2 | 58 | Füreinander (Bonuskapitel 1/2)
Meine Tuplen, ich kann nicht glauben, dass ich heute das Bonuskapitel veröffentliche. Da es 4500 Wörter hat und ich dachte, ihr freut euch vielleicht, wenn ihr noch ein Kapitel mehr von der Geschichte habt, habe ich es nochmal aufgeteilt, sodass es nun zwei Bonuskapitel gibt :) Das zweite Bonuskapitel kommt dann im Laufe der Woche. Ich hoffe, es gefällt euch :) Ich küsse eure Herzen.
Schwer atmend strich Cassie sich die wilden Locken aus dem Gesicht. Sie konnte sich inzwischen nicht mehr daran erinnern, wie häufig sie die Choreografie getanzt hatte, doch es war auch nicht wichtig. Das einzige, was zählte, war, dass das Video gut wurde. Die Bilder, die sie eben auf Shawns Kamera gesehen hatte, gefielen ihr schon sehr gut, aber einen Take würde sie noch aufnehmen.
Sie hatte Jalils Cousin auf Alessas Hochzeit kennengelernt und inzwischen hatte sich herausgestellt, dass er ein ziemlich guter Videograf mit einem Auge für Ästhetik war. Sie war sich ziemlich sicher, dass er seine Schwierigkeiten mit der Kamera damals nur vorgeschoben hatte, um mit ihr ins Gespräch zu kommen, in dem Glauben, sie wäre Single und allein auf der Hochzeit. Doch jetzt, wo die Fronten geklärt waren und er von ihrer Beziehung mit John wusste, hatte sie ihn vor ein paar Wochen gefragt, ob er sich vorstellen konnte, ein paar Tanzvideos für sie zu drehen und er hatte sofort zugesagt. Shawn hatte bereits zwei Videos gedreht und Cassie war sehr zufrieden.
„Bist du soweit?", fragte Shawn mit dem Gimbal in den Händen.
„Sofort."
Cassie schraubte die Wasserflasche auf und nahm einen großen Schluck. Ihr war so warm, dass sie mittlerweile die Ärmel des bauchfreien Hoodies nach oben geschoben hatte. Sie betrachtete sich kurz im Spiegel, ließ ihre nackten Füße ein wenig kreisen, um sie zu entspannen und schloss ihre Augen, um sich wieder zu sammeln.
Noch immer hielt sie an diesem Gefühl der inneren Zerrissenheit fest, welches sie für ihre Choreografie kanalisiert hatte. Ihr Herz war schwer, ihre Finger zitterten. Sie war überwältigt davon, wie sehr sie sich in ihrem Emotionen verlieren und wiederfinden konnte. Sie atmete ein letztes Mal tief durch, bevor sie Halseys „Without me" von vorn startete und die Welt um sich herum ein weiteres Mal komplett ausblendete. Sie konzentrierte sich vollkommen auf sich selbst, legte all ihre Gefühle in diese Contemporary Choreografie. Sie transportierte all die Verzweiflung und den Schmerz der vergangenen Wochen und Monate, ließ die Musik durch ihren Körper strömen und bewegte sich, ohne darüber nachzudenken, zum Beat, bis sie sich in ihren Emotionen verlor und sich einfach dem Fluss der Musik anpasste. Sie schaltete Ihren Kopf ab und ließ sich von der Musik führen, bis sie sich schlussendlich auf dem Boden liegend in der Endposition wiederfand und die Töne des Songs verklangen. Sie hatte sich selbst so sehr gefühlt, dass ihr gesamter Körper von einer Gänsehaut überzogen war und ihre Augen sich mit Tränen gefüllt hatten. Sie blinzelte sie weg und versuchte, den Knoten zu lösen.
„Das war dope", sagte Shawn, während sie sich schwer atmend aufrappelte.
