Kapitel 38

[Männer, Monster und eine gebrochene Nase gratis dazu]

Wenn Icarus ein Talent hatte, dann war das wohl Nerven, denn die ganze Autofahrt über hatte er nichts besseres zu tun, als auf seinem Sitz herumzuzappeln, mit dem Wärter namens Jonathan zu sprechen und mehr über seine achtköpfige Familie zu erfahren und natürlich Atlas mit dummen Fragen nerven, die ihn langsam zur Weißglut brachten.

Das bemerkte Icarus ganz einfach daran, das seine Fingerknöcheln bereits weiß wurden, weil er sie so fest um das Lenkrad klammerte. Das hatte ihn übrigens überrascht. Nicht Jonathan oder Adria, der Name der Frau, die sie durch Jonathan kennengelernt hatte, fuhren. Nein. Atlas höchst selbst saß am Steuer und drückte seine schön gefeilten Fingernägel in das lederne Lenkrad, die wohl ziemlich hässliche Kerben hinterlassen würden.

Am Anfang war er noch vollkommen ruhig gewesen, gefährlich ruhig als wäre er einfach nicht zu beeindrucken, aber mit der Zeit hatte Icarus über ihn erfahren, das er kleine Kinder hasste und deshalb hatte er die ganze Zeit solche kleinkinder-typischen Fragen gestellt.

„Wann sind wir endlich da?" fragte er und das A war extra lang gezogen um noch einmal zu verdeutlichen wie dringend es war zu wissen, wann sie denn bei diesem seltsamen Charon Tripe ankamen.

„Wir sind da, wenn wir eben da sind, du dummes Gör" zischte Adria genervt. Sie hasste Kinder wohl genauso sehr wie Atlas, die beiden würden bestimmt ein großartiges Paar abgeben. Da war Icarus sich sicher.

„Ich wollte doch nur wissen wann wir da sind und ich bin kein dummes Gör. Meine Pronomen sind im Moment er/ihn und ich würde Sie bitten diese auch zu benutzen. Außerdem heiße ich Icarus, nicht mehr Ketara. Sie machen die ganze Zeit Fehler und nennen mich dumm? Wie wäre es wenn sie zuerst einmal lernen zuzuhören statt anderen ihre Dummheit unter die Nase zu reiben" tadelte sie die beiden streng, fast so wie eine Mutter oder besser gesagt ein Vater.

„Kannst du nicht einfach deine Klappe halten?" fragte Atlas weniger gereizt, er klang eher ruhig, so wie ein Vater, der einfach nur mehr verzweifelt und mit seinem Leben am Ende war, es sich aber nicht anmerken lassen wollte, aber er klang dennoch nicht wirklich zufrieden. Eher so, als würde er versuchen ruhig zu sein, doch Icarus brachte ihn einfach auf die Palme, weshalb er das Verlangen nach einer Zigarette hatte. Er brauchte diese Ruhe jetzt.

„Hm...ich könnte zwar ruhig sein, aber will ich das denn auch? Was wenn ich es ganz schön finde nicht ruhig zu sein? Hm?" fragte er ihn nur frech. Wieso sollte er auch ruhig bleiben und das tun, was dieser Mann ihr sagte? Er war schließlich ein Gefangener und Atlas durfte ihm nichts tun. Vermutlich würde dieser Charon sie sowieso umbringen und es selbst erledigen wollen.

„Sieh es als einen Deal. Du bist die gesamte Autofahrt über leise und dafür bekommst du kein Morphium gespritzt damit wir dich ruhig stellen. Es ist deine Entscheidung, mit beidem habe ich kein Problem" erwiderte Atlas nur ruhig und als hätte Jonathan nur darauf gewartet, zog er einen Koffer hervor, öffnete diesen und offenbarte eine Spritze, die mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.

