Weiß und Grau

Er hatte haushoch untertrieben.
Kaum war die Maschine hinter mir eingeschaltete, schossen stechende Schmerzen durch meinen Körper. Es war die Hölle, bohrte sich brennend in meinen Kopf, als wenn er ihn von innen heraus sprengen wollen würde. Während ich mir die Seele aus dem Leib schrie, begutachteten die Eisaugen-Doktor mich mit undurchsichtiger und fachmännisch kühler und teilnahmsloser Miene. Dabei kritzelten sie immer wieder etwas auf ihr bescheuertes Klemmbrettchen.
Während sich der Schmerz weiter durch meine Gehirn und meine Gedanken bohrte, zerrte ich verzweifelt an meinen Handschellen und warf mich hin und her, in der Hoffnung diese grässlichen Elektroden loswerden zu können. Daraufhin kamen jedoch nur die beiden braven Wachhunde und fixierten meinen Oberkörper mit einem dicken Lederriemen an der Stuhllehne.
Zwischen all diesem Schmerz in mir sah ich immer wieder die schwarze, undurchdringliche, blutverschmierte Seele vom älterem Arschloch, welche sich belustigt hinter seinen Augen wand, und dem ekelerregendem Zungenmann, der mein Leiden mit einem widerwärtigem Grinsen und irrem Blick genoss. Ich hatte sogar die Vermutung, dass es ihn aufgeilte, doch bevor dieser Gedanke in mein Bewusstsein eindringen und Gestalt annehmen konnte, schoss der Schmerz in meine Augen und ließ die Umgebung in einen bunten Farbenmix verschwimmen.
Ich schrie laut auf, kniff meine Augen zusammen und schüttelte heftig den Kopf.
"Die Augen also." konnte ich den alten Knacker, trotz meiner eigenen Schreie, murmeln hören. Kälte kroch an meinen nackten Beinen hoch, über meinen Bauch, bis zu meinem Herzen, welches sie fest umschloss und zu ersticken versuchte.
Heftig und stoßweise stieß ich die Luft aus meinen Lungen und versuchte mich auf irgendetwas anderes als den Schmerz zu konzentrieren.
Ich dachte an Jack und seine Gold schimmernde Seele.
Dachte an das strahlende Funkeln, wenn er lachte.
Daran, wie wundervoll seine Seele getanzt hatte, als ich ihm die Kette geschenkt hatte...
An Nemesis, mit ihrer Nachtragenden Farbe, die das Bild ihrer Seele vervollständigte, wie das Lächeln Mona Lisa.
Eine Träne löste sich aus meinem Augenwinkel und rollte langsam meine Wange hinab.
Ich hatte aufgehört zu schreien und mich hin und her zu werfen.
Tiefe Trauer darum, das Jack und Nemesis nicht hier waren umschlang mich, riss mich mit sich, wie eine starke Strömung, der man nicht entkam.
Mit aller Kraft konzentrierte ich mich auf die glitzernden Seelen von Sunny und Nene.
Der Schmerz wurde von ihren strahlenden Farben langsam in den Hintergrund gedrängt und ein herrliches Blau erfüllt meine Gedanken und vertrieb die Kälte, die mein Herz umschlossen hatte.
Während mein Herz sich langsam wieder beruhigte, ließ ich mich vom Strom der Trauer treiben und überließ ihr die Führung.
Ich vertraute ihr hemmungslos.
Mein Atem hatte sich wieder beruhigt und ging in tiefen, regelmäßigen Zügen. Meine Augen hielt ich weiterhin geschlossen und trieb ihn einem leuchtend blauem Meer aus Erinnerungen an das blendend schöne Gold von Jack und dem kunstvollem Mix von Nemesis.
Mein Herz wurde von in Trauer getränkt und es fühlte sich an, als würde ich in weichen Watte-Wolken schweben. Nichts kam jetzt mehr an mich ran.
Nur der Wunsch beide wiederzusehen zwängte sich durch die dicke Schicht aus Benommenheit und brannte sich schmerzhaft in mein Fleisch.
