Kapitel 26

David hatte sich nicht mehr blicken lassen und so fuhr ich wieder zu meinem Haus und lebte dort, wie gewohnt, weiter. Sollte mein Adoptivvater tatsächlich wiederkommen, würde ich ihn mit einer großen Dosis Eisenkraut überraschen.
»Wir sollten über dein Verhalten in letzter Zeit reden«, meinte ich irgendwann, da Cas seit Minuten stillschweigend auf dem Sessel saß. »Ich hab' das Gefühl, du hast dich nicht mehr unter Kontrolle. Vor allem deine Emotionen nicht.« Ich dachte kurz nach. »Eigentlich nur die Emotionen. Du brüllst Dean an, du weist Dean zurecht. Du bist bei den kleinsten Dingen genervt und du -«
»Wir sollten aufhören«, sagte Cas auf einmal, die Arme auf die Schenkeln gelegt, die Finger ineinander verschlossen und den Blick zu Boden gerichtet.
Verwundert runzelte ich die Stirn. »Was?«
»Du liebst mich nicht.« Er erhob sich und ließ seinen Blick schweifen, genau darauf achtend, dass er nicht auf meinen traf.
Auch ich erhob mich und ich trat vor ihn. »Das stimmt nicht.«
»Du liebst Dean«, sagte er und sah mir auf einmal direkt in die Augen.
Ich runzelte die Stirn. »Nein.«
»Doch, ich weiß es. Ich spüre es. Ich spüre, dass du keine innigen Gefühle für mich hast.«
Verwirrt lachte ich auf. »Cas, das stimmt nicht ...«
»Dann sag' es«, forderte der Engel mich auf. »Sag', dass du mich liebst.«
Ich öffnete den Mund. Seine blauen Augen starrten mich an, und er wartete. Er wartete auf drei Worte. Drei einfache Worte, hinter denen eine große Bedeutung lag. Und ich konnte es nicht, ich konnte es ihm nicht sagen.
Diese Erkenntnis ließ Tränen in meine Augen treten, und langsam schüttelte ich den Kopf. »Cas, ich ... ich kann nicht ...«
Der Engel nickte nur und gerade als ich seine Hand ergreifen wollte, verschwand er.
Ich hätte zusammenbrechen können, meine Sachen schreiend umherwerfend oder wegrennen können. Ich hätte Bobby anrufen können, Sam oder Dean, aber nichts davon tat ich. Ich blieb einfach schweigend stehen, ließ meine Tränen zu Boden fallen und wartete, bis dies vorbei. Mein Inneres akzeptierte es nicht, dass ich Gefühle für Dean hatte und dass Cas genau deswegen Schluss gemacht hatte. Ich sah dahinter kein Verständnis, keine Logik, denn nicht einmal in letzten Monaten hatte ich an Dean auf dieser Ebene gedacht.
Ich wusste, dass Sam, Dean und Bobby seit Tagen Crowley ausfindig machen wollten, und ich wusste, dass das Vertrauen gegenüber Cas vor allem von Bobbys und Sams Seite aus gesunken war. Sie könnten recht haben, dass er mit Crowley zusammenarbeitete. Das würde sogar vielleicht sein jetziges Verhalten erklären, und vor allem das, was gerade passiert war.
Ich machte mir nicht weiter Gedanken darüber, ob ich etwas für ihn empfand oder nicht, sondern ergriff meine Autoschlüssel und fuhr zu einem abgelegenen Ort, einem Wald, wo ich als Kind öfter gewesen war. Ich ließ das Auto am Waldweg stehen und lief zu Fuß tiefer hinein. Irgendwann erreichte ich die steinernde Bank, die hier bereits seit Jahren stand, und schweigend ließ ich mich darauf nieder. Es war ruhig hier. Leise zwitscherten einige Vögel, der Wind zerrte sanft an den Blättern, aber sonst hörte man nichts.
»Ich nehme an, du hast Fragen«, erklang auf einmal Castiels Stimme neben mir.
Ich sah nicht auf, stattdessen ließ ich den Kopf sinken. »Ich hab' so viele Fragen, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll.« Ich atmete tief und wagte schließlich doch, ihm in die Augen zu blicken. »Wie kommst du darauf, dass ich Dean liebe?«