Icarus schluckte schwer. Er hatte Spritzen schon immer gehasst und als er gerade erst in die Arena gekommen war und einen Bluttest machen sollte, war er panisch aufgesprungen und wie ein Irrer durch den Raum gerannt. Das war lustig, im Nachhinein, aber auch schmerzhaft weil sich mehrere Wachen wie Rugbyspieler auf ihn stürzen mussten, damit er nicht raus rannte. Icarus konnte schnell rennen, vor allem wenn es um Spritzen ging. Doch die Möglichkeit einfach wegzulaufen, gab es nicht. Leider war er in einem Auto, das recht schnell fuhr und er war gefesselt.

„Ich denke ich wähle Variante 1" meldete er sich noch einmal kleinlaut. Er hasste Spritzen. Zwar hatte Icarus vor vielem Angst seitdem man ihn aus der Arena katapultiert hatte, aber Spritzen waren ein Tabu. Er hasste sie noch mehr als die Familie der Tripes und das musste etwas heißen, da Spritzen ihn weder beinahe umgebracht, sein Leben zerstört, ihn bedroht, gefesselt, seine beste Freundin verletzt oder ihn entführt hatte (auch wenn er sich nicht wirklich sicher war, ob Spritzen nicht doch in der Lage dazu wären das alles zu machen. Spritzen waren böse).

Jedenfalls wollte er es nicht riskieren eine Spritze zu bekommen, die ihn auch noch dazu zwangen in das Reich der Drogen und Träume zu versinken. Zwar war er sich nicht ganz sicher was Morphium bewirkte, aber es sollte ihn scheinbar ruhig stellen und das funktionierte am besten mit Schlaf (davor hatte er übrigens auch noch Angst. Schlaf war auch böse).

„Gut. Eine sehr weise Entscheidung, Ketara" raunte Atlas nur zufrieden mit sich selbst und wie gerne wäre Icarus jetzt aufgesprungen, nach vorne gestürzt und hätte ihm seine schönen Augen ausgekratzt und das nur mit seinen recht langen Fingernägeln, aber er konnte sich zurückhalten. Er wollte nicht die Bekanntschaft mit der Spritze machen, die Jonathan schon vorbereitet hatte, jetzt aber wieder im Koffer verschloss.

Die Autofahrt war lange, es war sehr langweilig gewesen und Icarus hatte mehrere Male die Drohung mit der Morphiumspritze bekommen, weil er meinte er müsse mal aussteigen und pinkeln gehen. Es war nicht einmal ein Mittel um zu Lügen und dann einfach abzuhauen, er musste tatsächlich mal aufs Klo und das schon, seitdem er in die Wohnung gegangen war.

Ursprünglich wollte er ja gleich in Klo sprinten, sobald er die Einkäufe abgestellt hatte, aber dann ist so ein unbekannter Mann aufgetaucht und hat ihn bedroht sowie plötzlich entführt. Ihm fiel auf, das das sehr unhöflich gewesen war, schließlich hatte auch Icarus Bedürfnisse und es war ein Menschenrecht das er diesen Bedürfnissen auch nachgehen durfte (zwar war es auch ein Menschenrecht nicht plötzlich gekidnappt zu werden aber Icarus hatte eben andere Prioritäten und eine Entführung war ziemlich weit hinten)

Deshalb war er ziemlich dankbar, als das Auto anhielt und Atlas, Adria und Jonathan ausstiegen und sie unsanft aus dem Wagen zerrten, da Icarus sich einfach heraustragen ließ. Wenn er schon entführt wurde, wollte er wenigstens alle Vorteile davon genießen.

„Und? Treffe ich jetzt endlich Big Daddy oder kann ich zuvor noch aufs Klo gehen?" fragte er locker, obwohl seine Blase bereits drängte und er sich entleeren wollte. „Das ist übrigens ein Menschenrecht, gegen das ihr da verstößt" erinnerte er sie noch einmal hilfsbereit daran doch Jonathan hob nur verwirrt seine buschigen Augenbrauen, die dieselbe Farbe trugen wie seine Haare, goldbraun.

