller darum gebeten dich laufen zu lassen. Aber nun denken wir, ist es an der Zeit für dich, dich in der Schule ein wenig mehr zu beteiligen.«
Nein. Nein! Das würde ich ganz sicher nicht. Mit einem weiteren tiefen Atemzug wendete ich mich von Kate ab und griff nach dem weißen Holzgeländer, um Halt zu finden. Warum wollten mich immer alle zu etwas zwingen, dass ich einfach nicht wollte? Ich brauchte keine große Gesellschaft um mich herum. Umso weniger Leute, desto besser für mich. Ich musste doch nur zwei Jahre durchhalten, also warum sollte ich mich jetzt noch an etwas beteiligen, das weder Wert für mich hatte, noch etwas zu meinem späteren Leben beitrug? Tanzen bieten die schließlich an dieser Schule nicht an.
Ich schüttelte meine Beine aus und begann mich zu dehnen, als Kate fortfuhr. »Ash, ich habe dir versprochen, mich, um dich zu kümmern. Ich möchte nur das Beste für dich, obwohl ich weiß, dass es dir egal ist. Du weißt, ich halte viel von Jona und Mila, aber abgesehen von ihnen solltest du dich auch mit anderen gleichaltrigen Personen treffen, die vielleicht dieselbe Leidenschaft mit dir teilen. Teil eines Teams zu sein, wäre eine ganze neue Erfahrung für dich, diese brauchst du auch als Tänzerin. Du wirst nicht immer Solo Tanzen können. Es werden auch Zeiten kommen, in denen du dich höchstwahrscheinlich in einer Gruppe wiederfinden wirst, dir mehr als zwei Personen beinhalten wird, für die du dann Vertrauen aufbringen musst.«
»Danke, Kate, dass du dich um meine Zukunft sorgst. Aber ich denke, wenn es so weit ist, werde ich schon sehr gut damit zurechtkommen«, unterbrach ich sie unsanft und richtete mich wieder zu meiner vollen Größe auf. Ich wollte nicht mit ihr streiten, das hatten wir noch nie und noch nie hatte sie ihre Mutterrolle so ernst genommen, wie in diesem Augenblick.
Auch sie stellte sich wieder gerade hin und kam mir näher. Ihre grünen Augen, die mich an einer aufgeschnittenen Limette erinnerten, fixierten mich prompt. »Hör auf damit.«
»Womit?«, fragte ich sie beiläufig, während ich meinen Laptop zuklappte und die Anlage ausschaltete.
»Hör auf so zu tun, als ob du niemanden bräuchtest«, antwortete sie bitter. »Hör auf damit zu glauben zu wissen, was das Beste für dich ist. Hör auf, damit jeden gut gemeinten Ratschlag abzuschmettern, als wäre er eine lästige Fliege.«
Sorry, Kate, aber ich brauchte niemanden. Ich wusste, was das Beste für mich und die Menschen um mich herum war. Und jeder Ratschlag, den ich bekam, eignete sich nicht für mein Leben. Ich durfte mein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Das könnte passieren, wenn ich mich auf etwas Neues einließ. Ich warf mir mein vollgeschwitztes Handtuch über die Schultern und hob meine Flasche erneut auf. »Ich möchte nicht mit dir darüber streiten, wie ich mein Leben lebe und wie ich es eigentlich tun sollte«, entgegnete ich so kalt wie möglich.