„Zeig mal", forderte sie und machte ein paar Schritte auf ihn zu. Sich selbst auf der Kamera zu sehen, war nach wie vor ein seltsames Gefühl, doch die Ausschnitte gefielen ihr wirklich gut. Shawn wusste genau, wann er sie in welchem Winkel einfangen, wann er näherkommen und wann er ihr Raum geben musste.
„Wow, ich glaube tatsächlich, das Letzte ist auch das Beste geworden", sagte sie und kippte etwas Wasser ihre trockene Kehle hinunter. Shawn setzte gerade an, etwas zu sagen, als Cassies Handy klingelte. Sie hatte es am Rand auf dem Boden abgelegt, um den Song über die via Bluetooth verknüpfte Anlage abzuspielen. Sie warf einen flüchtigen Blick aufs Display. Als Johns Name ihr entgegenblinkte, nahm sie den Anruf lächelnd entgegen. Er würde sie wieder erden und sie endgültig aus ihrer konstruierten Gefühlswelt zurückholen.
„Hey Babe", begrüßte sie ihn und betrachtete ihr verschwitztes Spiegelbild.
„Du musst nach Hause kommen", begrüßte er sie angespannt. Angesichts seiner ernsten Stimme wurde ihr augenblicklich heiß und kalt.
„Was ist passiert?", fragte sie alarmiert.
„Bin die Treppe runtergefallen, als ich die restlichen Klamottenkartons runtertragen wollte. Hab ne Stufe übersehen. Fuck man, ich glaube, ich hab mir was gebrochen oder so. Ich kann kaum auftreten."
Allein die Vorstellung bereitete ihr Schmerzen. Die Erinnerung an ihre schwere Fußverletzung und die damit verbundenen Qualen war noch immer sehr präsent, auch, wenn der Sturz bereits ein paar Monate zurücklag. Sie schloss lautlos seufzend die Augen. War ihnen nicht wenigstens eine kurze Zeit ohne Zwischenfälle vergönnt?
„Scheiße. Ja, klar. Ich komme sofort. Beweg dich nicht, bis ich zurück bin, okay?", sagte sie und fuhr sich durch die Locken.
„Keine Sorge. Ich komm nicht mal mehr allein auf die Beine", knurrte er mürrisch.
„Willst du dann nicht vielleicht besser einen Krankenwagen anrufen?"
„Dein Scheiß Ernst jetzt, Cas? Ich hab mir vielleicht meinen Fuß gebrochen und du sagst mir, ich soll jemand anderen anrufen?", fauchte er gereizt.
„So habe ich das doch überhaupt nicht gemeint. Ich meine nur, weil die sich vielleicht im Krankenwagen-"
„Kommst du jetzt nach Hause oder was?", fragte er ungeduldig.
„Natürlich, ich lasse dich damit nicht allein, okay?", sagte sie besänftigend.
„Jetzt sofort?", hakte er unruhig nach.
„Ja, klar. Bis gleich."
Als sie aufgelegt hatte, schloss sie kurz die Augen und atmete tief durch, ehe sie sich an Shawn wandte.
„Probleme?", fragte er neugierig.
„John ist die Treppe runtergefallen. Ich muss ihn ins Krankenhaus fahren", sagte sie. „Tut mir leid, ich will dich nicht rauswerfen, aber es klang sehr dringend."
„Scheiße, klar, verstehe ich. Lass uns Schluss machen und einfach telefonieren."
Als Cassie kurz darauf aus dem Gebäude ins Freie trat, schlug ihr die brütende Hitze entgegen. Durch die Klimaanlage im Studio hatte sie beinah vergessen, dass der Sommer vor ein paar Tagen Einzug gehalten hatte. Doch auch, wenn andere ächzten – sie freute sich, dass das Wetter sich endlich gebessert hatte. Während sie in den SUV stieg, wählte sie Martens Nummer, doch sie erreichte ihn nicht. Kopfschüttelnd warf sie das Handy in die Mittelkonsole und ging in Gedanken bereits die Krankenhäuser der Umgebung nach der besten Unfallchirurgie durch. Sie hoffte, dass John sich nicht wirklich so schlimm verletzt hatte, wie er sagte, denn er steckte gerade mitten in den Vorbereitungen für die nächste Festival-Saison und die Proben gingen schon in der nächsten Woche los.