„Wir haben dich bedroht und entführt, natürlich ist das eine Verletzung des Menschenrechts" meinte er nur schulterzuckend. Icarus musste einen Moment nachdenken um zu wissen wovon Jonny da sprach, bis sie es endlich verstand und den Mund zu einem O verzog, als Zeichen das sie verstanden hatte. Es hatte länger gedauert als gedacht.

„Oh. Ja... Ich rede eigentlich nicht von dem ganzen hier, sondern davon das ihr mich nicht auf Klo gehen lässt. Ich habe Bedürfnisse, Karen und diesen würde ich gerne nachgehen" klärte Icarus ihn auf und nun schien Jonathan nur noch verwirrter zu sein als zuvor.

„Du...du bist sauer auf uns weil wir dich nicht aufs Klo gehen lassen aber eine Entführung findest du normal?" fragte Adria noch einmal nach und sie schien genauso verwirrt wie Jonathan, wenn man die gerunzelte Stirn und die zusammengezogenen Augenbrauen beobachtete.

„Oh ja. Ich hatte erwartet das die Arena mich entführen würde, aber mit Charon Tripe hatte ich dann doch nicht gerechnet. Das ist dann doch eine andere Liga" meinte er nur schulterzuckend, aber das schien die beiden nicht gerade von ihrer Verwirrung zu lösen.

Atlas war verzweifelt. Er hatte seinen Onkel gebeten ihm die besten zu geben aber bekommen hatte er nur Jonathan und Adria, die beide unfassbar dämliche Menschen waren, die sich scheinbar nicht einmal eine ganze Gehirnzelle teilten. Großartig.

Er hatte erwartet das Icarus sich wehren würde, aber das tat er nicht. Im Gegenteil, er ging wiederstandlos mit ihnen mit obwohl sie ihn gerade zu dem wohl gefährlichsten Mann ganz Amerikas brachten. Charon Tripe, seinem Onkel. Doch diese Idioten...sie waren nicht auszuhalten und Atlas hatte bereits stechende Kopfschmerzen dank ihnen.

„Könntet ihr freundlicherweise euer kleines Kaffeekränzchen unterbrechen und sie endlich rein bringen? Schließlich wartet Charon nicht gerne" knurrte er nur verzweifelt und seine beiden Wärter schienen sich endlich wieder zu erinnern was ihre eigentliche Aufgabe war, für die sie schlicht und ergreifend zu dumm waren und Atlas hasste dumme Leute. Vielleicht war er deshalb so beeindruckt von seinem kleinen Cousin, Casmiel, der eine einzige Idiotentruppe anführen musste...angeführt hatte.

„Ja, Boss" beantwortete Jonathan seine Frage und er packte Icarus wieder an einer seiner Schultern, Adria übernahm die andere.

In diesem Moment waren sich Casmiel und Icarus einfach unfassbar ähnlich. Denn statt einfach mitzugehen, es den beiden Wärtern einfach zu machen, ließ Icarus sich fallen und er erschlaffte ein wenig, sodass Adria und Jonathan nun sein ganzes Gewicht, was zwar nicht gerade viel aber ausreichend war und sie unter der Achsel tragen mussten, damit er nicht einfach wie eine Puppe auf den Boden knallte und liegen blieb.
Genau dasselbe hatte Cas getan, als er in die Arena eingebrochen war um wieder auszubrechen. Sie waren sich eben doch ähnlicher als gedacht und das obwohl Icarus einen solchen Hass gegen die Tripes hegte und jeder Vergleich mit ihnen tödlich ausgehen würde.

„Kann ich davor noch einmal auf Klo gehen?" fragte Icarus unschuldig und das Fass schien mit diesem einen Satz überzulaufen, denn Atlas drehte sich ruckartig um und schlug ihm voll ins Gesicht sodass ein grausiges Knacken ertönte und noch in Icarus Ohren nachhallte.