»Und jetzt machst du wieder zu.« Erneut rollte ich mit den Augen und ging großräumig, um sie herum. »Okay, ich weiß, ich kann dir die Mutter nicht ersetzen und das möchte ich auch nicht, denn diese Position könnte ich nie in deinem Leben einnehmen«, redete sie hinter meinen Rücken weiter und brachte mich zum Stehen. »Sehe mich als deine Freundin oder gar Schwester, die versucht, dich zu unterstützen. Doch rede mit mir, Ash. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich selbst konnte nie Kinder bekommen und jetzt habe ich gleich vier davon, wobei die Ältesten meine Sorgenkinder sind. Ich will doch nur, dass es euch gut geht.«
Prompt meldete sich das schlechte Gewissen in mir, als Kates Stimme zum Ende hin zu zittern begann. Es war nie mein Ziel, sie mit meinem Verhalten zu kränken, aber ich hatte auch nie das Gefühl, dass es sie störte, wenn ich so abweisend war, wenn es um mich ging. Es war wie ein Schlag ins Gesicht, als ich realisierte, dass es Kate nicht gut ging. Der Grund dafür war ich. Ich machte sie zu dem Wrack, wie sie hinter mir stand und leise schniefte. Noch dazu war ich eins der Kinder, das sie je haben konnte. Sie hatte sich dafür entschieden, mir ein zu Hause zu geben und zum Dank brachte ich ihr gegenüber nur Uneinsichtigkeit und Launen entgegen, die sie sich nicht erklären konnte, da ich ihr auch nichts von mir erzählte. Ich schien ein schlechter Mensch zu sein und das zog sehr an meinem Herzen.
Ich drehte mich langsam wieder zu ihr um und blickte in das Profil meiner Adoptivmutter. Ihre grünen Augen waren leicht gerötet, ihre Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst und ihre Arme um ihren Körper geschlungen. »Es tut mir leid, Kate«, brachte ich leise zustande. Ihr Gesicht schoss wieder in meine Richtung. »Ich hatte keine Ahnung, dass ich es dir so schwermache. Um ehrlich zu sein, dachte ich, ich hätte einen Freifahrtschein und du machst dir keine Sorgen, um mich, da ich älter und selbstständiger bin. Ich wollte dir immer so wenig, wie möglich zur Last fallen.«
Sie nickte traurig, ließ ihren Blick auf den Boden schweifen, ehe sie wieder in mein Gesicht sah. »Du bist mir keine Last, das warst du nie und wenn, dann würde ich sie gerne annehmen. Es ist nur, ich möchte es bei euch richtigmachen und mir später keine Vorwürfe von euch anhören müssen, warum ich zugelassen habe, dass ihr das Beste in eurer Jugend verpasst habt. Ash, du bist noch jung. Du hast noch genügend Zeit, um zu trainieren und dem Gremium in den Hintern zu treten. Bitte sei noch ein wenig Teenager«, flehte sie mich an und näherte sich mir mit zusammengepressten Handflächen.
»Okay«, mit erstaunten Blick über meine Antwort starrte sie mich an. Ich selbst war ja ganz überrascht über meine Antwort. »Ich werde mir etwas suchen, unter einer Bedingung, du machst dir keine Gedanken mehr über mich. Ich komme klar, Kate, und du machst deinen Job gut, als Mutter und als Schwester«, versuchte ich sie aufzubauen und schenkte ihr ein kleines ehrliches Lächeln. Ich wüsste nicht, was ohne diese Frau mit mir passiert wäre, von daher sollte ich ihr auch mehr zurückgeben, als ich es bisher getan hatte. Sie war wirklich stark vier Quälgeister ganz allein großzuziehen, was auch immer sie dazu geritten hatte.
»Ist gut. Ich werde mich zurückhalten«, schniefte sie, wendete ihren Kopf wieder ab und wischte sich die nassen Wangen ab. Wahrscheinlich dachte sie ich hätte es nicht gesehen, dabei war es mehr als offensichtlich, dass eine Träne über ihre Wange rann. Sollte sie jetzt nicht aufhören, zu weinen? Schließlich hatte ich zugestimmt und nachgegeben. Da sollte sie doch jetzt befreiter sein, oder? Doch das schien sie nicht. Ungehindert rannen weitere Tränen über ihre Wangen. Was war denn nur los mit ihr? Normalerweise konnte nichts ihre Laune verderben. Vor allem weinte sie nie.
Unsicher stand ich neben ihr und hörte das leise Schluchzen von ihr, das ungehindert aus ihrer Kehle drang. Wie sollte ich eine fünfunddreißigjährige Frau trösten? Was konnte ich tun, damit es ihr besserging? Es war einfacher. Ich fragte mich, was ich bei Mila tun würde. Wahrscheinlich würde ich sie fragen, was sie bedrückte und warum sie weinen musste. Vielleicht sollte ich es auch so bei Kate versuchen.
