Opal
Es war totenstill. Der Teller lag in Scherben auf dem Boden und Jack starrte mich mit weit aufgerissenen Augen entsetzt an. Seine Seele fing schon wieder an sich in panisches rot zu tränken und waberte hektisch umher. Seine Hände zitterten stark und sein Atem ging flach und hektisch. "Jack?" fragte ich vorsichtig. Sein Blick war immer noch auf mich gerichtete, doch hatte es den Anschein, als würde er nicht mich, sondern jemand anderen sehen. Jemanden, vor dem er große Angst hatte. Seine immer noch zitternden Hände drückte er an seine Brust und kauerte sich auf den Boden. Das Zittern seiner Hände übertrug sich auf seinen ganzen Körper. "Jack!" rief ich etwas lauter, sprang auf und eilte zu ihm. Sein Atem ging flach und unregelmäßig. Während ich ihn dort zitternd und angsterfüllt auf dem Boden kauern sah, zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Was hatte ich falsch gemacht? Warum bringt der Spitzname "Goldi" ihn nur so aus dem Konzept? Als dann auch noch eine Träne seine Wange hinab rollte, wurde es mir zu bunt. "JACK!" schrie ich, packte ihn an den Schultern und schüttelte ihn einmal kräftig durch. Er schreckte zusammen und sah mich irritiert und etwas verloren an. Ohne groß nachzudenken nahm ich ihn in den Arm. Ich konnte seinen hektischen Herzschlag spüren und strich ihm beruhigend über den Rücken. "Er ist alles in Ordnung. Hier ist niemand, der dir etwas antuen will. Du bist in Sicherheit." Sein zittern ließ etwas nach und auch sein Puls beruhigte sich wieder. "Nana..." flüsterte er, schlang seine Arme um meine Taille, drückte mich an sich und vergrub sein Gesicht an meiner Schulter. Wie zur Bekräftigung meiner Worte kam nun auch Nemesis mauzend angetappst und schmiegte sich an ihn. "Nene..." Er strich ihn zärtlich über den Kopf. Ich schob ihn etwas von mir weg und sah ihm in die Augen. "Jack. Wir beide wollen, dass es dir gut geht. Wenn es irgendetwas gibt, das dir Sorgen bereitet, dann erzähl uns davon. Wir wollen dir nichts Böses. Das weißt du, oder?" Mit gesenktem Blick nickte er. Sanft nahm ich sein Kinn und dirigierte sein Gesicht in meine Richtung, damit ich ihm in die Augen sehen konnte. Seine Seele hatte sich wieder beruhigt und schimmerte wieder wie flüssiges Gold hinter seiner Iris. "Willst du uns vielleicht erzählen, was dich so bedrückt." Er schüttelte den Kopf. "Jetzt noch nicht..." "In Ordnung." sagte ich und stand wieder auf. "Wollen wir dann jetzt essen? Ich sterbe vor Hunger."
Wir haben noch schnell die Scherben weggeräumt und uns dann auf das inzwischen nicht mehr ganz so heiße Curry und den Reis gestürzt. Also ich zumindest. Während ich gierig einen Teller nach dem anderen verschlang, aß Jack nur eine Portion mit der Begründung, dass er beim Zusehen von mir schon satt wurde. "Sag mal, du hast Nemesis doch das Halsband gekauft, oder? Hat die Glocke irgendeine tieferen Grund?" fragte ich, bevor ich mir einen weiteren Löffel Reis in den Mund. "Ja, die ist dazu da, damit ich mich nicht jedes Mal zu Tode erschrecke, wenn sie plötzlich hinter mir auftaucht." erklärte er, stand auf und setzte etwas Wasser auf. "Ich habe heute auch noch alle anderen Dinge für eine Katze gekauft. Also Katzenklo, Fress-und Trinknapf und Futter." Er füllte zwei Tassen mit Wasser, gab den Tee dazu und stellte die eine vor mir ab. Zwischen zwei bissen murmelte ich ein danke und kippte mir Zucker in die Tasse. Als ich endlich satt war, lehnte ich mich wohlig seufzend zurück. "Das war umwerfend lecker." schwärmt ich dem gerade verschlungenem Essen nach. Jack beobachtete mich und rührte mit einem Löffel in seiner Tasse. "Sag mal Nana... Wie alt bist du eigentlich?" Ich schob meinen Teller zur Seite und legte beide Hände an meine heiße Tasse. "Was glaubst du denn?" Er überlegte. "Da du allem Anschein nach schon mit der Schule fertig bist und auch schon arbeitest, würde ich dich auf vielleicht 20 oder 21 schätzen." Ich starrte ihn an. Er wirkte verunsichert. "Lag ich so falsch." "Naja... knapp daneben wäre wohl zu viel des Gutem. Ich bin im Frühling dieses Jahres 18 geworden." Er fiel fast vom Stuhl. "War das so überraschend?" "Ob das so überraschend kam?!" rief er aufgebracht mit