Kapitel 67
[Der Boden]
~Ich verspreche, das du niemals alleine bist~
Die Sonne war gerade dabei wieder aufzugehen und Casmiel saß in mehrere Decken gewickelt vor der Höhle und starrte in die Ferne, hinaus, über den Horizont. Er stellte sich vor, was die ganzen Leute jetzt machen würden. Vermutlich schlafen, da es ziemlich früh war und gerade die ersten, noch roten Strahlen der Sonne die Landschaft in ein sanftes Licht tauchten, aber dennoch stellte Cas sich vor, was sie jetzt machen würden, wenn es eine gewöhnliche Zeit zum Aufstehen wäre.
Isaya und Cassiopeia waren bestimmt noch zusammen unterwegs, waren aber vermutlich aus der Höhle geflohen, da sie zu nahe am abgebrannten Lagerplatz war, der täglich von Wachen kontrolliert wurde, damit sie jeden Phoenix, der dort aufkreuzen würde, schnappen könnten.
Die beiden waren jetzt vermutlich wieder im Wald, verbrachten die Zeit zusammen und warteten auf ein Zeichen von Casmiel. Er sollte mit ihnen wieder in Kontakt treten. Vielleicht durch Brieftauben, oder Raben.
Sie könnten generell dabei helfen, eine neue Strategie für den Widerstand zu finden. Wenn man sich aufteilte, war man zwar schwächer, aber Aspen könnte ihre Kraft noch verbessern und irgendwann den gesamten Widerstand von einem Ort zum nächsten teleportieren. Dann wäre es möglich, den Jägern immer einen Schritt voraus zu sein.
Raben und Tauben könnten die Botschafter sein. Beides, denn dann wären die Jäger noch verwirrter, wer nahm schon Tauben und Raben als Postboten?
Mit mehreren Fluchtorten und dann auch noch einem aufgeteilten Widerstand, wären sie der Arena immer drei Schritte voraus und wenn eine der Beiden doch geschnappt werden sollte, könnte der anderer Widerstand sie wieder befreien. Cas könnte die Nachrichtenzentrale spielen und somit die ganzen Nachrichten sammeln, weiterleiten und verwalten, sodass er noch immer die Kontrolle über alles beherrschte. Zwänge bekam man nicht einfach so los, auch nicht wenn man Casmiel Tripe hieß.
Da fiel ihm aber noch etwas nach. Seit Jahren schon verbesserte er seine Geheimnschrift, die aus Buchstaben bestand, die er in verschiedenen Sprachen schrieb, manche waren sogar schon vergessen. Es waren schnörkelige Zeichen, filigrane Wörter und fremde Sprachen in einer Schrift vermischt und dazu kam noch Casmiels eigenes System, das er nirgendwo aufgeschrieben hatte. Alles war in seinem Kopf gespeichert und er konnte es immer wiederrufen. Vielleicht sollte er den Anführern der einzelnen Gruppen diese Schrift beibringen, damit auch abgefangene Briefe nicht entschlüsselt werden konnten.
Es gab noch viel zu bedenken, aber jede gute Idee hatte einmal irgendwo angefangen und so fing auch Casmiel an. Nur das er bereits jetzt einen beinahe perfekten und genau ausgearbeiteten Plan bereitstellte, gab es noch Probleme. Aspen müsste immer wieder zwischen den beiden Widerständen hin und her springen, damit sie ebenso eine Art Botin abgeben konnte, für besonders wichtige Nachrichten. Vielleicht könnte Edgar, ein Spezialist für alle erdenklichen technischen sowie mechanischen Angelegenheiten, eine Uhr bauen, die Aspen verständigt, wenn einer der beiden Widerstände Schwierigkeiten hatte.
Aber konnte Aspen überhaupt so viele Leute mitnehmen? Es waren immer noch 30 Menschen, die sie dann mit sich nehmen musste und es benötigte sowieso schon sehr viel Energie wenn sie es alleine tat. Sie müsste nur an einem Tag krank, zu müde oder zu hungrig sein und schon wäre Casmiels gesamter Fluchtplan im Eimer. Er konnte sich nicht nur auf eine einzige Person verlassen, auch nicht auf viele. Eigentlich konnte er sich nur auf Dolores verlassen, aber sie war, genauso wie Eirene, verstummt seit Casmiels Zusammenbruch.
Auch wenn er es vor der arroganten Einbildung niemals zugegeben hätte, vermisste er Dolores. Er vermisste die stundenlangen Gespräche, wenn er wieder einmal nicht schlafen wollte und zudem noch keine Betätigung fand. Dann war Dolores da und sprach mit ihm über Götter und die Welt. Sie philosophierten gemeinsam, redeten über Pläne, die ungewisse Zukunft und sogar einen Weg um die Arena zu zerstören.
Casmiel hatte zwar einen Plan, das hatte er immer, aber es gab so viele Risikos. Und jetzt hatte er erfahren, das Theseus sogar sterben konnte. Der, der niemals sterben konnte, war nun in der Gefahrenzone und ein weitere Mensch, um den Casmiel sich kümmern musste.
„Bist du noch wach oder wieder?" fragte da eine Stimme hinter ihm und irgendwie hatte Cas das Gefühl, das Theseus da schon länger stand und nur darauf gewartet hatte, bis Cas einen Gedanken an ihn verlor. Dramatische Auftritte aus dem Nichts, sobald man an jemanden dachte, waren schließlich sehr amüsant, Cas sprach aus Erfahrung.