Sie runzelte die Stirn, als sie kurz darauf die Einfahrt erreichte und Martens Jeep vor der Tür stehen sah. Er hatte ihn also auch angerufen. Es musste ihm wirklich schlecht gehen, wenn er freiwillig um Hilfe bat. Besorgt sprang sie aus dem Auto und lief zur Haustür herüber, schloss hektisch mit schwitzigen Fingern die Haustür auf und betrat den Flur.
„Babe?"
Sie entdeckte ihn auf einer der untersten Treppenstufen. Er saß in T-Shirt und Shorts dort und schaute ungeduldig in ihr Gesicht. Seine Füße steckten in einem Paar Badeschlappen.
„Wurde aber auch Zeit", sagte er mürrisch, während sie ein paar Schritte auf ihn zu machte und seine Füße betrachtete.
„Kein Wunder, dass du damit die Treppe runterfällst", kommentierte sie kopfschüttelnd und kniete sich vor ihn. „Welcher Fuß ist es denn?"
„Was denkst du denn?", knurrte er, ehe sie irritiert die Stirn runzelte. Vorsichtig zog sie die Schlappen von seinen Füßen und streifte behutsam den Bund seiner Socken nach unten, konnte jedoch keine Verletzung erkennen. Als sie ihren Blick hob und in sein Gesicht schaute, hatte sich auf seinen Lippen ein spitzbübisches Grinsen gebildet. Noch während sie sich fragte, ob er sich vielleicht stattdessen seinen Kopf angeschlagen hatte, nahm er ihre Hand.
„Happy Birthday, Shorty."
Im ersten Moment legte sie fragend den Kopf schief, doch dann bemerkte sie plötzlich die vielen rosafarbenen und weißen Luftballons, die über John am Geländer der Empore hingen; ebenso wie ein riesiges Birthday-Banner. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem erleichterten Grinsen. Das Glücksgefühl, das ihre Sorge um ihn ablöste, war unbeschreiblich und nicht in Worte zu fassen.
„Du blödes Arschloch, mach so was nie wieder mit mir", platzte es aus ihr heraus, ehe sie ihm begeistert um den Hals fiel. Er lachte, schlang seine Arme um sie und fing sie auf, ehe er sich gemeinsam mit ihr aufrichtete.
„Hast du echt geglaubt, du kommst dieses Jahr ohne Geburtstagsüberraschung davon?", grinste er frech.
„Irgendwie schon, immerhin ist mein Geburtstag schon über zwei Monate her", erwiderte sie. „Und du wusstest ja, dass ich aus unterschiedlichen Gründen nicht feiern wollte."
„Kann schon sein, aber jetzt bin ich ja wieder da."
Marten war im Türrahmen zum Wohnzimmer aufgetaucht. Sie schüttelte ungläubig lächelnd den Kopf. Er war vor ein paar Wochen endgültig aus der Haft entlassen worden, doch seitdem hatten sie sich kaum gesehen, da er die meiste Freizeit mit Nika, seiner Familie und seinem Hund verbrachte.
„Ich habe dich angerufen, du Penner. Ich dachte, du müsstest ihm aufhelfen, weil er das Doppelte von mir wiegt", lachte sie, bevor sie sich von John löste und sich von seinem Cousin in eine Umarmung ziehen ließ.
„Alles Gute nachträglich, Kleines", nuschelte Marten in ihr Haar. Sie lächelte. „Vielen Dank."
„Ich hab Nika mitgebracht", lächelte er.
„Wo ist sie?", fragte sie und schaute sich suchend nach ihr um.
„Im Garten. Komm..."