Die Eisaugen gerieten in Unruhe und fingen an hektisch zu murmeln. Hinter mir hörte ich die Maschine zischen und keuchen. Mit immer noch geschlossenen Augen richtete ich mich auf dem Stuhl gerade auf und konzentrierte mich auf das Pfeifen des metallischen Monstrums hinter mir. In meinen Gedanken formte ich aus dem himmelblauen Meer um mich eine kleine Kugel, die ich kurz an mich drückte und dann nach der Teufelsmaschine warf. Im selben Moment öffnete ich meine Augen und sah dem alten Mann fest in die Augen. Seine Seele hüpfte erschrocken auf und ab, als hinter mir etwas explodierte. Ich spürte eine kühle Brise und sah das blau aus meinen Augenwinkeln. An meinen nackten Füßen spürte ich lauwarmes Wasser, doch starrte ich weiterhin in die dunkle Seele dieses kotzreizerregendem Schweines. Er und auch die Wissenschaftler rissen erschrocken ihre Augen auf und starrten entsetzt auf den Schrotthaufen hinter mir. Ein paar Zahnräder, Muttern und Metallstücke flogen an mir vorbei auf die Eisaugen zu. Erschrocken, wie ein paar Hühner welche von einem Hund gejagt wurden, stoben sie auseinander und rannten aufgeregt gackernd herum. Der alte Mann senkte langsam seinen Blick und sah mir in die Augen.
Kalt erwiderte ich seinen Blick.
"A-arthur... Was zur Hölle war das?" fragte der Zungenmann mit entsetztem Gesichtsausdruck und piepsiger Stimme.
Das Schwein hieß also Arthur.
Arthur mit seinem Schützling Alex. Ob das mit den Namen wohl Absicht war?
Arthur antwortete Alex nicht, sondern richtete stattdessen seinen Blick auf den Boden, der inzwischen mehrere Zentimeter unter Wasser stand. Einen der Doktoren, der gerade verängstigt an ihm vorbei rannte, packte er grob am Arm und riss ihn zu sich runter.
"Sagen sie mir, was da passiert ist." knurrte er ruhig und drohend.
Der Doktor schluckte und blätterte hektisch durch die Blätter auf seinem Klemmbrett.
"A-also, zu-zuerst waren die Kurven noch normal, dann... dann haben sich die Ströme auf die Augen konzentriert und kurz bevor die Maschine hochgegangen ist, sind alle Werte komplett durchgedreht und wie eine Achterbahn hinauf und hinab gerattert. Am Ende konnten wir sie nicht einmal mehr messen, da sie unseren Messbereich verlassen hatten." Nervös rückte er seine Brille zurecht. "I-ich kann es ihnen leider nicht erklären, aber es scheint, dass es mit der Fähigkeit des Objektes zu tun hat." wieder warf er einen Blick auf seine Blättchen. "Ich habe bis jetzt nur einmal solche extremen Werte gesehen und das dabei die Maschine in ihre Einzelteile zerspringt ist damals nicht vorgekommen."
Er warf mir einen unsicheren Blick zu. Seine Seele zappelte verwirrt herum, zog sich immer wieder zusammen nur, um sich Sekunden später wieder auf das dreifache auszubreiten. Die erinnerte mich irgendwie an einen Kugelfisch, der sich nicht sicher war, ob er nun aufgeplustert bleiben sollte oder nicht. Hier und da stach das panisch grelle rot zwischen dem eiskaltem blau hervor. Im Kern sah ich jedoch nichts weiter, als einen großen beachen Klecks aus purer, wissenschaftlicher Neugierde. Glasklar spiegelten sich ein paar der anderen Farben darin und schimmerte matt vor sich hin.
Mit kam die Galle hoch und beinahe hätte ich mich wirklich übergeben müssen.
Wie ich diese Eisaugen hasse...
Arthur wandte nun wieder seinen Blick zu mir und fixierte scharf meine Augen. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Seine Seele blitze erfreut und neugierig auf, was mir einen Schauer über den Rücken jagte.