»Kate? Was ist los? Wir haben das doch geklärt?«, fragte ich vorsichtig und blieb auf Abstand. Sie sollte sich jetzt auf gar keinen Fall eingeengt fühlen, das würde nichts besser machen. Ein leichtes Beben ging durch ihren Körper, während sie sich über das Geländer lehnte.
»Es ist nur ...«, sie stockte, um zu schniefen und zu schlucken. »... ich sollte das nicht allein machen müssen. Das war so nie geplant.« Ein ungutes Gefühl beschlich mich, als ich mich ihr dann doch näherte und meine Hand auf ihre Schulter legte. »Eigentlich sollte er neben mir stehen und wir sollten zusammen mit dir das Gespräch führen. Er war so viel stärker, als ich es je sein könnte. Er wäre ein guter Vater gewesen«, verzweifelt ließ sie ihr Gesicht in ihre Hände gleiten, die ihr Schluchzen ein wenig dämmten. Ich musste mich stark zusammenreißen, um nicht auch zu weinen. Es quälte mich sie so zu sehen, dabei wusste ich selbst nicht mal, dass mir die Frau mittlerweile so viel bedeutete.
Den Ring an ihrem Finger hatte ich schon an meinem ersten Tag hier bemerkt, doch ich hatte sie nie danach gefragt, aus Angst, dass ich dann ebenso Fragen beantworten müsste. Nun wusste ich, was es mit ihm auf sich hatte. Sie musste wohl einmal verheiratet gewesen sein, dabei gab mir nichts im Haus ein Hinweis auf eine vergangene Ehe. Nach ihren Aussagen zu urteilen, konnte ich nur annehmen, dass er verstorben war. Diese Erkenntnis ließ mich bittere Galle aufstoßen.
»Kate, du machst das sehr gut, finde ich. Gerade als alleinerziehende Mutter. Jemand besseren für uns könnte ich mir gar nicht vorstellen«, redete ich ihr gut zu, auf der Hoffnung sie beruhigen zu können. Ich meinte jedes meiner Worte so, wie ich es gesagt hatte. Sie warf mir einen kleinen Blick über die Schulter zu.
»Weißt du? Es war sein Plan, Kinder zu adoptieren und ihnen ein besseres Leben zu geben, als wir beide es je hatten.« Daher die Angst, dass ich meine Jugend verpassen könnte. »Aber so weit kam es für ihn nie. Also hatte ich beschlossen, für ihn zu leben. Ich möchte all die Dinge tun, zu denen er nicht mehr in der Lage war. Ich habe den Pavillon mit meinen eigenen Händen aufgebaut, die Kinderzimmer selbst renoviert und eingerichtet. Ich habe Schaukeln gebaut und einen Teich angelegt. Ich habe vier Kinder adoptiert. Ich werde die Kleinen großziehen, euch bei euren Träumen unterstützen und aufpassen, dass ihr Freude am Leben habt. All diese Dinge, waren Versprechen an ihn, die ich zu lieben gelernt habe«, langsam stützte sie sich wieder von dem Holzgeländer ab und richtete sich auf, nur um mir mit ihren rot unterlaufenden Augen in meinen blauen zusehen. »Ich habe euch lieben gelernt. Ich liebe es, wie die kleinen Strolche Leben in unser Haus bringen, egal ob dabei etwas zu Bruch geht. Ich liebe es, wie Nancy auf ihr Keyboard einhämmert, wenn sie einmal die falschen Tasten erwischte. Ich liebe es zu sehen, wie du hier im Pavillon tanzt und dabei die ganze Welt um dich herum vergisst. Ich möchte das alles nicht mehr missen, dennoch ist da diese Leere, die ich nicht füllen kann.«
Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen bei ihren Worten und ihren Anblick. Ein noch schlechteres Gefühl machte sich in mir breit, das sich von meinem Herzen zuerst in jede meiner Faser ausdehnte. Tränen bahnten sich nach einer gefühlten Ewigkeit wieder einmal in meine Augen und kämpften sich den Weg in die Freiheit. Bevor sie es jedoch schaffen konnten, nahm ich die Frau, die genauso groß war wie ich, in den Arm. Ob es ihr Trost spenden sollte oder mir, das konnte ich nicht wirklich sagen. Ich wusste nur, dass ich nicht fair mit ihr gewesen war. Ich hatte nie einen Gedanken darüber verschwendet, dass sie auch schwere Zeiten hinter sich hatte und es nicht immer leicht für sie war.
