Aller guten Dinge sind drei

Schweigend sitzt sie vor ihm und versenkt immer wieder den Löffel im Glas. Sie versucht nicht ein einziges Mal seinen Blick aufzufangen. Fühlt sie sich unbehaglich? Christian ist nicht derjenige, der alles kompliziert macht. Doch nach dem was bei der Bergung geschehen ist, hat er angenommen es würde leichter werden ihr näher zu kommen. Doch die junge Frau hat schon wieder eine undurchdringliche Festung um sich aufgebaut. Keiner kann sie sehen, aber Christian spürt sie.

Nachdem kein Eis mehr in der Schale ist, bestellt Christian noch eine Portion. Auch diese isst Chloe ohne ein Wort. Immerhin fragt sie nicht warum, sondern bleibt ganz still da sitzen. Ihre Gesellschaft ist angenehm und Christian würde sogar eine dritte Portion bestellen, nur um sie noch etwas länger zu sehen.

Sie macht sich echt die Mühe die Schale so gründlich wie möglich zu leeren. Zumindest so gründlich wie Anstand und Manieren es zulassen. Christian glaubt sie würde die Schale am liebsten auslecken. Der Gedanke amüsiert ihn. Also kann er sich das Grinsen nicht verkneifen und weckt somit ihre Aufmerksamkeit.

„Nachschub?"
„Nein danke, ich platze noch", erwidert Chloe schnell.
„Das wäre ungünstig."
Eigentlich sollte jetzt das Eis gebrochen sein. Doch schon wieder herrscht Stille.
„Wie geht es der Schulter?"
Ihre Frage kommt unerwartet.
„Ganz gut. Ich bin schlimmeres gewöhnt."
„Ach ja?"

Hätte er das vielleicht nicht sagen sollen?
„Hast du dich in den letzten zwei Jahren schlimmer verletzt?"
Schnell schüttelt er den Kopf.
„Nein eher früher."
„Und was hast du gemacht? Etwas sehr gefährliches?"
Christian rekapituliert im Geiste schnell die gefährlichsten Dinge. Besser er erzählt Chloe keine Details. Nach einer kleinen Weile sagt er dann: „Eigentlich nicht."

„Und wo bist du gewesen?"
„Hier und da...überall."
„In Amerika?"
Wieder schüttelt er den Kopf.
Wieso hat er das Gefühl, dass dieses Gespräch nicht gut enden wird?

„Die Männer vorhin...", beginnt sie erneut, „...gehören zu deiner Einheit?"
„Ja."
„Ich wette du hast viel Zeit mit ihnen verbracht."
„Sicher."
„Haben sie Familie?"
„Die wenigsten."

Christian ahnt worauf sie hinaus will.
„Chloe sag doch einfach, was du sagen möchtest."
Sie zögert noch immer. Sie wirft einen Blick aus dem Fenster, betrachtet die Inneneinrichtung des Cafés und knibbelt an den Fingern.
„Ich kann das nicht", sagt sie nach endlosen Minuten des Schweigens.
„Du kannst was nicht?"
„So tun als ob das kein Traum wäre."
Er versteht nicht und legt die Stirn in Falten, doch Chloe scheint endlich mit der Sprache raus zu rücken, also unterbricht er sie auch nicht.

„Diese Katastrophe letztens hat mir wieder ganz deutlich gezeigt, dass wir beide ganz unterschiedliche Leben führen."
Sie ist angespannt.
„Dir wäre es nicht schwer gefallen über das Leben eines Menschen zu entscheiden. Doch ich bin Ärztin. Mir ist diese Entscheidung unheimlich schwer gefallen. Doch du triffst wahrscheinlich andauernd solche Entscheidungen. Dein Job ist es Befehle auszuführen und nötigenfalls auch dabei zu töten."

Seine Brust zieht sich zusammen. Trotzdem hört er ihr weiterhin zu. Er will alles hören, jeden bescheuerten Vorwand den sie auf den Tisch legt.

„Soll ich mich täglich fragen was du machst und welche Entscheidungen du triffst, oder bereits getroffen hast?"
Sie sieht nur auf ihre Finger. Kann sie ihm dabei nicht wenigstens in die Augen sehen?
„Und was ist, wenn dir wirklich etwas in diesem Tunnel passiert wäre? Dir kann jeden Tag dort draußen etwas zustoßen. Wie soll ich das je verarbeiten?"

Er kann nicht glauben, was er da gerade hört.
„Ich denke es ist besser wenn wir uns nicht wiedersehen, Christian."
Er ist echt fassungslos. Sie tut es schon wieder. Tja aller guten Dinge sind drei und Chloe will ihn offensichtlich zum dritten Mal zurückweisen.