»Weil es schon immer so war.« Der Mann hatte den Blick nach vorn gerichtet. »All die Jahre.«
Ich lachte leise. »So lange kennst du mich doch noch gar nicht.«
»Ich kenn' dich länger, als du denkst.« Der Engel sah mich an. »Nicht alles, was ich bisher getan habe, war richtig. Vieles war falsch, doch das weiß ich erst jetzt.«
Mein Lächeln verschwand allmählich. »Wovon sprichst du?«
Cas hob die Hand. »Ich muss dir etwas zeigen.«
Bevor ich reagieren konnte, berührte er meine Stirn. Es war wie ein Blitz, der mich durchfuhr. Vor meinem inneren Augen tauchten Bilder auf, Geschehnisse oder Erinnerungen, die ich nicht kannte.
Ein Baby lag schreiend in seinem Kinderbett, über ihm brennte die Decke und eine Frau mit geweiteten Augen. Obwohl ich mich nicht wirklich daran erinnerte, wusste ich, dass es meine Mutter war. Ich war schon einmal an dieses Ereignis erinnert worden, damals, vom gelbäugigen Dämon. Doch diesmal war etwas anders. Ein junger Mann mit schwarzen Haaren hob das Kind, mich aus dem Kinderbett, und erst nach einigen Lidschlägen erkannte ich, wer es war.
»Ich habe dich damals im Auftrag der Engel gerettet und zu deinen Paten gebracht«, erklang Castiels Stimme in meinem Kopf. »Das war das einzige Mal, dass wir Engel nach langer Zeit vor Deans Rettung aus der Hölle auf die Erde sollten. Es war ein Auftrag von Gott, der lange vor deiner Geburt niedergeschrieben worden war. Ich musste dein Gedächnis löschen, damit du dich an nichts erinnern kannst, und auch jenes von meiner Hülle.«
Ich ließ alles auf mich einwirken, ohne dass ich etwas dazu sagen konnte. Ich befand mich in einer Art Traumwelt, ohne Körper und Stimme. Ich spürte nur die Enttäuschung und Fassungslosigleit, die mich erfüllte.
Das nächste Bild tauchte auf. Ich war ein zwölfjähriges Mädchen, vor mir stand ein Junge mit braunen Haaren.
»Ich bin Catherine«, sagte ich.
»Ich bin Sam«, sagte er und wir schüttelten unsere Hände.
Wir spielten zusammen, machten Witze und hatten Spaß, bis der bekannte Impala erschien und Sam davonfuhr.
»Du und Sam wart Freunde«, hörte ich Castiels Stimme. »Ihr habt euch getroffen, als du und deine Familie im Urlaub wart. Doch der Himmel wollte nicht, dass ihr euch kennt. Und so wurde euch die Erinnerung genommen.«
Nun erschien meine High School Zeit. Ich war siebzehn, hatte Freunde und führte ein gewöhnliches Schulleben. Ich war ein normales Mädchen. Als ich eines Tages nach der Schule auf den Weg nach Hause war, erblickte ich einen Jungen - Dean.
»Jeglicher Kontakt zwischen dir und den Winchesters war verboten - so lauteten die Anweisungen«, sagte Cas. »Auch wenn das Schicksal es anders sah. Und wir mussten ein weiteres Mal eure Erinnerungen löschen. Doch mit der Zeit hattest du Albträume. Ab und an konntest du dich an kleine Fetzen erinnern, wir mussten dich genaustens im Auge behalten.
Dann hatte dein Vater dir die Wahrheit darüber erzählt, dass deine richtigen Eltetn tot waren. Du bist, nachdem du die Schule beendet hattest, abgehauen, das weißt du ja, aber sobald du fort warst, hatten wir dich nicht mehr gefunden. Es war, als würde eine geheime Macht dich vor uns beschützen, und so geschah es, dass du irgendwann wieder auf die Winchesters trafst - ohne jegliche Erinnerungen, weder sie an dich, noch du an ihnen. Das Schicksal verlangte, dass ihr zusammengehört, und das tut es immer noch.