einem erstaunten Unterton und fuhr mit der Hand durch sein Haar. "Natürlich ist das überraschend! Welches 18 jährige Mädchen arbeitet selbständig und hat schon eine eigene Wohnung?" "Die Wohnung haben mir meine Eltern zum 16. Geburtstag geschenkt." meinte ich und trank einen Schluck meines süßen Tees. Jack starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. Sein Mund klappte immer wieder auf und zu, wie bei einem Karpfen, aber er brachte kein Wort über die Lippen. Seufzend stellte ich die Tasse wieder ab. "Setzt dich hin, pack deine Beißerchen ein und ich erkläre es dir." Gehorsam machte er seinen Mund zu, setzte sich und schaute mich abwartend an. "Meine Eltern wussten schon immer, dass ich etwas distanzierter bin, als andere Kinder." fing ich an. "Sie akzeptierten das und ließen mich machen, was ich wollte. Ich war kein böses Kind, also ging das in Ordnung. In der Schule war ich fleißig und schrieb immer gute Noten. Ich habe zwei Klassen übersprungen und habe mit 16. mein Abitur mit einem Durchschnitt von 0,5 absolviert. Zu diesem Anlass schenkten sie mir diese Wohnung. Natürlich konnte ich noch nicht alleine hier leben, also war ich tagsüber hier und schlief nachts bei ihnen. Dann habe ich mir den Job in dem Blumenladen geholt und verdiene jetzt mein eigenes Geld." schloss ich und trank einen weiteren Schluck. Jack starrte mich mit offenem Mund entgeistert an. Ein Nachtisch wäre jetzt genau das Richtige. Ich stand auf, ging zum Tiefkühler, holte mir ein Eis und klappte, bevor ich mich wieder hinsetzte, Jacks Kinnlade wieder hoch. Genüsslich ließ ich mir einen Löffel der kalten Süßigkeit auf der Zunge zergehen. Langsam erwachte Jack aus seiner Schockstarre. "Warum gibst du dich mit diesem kleinen Blumenladenjob zufrieden? Mit so einem Abschluss könntest du alles werden!" rief er und fuchtelte wild mit den Händen umher. Ich zuckte mit den Schultern. "Ich mag den Blumenladen... und die Farben. Warum etwas machen, was einem nicht gefällt?" Er seufzte und ließ seinen Kopf auf den Tisch fallen. Für einen Moment herrschte stille. Nemesis sprang auf den Tisch und ihr kleines Glöckchen klingelte leise. Schnurrend fixierte sie mein Eis. "Du hast gesagt, dass du im Frühling 18 geworden bist." fragend hob er seinen Kopf wieder etwas an. Zustimmend nickte ich. "Dann bin ich älter als du!" rief er erfreut und richtete sich wieder auf. "Du musst wissen, dass ich im Dezember dieses Jahres 19 werde." erklärte er mit einem frechen grinsen auf den Lippen. "Aha..." meinte ich nur und streckte Nemesis einen Löffel Eis entgegen. "Man Nana... Du bist so kaltherzig." murmelte er schmollend und ließ sich wieder auf den Tisch fallen. "Also gut. Wann hast du denn Geburtstag?" fragte ich seufzend und stützte mein Kinn in meine Hand. Freudig lächelnd setzte er sich wieder auf. "Am 25.12.!" Das kam überraschend. "Direkt nach Weihnachten?" hackte ich sicherheitshalber nochmal nach. Übers ganze Gesicht strahlend nickte er. "Jap. Ungewöhnlich, nicht?" Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen. "Das kann ich toppen." Herausfordernd sah er mich an. "Überrasch mich." Ich räusperte mich, richtete mich etwas mehr auf und zeigte mit meinem Eislöffel auf ihn. "Ich wurde am 29. Februar geboren!" rief ich und grinste Siegessicher. "Verdammt!" fluchte er und warf in gespielter Verzweiflung Haare raufend seinen Kopf in den Nacken. "Ich gebe auf Nana. Du hast gewonnen." seufzte er ergeben und warf sich mal wieder auf die Tischplatte. "Ich wusste gar nicht, dass das ein Wettbewerb ist." kichert ich und schob Nemesis die Reste meine Eises zu. Jack setzte sich wieder auf, stützte sich auf beide Ellbogen und musterte mich aufmerksam. Ich kam mir irgendwie, wie ein Gemälde oder irgendein altes Artefakt vor. Noch dazu irritierte mich der rosa Schimmer auf Jacks Seele. Unbehaglich rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her. "Hör bitte auf mich anzustarren." knurrte ich ihn schließlich an. Wie ertappt zuckte er zusammen und ich schien ihn aus ziemlich tiefen Gedanken gerissen zu haben. "W-was?" "Du starrst." Er lief rot an. "A-ach ja. Ich hab ja was für dich." stotterte er und sprang hastig auf. Verwundert