„Soll das deine Revanche sein für die Sache im Tunnel? Komm schon, Chloe, ich habe mich bereits entschuldigt."
Jetzt sieht sie ihn an. Nein, Chloe kann nicht so gut schauspielern. Das ist echt. Sie wird es tatsächlich schon wieder tun.
„Warum kannst du nicht einmal sagen was du wirklich denkst?", bittet er halb verzweifelt.
„Ich habe Angst, Christian. Ich habe Angst davor mit dir zusammen zu sein...davor mit irgendjemandem zusammen zu sein."

Das klang zumindest ehrlicher als der vorherige Schwachsinn. An seiner Uniform liegt es nicht. Er wäre bereit sie für Chloe aufzugeben.
Er seufzt gequält, doch seine Miene bleibt ausdruckslos.
„Wie kannst du es ablehnen, ohne es jemals versucht zu haben?"
„Ich habe einfach Angst", wiederholt sie etwas lauter.

„Schon gut, Chloe, ich verstehe..."
Als er ihre Hand berühren will, zieht sie sich unsicher zurück.
Christian ist schockiert. Jetzt lässt sie sich nicht einmal berühren? Er sieht die Angst in ihren Augen. Er hat diesen Ausdruck schon einmal bei ihr gesehen. Das war ganz am Anfang, als er sie kennen lernte. Eigentlich hatte sie diese Phase hinter sich gelassen. Neulich im Tunnel war sie ganz anders gewesen, selbstbewusster und Christian hatte nichts beunruhigendes in ihrem Blick gesehen. Was zum Teufel ist in den paar Tagen mit ihr passiert?

In Christians Kopf arbeitet es. Selbst bei all dem Chaos im Hafen war sie nicht so verängstigt. Vor allem hat sie seine Berührung nicht gescheut.
„Ich mag dich Christian", gesteht sie plötzlich und steht auf. „Nur leider habe ich nicht den Mut mit dir auszugehen. Ich möchte nicht, dass du mich wieder besuchst."

Sie zwingt sich doch tatsächlich zu einem nicht überzeugenden Lächeln und lässt ihn dann ohne ein weiteres Wort im Café zurück.
Christian bleibt sitzen und starrt auf das Muster der Raufasertapete gegenüber. Chloe hat ihm schon wieder einen Korb gegeben. Zum dritten Mal. Das ist echt unerträglich.

Er weiß nicht wie lange er dort sitzt und nachdenkt. Er achtet nicht auf die Zeit. Letztendlich findet er keine Lösung, keine logische Erklärung für ihre Abweisung und so bleibt ihm nichts anderes übrig als ihrem Wunsch zu folgen.
Zuerst hat er noch gehofft sie würde wiederkommen und sagen, dass sie nur gescherzt hat. Doch als sie nach Einbruch der Dämmerung immer noch nicht auftaucht, verlässt Christian das Café und auch die Stadt.

Es wird wohl Zeit Chloe endgültig aus seinem Gedächtnis zu streichen. Nur warum hat ihn das Schicksal dann erst wieder zu ihr geführt? Warum nur?



~



Sie zittert noch, als sie die Umkleidekabinen erreicht und ungeschickt ihren Mantel aufknöpft. Sie hört sich selber unruhig atmen und beginnt ihn auf den Bügel zu hängen. Da bemerkt sie plötzlich, dass es gar nicht ihr Mantel ist. Oh nein, hat sie etwa seinen mitgenommen? Soll sie zurück gehen? Vielleicht kann sie ihn noch abfangen. Nein. Sie ist nicht mutig genug ihn noch einmal zu verlassen.

Ein Kratzen im Hals bringt sie zum Husten. Warum bekommt sie keine Luft? Es ist doch weit und breit keine Gefahr in Sicht? Niemand tut ihr etwas. Sie ist fast alleine in den Umkleiden. Nur zwei Praktikantinnen waren da, als sie den Raum betreten hatte.
Chloe setzt sich auf eine Bank. Wieso hat sie das getan? Wieso hat sie das schon wieder getan?

Egal wie oft sie sich im Geiste die Frage stellt, es bleibt immer die selbe Antwort: Aus Angst.
Erst im Nachhinein versteht sie es. Dr. Martin hat das verursacht. Er hat sie berührt, sie eingeschüchtert und bedroht. Zwar ist Christian in keinster Weise mit ihm zu vergleichen, doch wahrscheinlich fällt sie gerade in ihr altes Verhaltensmuster zurück. Seid der Panikattacke im Krankenhaus ist Chloe schreckhaft. Sie geht nicht allein nach Hause und sie hat Angst vor Dr. Martin.