Und du und Dean. Du kannst dich nicht an eure gemeinsame Nacht erinnern, weil ich ... Ich habe deine Erinnerung daran gelöscht. Es war ein Befehl gewesen. Die Engel dachten, er würde dich schwächen.«
Ich öffnete meine Augen und durch einen Tränenschleier hindurch sah ich Cas, der vor mir stand. Ich stand ebenso, ich hatte keine Ahnung, wie das sein konnte, aber es war so.
Alles wirkte noch auf mich ein, ich war unfähig, zu sprechen.
»Ich kannte Sam und Dean mein Leben lang«, sagte ich schließlich mit leiser Stimme. Ich schluckte schwer und wandte mich ab. »Ihr habt mich all die Zeit benutzt. Ihr habt mich ...« Ich schnappte nach Luft. »Ihr habt mich zu eurem Objekt gemacht, mich zu euren Gunsten gebeugt.«
Ich hob die Hände und drückte sie gegen meine Stirn, während ich versuchte die nächsten Tränen zu unterdrücken. Als ich mich unter Kontrolle hatte, wandte ich mich Cas zu. »Und die Sache mit Crowley? Stimmt es? Arbeitest du mit ihm?«
Cas sah mich lange an, dann sagte er nur ein Wort: »Ja.«
Fassungslos schüttelte ich den Kopf und ich begann, auf- und abzulaufen. »David hatte recht. Er hatte recht damit, dass du nicht der bist, der du zu sein scheinst«, sagte ich eher zu mir.
»Ich bin immer noch ich«, meinte Cas.
»Nein, du bist ein Lügner und Verräter«, schrie ich und mit Wut und Tränen in den Augen sah ihn an. »Ich dachte, du hättest dich geändert, aber das hast du nicht. Du hast mich all die Zeit benutzt. All die Zeit! Ich dachte, du hättest dich vom Himmel losgesagt und hättest jetzt so was wie Ehrgefühl, aber nicht einmal das besitzt du.«
»Ich hab' das nicht freiwillig getan«, verteidigte Cas sich. »Ich musste das tun. Das war ein Befehl. Und ich seh' jetzt auch ein, dass das falsch war, aber -«
»Du hättest mir Millionen von Malen die Wahrheit erzählen können, aber das hast du nicht!«, schrie ich. »Wir haben zusammen gekämpft. Du warst mein Mentor! Muss ich sonst noch was wissen? Irgendwas? Wahrscheinlich gibt es auch einen Grund, warum die Engel mich nicht aufgenommen haben. Den hast du mir sicher auch verheimlicht.«
»Sie wollten sehen, wie du dich verhältst, wie du dich anstellst«, meinte Cas. »Ein Nephilim ist verboten. Sie sind gefährlich. Du lebst nur noch durch das Gesetz Gottes.«
Fassungslos sah ich ihn an. »Also soll ich vor Gott dankbar auf die Knie fallen?«
»Du bist wie Dean«, bemerkte der Engel genervt, doch ich ignorierte diese Aussage.
»Du warst also nur mein Mentor, damit du mich unter Kontrolle hast, oder was? Ich stand unter deiner Beobachtung und wurde darauf getestet, wie ich mich verhalte? Damit ich nicht Amok auf Engeln laufe?«
»Nein, so war es nicht -«
»Wie war's dann, Cas?«, schrie ich. »Erklär's mir!«
»Ich kann nicht«, meinte der Engel.
»Kannst oder willst nicht?«
»Ich kann nicht«, wiederholte Cas mit ernster Stimme. »Ich bin für dich verantwortlich gewesen. Das war ich schon immer.«
Ich straffte meine Haltung. »Okay. Dann hier einmal zum Mitschreiben, Cas: Du bist nicht mein Schutzengel und ich will dich nie wieder an meiner Seite haben.« Und dieses Mal war es mein Flügelschlag, der erklang.

1639 Wörter

Whoop, whoop! Here it is!

Wer hätte mit all dem gerechnet? XD

Was sagt ihr dazu?

Im Anschluss kommt noch ein Video darüber ^^

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top