Der idiotische Alex stand neben ihm und starrte mit dem Gesichtsausdruck eines Schafes, welchem man versuchte den Sinn des Lebens zu erklären, zwischen mir, dem Schrotthaufen und Arthur hin und her. Ich konnte regelrecht sehen, wie er sich seinen viel zu großen Kopf darüber zerbrach, was genau das jetzt bedeuten sollte.
"Du bist wirklich etwas ganz besonderes, mein Püppchen." sagte Arthur, stellt sich mir gegenüber auf die andere Seite Tisches, stützte sich mit beiden Armen auf der Tischplatte ab und beugte sich zu mir herunter. "Willst du uns nicht erzählen, was du tolles mit deinen Augen sehen kannst?"
Stumm starrte ich in seine lauernd auf und ab hüpfende Seele.
Für einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken ihm einfach die Zunge rauszustrecken, ließ es dann aber doch bleiben und starrt stattdessen einfach nur stumm zurück.
Nach einer gefühlten Ewigkeit richtete er sich mit einem kleinen Grinsen wieder auf.
"Wir werden dir dein Geheimnis schon noch entlocken." sagte er und drehte sich zu den Wachhunden um. "Bringt sie wieder in ihr Zimmer. Wir machen morgen weiter."
Nachdem die Wach-Wau-Waus artig genickt hatten, marschierten sie zu mir, lösten meine Handschellen vom Tisch und zogen mich zur Tür.
"Man sieht sich, Püppchen." verabschiedete sich Arthur mit einem hinterhältigen Grinsen von mir und winkte. Ich warf den Eisaugen und dem A-Duo noch einen Blick zu, bevor die Wachmänner mich den Flur entlang, wieder zurück ins Zimmer schleiften.
Dort angekommen schupsten sie mich grob hinein, sodass ich stolperte und zu Boden fiel. Beide lachten und warfen dann die Tür zu.
Einen Moment lang blieb ich reglos auf dem Boden liegen, bevor ich mich langsam etwas aufrichtete. Mein Herz schmerzte und es fühlte sich an, als würde jemand versuchen meinen Kopf von innen mit einem Luftdruckhammer zu knacken. In meinen Augen konnte ich meinen viel zu schnellen Herzschlag spüren und kalt war mir auch noch. Langsam stand ich auf und tapste zum Bett.
Zum weißen, farblosen Bett...
Ich blieb stehen und musterte die reinen Laken. Wieder spürte ich, wie eine Welle der Trauer sich anbahnte, um über mir zu ergießen und mit in die dunkle Tiefe zu ziehen.
Schnell drehte ich mich um und ging zum Bad. Ich stieß die Tür auf, betätigte den Lichtschalter und stellte mich vor den Spiegel. Ich holte tief Luft und schaute in die Augen meines Spiegelbilds.
Meine Seele war immer noch weiß. Ich hatte nichts anderes erwartet.
Ich schloss kurz meine Augen, beugte mich weiter vor und sah nochmal hin. Erleichterung machte sich in mir breit, als ich sie zart glitzern und schimmern sah.
Dieses leichte funkeln gab den Mut und die Zuversicht, die ich jetzt brauchte, um nicht im depressiven Grau der verzweifelten Trauer zu ertrinken.
Es war alles in Ordnung, solange dieser Schimmer nicht verloren ging...

Ich weiß nicht, wie lange ich hier jetzt schon in diesem weißen, farblosen Zimmer saß und Tag für Tag an diese Maschine gekoppelt wurde. Es hätten Wochen, Monate, sogar Jahre sein können. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren.
"So Püppchen. Willst du uns heute vielleicht endlich dein Geheimnis verraten?" fragte Arthur und hob meinen Kopf am Kinn an, damit ich ihm in die Augen sah. Seine schwarze Seele waberte mir entgegen, aber ich fühlte nichts dabei.
Kein Ekel, keine Wut... keine Angst...
Ich spürte gar nichts mehr.