Der Schmerz war groß und Icarus war einen Moment zu perplex um zu realisieren was gerade passiert war. Er spürte wie eine dickflüssige Masse seine Nase herunterrannte und einen metallischen Geschmack auf seiner Zunge hinterließ, als es seine Lippen erreichte. Blut.
Icarus' Nase war wohl gebrochen, wenn sie den Ausmaß des Schmerzes und die Wucht des Schlages von Atlas einberechnete und er konnte nur eines denken: Es tat verdammt weh. Seine Nase schien zu pulsieren und immer neue Schmerzwellen auszusenden, die seine Sinne betäubten sodass er nur mehr den Schmerz seiner Nase spürte.
„Aua" stöhnte er nur und irgendwie klang seine Stimme gedämpft, als würde er sie sich zuhalten.

„Verdammt. Meine Sachen!" war das nächste, was Icarus sagte. Das tiefrote Blut tropfte auf seine frischen Kleider, die er gerade erst heute angezogen hatte und eigentlich hatte er sich erhofft, das sie von jeglichen Schmutz verschont blieben, aber nein. Atlas musste natürlich seine Nase pulverisieren und seine Kleidung mit Blut versauen. Das Zeug ging nie wieder raus.

„Ich hoffe das ist dir eine Lektion" fauchte Atlas noch während er seine scheinbar schmerzende Hand ausschüttelte. Natürlich war er kein Schläger, vor allem nicht weil das immer andere für ihn erledigten, aber Icarus war so verdammt nervig das er seine Beherrschung verloren hatte und Gewalt scheinbar die letzte Lösung war.

„Eine Lektion? Das soll das also sein? Was wird dein Onkel nur dazu sagen das du seinen Preis, seine wertvolle Trophäe einfach die Nase brichst! Dein Vater wird davon hören!" tadelte Icarus ihn nur streng während er versuchte das Blut irgendwie zu stoppen, aber er stellte fest das sein Blut wirklich ekelhaft war und er es wieder ausspuckte.

„Meinem Onkel ist das egal. Er wird dich wahrscheinlich sowieso umbringen und mein Vater wird stolz auf mich sein!" behauptete er überheblich aber Icarus hob nur unbeeindruckt eine Augenbraue. Er hatte erwartet das alle Tripes so etwas wie IQ besaßen, aber scheinbar war Casmiel wirklich der einzige der sein Gehirn benutzte. Traurig. Er hatte sich mehr unter dem großen, berühmten Familiennamen vorgestellt als...das hier.

„Bist du eigentlich dämlich? Charon wollte nicht das du mich umbringst und wie ich ihn einschätze, hat er genug Kapos die seine Drecksarbeit verrichten können. Er hat seinen Neffen losgeschickt damit er an mich heran kommt und lässt mich zu ihm bringen. Er will mich nicht tot sehen, er will mit mir sprechen, du Ziegenhirn!" pfefferte Icarus ihm nur ins Gesicht wie eine entnervte Mutter.

Einen kurzen Moment schien Atlas wirklich nachdenklich (und beeindruckt von dieser unfassbar kreativen Beleidigung) aber dann setzte er wieder seine Maske auf, lächelte Icarus nur abschätzig an und meinte ruhig: „Ich bereue gar nichts."
Dann ging er wieder los und Jonathan und Adria schleiften Icarus wieder hinter ihm her. Tatsächlich schleifen. Er fühlte wie seine Knöcheln wund wurden und schmerzten, doch dieser Schmerz war nichts gegen das Pulsieren seiner Nase, die mit jeder weiteren Sekunde nur noch mehr zu bluten schien.

Kann man durch Nasenbluten verbluten? Bestimmt irgendwie. Das wäre irgendwie witzig aber dann auch wieder etwas erbärmlich. Schließlich war Icarus ein Kämpfer und kein pathetischer Mensch, der wegen einer gebrochenen Nase starb. Er hatte schon viel größere Schmerzen erlebt und vor allem überlebt, wenn man bedenkt das er seine Flügel verloren hatte.

Er wurde durch die Gänge eines riesigen Gebäudes geschleppt, war mehrere Stockwerke mit einem sehr geräumigen Aufzug gefahren und war endlich in der richtigen Etage angekommen.