Kate klammerte sich an mich fest und schien sich dabei sogar ein wenig zu beruhigen. Ihre Atmung wurde wieder kontrollierter, das Zittern ebbte fast vollkommen ab und das Schniefen wurde leiser und weniger. Darum entschied ich mich auch dazu, sie wieder loszulassen und Abstand zwischen uns zu schaffen. Mit einem Blick in ihr verheultes Gesicht zog ich an meinem Handtuch und hielt es ihr hin.
»Es klebt zwar mein Schweiß dran, aber ich denke, an der Ecke sollte auch noch Platz für deine Tränen sein«, sagte ich und hielt ihr das Ende mit dem Haken entgegen. Ein kleiner belustigter Ton entfloh Kates Kehle, das mich automatisch zum Lächeln brachte. Sie nahm das Handtuch dankend an und hob einen kleinen Zipfel an ihre Augen.
Plötzlich durchschnitt ein lautes Klingeln die traurige Atmosphäre und ließ uns zusammenzucken. Mein Smartphone in der Hand vibrierte und schrie mich an, dass ich doch rangehen sollte, weshalb ich mich kurz bei Kate entschuldigte und mich von ihr weg drehte. Mit einem Blick aufs Display, wusste ich das Mila mich anrief.
»Ja?«, fragte ich als ich dranging.
»Lyn, da bist du ja endlich! Ich habe dir gefühlt schon tausend Nachrichten hinterlassen, aber du hast bisher auf keine geantwortet«, erklärte sie ganz aufgeregt.
»Entschuldigung, ich kam noch nicht dazu sie zu lesen.«
»Das habe ich auch bemerkt, aber egal. Wir fahren gleich von mir los und holen dich ab, sofern du zu Hause bist und nichts Besseres geplant hast, als zu trainieren?«, fragte sie unsicher und wartete auf eine Antwort von mir.
»Wo soll es denn hingehen?«, fragte ich erst einmal, weil ich auch wissen wollte, auf was ich mich heute noch einließ, bevor ich zustimmte.
»Wir wollen in den Chickasaw State Park an den See und den Nachmittag dort mit Baden und Essen verbringen.«
»Okay, aber gebt mir Zeit, ich muss mich noch duschen und meine Sachen zusammenpacken«, sagte ich und legte auf, nachdem sie zugestimmt und mir versicherten hatten, dass sie sich extra viel Zeit ließen. Dann drehte ich mich wieder zu Kate um, die nun wieder in einem viel besseren Zustand vor mir stand und mich anlächelte.
»Es ist schön, dass du zugestimmt hast, etwas mit deinen Freunden zu unternehmen«, sagte sie und machte Anstalten zu gehen.
»Wenn du möchtest, kann ich auch bleiben«, rief ich ihr über die Schulter zu und machte mich auf den Weg zum Haus.
»Nein, alles okay. Vergiss nur nicht dein Badeanzug, wie beim letzten Mal. Wir wollen doch nicht, dass du wieder am Strand sitzt und den beiden in der brühenden Hitze beim Baden zusehen musst.«
Jap, sie war wieder die Alte. Sie wusste ganz genau, dass ich ihn sogar extra ausgepackt hatte, da ich nicht schwimmen wollte. Es zauberte mir ein kleines Lächeln die Lippen, ehe auch ich mich in Bewegung setzte, um mich fertigzumachen.
Dieses Kapitel war wohl heute eins der längeren Sorte. Bei dem Thema vielleicht aber auch berechtigt. Sorry 🤭
Nun wissen wir auch, welche Rolle Kate in Lyns Leben spielt. Was denkt ihr? Macht sie sich gut als Mutter von vier Kindern?
Im nächsten Kapitel geht es am See weiter. Lyn ist nicht gerade, die Wasserratte, aber mal sehen, was passieren wird, nach dem Gespräch mit Kate. 😊
Ich wünsche euch ein schönes Bergfest. 😂 ~ eure Cali <3
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