Nach einer Weile, in der ich Arthur einfach nur stumm angestarrt hatte, verzog er genervt das Gesicht, ließ mich los und drehte sich zu den Eisaugen um. "Schließt sie an"
Ohne ein Wort zu sagen, sammelten sich die Doktoren um mich und behängten mich mit den Elektroden. Als sie damit fertig waren sammelten sie sich wieder in einer Ecke und schauten mich durch ihre Brillen forschend an.
Seit meiner ersten "Behandlung" hatte ich drei weitere Maschinen zerdeppert, bis man beschlossen hatte mich an eine andere zu kabeln.
Nach dem, was ich so aufgeschnappt hatte, war sie wohl ein Prototyp und hatte so ihre Macken. Eine davon war es, dass sie manchmal selbstständig wurde und der Regler in die Höhe schoss, was bei mir Höllenschmerzen auslöste. Der einzige Lichtblick für mich war, das die Eisaugen in den gemessenen Werten kein Muster oder überhaupt irgendein Ergebnis ziehen konnten.
Arthur schien das langsam richtig auf die Nerven zu gehen und Tag für Tag wurde er ungeduldiger und gereizter. Er befugte die Kraft der Maschine immer wieder höher zu setzten und mir meine Mahlzeiten zu kürzen. Ab und zu ließ er mich in seinen Verhörraum bestellen, wo er mit mir "reden" wollte.
Ich sagte nie auch nur ein Wort.
Weder darüber, wo Jack war, noch etwas über meine Fähigkeiten.
Die Eisaugen stellten die Maschine ein und Schmerz durchzuckte meinen Körper. Ich kniff schreiend meine Augen zusammen und versuchte das brennend, stechende Gefühl in meinen Muskeln zu verdrängen, was mir kläglich misslang.
Die Maschine surrte und zischte einmal Laut auf und es fühlte sich an, als würde ich gleichzeitig in Flammen stehen und jemand all meine Gliedmaßen herausreißen wollen. Ich bäumte mich schmerzerfüllt auf und schrie mir die Seele aus dem Leib.
Grelle Punkte tanzten vor meinen Augen und stachen blendend hell auf meiner Netzhaut.
Ich hörte die Doktoren durch mein Geschrei murmeln und kurz darauf klang der Schmerz wieder ab. Weiterhin durchströmte mich eine Schmerzwelle nach der anderen, aber die bemerkte ich kaum. Mein ganzer Körper fühlte sich taub an und vor meinen Augen wirkte alles leicht verzogen.
Arthur trat wieder an meinen Tisch und beugte sich wieder zu mir herunter.
"Wo ist Goldi?" Schweigend erwiderte ich seinen Blick.
"Was sind deine Fähigkeiten?" Wieder erhielt er nur schweigen als Antwort.
Zorn wallte sich in seiner Seele auf. Er ballte seine Hand zur Faust und schlug mir ins Gesicht. Ich schmeckte Blut, aber zeigte sonst keine Regung. Wütend drehte er sich zu den Eisaugen um.
"Was ist? Worauf wartet ihr? Macht gefälligst weiter!"
Nach weiteren, viel zu vielen Stunden im "Behandlungsraum", brachten mich die zwei Wachhunde wieder in mein Zimmer.
Stumm blieb ich mitten im Zimmer stehen. Es war bereits dunkel geworden, wodurch mein sonst weißes Zimmer, grau und trostlos wirkte.
Ich machte mir nicht die Mühe das Licht einzuschalten und ging ins Badezimmer. Dort knipste ich dann doch die Lampe an und betrachtete mich im Spiegel.
Meine Haare hingen zerzaust und matt an meinem Kopf. Unter meinen Augen sah ich tiefe, dunkle Ringe und abgenommen hatte ich auch.
Meine Seele hatte jeglichen Glanz verloren.
Matt waberte sie wieder hinter meiner Iris, jedoch schien sie von einem dreckigen, grauen Film überzogen zu sein, der von Tag zu Tag immer dunkler wurde...

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