Als ihr das klar wird, haut sie wütend auf den Schrank ein.
„Verdammter Scheißkerl!", schreit sie aus voller Kehle. Es stört sie nicht wen sie dabei erschrecken könnte.
Zumindest beschwert sich niemand.
Der Schmerz in ihrer Hand lässt sie erneut fluchen.
Das tut übelst weh. Warum versucht sie auch einen Metallschrank zu verkloppen? Da kann sie nur verlieren.

Wütend auf sich selbst und auf Dr. Martin verlässt sie die Umkleide und begibt sich zu einer Röntgenstation. Wenn sie sich jetzt auch noch das Handgelenk gebrochen hat, fängt sie bestimmt an zu heulen.

Zum Glück ist es nur eine Verstauchung. Zumindest kann sie bis auf weiteres an keinen OPs teilnehmen. Das ist so demütigend und ärgerlich. Es ist umso frustrierender, weil Chloe ganz alleine dafür verantwortlich ist.

Sie darf zwar noch Patienten betreuen, doch schwere Arbeiten sind vorerst gestrichen.
Doch es soll noch schlimmer werden, als Dr. Martin sie erneut aufsucht. Mit Bauchschmerzen begleitet sie ihn durch die Gänge zu einem der großen Konferenzräume. Man kann von den Fluren aus hinein sehen, zumindest wenn die Schalosien auf sind. Das beruhigt Chloe etwas.

Trotzdem hält sie doppelten Abstand zu ihm. Er setz sich vor Kopf des langen Tisches und schmeißt ihr eine Mappe vor die Nase.
Chloe nimmt sie und öffnet sie. Es geht um einen Bildungsausflug von Anfängern. Sie blättert es desinteressiert durch und wirft ihm immer wieder unruhige Blicke zu. Dr. Martin sitzt lässig in dem bequemen Lederstuhl und beobachtet sie.

„Was ist das?"
„Erklärt sich von selbst."
Chloe blättert weiter. Ganz hinten in der Mappe findet sie einen Umschlag.
„Mach ihn auf", fordert er betont gelangweilt.
Sie folgt der Anweisung und findet ein...
„Ein Flugticket?"
„Ganz recht."
Chloe sieht sich das Ankunftsziel an. Ihr entgleiten sämtliche Gesichtszüge. Das kann doch nicht sein Ernst sein.
Sie sieht entsetzt zu ihm, doch er sieht bewusst nach draußen in den Flur.

„Herat? Afghanistan?", fragt sie ungläubig.
„Das Ganze ist als Fortbildung gedacht. Du wirst etwa zwei Monate dort bleiben und das medizinische Team unterstützen. Eine fantastische Gelegenheit sich zu beweisen, finde ich."

Das sieht Chloe aber ganz anders.
„Sie wollen mich abschieben?"
„Nenne es wie du willst."
„Das geht nicht. In ein paar Monaten habe ich Prüfung. Ich bin Assistenzärztin, Sie können mich nicht einfach so weg schicken."

„Das ist schon mit den Abteilungsleitern besprochen und abgesegnet", sagt er als würde er aus einem Buch vorlesen.
„Was? Soll das dafür sein, dass ich Sie zurück gewiesen habe?"
„Bingo."
Jemand möge ihr bitte einen Hammer auf den Kopf schlagen, damit sie aus diesem Alptraum aufwachen kann.
„Es ist eine gute Erfahrung. Sieh es als Praktikum."

„Hören Sie, ich bin weder mit Afghanistan vertraut, noch spreche ich die Sprache."
„Oh mach dir darüber keine Sorgen, dort spricht man Englisch."
Er lächelt siegessicher. Chloe kann nicht ansatzweise glauben, was hier passiert.
„Guten Flug, Doktor."
Damit steht er auf, richtet seinen Kragen und geht aus dem Raum. Hinter ihm fällt mit einem Donnern die Tür ins Schloss und Chloe sackt auf einen Stuhl. Das war's. Ihr Leben ist wirklich vorbei. Warum denn ausgerechnet Afghanistan?

Das muss sie erstmal verdauen. Zum zehnten Mal schaut sie auf das Ticket und würde es am liebsten zerreißen. Doch sie liebt ihren Job. Sie will wegen so etwas nicht gekündigt werden.

Niedergeschlagen verlässt auch sie den Raum und sucht nach Izzy. Sie wird ihr wohl kaum glauben, doch mit irgendwem muss sie jetzt reden. Nur so kann sie diesen grauenvollen Tag verarbeiten.

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