Als sie eintraten (oder besser gesagt als Jonathan, Adria und Atlas eintraten, Icarus wurde schließlich dahinter geschleift) konnte Icarus seinen eigentlich recht vertrauenswürdigen Augen nicht trauen. Er blinzelte mehrere Male als er sich in der riesigen, nein, gigantischen Halle umsah, in die der Aufzug sie gefahren hatte.

Das Licht durchflutete den Saal wie Wellen im Meer, die riesigen Fenster erstrahlten in einem natürlichen Licht, das die gleißende Sonne fabrizierte und Icarus musste seine Augen zu Schlitzen verziehen, um gegen das Licht anzukommen und sich weiter umsehen zu können.

Teure Teppiche waren auf dem Mamorboden ausgelegt, sie passten perfekt zu der Raumdekoration und ließen den Raum noch viel gemütlicher wirken, da sie in schöne Sandfarben gefärbt waren und mit wunderschönen Mustern verziert. Ähnliche Wandteppiche zierten die schneeweiße Wand, auf der scheinbar gerade ein Gemälde gemalt wurde, doch es war noch nicht ganz fertig.

Das Holz der Tische, Bänke und anderen Möbeln war hell, es teilte sich fast dieselbe Farbe mit dem Licht der Sonne und den Teppichen, der Boden war schneeweiß und schien keinen Fleck auf sich zuzulassen. Er glänzte noch mehr als der goldene Kronleuchter, der von der Decke hing und den Raum ausleuchtete. Noch nie war Icarus in einem so schönen Saal gewesen und er fühlte sich ziemlich unwohl, da er nur eine alte, zerrissene Jeans, ein einfaches schwarzes T-Shirt mit einem Bandaufdruck, die er nicht einmal wirklich kannte und dem alten, schwarzen Mantel da stand. Außerdem war er voller Blut und er versuchte sogar das tropfende Rot aufzuhalten, damit es den schönen Steinboden nicht ruinierte.

An einem schönen Tisch, den man fast nicht als Tisch sondern als erhöhten Raum bezeichnen musste, saß ein etwas älterer Mann mit wunderschönen, goldenen Haare die wie das Licht der Sonne glänzten. Sie sahen aus, wie Fäden aus purem Gold, die aus der Kopfhaut des Mannes entsprangen. Sie waren leicht gelockt und etwas länger, in einem Mittelscheitel geteilt. Perfekt gepflegt und wunderschön. Icarus hatte noch nie in seinem gesamten Leben so das Bedürfnis gehabt über Haare zu streicheln, aber diese sahen so weich und gemütlich aus das er fast auf den Mann zu gerannt wäre und mit leuchtenden Augen über seinen Kopf gestreichelt hätte. Aber nur fast, das kleine bisschen Impulskontrolle das er besaß, hielt ihn zurück. Aber nur ganz knapp.
Die Augen des Mannes waren wie zwei tiefe Seen, in denen man sich leicht verlieren konnte. Sie waren so tiefblau, das Icarus schwören könnte, das Meer in seinen Ohren rauschen zu hören und auch die sanften Wellen um seine Füße zu fühlen. Das war aber nur eine Illusion, eine sehr schöne Illusion, aber nicht die Realität, in die Icarus zurück musste wenn er sich nicht in diesen Augen verlieren wollte, weshalb er sich auf die restliche Erscheinung des Mannes konzentrierte.
Seine Haut war straff, trotz des höheren Alters und er hatte scharfe Züge, sein Gesicht war markant und schön. Seine Wangenknochen waren deutlich zu erkennen, so auch seine Kinnlinie, die aussah, als könne man sich daran schneiden.
Er hatte eine gerade Nase, sie schien nie gebrochen zu sein (sowie Icarus Nase gerade eben) und seine Lippen waren schmal, passten aber perfekt zu diesem Gesicht. Alles schien zu passen. Alles schien perfekt zu sein und dieser Mann erinnerte Icarus sehr an Casmiel Tripe, der eigentlich wie sein Spiegelbild war, nur jünger und mit längeren, helleren Haare. Sonst glichen sich die beiden Männer wie eineiige Zwillinge.