sah ich ihn hinterher. Wenig später kam er wieder zurück und stellte sich mit leicht rosa Wangen vor mir auf. Er räusperte sich nervös und sein Blick huschte unruhig durchs Zimmer. "Ich... also..." Unsicher hüpfte er von einen Fuß auf den anderen. "Das hier ist für dich." Er hielt mir eine kleine schwarze Holzschatulle entgegen. Mit gerunzelter Stirn nahm ich sie an. "Wofür?" Verlegen kratzte er sich im Nacken. "D-dafür, dass du mich bei dir wohnen lässt." Ich nahm diese verwirrt an und studierte die Kiste etwas genauer. Die Seiten waren mit zarten Kirschbäumen besetzt, welche rosa Blüten trugen. Auf dem Deckel war eine dieser Blüten in groß abgebildet. Sachte strich ich mit den Fingerspitzen den Rand entlang. Allein die Kiste muss ein Vermögen gekostet haben. Was dann wohl erst drinnen war? Vorsichtig hob ich dem Deckel und der Anblick des Inhaltes verschlug mir den Atem. An einer zarten silbernen Kette hing ein mit Silber umschlungener Matrix-Opal. Er hatte die Form eines Tropfens und bunt glitzerten alle möglichen Farben hervor. Teilweise sah es aus, als wäre er zerbrochen und an den Bruchstellen blitzte es blau, grün und Türkis hervor. Durch die vielen Farben wirkte es, als hielte ich eine Träne des Nachthimmels in meinen Händen. Wie die Sterne funkelten die Farbtöne und verzauberten mich. "Er ist... wunderschön..." hauchte ich und nahm ihn vorsichtig aus der Schatulle. "Wirklich?!" Ich nickte und sah zu, wie das Licht die Farben noch mehr zum Glitzern brachte. Ich hatte nie besonders viel Schmuck besessen. Teuren schon gar nicht. "Und du willst mir das wirklich schenken?" fragte ich unsicher und sah zu Jack. "Die war doch sicher Schweineteuer." Hastig schüttelte er den Kopf und strahlte mich an. "Mach dir da keine Gedanken." Seine Seele glänzte und tanzte aufgeregt umher und das Gold strahlte noch heller, als jemals zuvor. Ich warf einen misstrauischen Blick zur Kette und dann wieder zu ihm. "Die ist aber nicht geklaut, oder?" Empörung verschleierte sein Gefunkel. "Natürlich nicht! Ich bin doch kein Dieb!" rief er und verschränkte Beleidigt die Arme vor der Brust. "Das weiß ich doch." kicherte ich. "Vielen Dank." Ich hielt ihm die Kette hin. "Kannst du sie mir umbinden?" Vor Freude strahlend nahm er die Kette und stellt sich hinter mich. Ich drehte meine Haare zu einem Zopf und hob sie etwas an, damit sie nicht im Weg waren. Sachte legte er mir die Kette um und hielt einen Moment inne. "Willst du, dass ich sie so verschließe, dass sie sich nicht mehr öffnen lässt?" Komische Frage, aber warum nicht? So kann ich sie nicht mehr verlieren. "Ich bitte darum." antwortete ich also. Während er den Verschluss der Kette versiegelte, wie auch immer er das machte, spürte ich, wie seine Hände etwas wärmer wurden und ein leichtes leuchten ging von ihm aus. Ich hätte mich gerne umgedreht, um zu sehen, was er da machte, doch als ich meinen Kopf nur einen Zentimeter bewegte kam sofort ein "Nicht bewegen." von ihm. Also blieb ich einfach still sitzen und ließ ihn machen, was auch immer er da tat. Immer wieder streiften seine Finger meinen Nacken. Ein angenehmes kribbeln wanderte von den Stellen, wo unsere Haut sich traf, meinen Rücken hinab. "Fertig." Ich ließ meine Haare wieder zurückfallen, stand auf und stellte mich vor ihm. "Und? Steht sie mir?" fragte ich und legte meinen Kopf schief. "Und wie!" meinte er lächelnd und ich spürte ein flattern in meinem Bauch. Hatte ich zu viel gegessen? "Das nächste Mal, bekommst du was von mir." beschloss ich kurzerhand, was Jack rot werden ließ. "A-ach was. Das musst du nicht, wirklich." winkte er ab, aber ich war nicht mehr umzustimmen. "Keine Wiederrede. Du hast für mich und Nemesis was gekauft und jetzt sind wir dran, dir etwas zurückzugeben." Wie auf Stichwort sprang mir Nemesis mauzend auf die Schulter und ihr Glöckchen klingelte leise. Ich mag diese Katze. Es ist, als würde sie meine Gedanken lesen können. Ein bisschen gruselig, aber auch sehr cool. "Also gut." gab er auf und fuhr sich durch die Haare. "Aber bitte keine Ohrringe oder Ringe." Ich konnte ein Lachen nicht unterdrücken. "Abgemacht."
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