„Ich hatte erst vor kurzem zehn Minuten Schlaf. Das reicht für drei weitere Tage" erwiderte Cas nur leicht lächelnd. Zehn Minuten waren zwar absolut nicht genug, vor allem weil er eigentlich noch immer ziemlich müde war, aber es würde ausreichen um mindestens noch drei Tage produktiv zu bleiben bevor sein Hirn von Tag zu Tag langsamer wurde und er irgendwann einfach umklappte.
„Ich nehme es mal einfach so hin, weil ich weiß, das du nicht mehr schlafen gehen wirst, aber kannst du mal mitkommen?" fragte Theseus ihn nur während er mit zwei Fingerpistolen auf Cas deutete und er sich aufsetzte um mit Theseus mitzugehen.
„Muss ich mir Sorgen machen?" fragte er nur amüsiert. Er bemerkte, wie nervös Theseus war aber zugleich entschlossen. Was auch immer er machen wollte, er war sich sicher.
„Eigentlich nicht. Jedenfalls nicht wenn du mich nicht nervst" meinte Theseus nur geheimnisvoll und Casmiel ließ es einfach zu. Vielleicht würde etwas Gutes dabei herauskommen. Man sollte niemals ein Abenteuer abschlagen, auch wenn man in das Ungewisse geht.
Sie kamen etwas später, in der Nähe des Wasserfalles, an und Casmiel sah sich um. Es stand nicht viel herum, eigentlich nur eine einzige Kiste. Doch vielleicht verbarg sich etwas spannendes darin.
„Also...was machen wir jetzt hier?" fragte Cas nur nach, doch Theseus reagierte nicht. Er stellte sich auf die Kiste und sah Casmiel ernst an.
„Sieh her" bat er ihn nur und Theseus sprang von der Kiste nur um wenig später wieder auf dem festen Boden zu stehen. „Du kannst springen, von jeder erdenklichen Brücke der Welt, wenn du willst, aber irgendetwas wird dich immer aus dem freien Fall befreien. Ich werde dein Boden sein und dich auffangen wenn du es brauchst, ich werde da sein und den ewigen Fall aufhalten" Casmiel konnte spüren das Theseus jedes einzige Wort ernst meinte.
Der Mann stieg erneut auf die Kiste und sprang schon wieder.
„Du wirst niemals ganz nach unten fallen, weil ich dich auffange und wieder hinaufwerfe, wenn es nötig ist. Und jetzt komm bitte her" wies er Casmiel an, der einfach zu verwirrt und zugleich gerührt war um etwas dagegen zu sagen.
Er stellte sich, sowie Theseus auch, auf die Kiste und der Mann mit den schwarzen Locken sah ihn an und nahm seine Hand.
„Springen wir zusammen" schlug er vor und tatsächlich sprangen Casmiel und Theseus zugleich von der Kiste und landeten am Boden.
„Der Boden wird dich immer auffangen, auch wenn wir zusammen fallen. Auch wenn alle fallen, wird der Boden dich auffangen und ich werde dein Boden sein, dir Halt geben und dich auffangen also bitte...versprich mir das du lebst. Versprich mir, das ich dir eine Pistole in die Hand geben kann, ohne das du sie die gegen den Kopf haltest. Versprich mir, das wir über Brücken gehen können und du dich nicht auf deren Rand stellst. Versprich mir das du lebst..." bat er ihn nur und in Theseus Augen sah er etwas, das er seit langem vermisste.
Früher war es in seinen eigenen Augen aufgeblitzt und in den Augen seiner Widerstandskämpfern, aber seit kurzem war es zu einer sehr kostbaren Ware geworden. Eirene war die Hoffnung des Widerstandes gewesen. Egal wie grau die Zeiten waren, sie hatte jedem ein kleines Lächeln auf die Lippen gezaubert. Sie war da, für jeden, damit er oder sie sich an ihrer Schulter ausweinen konnte. Sie hatte immer diese Gefühl in den Augen getragen und ihre Ausstrahlung war so stark gewesen, das sie es an den gesamten Widerstand gegeben hatte. Hoffnung.
Dieses einzigartige Gefühl, das die Menschen weiterbrachte. Dieses Gefühl, das einen davon abhielt aufzugeben. Es war das stärkste Gefühl von allen, weil es niemals starb, nicht ganz. Irgendwo würde es immer einen Menschen geben, der die Hoffnung ausstrahlte und in diesem Moment war es Theseus.
„Ich...ich verspreche es dir bei der heiligen Dolores" sprach Casmiel nur und anstatt Theseus nur zuzustimmen, zog er ihn in eine etwas unsichere Umarmung. Cas war sich noch immer unsicher, wenn es um Umarmungen ging. Er hatte enorme Platzangst und vor allem bei Umarmungen war diese Gefühl stark, aber er riss sich zusammen damit er Theseus einen kleinen Moment doch noch in den Arm schließen konnte, bevor er sich schließlich löste und wieder Platz zum Atmen hatte.
„Und ich verspreche, das ich auf dich aufpassen werde. Bei der heiligen Dolores" schwor auch Theseus noch immer leicht lächelnd. „Ich verspreche, dass du niemals alleine bist."
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