Besonders bei dem charmanten Lächeln, das er auf seinen schönen Lippen trug, fröstelte Icarus und ein kalter Schauer lief über seinen Rücken. Dieses Lächeln mag zwar schön sein, so verdammt charmant das man dahinschmolz, aber es erreichte die dunkelblauen Augen des Mannes nicht im geringsten, die sie immer noch kalt musterten und eine erschreckende Intelligenz abstrahlten, so als würde dieser Mann all die Geheimnisse der Welt kennen, was Icarus ihm sofort glauben würde.

„Icarus, der gefallene Todesengel" begrüßte er ihn und erst jetzt bemerkte Icarus das seine Kinnlade nach unten geklappt war, als er einen Blick auf den fremden Mann erhascht hatte, der deutlich älter war als er selbst und eigentlich überhaupt nicht sein Typ. Schnell schloss er seinen Mund wieder, bevor er noch sabbern konnte.

„Sie sind dann also Charon Tripe" erwiderte Icarus doch anstatt kalt und gefährlich zu klingen, war seine Stimme eine Oktave in die Höhe geschossen und er klang verunsichert, nicht ruhig und unbeeindruckt. Verdammt.

„Genau der bin ich. Schlaues Mädchen" lobte Charon ihn nur und diese Worte lösten Icarus aus seiner Starre.

„Ich muss Sie leider verbessern, Mr. Tripe. Aber ich bin kein Mädchen. Ich bin ein Junge" sagte er nur ohne auf die Folgen seiner Tat einzugehen. Vielleicht würde er erhängt werden, weil er gerade dem mächtigsten Mann Amerikas widersprochen hatte, aber Icarus hasste es einfach wenn man sein Geschlecht nicht richtig nannte. Wenigstens benutzte Charon seinen wahren Namen, nicht sein altes Pseudonym.

„Natürlich. Entschuldigt. Kluger Junge" verbesserte sich Charon selbst während er immer näher zu Icarus kam und schon wieder war er verwirrt. Atlas nannte ihn erstens Ketara und zweitens bezeichnete er ihn noch immer als eine sie. Doch Charon hatte mehr Anstand, wie es schien (was Icarus ehrlich gesagt nicht wunderte da Atlas ein dummes Ziegenhirn war) aber er konnte sich dieses Mal schneller aus seiner Starre befreien. Dieser Mann hatte diese Aura...diese seltsame beruhigende Aura als könnte sein Lächeln die Zeit einfrieren. Als könnte sein Lächeln einfach alles.

„Danke. Ich würde jetzt aber liebend gerne zum wichtigen Punkt springen und erfahren was ich hier überhaupt tue und wieso ich aus meinem Leben gerissen wurde" sagte Icarus höflich und er bemerkte die Anspannung in Atlas' Knochen. Sie war mehr als nur deutlich, aber er ließ es sich nicht von seinem Gesicht ablesen. Er hatte also mehr als nur Respekt vor seinem Onkel. Er hatte Angst.

„Natürlich, natürlich, Icarus. Setzten wir uns doch und bereden das bei einer Tasse frischem Tee aus England, nur das beste für meine Gäste" er schob einen Stuhl zurecht und bot ihn Icarus an, der sich tatsächlich setzte und Charon einfach machen ließ. Er schob den Stuhl wieder an den Tisch heran und setzte sich an das andere Ende, sodass sie sich nun gegenüber saßen und Icarus seine Augen genau musterte, die sie aber noch immer nicht in seine Gedanken ließen.

Charon legte seine Hände ineinander und musterte Icarus ebenso genau wie er ihn. So saßen sie erst einmal da, bis Charon das Wort erhob und sagte: „Wir haben viel zu besprechen. Schließlich muss ich etwas Zeit mit meiner geliebten Nichte verbringen..."

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