Als Marten die Schiebetür zum Wohnzimmer öffnete, stockte Cassie der Atem. Sie wusste nicht, ob sie gerade so fokussiert auf John gewesen war, dass sie es nicht bemerkt hatte, oder ob es ihnen wirklich gelungen war, leise zu sein, doch als sie gemeinsam mit John und Marten das Wohnzimmer durchquerte, waren sie alle da; ihre ganzen Freunde saßen im Garten um den großen Tisch herum und warteten auf sie. Joe stand neben dem bereits angefachten Grill und schien nur auf ein Zeichen zu warten. Jalil stand daneben und grinste amüsiert. Alessa saß zusammen mit Malia und Nika am Tisch. Cassie schlug sich strahlend die Hände vors Gesicht.
„Oh mein Gott", platzte es euphorisch aus ihr heraus. „Ihr seid alle da – und ich sehe so scheiße aus!"
Alle lachten, dann machte sie sich daran, jeden einzelnen zu begrüßen, bevor sie sich kurz entschuldigte und im Badezimmer verschwand, um sich notdürftig frischzumachen. Sie konnte nicht glauben, dass es John ein weiteres Mal gelungen war, sie zu überraschen, und sie freute sich sehr darüber – auch, wenn sie in diesem Jahr von selbst darauf verzichtet hätte, ihren Geburtstag zu feiern. Jetzt jedoch, wo John all ihre Herzensmenschen zusammengetrommelt hatte, war sie unendlich glücklich darüber.
Nachdem sie sich frischgemacht hatte, tauschte sie ihr verschwitztes Outfit gegen ein luftiges, weißes Jerseykleid und nahm ihre Locken zu einem Pferdeschwanz zusammen. Anschließend kehrte sie zu den anderen in den Garten zurück. Irgendjemand hatte mittlerweile die Musik angeworfen. John und Marten waren gerade dabei, einen kleinen Pool mit Wasser zu füllen. Erst jetzt fielen ihr die ganzen Köstlichkeiten auf, die inzwischen ihren Weg auf den großen Tisch gefunden hatten. Ihre Freunde hatten sämtliches Fingerfood, Salate und Fleisch sowie Getränke zusammengetragen. Es schien, als hätten sie an alles gedacht.
„Gefällt es dir?"
Malia war hinter ihr aufgetaucht und grinste.
„Hat er sich das allein ausgedacht?", fragte Cassie gerührt.
„Es war Johns Idee, wie immer. Aber wir haben ihm alle geholfen", offenbarte Malia lächelnd.
„Ihr seid toll. Vielen Dank", sagte sie. „Tut mir leid, dass ich dich in den letzten Wochen so selten angerufen habe, aber ich muss jetzt Gas geben, damit die Videos online gehen können. Mein neuer Sponsor wartet darauf und ich will ihn nicht verärgern, damit sie noch etwas mehr Geld in unser Battle stecken."
Malia lächelte.
„Alles gut. Ich habe doch momentan selbst kaum Zeit", erwiderte sie.
„Wegen diesem geheimnisvollen Typen?", witzelte Cassie und schnitt eine Grimasse.
„Es ist noch nicht spruchreif", konterte Malia und streckte ihr die Zunge heraus. Mittlerweile war genug Zeit vergangen, sodass sie die damalige Situation mit Humor nahmen, doch es hatte eine ganze Weile gedauert, bis ihnen das möglich gewesen war. Als es klingelte, warf sie ihrer Freundin einen entschuldigenden Blick zu, dann verschwand sie im Haus. Erst im Flur fragte sie sich, wo all ihre Gäste die ganzen Autos abgestellt hatten, doch die Gedanken verflogen, als sie die Haustür öffnete und in Raphaels braune Schokoladenaugen schaute.
Ich weiß, ist nicht sooo ein spekuakulärer Cut, aber irgendwo musste ich ihn ja setzen und ich wollte euch im vorletzten Kapitel jetzt nicht unnötig ärgern; das hebe ich mir stattdessen für die Nika-Geschichte auf. Haha. Sorry. Ich hoffe, es hat euch bis hierhin erstmal gefallen. Das nächste Bonuskapitel, also der 2. Teil, kommt dann die Tage.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top